Ein überholtes Konzept

Ein jun­ger Marok­ka­ner hat sich letzte Nacht im Aus­schaf­fungs­ge­fäng­nis am Flug­ha­fen umge­bracht. Wel­ches per­sön­li­che Drama sich hin­ter die­ser Geschichte ver­birgt, wer die­ser 23jährige war, wes­halb er die Reise in den Nor­den gewagt hat und mit was für Hoff­nun­gen er gekom­men ist, stand nicht in der Zei­tung. Die zwangs­weise Rück­ver­frach­tung von Men­schen, die man bei uns nicht haben will, gehört hier­zu­lande und in ganz Europa zum All­tag. Ein Akt der Staats­ge­walt, der Frei­heits­rechte ver­letzt und in einer Zeit, die sich glo­bal nennt, nichts mehr zu suchen hat.

Trotz­dem gebär­den wir uns wie eine Gated Com­mu­nity und ver­wei­gern der Mehr­heit der Men­schen die­ser Welt den Zutritt zu «unse­rem Ter­ri­to­rium». Warum eigent­lich? Woher neh­men wir das Recht, die Mensch­heit in «legale» und «ille­gale» zu unter­tei­len? Wie ver­trägt sich das mit dem Bekennt­nis zur «Frei­heit», das gerade in den letz­ten Wochen so oft zu hören war? Noch absur­der die Unter­schei­dung in der gest­ri­gen NZZ, wo von «regu­lä­rer und irre­gu­lä­rer Migra­tion» die Rede ist. Als ob es sich dabei um ein Natur­ge­setz han­deln würde. Bei sol­chen For­mu­lie­run­gen geht schnell ver­ges­sen, dass poli­ti­scher Wille und Men­schen gemachte Gesetze dar­über ent­schei­den, wel­che Migra­tion statt­fin­den darf, und wel­che kri­mi­na­li­siert wird.

Das Glei­che gilt für die Unter­schei­dung zwi­schen «ech­ten Flücht­lin­gen» und «Wirt­schafts­flücht­lin­gen». Nicht nur, dass die Gren­zen flies­send sind – hier stiehlt sich der rei­che über­mäch­tige Westen aus der Ver­ant­wor­tung. Michael Lüders hat es in einem Inter­view mit der Rund­schau letzte Woche anhand eines Bei­spiels auf den Punkt gebracht: «Die Flücht­lings­frage ist eine sehr ernst zu neh­mende Her­aus­for­de­rung, aber es gibt lei­der keine ein­fa­chen Ant­wor­ten auf die­ses Pro­blem. Die Euro­päi­sche Union muss sich zum Bei­spiel fra­gen, warum sie Nah­rungs­mit­tel­ex­porte sub­ven­tio­niert in Rich­tung Schwarz­afrika, damit vie­len Bau­ern die Lebens­grund­lage ent­zieht, die dann wie­der die Flucht antre­ten über Libyen nach Europa.»

Immer grös­ser ist der Auf­wand, den wir betrei­ben, um zu ver­hin­dern, dass sich Migran­tIn­nen aus soge­nannt armen Län­dern bei uns nie­der­las­sen. Wir lei­sten uns teure Über­wa­chungs­sy­steme, Asyl­ver­fah­ren und Rück­schaf­fun­gen. Die huma­ni­täre Hilfe vor Ort soll zudem dafür sor­gen, dass mög­lichst wenige Flücht­linge bis in unser Land kom­men. Wieso die­ser Rie­sen­auf­wand für eine Sache, die nicht nur ethisch pro­ble­ma­tisch, son­dern auch völ­lig unzeit­ge­mäss ist? Wes­halb dür­fen Tou­ri­sten kom­men, Arbeit­neh­mer aber nicht? Wes­halb haben wir so Angst vor Men­schen, die bei uns ihr Glück ver­su­chen wollen?

Es wäre an der Zeit, Migra­tion als Tat­sa­che, wenn nicht als Chance zu begrei­fen. Unsere Gesell­schaft hat sich in den letz­ten fünf­zig Jah­ren nicht zuletzt dank der vie­len Ein­wan­de­re­rIn­nen bewegt, ver­än­dert – ist mul­ti­kul­tu­rell und offe­ner gewor­den. Eine Öff­nung der Gren­zen und des Arbeits­markts wäre ange­sichts der zuneh­men­den glo­ba­len Ver­flech­tun­gen nichts als logisch. Und hätte den wun­der­ba­ren Vor­teil, dass nie­mand mehr lügen müsste, um in der Schweiz zu leben.

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