«Wir fordern die Menschen auf, sich nicht auf eine Seite zu schlagen: Wir brauchen weder Pro-Palästina- noch Pro-Israel-Kundgebungen — aber ein Bekenntnis zur Menschlichkeit.» So brachte Rana Salman, Co-Direktorin der Menschenrechtsorganisation Combatants for Peace (CfP)* ihre Message anlässlich der Veranstaltung am Montag, 11. März 2024 im Progr Bern auf den Punkt.
Unter dem Motto «Zusammen statt Spaltung: Jetzt erst recht!» tourt die Palästinenserin aus Bethlehem zusammen mit ihrem israelischen Kollegen Yair Bunzel während einer Woche durch die Schweiz. Organisiert wurde der Besuch der Friedensaktivist:innen von der Organisation «Ina autra senda – Swiss Friends of Combatants for Peace» mit Unterstützung von Amnesty International und des Forums für Menschenrechte in Israel Palästina.
Die beiden Friedensaktivist:innen sind mit einer eindrücklichen und eindringlichen Botschaft angereist, von der zu hoffen ist, dass sie auch hierzulande die Herzen eines breiten Publikums erreicht. Immerhin war der Betsaal der Jüdischen Liberalen Gemeinde in Zürich anlässlich ihrer ersten Veranstaltung in der Schweiz bis auf den letzten Platz besetzt, und auch in Bern kamen zahlreiche Menschen in die Progr-Aula und sorgten für eine lebendige Diskussion.
Schon die Biografien von Rana und Yair zeigen die seit langem verfahrene Situation im Nahen Osten: Yair blickt auf eine lange Karriere als Offizier in der israelischen Armee zurück. Während seines vierjährigen Militärdienstes wurde er 1982 in den Libanonkrieg abkommandiert, danach diente er weitere 17 Jahre als Reservist und war während der 1. und 2. Intifada im Militäreinsatz. «Mein letzter Akt als Soldat war der Schutz von Siedlern in Gaza», erinnert sich Yair.
Erst Jahre später, anlässlich einer Reise durch die Westbank, begegnete Yair, inzwischen Reiseführer geworden, auf einer Tourismus-Tour palästinensischen Menschen in ihren Häusern. Zum ersten Mal ohne Uniform, unbewaffnet und angstfrei auf beiden Seiten. «Zuvor fürchteten sich die Leute immer vor mir – diesmal trug ich keine Uniform, trat nicht als Soldat auf, sondern auf gleicher Augenhöhe.»
Nach diesem und weiteren positiven Erlebnissen hat er sich den Combatants for Peace angeschlossen und besucht nun bereits seit sieben Jahren ein- bis zweimal wöchentlich Hirtenfamilien im Jordantal, die von der israelischen Armee und von radikalen Siedlern bedroht und vertrieben werden. «Ich fühle mich verantwortlich für die Taten meiner Regierung», sagt Yair. «Zusätzlich zur Hitze und den harten Lebensbedingungen setzen meine Leute, meine Armee und meine Regierung alles daran, das Leben dieser Menschen zu zerstören.» Weil Israelis davon ausgehen würden, dass jeder Araber Gefahr bedeute.
Angst dominiert auch das Leben der Palästinenser:innen. Rana erzählt von ihrer ersten Begegnung mit jüdischen Menschen – 2000 Meilen entfernt von ihrer Heimat, in Kroatien. Sie war eingeladen in ein Wilderness-Camp für junge israelische und palästinensische Frauen, die während des 10tägigen Workshops durch gemeinsames Überlebenstraining ganz neue Erfahrungen machten. «Dort traf ich erstmals Israelis, die nicht schwer bewaffnet in Uniform waren – vorher hatte ich nur Bilder von Soldaten und Siedlern, beides machte Angst.»
Die gemeinsamen Erfahrungen hätten bewirkt, dass am Ende irrationale Angst durch Respekt ersetzt und aus dem «wir gegen die anderen» ein «wir und sie» wurde. Rana beschreibt die paradoxe Situation in Israel und Palästina treffend: «Wir hassen die anderen, ohne sie zu kennen. Die Medien haben uns seit Jahren unaufhörlich damit gefüttert». Vor drei Jahren beschloss sie, dies zu ändern und ist den Combatants for Peace beigetreten. Sie engagiert sich auf verschiedenen Ebenen in der Zusammenarbeit von jüdischen und palästinensischen Friedensaktivist:innen und ist heute — zusammen mit ihrer israelischen Partnerin Eszter Kroanyi — die erste weibliche Co-Direktorin der Organisation.
Dafür wird sie auf palästinensischer Seite genauso kritisiert wie Yair aus dem israelisch-jüdischen Umfeld. Die beiden lassen sich davon nicht beirren — daran haben auch die Attacke vom 7. Oktober und der Krieg im Gaza nichts geändert. Obschon es in einer ersten Phase sehr schwierig gewesen sei, die gemeinsame Friedensarbeit fortzuführen. «Am Sonntag nach dem Angriff diskutierten wir während drei Stunden auf Zoom», erinnert sich Rana. «Das war eine echte Belastungsprobe.»
Danach hätten sich die jüdischen und palästinensischen Mitglieder der Gruppe während einer Woche nur separat untereinander ausgetauscht, um wieder etwas klarer zu denken. Nach dieser ersten Zeit der notwendigen Konsolidierung arbeite man jetzt aber mit der gleichen Überzeugung weiter wie zuvor.
«Für mich ist wichtig, dass das Gespräch zwischen den Menschen weitergeht», sagt Yair, und Rana ergänzt: «Wir haben uns in den letzten Jahren von Feinden zu Partnern entwickelt. Wir fühlen den gleichen Schmerz für ein israelisches Kind wie für ein palästinensisches Kind. Was wir jetzt aber erleben, ist ein beängstigendes Mass an Entmenschlichung.»
Dagegen anzukämpfen, so Rana weiter, dafür stünden alle in der Verantwortung. Weil Frieden nur möglich sei, wenn wir die Menschlichkeit des Gegenübers anerkennen. Ein Appell, den die beiden Friedensreisenden durchaus auch an uns in der Schweiz richten. Gerade in Bezug auf den aktuellen Krieg im Nahen Osten.
Weil wir in einer globalisierten Welt leben, würde jedes Engagement Kreise ziehen, wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft, sagte Yair. Mehrfach wiederholte er, dass sie jetzt uns in Europa brauchen würden und ein entschlossenes Einstehen für einen gerechten Frieden: «Was kann man machen? – Ich kann sagen, es sei zu kompliziert und nichts tun – oder lernen, verstehen und handeln… Wenn wir schweigen, wird das Unrecht weiter gehen.»
From the river to the sea only peace will set us free
Rana Salman wurde in Jerusalem geboren. Sie ist die palästinensische Ko-Direktorin von CFP. Zuvor war sie Mitbegründerin von Peace By Piece Tours, einem Reiseunternehmen, das Bildungs- und politische Reisen in Israel und Palästina anbietet. In dieser Funktion verbrachte sie einen Großteil der letzten 10 Jahre damit, internationale Gruppen auf alternativen Touren und Erkundungsmissionen in der Region zu führen. Rana hat auch als freiberufliche Übersetzerin und Autorin gearbeitet. Sie hat einen Bachelor-Abschluss in englischer Sprache und Literatur und ein Diplom als Reiseleiterin. Ihr Ziel ist es, Menschen zu verbinden und Veränderungen zu erreichen.
Yair Bunzel wurde 1962 in Israel geboren. Er ist verheiratet und hat drei Söhne. Er ist ehemaliger Hauptmann der israelischen Armee, in der er vier Jahre lang diente und deren Teil er 17 Jahre als Reserveoffizier war, auch während des ersten Libanonkriegs und der beiden Intifadas. Vor sechs Jahren beschloss er, sich Combatants for Peace anzuschließen, nachdem er eine unvergessliche Begegnung mit palästinensischen Hirten hatte. Seitdem widmet er einen großen Teil seiner Zeit der Beobachtung der Situation im Jordantal und der Unterstützung der palästinensischen Gemeinden bei der Verteidigung ihrer Rechte.
* Die Combatants for Peace wurden 2006 von ehemaligen Soldaten und Freiheitskämpfern in Israel und Palästina gegründet. Inzwischen ist die Bewegung offen für alle, die sich gewaltfrei für Frieden und gleiche Rechte für Israelis und Palästinenser:innen engagieren.
Bilder © Combatants for Peace