Zweieinhalb Wochen vor der Abstimmung kauft die Unia das Cover der Gratiszeitung «20-Minuten»: «Polnische Löhne gehören nach Warschau – Lohndumping stoppen» prangt in dicken Buchstaben auf den Pendlerzeitungen, die in rauen Mengen in der S‑Bahn herumliegen. Dazu die Aufforderung: Am 28. Februar im Kanton Zürich für die Unia-Initiative stimmen.
Am HB angekommen dann, die gegenteilige Aufforderung — hier haben die Gegner der Initiative mit grosser Kelle angerichtet: In fetten Lettern prangt unmissverständlich die Warnung in Form einer rhetorischen Frage von den Plakatwänden: «Zürcher Wirtschaft lahmlegen?» – Darunter die Parole: «UNIA Lohndumping-Initiative NEIN».
Vor einem Monat machten GegnerInnen der Durchsetzungsinitiative mobil, um im öffentlichen Raum den kickenden SVP-Schafen möglichst viele Nein-Plakate entgegenzustellen. Innert kürzester Zeit kamen über 750’000 Franken zusammen – das Resultat ist gut sichtbar, zumindest in den grösseren Städten und an zahlreichen Bahnhöfen hängen die schwarzen NEIN-NO-NONs.
Ich habe nicht gespendet. Ich verstehe zwar die Überlegung, dass je mehr Plakate für ein NEIN werben desto eher die Chance besteht, dass die Annahme der Durchsetzungsinitiative abgewendet werden kann. Trotzdem: Es darf doch nicht sein, dass die Anzahl der bespielten Plakatwände das Resultat von Volksabstimmungen bestimmt!
Diese Entwicklung ist nicht neu. Und es geht nicht nur um die Menge der Plakate sondern auch um Sujets und Slogans. Da haben aber – leider fraglos – die SVP-Schafe die besseren Karten. Sie emotionalisieren und schaffen Bilder. Genau wie das Plakat mit dem brennenden Gotthardtunnel und dem Schlagwort «Sicherheit», das suggeriert, dass solches mit einer zweiten Röhre verhindert würde.
Die Reduktion von Abstimmungsvorlagen auf Werbeslogans ist der Tod der Demokratie. Weil Werbung das Gegenteil von Demokratie ist: Werbung verkauft, sie stellt nicht zur Diskussion. Werbung basiert auf Verführung, nicht auf Fakten. Sie spricht Emotionen an, nicht den Verstand. Was folgerichtig dazu führt, dass jene mit dem grösseren Werbebudget und den raffinierteren Verführungsmethoden Abstimmungen gewinnen.
Deshalb sind Abstimmungen, die auf Werbekampagnen reduziert werden, der Tod der Demokratie. Zum Glück sind wir (noch) nicht soweit: Noch gibt es Menschen in diesem Land, die sich mit Inhalten auseinandersetzen. Die bereit sind, ihre Meinung zu revidieren, weil sie sich Zeit genommen haben, die Inhalte hinter den Slogans zu studieren.
Wie zum Beispiel ein Freund, der im Baugewerbe als Tunnelbau-Experte tätig ist: Er hat sich die Gotthardvorlage unter professionellen Aspekten genau angeschaut – mit eindeutigem Ergebnis: Rechnet sich nicht. Deshalb wurde aus seiner ursprünglichen Ja- eine Nein-Stimme.
Wahrscheinlich ist es Zufall, dass just am Tag der Coverwerbung für die Lohndumping-Initiative ein Fall von massivem Lohndumping auf einer Schweizer Baustelle publik wurde. Notabene durch ein polnisches Subunternehmen, das Stundenlöhne von gerade mal 3.50 CHF bezahlt haben soll. Zudem veröffentlichte der Gewerkschaftsbund des Kantons Zürich aktuelle Zahlen zu Lohndumpingfällen. Diese Informationen liefern Argumente.
Die von der Unia vorgeschlagenen zusätzlichen Massnahmen, um solche Machenschaften künftig zu verhindern, werden die Zürcher Wirtschaft garantiert nicht lahmlegen – der Slogan auf den Plakaten der Lohndumpingbefürworter ist reine Verführung und Angstmache.