In den Schweizer Spitälern herrsche akuter Personalmangel, wird immer wieder verlautet. Notfallbetten werden reduziert, ganze Stationen müssen schliessen, an manchen Orten werden wieder Operationen aufgeschoben. Wegen Corona, heisst es. Aber vor allem auch, weil zuwenig Fachpersonal zur Verfügung stehe.
Ganz andere Erfahrungen kann man in gewissen spezialisierten Praxen in Zürich machen. Dort scheint es nicht an Personal, sondern an Patient:innen zu mangeln. Wie anders ist zu erklären, dass man ganz allein in grosszügig eingerichteten Wartezimmern sitzt, während sich unterbeschäftigte Mitarbeitende über Ferienpläne und Freizeiterlebnisse austauschen?
Natürlich war ich froh, innert kürzester Zeit einen Termin für eine Schmerzspritze zu erhalten. Die Behandlung war gut und zeigte auch Wirkung. Stutzig wurde ich dann aber, als aus der einen Spritze plötzlich zwei wurden – und mir der Arzt partout noch eine dritte Injektion verkaufen wollte.
Mehr noch: Als ich seine Frage, ob ich mit der ersten Behandlung zufrieden gewesen sei, mit ja beantwortete, bat er um Werbung für seine Praxis: «Empfehlen Sie mich doch in Ihrem Bekannten- und Freundeskreis» bettelte er. Offenbar ist sein mit teuren Geräten und Personal bestens ausgerüstetes Etablissement nicht ausgelastet. Und es scheint nicht das einzige zu sein…
Nachdem das Blutdruckmessgerät bei einer ärztlichen Kontrolle mal wieder besorgniserregende Werte gezeigt hatte, schickte mich die Hausärztin zum Spezialisten. Eine 24-Stunden-Messung sollte zeigen, wie es wirklich um meinen Blutdruck steht.
In der Herzpraxis wurde ich als erstes zum EKG beordert. Dies, obschon ich die Praxishilfe darauf aufmerksam machte, dass ein solches bereits vor einem Monat gezeigt habe, dass alles in Ordnung sei. «Wir machen routinemässig immer ein EKG», lautete ihre Antwort.
Nach dem EKG schnallte sie mir das 24-Stunden-Messgerät an und stellte mir in Aussicht, dass bei der Konsultation am Folgetag eine Ultraschalluntersuchung des Herzens und möglicherweise auch ein Belastungstest anstehen würden. Ich nahm das zur Kenntnis und machte mich auf den Heimweg.
Am nächsten Tag dann zuerst wieder warten im leeren Wartzimmer. In der grosszügigen Praxis – eine Attikawohnung mit mindestens acht Räumen – sind Stimmen zu hören. Freundliches Personal. Nach der Auswertung der Messung teilt mir der Arzt mit, alles sei im grünen Bereich. Und bittet mich in den Nebenraum zum Ultraschall. Immerhin: Auf den Belastungstest wird verzichtet, vermutlich, weil sonst alles ok ist…
Eine Woche später dann der schriftliche Bericht aus der Praxis: In unglaublich vielen Worten wird hier erklärt, dass mit meinem Herzen (zum Glück) alles in Ordnung sei und sich der Bluthochdruck im «hochnormalen Bereich» bewege.
Ein Blick auf die Rechnung zeigt: Die Untersuchung hat sich für die Praxis gelohnt. Fein säuberlich ist aufgeführt, für welche Untersuchung wieviel verrechnet wurde, resp. verrechnet werden darf. Während die eigentliche 24-Stunden Blutdruckmessung mit bescheidenen CHF 95.73 zu Buche schlägt, kostete der Ultraschall CHF 309.98.
Die Gesamtrechnung der Herzpraxis beläuft sich auf sage und schreibe CHF 673.80. – Genau die gleichen Abklärungen bei einem ähnlich gelagerten Fall kosteten in einer anderen Praxis gerade mal ein Drittel! Unter anderem, weil man dort aufs EKG und die Ultraschalluntersuchung verzichtet hatte.
Was wohl auch in meinem Fall vertretbar gewesen wäre, angesichts der Tatsache, dass ja schon ein EKG vorlag, sich die gemessenen Werte im grünen Bereich bewegten und die «Patientin» null Beschwerden hatte.
Der Schluss liegt nahe, dass die Herzpraxis den Zusatzaufwand betrieben hat, um sich selber gesundzustossen: Je länger der Facharzt mit der Patientin spricht, je mehr Apparate involviert sind, je länger die Diagnosetexte ausfallen, desto mehr kann man dem Untersuchungsobjekt verrechnen…
Fakt ist: Abzocke im Gesundheitswesen ist genauso an der Tagesordnung, wie der unmenschliche Druck auf das Personal dort, wo es um Grundversorgung und Spitalalltag geht.