WOZ-Abo – das war’s

Heute ist der 1. Mai und ich habe soeben mein WOZ-Abo gekün­digt. Damit kommt eine jah­re­lan­ge Beziehung zu einem trau­ri­gen Ende. Was habe ich für die­se Zeitung gewor­ben, Freund:innen und Neffen mit Probeabos ange­fixt, immer wie­der zitiert, gelobt, ver­tei­digt – und ja, auch ab und an für sie geschrieben…

Natürlich war und bin ich nicht immer mit allem ein­ver­stan­den, was in der WOZ steht. Trotzdem bin ich dabei geblie­ben, aus der Überzeugung, dass WOZ-Journalist:innen ihr Handwerk beherr­schen und sich an den Standards eines pro­fes­sio­nel­len und fak­ten­ba­sier­ten Recherchejournalismus orientieren. 

Leider ist die­se Überzeugung in den letz­ten Jahren immer öfter ins Wanken gera­ten. Strapaziert wur­de sie etwa mit dem salop­pen Etiketten-Schimpfwort «Coronaleugner:innen», das all jenen, die auch nur lei­se Kritik an der Schweizer Corona-Politik wag­ten, ver­passt wur­de. Inbegriffen die Unterstellung eines Rechtsdralls und dem Hang zu Verschwörungstheorien.

Immer öfter neh­men WOZ-Schreibende für sich in Anspruch, die ein­zig­wah­re Wahrheit links der poli­ti­schen Mitte zu ver­tre­ten. Das ist nicht nur anmas­send, son­dern auch lang­wei­lig und dumm. Guter Journalismus heisst näm­lich, dass sich der Leser, die Leserin auf­grund recher­chier­ter Informationen sel­ber eine Meinung bil­den kann.

Die WOZ gebär­det sich aber lie­ber als hel­ve­ti­sche Prawda im Taschenformat. Insbesondere, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht: Argumente und Bestrebungen für Verhandlungen und ein bald­mög­lichs­tes Ende der Kampfhandlungen haben in der Wochenzeitung kei­nen Platz. Einheitsfront heisst das seit je im lin­ken Vokabular. Wer sich also nicht ein­reiht unter die Waffenforderer:innen zur «Unterstützung der Ukraine» und zur «Verteidigung unse­rer west­li­chen Werte», wird nie­der­ge­schrien und mit Häme über­gos­sen. Ein beson­ders häss­li­ches Beispiel war etwa im Februar die unsäg­li­che Diffamierung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, die sich erlaubt haben, eine Friedensdemo in Berlin zu organisieren.

In der jüngs­ten Ausgabe brei­tet die WOZ-Reporterin Anna Jikhareva, auf einer Doppelseite aus­ge­walzt, eine Schimpftirade gegen all jene Linken aus, die nicht in die main­strea­mi­ge Kriegs- und Waffenlogik ein­stim­men wol­len. Und kommt zum Schluss: «Die Gräben, die sich im letz­ten Jahr auf­ge­tan haben, wer­den sich so schnell nicht zuschüt­ten las­sen. Das wür­de nicht nur ein Zuhören und Wissenwollen vor­aus­set­zen, son­dern auch eine ehr­li­che Auseinandersetzung mit lin­ker Gewaltgeschichte und ihrer Symbolik, einen Abschied von alten Feindbildern und beque­men Gewissheiten.»

Nun, aus pazi­fis­ti­scher Sicht muss man, bei einer ehr­li­chen Auseinandersetzung mit Gewaltgeschichte, zu einem ande­ren Schluss kom­men: Wahr ist, dass Links und Pazifismus per se kei­ne Synonyme sind. Und dass es in Bezug auf Waffen und Krieg gera­de in der Linken schon immer Debatten, Streit und Fraktionsbildung gege­ben hat. Das ist heu­te nicht anders als vor 100 Jahren.

Umso wich­ti­ger wären gegen­sei­ti­ges Zuhören, Wissenwollen und Debattieren. Genau das haben aber Anna Jikhareva und ihre Kollegen von der WOZ-Redaktion anläss­lich einer Podiumsdiskussion am Vorabend des 1. Mai ver­hin­dert: Anlässlich der Vernissage zum jüngs­ten WIDERSPRUCH-Heft mit dem Titel «Ukraine, Krieg, lin­ke Positionen» kamen sie, um zu stören.

Statt zuzu­hö­ren und sich ein­zu­brin­gen, hat die WOZ-Redaktionsdelegation mit thea­tra­lisch zur Schau gestell­ter Herablassung und aggres­si­ven Interventionen eine kon­struk­ti­ve Diskussion im Keim erstickt.

Statements vom Podium quit­tier­ten sie mit Grinsen,  per­ma­nen­tem Getuschel und halb­lau­ten Kommentaren. Dies, und ihr stän­di­ges Herumspielen auf den Smartphones stör­te und ärger­te jene, die gekom­men waren, um sich ernst­haft mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Daran hat­ten die anwe­sen­den WOZ-«Journalist:innen» null Interesse – wozu auch: Ihre eige­ne Meinung ist längst gemacht, sie steht Woche für Woche im Blatt. Andere Positionen und Argumente woll­ten sie gar nicht hören. Im Gegenteil: Mit halt­lo­sen Vorwürfen und Verzerrungen ver­such­ten sie, die neue Ausgabe des WIDERSPRUCH niederzumachen.

So nicht, lie­be WOZ. Nachdem ich ges­tern Abend gese­hen habe, wie ihr «arbei­tet», gibt es für mich nur eins: Ich kün­di­ge mein Abo per sofort. Und wer­de mich künf­tig damit begnü­gen, monat­lich den «Monde diplo­ma­tique» zu lesen – ein Format, das ein paar Nummern grös­ser ist als die Wochenzeitung.

Tüüfels-Chile statt Ostermarsch

Ostermontag – ein strah­len­der Frühlingstag. Wir machen uns auf den Weg zum Bahnhof. Für uns ist die­ses Jahr der Ostermarsch in Bern kein Thema. Weil er dies­mal defi­ni­tiv kein Marsch für den Frieden im Geiste der Ostermarsch-Tradition ist. Leider.

Schon im Februar hat­te das Organisationskomitee rund um die GSoA mit ihrem Altersdirigenten Jo Lang die «Schweizerische Friedensbewegung» (SFB) von der Teilnahme am dies­jäh­ri­gen Ostermarsch aus­ge­schlos­sen. Ohne vor­he­ri­ge Diskussion oder Anhörung – ein­fach, weil die kon­se­quent pazi­fis­ti­sche Haltung der SFB dem Friedens-Zentralkomitee nicht in den Kram passte.

Im Unterschied zu den aktu­ell regie­ren­den Ostermarsch-Organisatoren sagt die Schweizerische Friedensbewegung mit aller Deutlichkeit «JA zur Neutralität, NEIN zur Annäherung an die NATO!» und for­dert kon­flikt­lö­sen­de Friedensverhandlungen statt Sanktionen.

Bereits anläss­lich des letzt­jäh­ri­gen Ostermarsches hat­te ein Teil der GSoA – unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine – Grundpfeiler des Pazifismus wie die kate­go­ri­sche Ablehnung von Waffenlieferungen jeg­li­cher Art, infra­ge gestellt. Jo Lang und sein Umfeld pro­pa­gie­ren seit­her ein «poli­tisch-prag­ma­ti­sches Vorgehen», das eine Verwässerung der Pazifismus-Idee bis zur Unkenntlichkeit zur Folge hat.

Mit der «Schweizerischen Friedensbewegung» hat das Ostermarsch-Komitee aus­ge­rech­net jene Organisation kalt­ge­stellt, die seit den Anfängen der Ostermarschbewegung in den 1960er Jahren nicht nur aktiv an allen Ostermärschen teil­ge­nom­men hat, son­dern die­se auch mit­trug und wesent­lich mitprägte.

Es erstaunt des­halb nicht, dass die­ses Jahr mit rund 500 Mitmarschierenden nur gera­de die Hälfte der letzt­jäh­ri­gen Teilnehmenden erreicht wer­den konn­te. Statt wie frü­her von blau-weis­sen Friedenstaubenplakaten beglei­tet, sind auf den Fotos bloss uni­for­me Peace-Regenbogenfahnen im Umzug aus­zu­ma­chen. Organisationen und Transparente, wel­che die Sanktionen der Schweiz gegen Russland aus guten Gründen infra­ge stel­len und vom Diktat der Organisatoren abwi­chen, wur­den kur­zer­hand ausgegrenzt. 

Damit hat das Ostermarsch-Komitee die Friedensbewegung gleich dop­pelt ver­ra­ten: Das Aufgeben einer kon­se­quent pazi­fis­ti­schen Haltung wird zum neu­en Programm, Vielfalt zu Einfalt.

Ganz anders die Bilder vom dies­jäh­ri­gen Ostermarsch in Berlin: Dort wur­de nie­mand aus­ge­schlos­sen, und die Stossrichtung der Kundgebung war klar: Gegen Kriegstreiber und Waffenlieferanten – Engagement für Frieden und Aussöhnung.

Obschon Medien und Politiker:innen die von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initi­ier­te frü­he­re Friedenskundgebung mit der Forderung nach einem Stopp von Waffenlieferung uni­so­no ver­teu­fel­ten, haben dop­pelt so vie­le Menschen wie im Vorjahr am Berliner Ostermarsch teil­ge­nom­men. Im Fokus der Redner:innen stan­den die Kritik der kapi­ta­lis­ti­schen Verhältnisse, die Notwendigkeit gesell­schaft­li­cher Utopie und Solidarität mit den Leidtragenden des Krieges auf bei­den Seiten der Front.

In Bern weist nichts dar­auf hin, dass  Jo Lang und sei­ne Mitrednerinnen sich zu Waffenlieferungen an die Ukraine geäus­sert hät­ten. Vielmehr wie­der­hol­te er sein Mantra, wonach «Putin ohne die Abermillionen aus der Schweiz sei­ne Kriegskasse nicht hät­te fül­len können».

In eine ukrai­ni­sche Fahne gehüllt hat­te der GSoA Gründervater Lang anläss­lich der schwach besuch­ten «Friedenskundgebung» vom 22. Februar die­ses Jahres in Bern die Waffenfrage bereits ähn­lich ele­gant umschifft.

GSoA ist bekannt­lich die Abkürzung für Gruppe Schweiz ohne Armee. Es scheint, dass wir jetzt zur Kenntnis neh­men müs­sen, dass es offen­bar einer Zusatzbezeichnung bedarf:  «GUmA/GSoA – Gruppe für eine Ukraine mit Armee und eine Schweiz ohne Armee».

Diese (ver­strit­te­ne) Gruppe kann uns nicht mehr mobi­li­sie­ren. Wir zie­hen es vor, sol­chen «Friedensdemonstrationen» fern­zu­blei­ben, die von eini­gen Wenigen für ihre pri­vat­po­li­ti­schen Zwecke instru­men­ta­li­siert werden.

Deshalb sind wir am Ostermontag nicht in Bern mar­schiert, son­dern zur Tüüfels-Chile bei Kollbrunn und wei­ter berg­auf. Nach einem wun­der­ba­ren Tag sind wir hei­ter und beschwingt nach Hause zurück­ge­kehrt. Unsere Wut auf die GSoA (und den Rest des Schweizer Ostermarschkomitees) haben wir beim Tüüfel depo­niert. Heimgenommen haben wir hin­ge­gen Mut und Lust, wei­ter­hin auf eige­nen Wegen für den Frieden zu marschieren.

 

 

 

Pazifismus – wann, wenn nicht jetzt?

Krieg bedeu­tet Mord und Totschlag, Horror und Elend. Leidtragende sind Menschen wie du und ich. Tagtäglich ver­lie­ren Hunderte, Tausende welt­weit ihr Leben und ihre Existenz als Folge sinn­lo­ser Zerstörung und Vernichtung. Krieg ist eine men­schen­ge­mach­te Katastrophe. In jedem Fall grau­sam und nie gerecht.

Wer sich jedoch in die­sen Tagen vehe­ment gegen Krieg aus­spricht oder gar zum Pazifismus bekennt, wird nie­der­ge­schrien und ern­tet Kampfansagen. Friedensverhandlungen sind ange­sichts des aktu­el­len Kriegs in der Ukraine ein Tabuthema – zu dem auch ich all­zu oft geschwie­gen habe. Aus Angst vor Diffamierungen und Streit, dem per­sön­li­chen Frieden zuliebe.

Nicht nur in Deutschland sind es aus­ge­rech­net Exponent:innen der Grünen, der eins­ti­gen Friedenspartei sowie des «lin­ken Establishments», die heu­te die Kriegstrommel schla­gen und laut nach Aufrüstung und Waffenlieferungen an die Ukraine schrei­en. Verbunden mit einer gehäs­si­gen Diffamierung gegen alle, die die­sen weit­ver­brei­te­ten Gesinnungsumsturz in Frage stellen.

In der Schweiz wie in Deutschland lie­fern die Mainstreammedien mit plum­pen Schwarzweissbildern tat­kräf­tig Unterstützung: Hier die demo­kra­ti­schen, frei­heits­lie­ben­den Helden der Ukraine, dort die ver­ge­wal­ti­gen­den rus­si­schen Horden. David gegen Goliath – gut gegen böse. Mit den Fakten nimmt man es dabei oft nicht all­zu genau – es geht um die Message, nicht um Wahrheit.

Erschreckend und beängs­ti­gend, wie geschmiert die­se Kriegspropaganda funk­tio­niert – und wie bereit­wil­lig man mit­mar­schiert und in das Kriegsgeheul miteinstimmt.

Auch in der Schweiz ertönt der Ruf nach Waffen für die Ukraine plötz­lich aus erstaun­li­chen Ecken: Weder die Gruppe Schweiz ohne Armee GSOA noch der Schweizer Friedensrat stel­len sich – wie man es von ihnen erwar­tet hät­te – vehe­ment gegen eine Aufweichung des Waffenlieferungsverbots zuguns­ten der Ukraine. Im Gegenteil: Ruedi Tobler, Präsident des Schweizerischen Friedensrats bezeich­net die Lieferung von Kriegsmaterial an die Ukraine als «legi­tim». Und der lang­jäh­ri­ge GSOA-Präsident Joe Lang refe­rier­te kürz­lich an einer Demo, in die gelb-blaue Nationalflagge der Ukraine gehüllt, ein­sei­tig nur über die Kriegsverbrechen der Russen und war sich nicht zu scha­de, Sahra Wagenknecht, die Mitinitiantin des Manifests «Aufstand für den Frieden», aufs häss­lichs­te zu diffamieren. 

«Auch ich war mal Pazifist, aber ich habe gelernt, dass es Momente gibt, wo man die Freiheit mit Waffengewalt ver­tei­di­gen muss. Genau das pas­siert im Moment», kom­men­tiert etwa Dominik Landwehr, ehe­ma­li­ger Journalist und Kulturschaffender auf Facebook. So oder ähn­lich äus­sern sich vie­le in den Social Media. Darauf ange­spro­chen, recht­fer­tigt ein ehe­ma­li­ger Gesinnungsgenosse und Abrüstungsaktivist: «Selber bin ich anfangs 70er Jahre mit der Waffenausfuhrverbotsinitiative (Bührleskandal der Schweizer Kanonen in Biafra) poli­ti­siert wor­den, bin seit­her wei­ter für ein strik­tes Waffenausfuhrregime, aber jetzt wo es um die legi­ti­me Verteidigung gegen einen bru­ta­len Aggressor geht, für eine geziel­te Ausnahme.»

Der stu­dier­te Historiker ist nicht der Einzige, der im Zusammenhang mit Putins Angriff auf die Ukraine von einem «bei­spiel­lo­sen Bruch der glo­ba­len Nachkriegsordnung zur fried­li­chen Konfliktlösung unter unab­hän­gi­gen Staaten» spricht und dabei die Geschichte völ­lig ausblendet.

Ja, der mili­tä­ri­sche Angriff auf die Ukraine steht in kras­sem Gegensatz zu dem, was wir unter «fried­li­cher Konfliktlösung» ver­ste­hen und ist mit kei­nem, gar kei­nem Argument zu recht­fer­ti­gen. Leider ist er aber nicht so bei­spiel­los und ein­ma­lig, wie man uns weis­ma­chen will. Wie war das etwa mit den US-ame­ri­ka­ni­schen Interventionen von Vietnam über den Irak bis nach Afghanistan – um nur eini­ge Beispiele zu nennen? 

Wie war es 1999, als die NATO völ­ker­rechts­wid­rig Jugoslawien mili­tä­risch angriff und so mass­geb­lich zum desas­trö­sen Kosovokrieg bei­trug? Diesen Bruch ver­such­te man im Nachhinein als «huma­ni­tä­ren Kriegseinsatz» zu recht­fer­ti­gen – noch so ein Begriff, der Tatsachen ver­schlei­ert: Krieg ist und kann nie­mals «huma­ni­tär» sein. Und den Menschen in Ex-Jugoslawien hat er bis heu­te weder wirk­li­chen Frieden noch Sicherheit gebracht.

Nur vier Jahre spä­ter, Anfang 2003, pro­vo­zier­ten die USA den Irakkrieg, indem sie ganz bewusst die Welt mit Fakenews über das Waffenarsenal des ira­ki­schen Diktators Saddam Hussein in die Irre führ­ten. Damals waren wir 40’000 Menschen, die in Bern für den Frieden demons­trier­ten. Unter dem Motto «Kein Blut für Öl» enga­gier­te sich eine brei­te pazi­fis­ti­sche Bewegung gegen die­sen Krieg.

Umso erschüt­tern­der, dass dies alles ver­ges­sen scheint und heu­te, 20 Jahre nach der letz­ten gros­sen Friedensdemo in der Schweiz, Pazifismus ein Schimpfwort ist. Dabei bräuch­ten wir die Kraft des gewalt­frei­en Widerstands, das Festhalten an Abrüstung, Verhandlungen und Befriedung gera­de heu­te – viel­leicht sogar mehr denn je.

Dieser Krieg tötet nicht nur die Menschen in der Ukraine und zer­stört ihre Lebensgrundlagen – sei­ne Auswirkungen sind noch viel hor­ren­der: Plötzlich ste­hen Militärausgaben und Aufrüstung wie­der ganz oben auf der Agenda aller Staaten welt­weit. Statt die drän­gen­den Probleme der wach­sen­den Klima- und Biodiversitätskrisen anzu­ge­hen, ver­schärft man sie zusätz­lich. Statt für die Menschen welt­weit Ernährungssicherheit, Gesundheitsversorgung und Menschenrechte durch­zu­set­zen, ver­geu­det man Ressourcen und Kräfte für Tötungsmaschinen und Zerstörung.

Auf das gibt es nur eine Antwort: Pazifismus. Weil man mit Waffen weder Frieden noch Freiheit oder Gerechtigkeit schaf­fen kann. Ein Sieg der Ukraine, wie heu­te von vie­len Seiten gefor­dert, bedeu­tet auch, dass es einen Verlierer gibt. Womit bereits der nächs­te Krieg vor­pro­gram­miert ist. So war es immer. Und so wird es wei­ter sein, bis sich die Menschheit sel­ber aus­ge­löscht hat – wenn wir es nicht schaf­fen, aus die­ser Tötungsspirale auszubrechen.

Was es jetzt drin­gend braucht, ist ein Waffenstillstand und anschlies­send Verhandlungen. Der Weg zu einer «Lösung» ist lang und schwie­rig – aber er kann erst began­gen wer­den, wenn die Waffen schwei­gen. Pazifismus ist kein Mäntelchen, das man gegen einen Panzer ver­tauscht, sobald das Wetter etwas rau­er wird.

Oder, wie es Kurt Tucholsky auf den Punkt gebracht hat: «Dass nie­mand von uns Lust hat, zu ster­ben – und bestimmt kei­ner, für eine sol­che Sache zu ster­ben. Dass Soldaten, die­se pro­fes­sio­nel­len Mörder, nach vorn flie­hen. Dass nie­mand gezwun­gen wer­den kann, einer Einberufungsorder zu fol­gen – dass also zunächst ein­mal die see­li­sche Zwangsvorstellung aus­zu­rot­ten ist, die den Menschen glau­ben macht, er müs­se, müs­se, müs­se tra­ben, wenn es bläst. Man muss gar nicht. Denn dies ist eine simp­le, eine pri­mi­ti­ve, eine ein­fach-gros­se Wahrheit: Man kann näm­lich auch zu Hause bleiben.»

Kriegsgetrommel, Propaganda und Neutralität

Dieser Tage schrei­ben und reden sie sich um die Wette. Während kei­ne 2000 Kilometer im Osten der Schweiz Tag für Tag Menschen im Kriegshorror ster­ben und ver­zwei­feln, über­bie­ten sich hier­zu­lan­de die Abteilungsleiter der gros­sen Zeitungsredaktionen – alle­samt Experten in Kriegsführung und Diplomatie – in gleich­lau­ten­der Kriegspropaganda und ‑rhe­to­rik.

Anlass für das gegen­wär­ti­ge Trommelfeuer der Worte ist der 24. Februar: Am kom­men­den Freitag ist es genau ein Jahr, dass mit dem Einfall der rus­si­schen Armee in die Ukraine die heis­se Phase eines seit Jahren bereits andau­ern­den Kriegs begon­nen hat.

Seither sind Politiker:innen und Medienschaffende im soge­nann­ten Westen nicht müde gewor­den, die­sen Krieg mit Kampf «David gegen Goliath» zu ver­glei­chen. In der Ukraine, so die Vorbeter, wür­den «unse­re Werte» Freiheit und Demokratie verteidigt.

Erstaunlich, wie so Viele im Westen – zumin­dest der Generation mit Geburtsdatum vor 1980 –  in ein Déjà-vu des Kalten Krieges zurück­ge­fal­len sind. Schlimmer noch: Wieder ist alles Russische des Teufels. Von der Literatur bis zur Musik und dem Theater. «Russisch» als Synonym für alles «Böse» – und im Westen (und der Ukraine) wirkt das «Gute». Einfache Welt, für ein­fa­che Gemüter. Wer wider­spricht und die­se Weltsicht nicht teilt, wird ver­lacht, geäch­tet oder ein­fach tot­ge­schwie­gen (in der frei­en Presse des Westens, wo die Meinungsfreiheit herrscht).

Beispiele dafür gibt es lei­der mehr als genug. In den ver­gan­ge­nen Tagen etwa die media­le Hinrichtung des von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer lan­cier­ten Manifests für den Frieden. Wobei Kommentierende vom Spiegel über den Blick, von TAZ bis WOZ sich im Gleichschritt unter die Arme grei­fen und «Achtung: Kollaboration mit Rechtsextremen» in die Welt trompeten.

Auch in der Schweiz ver­kün­den Militärfreundinnen und ‑freun­de die Botschaft von der Zeitenwende. Die Rüstungslobbyisten ste­hen Gewehr bei Fuss – und haben gute Aussichten auf Erfolg: Das Kriegsmaterialgesetz soll gelo­ckert und die Neutralität durch die ver­stärk­te Einbindung in die NATO auf­ge­ge­ben werden.

Für die Tötungsindustrie ste­hen plötz­lich Milliarden zur Verfügung, wäh­rend im Gesundheitswesen gespart wird, bis zum Kollaps…

«Wir soll­ten der Ukraine dank­bar sein», schreibt Christof Münger, ein TAMEDIA-Auslandredaktor, mit etwas beschränk­tem Sachverstand. Fährt er doch fort:

«Es gibt sie noch, die Ukraine! Wer hät­te das gedacht, als am frü­hen Morgen des 24. Februar 2022 Wladimir Putins Streitmacht in die Ukraine ein­fiel. Man gab den Ukrainern mit ihren Holzgewehren ein paar Tage, eine Woche…»

«Holzgewehre»? Echt? Und das soll TAMEDIAS bes­ter Mann im Auslandressort sein?

Nun, die Propagandaschlacht ist in vol­lem Gange. Die west­li­chen Medienpanzer feu­ern aus vol­len Rohren. Fakten lie­fert der bri­ti­sche Geheimdienst, und die Kommentare glei­chen sich wie eine Patrone der ande­ren. Meinungsvielfalt im Land der Meinungsfreiheit – das war gestern.

Wir hören nur noch, dass es in die­sem Krieg um zwei Kriege in einem gehen soll: Auf der einen Seite ist es ein bru­ta­ler, hin­ter­häl­ti­ger, kriegs­ver­bre­che­ri­scher Angriffskrieg, wäh­rend auf der ande­ren Seite der hel­den­haf­te Krieg für Freiheit und Demokratie gefoch­ten wird.

Um was es aber wirk­lich geht, hat Marc Chesney, Wirtschaftsprofessor an der Uni Zürich, in sei­ner Kolumne für Le Temps auf den Punkt gebracht hat: «Der ver­meint­lich gerech­te Krieg ist ein­fach nur ein Krieg, ein uner­träg­li­cher Konflikt, der enor­me Risiken für die Menschheit birgt.»

 

Tanzen am Abgrund

Der 16. Februar 2023 stand für zwei gesell­schaft­li­che Grossereignisse im deut­schen Sprachraum: Wien, die Hauptstadt des Dreivierteltakts lud, nach zwei Jahren Corona-beding­ter Pause, zum opu­len­ten Opernball. Dank Direktübertragung blieb das Spektakel nicht den 5000 Reichen und Mächtigen vor Ort vor­ent­hal­ten. Längst dür­fen wir alle dar­an teil­ha­ben und uns zuschal­ten, wenn die Fanfaren erklin­gen, die Debütant:innen auf­mar­schie­ren und sich die Wiener Prominenz auf dem Tanzparkett tummelt.

Das Ganze mutet an wie eine wei­te­re Sissi-Filmversion, wie sie gera­de in Mode sind. Doch nein: Die in lan­gen, wal­len­den Roben und Fracks auf­tre­ten­den Protagonist:innen die­ser Inszenierung spie­len sich alle sel­ber: Der öster­rei­chi­sche Bundespräsident, der Bundeskanzler und sein Kabinett samt Anhang, eine Reihe aus­län­di­scher Politgäste – unter ihnen auch der deut­sche Finanzminister Lindner. 

Doch nicht nur Politiker:innen ver­le­gen ihr Wirken an die­sem Abend in die Staatsoper. Dank kun­di­ger Moderation durch ein gan­zes Team von ORF-Boulevardjournalist:innen wer­den Nichteingeweihte im Sekundentakt mit Namen bewor­fen, in unzäh­li­ge Geheimnisse und Geschichten ein­ge­weiht, wäh­rend sich die mehr oder weni­ger pro­mi­nen­ten Vertreter:innen aus Wirtschaft, Kultur und der Klatschpresse gemein­sam im Dreivierteltakt auf dem Parkett ver­lus­tier­ten. Wäre nicht hier und dort immer mal wie­der ein gezück­tes Handy auf­ge­leuch­tet, man hät­te sich tat­säch­lich in Sissis Zeiten zurück­ver­setzt füh­len können.

Gleichzeitig steht die Welt steht in Flammen. Klimakrise, Erdbebenkatastrophe, dro­hen­der Atomkrieg… Alles weit weg und unwirk­lich – alles was zählt ist der schö­ne Schein. Inklusive Jane Fonda, die ame­ri­ka­ni­sche Schauspielerin, die sich auch Bürgerrechtlerin und Klimaaktivistin rühmt: Sie winkt aus der Loge des 90jährigen Baulöwen Richard Lugner und lässt über die Medien ver­lau­ten, sie habe sich für teu­res Geld kau­fen und nach Wien ein­flie­gen lassen…

Und wäh­rend in Wien die Reichen und Mächtigen wie einst die Passagier:innen auf der Titanic sich auf dem Parkett dre­hen, als gäbe es nichts Wichtigeres, neigt sich in Berlin der zwei­te gesell­schaft­li­che Grossanlass die­ses Abends schon bald dem Ende zu: Hier wan­del­ten, nicht min­der gla­mou­rös und zurecht­ge­schminkt als in Wien, eben­falls Polit- und ande­re Prominenz sowie Stars, Sternchen, die sich ger­ne zum kul­tu­rel­len Establishment zäh­len, über den roten Teppich. Selbstverständlich wird auch die­ses Ereignis vom Fernsehen direkt über­tra­gen und wir alle kön­nen mit­schwel­gen, mit­fie­bern, mitträumen…

Zum Auftakt der Berlinale 2023 – dem gröss­ten Filmfestival im deut­schen Sprachraum – flim­mert als ers­tes eine Einspielung aus der «rea­len Welt» über die Filmleinwand: Der eins­ti­ge Soapstar und Komiker, den das wirk­li­che Leben aufs Parkett der Weltpolitik gespült hat, spricht per Videoschaltung zum ver­sam­mel­ten Galapublikum.

Und plötz­lich ver­mi­schen sich auch hier «Realität» und Traumwelt: Grossaufnahmen zei­gen betrof­fe­ne, ver­klär­te Gesichter, feuch­te Augen wäh­rend der Rede von Wolodymyr Selenskyi. Filmreif ver­steht der Präsident der Ukraine, das Publikum auf sei­nen Kampf «David gegen Goliath» ein­zu­stim­men. Und sei­ner Forderung nach immer mehr Waffen und Solidarität Nachdruck zu verleihen.

Im Rahmen der Berlinale wird Selenksyi dann als Filmprotagonist einen wei­te­ren pro­mi­nen­ten Auftritt haben: Der US-ame­ri­ka­ni­sche Filmschauspieler und Regisseur Sean Penn hat einen Dokfilm über ihn gedreht. Das Publikum wird begeis­tert sein – und sich zwi­schen Cüpli und Comedy über die Herausforderungen der heu­ti­gen Zeit debat­tie­ren. Man ist ja unter sich, an der hip­pen Berlinale. Man geniesst die tol­len Tage, gibt sich poli­tisch – und tanzt auch dort mun­ter wei­ter dem Abgrund entgegen.

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