Der Januar war sonnig und mild, im Februar sprossen die ersten Knospen. So früh ist die Natur in der Pfingstweid noch nie erwacht. Als ob sie die verbleibende Zeit voll auskosten wollte. Weil sie weiss, dass im Oktober endgültig Schluss sein wird, mit grünen und blühen zwischen Bahntrassee und einstigem Industriequartier.
Die heterogene Ansammlung von Bäumen und Sträuchern, Gemüsebeeten, Blumenrabatten und Pergolas ist der letzte Gruss aus einer Zeit, deren Spuren nach und nach aus dem Stadtbild verschwinden. Die grüne Insel mit den selbstgezimmerten Knusperhäuschen, Kinderschaukeln und Gartenzwergen passt nicht ins elegante Stadtviertel, das ringsum in den Himmel wächst. Boden an solch zentraler Lage ist teuer und rar. Und soll entsprechend genutzt werden.
Natürlich sehen das GärtnerInnen, die voller Hingabe ihre Pflanzen hegen und pflegen, ganz anders. Und wehren sich dagegen, dass gerade sie Platz machen und von ihren paar Quadratmetern weichen müssen. Die Widerstandskraft der Laubenpieper ist legendär und gefürchtet – sie hat schon manches Bauvorhaben hinausgezögert oder gar zu Fall gebracht hat. Trotzdem haben Stadtplaner und Architekten nur Verachtung übrig, für die Schrebergärten und ihre Besitzer. Die «Wohnzimmer im Freien» gelten als Ausdruck kleinbürgerlich-biederer Gesinnung; wer seine Gemüsebeete und den Grillplatz höher gewichtet als professionelle Gestaltung des öffentlichen Raums und Profit, gilt als verschroben, von gestern.
Für Behörden und Bauherren sind die kleinen Parzellen städtebaulicher Rohstoff, den sie hemmungslos verplanen und verbauen. Verdichten heisst das Gebot der Stunde. Verdichten und verordnen. Je mehr Menschen und Interessen auf kleinem Raum zusammenprallen, desto grösser der Bedarf nach Reglementen: Genormte Traufhöhen, genormte Fenstergrössen, genormte Gehsteigbreiten… In einer Stadt, wo man sich sogar beim Aufstellen von Blumentöpfen und Abfallkübeln an Vorschriften zu halten hat, sind individuell gestaltete Kleinstgärten ein Ärgernis und fehl am Platz.
Doch die Natur lässt sich nicht unterkriegen. Wo man sie während Jahren in Parkghettos und auf Balkone verbannt hat, findet sie neue Verbündete: Überall tauchen jetzt Guerilla-Gärtner auf. Ziehen mit Hacke und Spaten durch die Quartiere und hinterlassen ihre Spuren. Und plötzlich spriessen auf eben noch verwaisten Plätzen Holunderbüsche, Sonnenblumen und Veilchen.
Auch Stadtentwickler in Megacities wie New York oder Dhaka entdecken Nutzen und Charme gärtnerischer Aktivitäten. Künstler, Arbeiter und Ghettobewohner schliessen sich zusammen, bilden Genossenschaften und betreiben gemeinsam urbanen Gemüsebau im Hinterhof, auf Dächern und brach liegenden Parzellen. Während Schrebergärten hierzulande noch dem Untergang geweiht sind, feiern sie anderswo längst Renaissance.
Ohrenbetäubender Lärm in der Pfingstweid. Jenseits des Zauns fällt das letzte Fabrikgebäude in sich zusammen, die Bagger kommen immer näher. Staub legt sich über das frische Grün der Bäume und Sträucher, während die Gärtner ein letztes Mal Salat und Beeren ernten. Bevor die Baustelle ihre Oase endgültig verschluckt. Und die Natur – zumindest vorläufig – einem weiteren trendigen Quartier den Platz räumen wird.