NZZ profitiert von SRG-Millionen!

Schade, haben wir unser NZZ-Abo bereits vor zwei Jah­ren gekün­digt. Aus Pro­test gegen die Schlies­sung der NZZ Drucke­rei. Weil wir diese Geschäfts­po­li­tik mit unse­rem Abo-Geld nicht wei­ter unter­stüt­zen woll­ten. Seit­her hätte es wie­der­holt Anlass gege­ben, die­sen Schritt zu wie­der­ho­len. Auch, um gegen die inhalt­li­che und publi­zi­sti­sche Aus­dün­nung und zuneh­mend rechts­po­pu­li­sti­sche Aus­rich­tung der NZZ zu protestieren.

Ein letz­ter, ulti­ma­ti­ver Anlass zur Kün­di­gung des Zei­tungs-Abos wäre der Leit­ar­ti­kel von NZZ-Chef­re­dak­tor Eric Gujer vom letz­ten Sams­tag. Wobei das Mach­werk mit dem Titel «Die Schweiz braucht keine Staats­me­dien» eigent­lich nicht als «Leit­ar­ti­kel» zu bezeich­nen ist. Es han­delt sich viel­mehr um ein Pam­phlet bil­lig­ster Mach­art, SRG-Bas­hing der pri­mi­ti­ven Sorte.

Pro­pa­ganda aus der unter­sten Schub­lade und fak­ten­fern, wie etwa Mat­thias Zehn­der in sei­ner Replik auf den Gujer-Text schreibt: «Die SRG ist so wenig Staats­me­dium wie eine Stras­sen­bau­firma, die im Auf­trag des Staa­tes eine Strasse baut, eine Staats­ab­tei­lung ist.» Punkt für Punkt ent­larvt Zehn­der in der Folge Gujers Behauptungen.

Was Chef­re­dak­tor Gujer in sei­nem Mach­werk tun­lichst ver­schweigt: Die NZZ – und Gujer per­sön­lich – pro­fi­tie­ren seit Jah­ren von der SRG! Basie­rend auf einem Koope­ra­ti­ons­ver­trag, den die Schwei­zer Ver­le­ger 1995 mit der SRG abge­schlos­sen haben, kas­siert die NZZ seit Jah­ren Kon­zes­si­ons­gel­der in Mil­lio­nen­höhe und erhält dafür die Mög­lich­keit, im Schwei­zer Fern­se­hen mit eige­nen Sen­dun­gen prä­sent zu sein.

Ohne SRG und ohne «Zwangs­ge­büh­ren» hätte es nie eine Sen­dung «NZZ For­mat» gege­ben. Ein teu­res, auf­wän­di­ges Sen­de­for­mat, das trotz beschei­de­ner Quo­ten bis heute auf­recht­erhal­ten wird und nur dank Kon­zes­si­ons­gel­dern finan­zier­bar ist. Und: Ohne «Zwangs­ge­büh­ren» und «Staats­fern­se­hen» könnte sich Chef­re­dak­tor Eric Gujer nicht all­mo­nat­lich im TV-Schein­wer­fer­licht sonnen.

Wie er dies auch gestern wie­der tat: Am Tag, nach­dem er in der NZZ seine Breit­seite gegen die SRG publi­ziert hat, setzte sich Chef­re­dak­tor Gujer in der Sen­dung «NZZ Stand­punkte» auf SRF 1 in Szene. Und bediente im Gespräch mit dem Münch­ner Theo­lo­gen Fried­rich Wil­helm Graf ein wei­te­res sei­ner rechts­po­pu­li­sti­schen Stecken­pferde. Bezug neh­mend auf den Islam will er vom Wis­sen­schaft­ler etwa wis­sen, wie eine «tole­rante Gesell­schaft» damit umge­hen könne, dass in ihrer Mitte «Ver­tre­ter einer Reli­gion leben, die sehr häu­fig into­le­rant ist.»

Mit ande­ren Wor­ten: Gujer beschimpft und ver­un­glimpft die SRG, wäh­rend er sie gleich­zei­tig als Platt­form und zusätz­li­chen Kanal zur Wei­ter­ver­brei­tung des aktu­el­len rechts­po­pu­li­sti­schen Kur­ses der NZZ nutzt. Wohl­ge­merkt: Dafür kas­siert die NZZ sogar noch Konzessionsgelder!

Wäh­rend die «NZZ Stand­punkte» sowohl auf der Web­site der SRG wie bei der NZZ auf­ge­schal­tet sind, hat die NZZ bis heute zu ver­hin­dern gewusst, dass die Doku­men­ta­tio­nen der Reihe NZZ For­mat einer brei­te­ren Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht wer­den. Im Gegen­satz zu allen ande­ren SRG-Kopro­duk­tio­nen, kön­nen die Sen­dun­gen von NZZ For­mat nicht ein­mal zeit­lich limi­tiert auf der SRF-Platt­form nach­ge­schaut wer­den. Dies, weil die NZZ die mass­geb­lich mit öffent­li­chen Kon­zes­si­ons­gel­dern finan­zier­ten Filme auf DVD oder über Pay TV ver­kau­fen will. Der Erlös aus die­sem Geschäft fliesst selbst­ver­ständ­lich in die Kasse der alten Tante.

Der Koope­ra­ti­ons­ver­trag läuft 2018 aus. Die SRG wäre gut bera­ten, die­sen nicht wie­der zu erneu­ern. Man sollte die Gift­schlange, die einer leben­di­gen öffent­lich-recht­li­chen Infor­ma­ti­ons­kul­tur den Gar­aus machen will, nicht noch am eige­nen Busen näh­ren. Mit Kon­zes­si­ons­gel­dern aus «Zwangs­ge­büh­ren»!

Vorweihnachtslust

Sams­tag­vor­mit­tag, halb zehn. Auf dem Bahn­steig in Schaff­hau­sen eisi­ger Wind. End­lich fährt der rote Regio­nal­zug der Deut­schen Bahn ein. Er ist knall­voll. Wir ste­hen zwi­schen Abteil­tür und Toi­lette, auf den zwei Sit­zen im Gang hockt ein jun­ger Glatz­kopf, dane­ben eine bereits sehr ange­hei­terte Dame mit einem vol­len Pla­stik­sekt­glas in der Hand. Die Schaum­wein­fla­sche reicht sie zwi­schen den dicht an dicht ste­hen­den Pas­sa­gie­rIn­nen hin­durch zu einer Kollegin.

In Sin­gen füllt sich der bereits über­füllte Zug wei­ter. Zwei Freun­din­nen mit Kin­dern drän­gen sich durch den Mit­tel­gang, sagt die eine: «Des­halb fahre ich das näch­ste Mal wie­der mit dem Auto» wäh­rend ihre Freun­din schimpft: «Die wis­sen doch, dass heute Weih­nachts­markt ist, da müss­ten sie doch län­gere Züge bereitstellen.»

Die ange­hei­ter­ten Damen mit der Sekt­fla­sche stei­gen in Radolf­zell aus. Sie sind nicht die ein­zi­gen. Das Städt­chen Radolf­zell am Boden­see wirbt mit «einem der schön­sten Christ­kind­le­märkte der Region.» Doch wer gedacht hätte, dass es nun rich­tig Platz geben würde im Zug, hat sich getäuscht. Unter dem Strich stei­gen in Radolf­zell mehr Leute ein als aus…

Unter ihnen eine alte Frau, der ich den soeben von der beschwip­sten Dame geerb­ten Sitz­platz im Gang gleich wie­der über­lasse. Die Glatze auf dem Neben­sitz trak­tiert unge­rührt ihr Smart­phone wei­ter. Die Jun­gen heute, sagt die alte Frau begei­stert, seien so hilfs­be­reit und danke für den Platz! Sie fährt nur eine Sta­tion weit, bis Über­lin­gen. Will sich den dor­ti­gen Weih­nachts­markt anschauen, der soll beson­ders schön sein… Sind wir eigent­lich die Ein­zi­gen, die nicht «zum Weih­nachts­markt» wollen?

Aller­dings scheint der «gemüt­li­che Weih­nachts­markt» von Über­lin­gen die Ein­hei­mi­schen wenig zu rei­zen: Gleich mas­sen­weise stei­gen sie hier zu, inklu­sive Kin­der­wa­gen und Rei­se­pro­vi­ant. Nun muss man sogar um sei­nen Steh­platz kämp­fen. Zu guter Letzt drängt sich noch eine Aus­flugs­grup­pen von erwach­se­nen Behin­der­ten samt Betreue­rIn­nen in den Zug. «Wol­len die alle nach Ulm?» ärgert sich ein ath­le­tisch gebau­ter jun­ger Mann, wäh­rend seine Beglei­te­rIn­nen rät­seln, ob man sich nicht mit dem Weih­nachts­markt in Ravens­burg begnü­gen sollte. Statt ein­ein­halb Stun­den dau­erte die Fahrt dort­hin nur gut dreis­sig Minuten.

«Geht nicht, die Kol­le­gen aus Ingol­stadt sind bereits unter­wegs nach Ulm», wirft einer ein. Die Mut­ter schält das Kind aus dem Wagen und ergat­tert für sich und den stäm­mi­gen Ath­le­ten einen Sitz­platz. Der leere Kin­der­wa­gen bleibt vor der Toi­lette ste­hen. Er dient nun als Tisch für das erste Gelage des Tages: Mit­ge­brachte Bret­zeln wer­den her­um­ge­reicht, dazu Rot­käpp­chen Sekt aus Plastikbechern.

In Ravens­burg dann der erste grosse Exodus. Auf­at­men im Zug. Doch auch hier stei­gen wie­der zahl­rei­che Markt­gän­ge­rIn­nen ein, die sich nicht mit dem loka­len Christ­kind­le­markt begnü­gen und für den ulti­ma­ti­ven Weih­nachts­markt-Kick nach Ulm fah­ren wollen.

Wäh­rend die Mas­sen am Bahn­hof Ulm Rich­tung Alt­stadt aus­schwär­men, stei­gen wir noch ein­mal um, Rich­tung Augs­burg. Und wel­che Über­ra­schung! Auch dort ist der Rat­haus­platz von Markt­stän­den über­stellt, in der Luft ein Gemisch aus Glühwein‑, Brat­wurst und Sau­er­kraut­ge­rü­chen. Auch hier drän­gen sich Mas­sen auf eng­stem Raum. Sie kom­men nicht nur aus den Nach­bar­städ­ten, auch aus Ita­lien und Öster­reich sind sie ange­reist, mit dem Rei­se­bus auf Weih­nachts­markt­rund­reise durch Deutsch­land: Gestern Stutt­gart, heute Augs­burg, mor­gen Nürn­berg… Was für eine Lust, Stadt für Stadt die immer und über­all sich glei­chen­den Stände abzuschreiten!

Wir leben in merk­wür­di­gen Zei­ten: Einst rei­sten die Händ­le­rIn­nen von Markt­platz zu Markt­platz. Der Jahr­markt war ein regio­na­les Gross­ereig­nis und wich­tig für die Ver­sor­gung der ansäs­si­gen Bevöl­ke­rung. Die Errun­gen­schaf­ten von Mobi­li­tät und Über­fluss haben das Ganze völ­lig per­ver­tiert: Weih­nachts­märkte glei­chen sich wie ein Ei dem andern. Trotz­dem rei­sen Men­schen stun­den­lang, weil der Glüh­wein in der Ferne offen­bar bes­ser schmeckt, als jener auf dem eige­nen Weihnachtsmarkt…

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