Prostitution

Das ehe­ma­li­ge Elektrizitätswerk Selnau in Zürich – ein tol­ler Raum, um Kunst zu genies­sen! Und genau die rich­ti­ge Kulisse für die über­wäl­ti­gen­den Porträtbilder, mit denen die US-Fotografin Annie Leibovitz berühmt gewor­den ist. Entsprechend gross war die Vorfreude auf die jüngs­te Ausstellung.

Angekündigt war die Fortsetzung der ein­drück­li­chen Porträt-Serie, die Annie Leibovitz zusam­men mit der Essayistin Susan Sontag vor bald 20 Jahren lan­ciert hat­te: Unter dem Arbeitstitel «Women» por­trä­tier­ten sie um die Jahrtausendwende ein brei­tes Spektrum unter­schied­lichs­ter Frauen: Bäuerinnen, Tennisstars, Filmschauspielerinnen, eine Astronautin, Bergarbeiterinnen, eine First Lady…

Die Frauenporträts von Annie Leibovitz haben einen unver­kenn­ba­ren Stil. Es sind Bilder, die eine eige­ne Aura aus­strah­len, den Porträtierten Würde und einen Hauch von Glamour ver­lei­hen. Bilder, in die man sich ver­tie­fen kann, auf denen man immer wie­der Neues ent­deckt. Fotografien, die man sich ger­ne im Grossformat ansieht und die sich bes­tens eig­nen für die Präsentation in einem Raum wie dem ewz Unterwerk Selnau.

Ein Bild, mit dem für die Ausstellung gewor­ben wird: Die Williams-Schwestern – eng umschlun­gen, in ein­drück­li­cher Pose. Dieses und ande­re Bilder die­ses Kalibers in Grossformat – dar­auf freu­ten wir uns!

«Women: New Portraits» – ver­spricht das Transparent über dem Eingang zum ewz Selnau. Dazu das Logo einer Grossbank… Ein freund­li­cher Securitas-Mann öff­net uns die Tür, wir tre­ten vom gleis­sen­den Sonnnenlicht in die Halle. Eintritt und Ausstellungskatalog sind gra­tis. Ein schö­nes Kulturgeschenk, unge­wohnt für die Stadt Zürich!

Doch das böse Erwachen folgt sogleich: Wo sind die über­wäl­ti­gen­den, ein­drück­li­chen Porträtbilder, auf die wir uns gefreut haben? – Unsere Augen gewöh­nen sich schnell an die Dämmerstimmung – und erbli­cken eine Gruppe von rund dreis­sig Menschen, auf Klappstühlen sit­zend und gebannt auf eine gros­se Wand star­rend, die mit­ten im Raum steht.

Bei genau­em Hinsehen ent­puppt sich die Wand als einer von drei gross­for­ma­ti­gen Screens, die aus je sechs klei­ne­ren Bildschirmen zusam­men­ge­setzt sind. Darin spie­geln sich vor allem die Oberlichter der Halle durch, die das hel­le Tageslicht in den Raum fliesst.

Erst nach eini­gem Zirkeln fin­det man den rich­ti­gen Winkel um die Projektionen zu erken­nen: Da wer­den einem in vor­ge­ge­be­nem Rhythmus Porträtfotos von Frauen prä­sen­tiert. Die Bilder zer­schnit­ten, durch die dicken schwar­zen Ränder der Bildschirme. Unerträglich! Mein Begleiter ver­lässt die Ausstellung flucht­ar­tig, sofort.

Ich mag nicht so schnell auf­ge­ben: Immerhin gibt es noch eine Stellwand, wo auf­ge­reiht Porträt neben Porträt hin­ter Plexiglas der Entdeckung war­ten. Das Problem: Will man die­se klein­for­ma­ti­gen Bilder betrach­tet, muss man über die Beine der ande­ren AusstellungsbesucherInnen stei­gen. Die Kopien sind so klein und im Halbdunkel, dass die Fotos nicht zur Geltung kommen.

Nach einem wei­te­ren ver­zwei­fel­ten Versuch, das eine oder ande­re Bild in Ruhe zu betrach­ten, gebe auch ich bald auf. Und ver­las­se die Halle eben­falls im Eiltempo. Enttäuscht, verstört.

Die anschlies­sen­de Internetrecherche bringt Aufschluss: Die neue Women-Serie, inklu­si­ve der Wanderausstellung in zehn Städten welt­weit, wur­de voll und ganz von der UBS finan­ziert. Sie ist Teil einer Kampagne, wel­che die Grossbank 2015 lan­ciert hat­te, um ihr Image auf­zu­po­lie­ren. Die Bilder der Kampagne stam­men – wen wundert’s – von Annie Leibovitz. Dies offen­bar der Deal zwi­schen der Fotografin und der Grossbank.

Und plötz­lich erschei­nen die «Women: New Portraits» in einem ganz ande­ren Licht: Egal, wie die Bilder aus­se­hen, egal wie sie aus­ge­stellt sind und wie sehr Frauenpower im Ausstellungskatalog und in den Medien her­bei­ge­re­det und –geschrie­ben wird: Hier geht es weder um Kunst, noch um Fotografie oder das Selbstbewusstsein der Frauen. Sondern ein­zig und allein dar­um, dass sich ein Finanzinstitut einen gros­sen Namen kauft, um sich in sei­nem Glanz zu sonnen.

Von Kunst und Fotografie haben die Banker kei­ne Ahnung und begnü­gen sich mit einer Drittklass-Ausstellung. Das pro­mi-hung­ri­ge Publikum wird gewiss durch das pro­mi­nen­te Namedropping geblen­det sein, wer­den sie gedacht haben.

Und Frau Leibovitz, hat sie auch etwas gedacht? Oder ein­fach ihre schma­le Geldbörse gefüt­tert? Fest steht: Mit ihrer Prostitution hat sich die Fotografin nicht nur sel­ber dis­kre­di­tiert. Was viel schlim­mer ist: Sie hat die Frauen, die sie por­trä­tiert, letzt­lich miss­braucht. Und so das ursprüng­li­che Projekt «Women» ad absur­dum geführt.

Vollmond über Juba

Wir sit­zen an einem lan­gen Holztisch unter lau­schi­gen Ästen. Vor uns trä­ge der Fluss, ein altes Schiffswrack ragt aus dem brau­nen Wasser. Jugendliche besprit­zen sich gegen­sei­tig und genies­sen das Bad in vol­len Zügen, ein Fischerboot tuckert vorbei.

Die Sonne steht bereits tief – roman­ti­sche Feierabendstimmung am weis­sen Nil. Rundum fül­len sich die Bänke, vor­wie­gend mit Weissen. Die Habitués grüs­sen nach links und nach rechts. Man kennt sich und kommt bei Bier und Zigaretten schnell ins Gespräch.

Einzig die Schilder an den Bäumen, die dar­auf hin­wei­sen, dass Fotografieren streng ver­bo­ten ist, erin­nern dar­an, dass wir uns hier in einer Hochsicherheitszone befin­den: Bevor wir Zugang zum Parkplatz des Restaurants erhiel­ten, muss­ten wir zwei Sicherheitsschleusen pas­sie­ren. Unser Geländewagen wur­de rund­um gecheckt.

Meine Tischnachbarin arbei­tet seit bald zwei Jahren in Juba. Sie ist Botschaftsangestellte und zustän­dig für die Hilfsprojekte ihrer Regierung im Südsudan. Als sie hört, dass wir am Vorabend aus dem Norden zurück­ge­kom­men sind, löchert sie uns mit Fragen. Alles will sie wis­sen und noch mehr:

Wie leben die Menschen in Aweil? Was kann man auf dem Markt kau­fen? Wie steht es um die Gesundheitsversorgung? Das Wasser, die Ernährungssituation – was haben die Leute erzählt, über ihre Religion, die Traditionen – ihre Hoffnungen und Ängste?

Entschuldigend fügt sie hin­zu: «Ich bin seit einem hal­ben Jahr nicht mehr «im Feld» gewe­sen und weiss eigent­lich kaum etwas über die Menschen, denen wir mit unse­ren Projekten hel­fen wol­len.» Deshalb sau­ge sie auf, soviel sie kön­ne, wenn sie jeman­dem begeg­ne, der aus­ser­halb der Hauptstadt war.

Fakt ist: Nicht ein­mal in Juba kom­men die inter­na­tio­na­len Helferinnen und Helfer wirk­lich in Kontakt mit den Einheimischen. Aus Sicherheitsgründen bewe­gen sie sich aus­ser­halb ihrer mit Stacheldraht gesi­cher­ten und bewach­ten Compounds nur im Geländewagen. Sie kau­fen in aus­ge­wähl­ten Supermärkten ein und ver­keh­ren in eini­gen weni­gen, als «sicher» klas­si­fi­zier­ten Restaurants.

Aber auch sonst beschränkt sich ihr Kontakt zu Südsudanesinnen und Südsudanesen auf ein Minimum: Die inter­na­tio­na­le Gemeinschaft hat beschlos­sen, dass man mit dem Unrechtsregime von Präsident Salva Kiir Mayardit nichts zu tun haben will. Die meis­ten Hilfseinsätze wer­den des­halb ohne Einbezug der süd­su­da­ne­si­schen Politik oder Verwaltung geplant und durchgeführt.

Wie man unter die­sen Voraussetzungen in einem Land arbei­ten kön­ne, fra­ge ich mei­ne Tischnachbarin. Sie schüt­telt resi­gniert den Kopf und sagt: «Es ist schon eine eigen­ar­ti­ge Stimmung – wir blei­ben unter uns, und reden mit uns selber…»

Gerne hät­te ich mehr erfah­ren. Doch plötz­lich heisst es Aufbrechen – es ist kurz vor Sieben. Noch ein paar Minuten, dann ist Ausgangssperre für die meis­ten Expats: Um sie­ben Uhr müs­sen alle hin­ter den Mauern des eige­nen Compounds «in Sicherheit» sein.

Also eilen wir zum Auto. Sanft brei­tet sich die Dämmerung über die Stadt. Während wir durch holp­ri­ge und stau­bi­ge Strassen fah­ren, geht über den Dächern der Vollmond auf. Gross, ver­heis­sungs­voll – und unwirk­lich schön.

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