Kostbare Quartiere

Viel Glas, das teu­re Grundstück bis an die Grenzen des Zulässigen genutzt. Fünf Geschosse mit ins­ge­samt 18 moder­nen Wohnungen an exqui­si­ter Zürichberg-Adresse. Doch dar­aus wird vor­läu­fig nichts. Die Stadt Zürich ver­wei­ger­te dem Investor die Baubewilligung, weil das Projekt nicht ins Quartierbild pas­se. Zu mäch­tig sei es und zu unru­hig. Dieser Entscheid, von der Bauherrschaft wei­ter gezo­gen, wur­de nun vom Bundesgericht geschützt. Solchermassen ermu­tigt und um sich künf­tig sol­che Gerichtshändel zu erspa­ren, will die Zürcher Stadtverwaltung nun die Bau- und Zonenordnung am teu­ren, aber begehr­ten Zürichberg abändern. 

Was oft pas­siert ist, dass auf dem Grundstück einer alten Villa mit Garten vier oder fünf Eigentumswohnungen erstellt wer­den. Das Problem ist vor allem, dass man für die Häuser auch gros­se Parkgaragen baut, und dann bleibt kein Platz mehr für die Bäume“, begrün­de­te der Zürcher Stadtbaumeister Patrick Gmür die­sen Schritt im „Tages Anzeiger“. Zürichs Nobelhang mit den präch­ti­gen Villen und Gärten sei eine Kostbarkeit, die es zu erhal­ten gel­te, hält Gmür wei­ter fest. Mit der geplan­ten Umzonung sol­len die bau­li­che Verdichtung künf­tig ein­ge­dämmt und der tra­di­tio­nel­le Charakter des Quartiers gewahrt wer­den. Ganz anders die Einschätzung, wenn es um Bauvorhaben in ande­ren Teilen der Stadt geht, wo Quartiere mit eben­so tra­di­tio­nel­lem Charakter dem Bauboom schutz­los aus­ge­lie­fert sind. 

Verdichten, heisst hier das Gebot der Stunde. Weil Wohnungsnot herrscht. Weil der Zersiedelung Einhalt gebo­ten wer­den soll und weil – was weni­ger oft und laut gesagt wird – Verdichtung bes­se­re Renditen ver­spricht. So kommt es, dass wo einst ein Häuschen im Schatten mäch­ti­ger Tannen Platz für eine Familie bot, heu­te ein Block mit sie­ben Eigentumswohnungen steht. Eine Geschichte, die sich wie­der­holt. Neubau um Neubau — ein Haus wie das ande­re. Jedes mit eige­ner Tiefgarage und Zufahrt. So wie es dem Stadtbaumeister am Zürichberg missfällt.

Aber unten in der Stadt gibt man die Grünflächen und Bäume auf.  Was übrig bleibt, sind Bambus-Topfpflanzen-Haine  auf Wohn-Terrassen. Es wach­sen sie­ben­ge­schos­si­ge Wohntürme in den Himmel, wo bis­her maxi­mal drei­stö­cki­ge Häuser stan­den. So in Zürich-Altstetten, wo die Einsprachen der Nachbarschaft gegen die „im Vergleich zur Umgebung viel zu hohen Bauten“ abge­schmet­tert wur­den. Oder im Stadtkreis Wipkingen, wo sich die Anwohner gegen das Vorhaben einer Baugenossenschaft, ihre Liegenschaften abzu­reis­sen und durch sie­ben­ge­schos­si­ge Neubauten zu erset­zen, wehr­ten. Vergeblich. 

Merke: dem Stadtbaumeister sind Bäume und Gärten offen­bar nur am Zürichberg ein Herzensanliegen. In den Niederungen der Stadt  wird auf Teufel komm’ raus ver­dich­tet. Das nützt nicht nur den Investoren son­dern auch der Stadt, die auf engem Raum vie­le Steuerzahler unter­brin­gen kann. Mit schö­ner Aussicht – sofern sie die obe­ren Etagen bele­gen – auf das tra­di­tio­nell grü­ne Zürichberg-Quartier.

Vom Alp- zum Albtraum

Strahlender Sonnenschein, blau­er Himmel und ver­schnei­te Hänge las­sen mein Skifahrerinnenherz höher schla­gen. Fast allein kur­ven wir an die­sem wun­der­vol­len Freitag im Januar über sanf­te Pisten. Wir glei­ten über ech­ten Naturschnee, zumin­dest mehr­heit­lich. Noch erfreu­en uns die meis­ten Hänge auf der Belalp mit einer sel­ten gewor­de­nen vor­in­dus­tri­el­len Jungfräulichkeit.

Hässliche Duschstangen, die zwecks Garantie von Schneesicherheit in schnee­ar­men Zeiten andern­orts zu Hunderten aus dem Boden schies­sen, zie­ren hier erst den Rand einer ein­zi­gen Piste. Der dazu­ge­hö­ren­de Speichersee liegt wie eine fri­sche Wunde in der Landschaft. Doch dies ver­mag unse­re Euphorie nicht zu trü­ben. Von gemüt­li­chen Schleppliften las­sen wir uns in luf­ti­ge Höhen beför­dern. Auf der Terrasse des 150jährigen Hotels Belalp löschen wir den Durst bei einem Glas Johannisberg, genies­sen Ruhe und Aussicht. Die Sonne taucht das Panorama in ver­heis­sungs­vol­les Rot, bevor sie sich ver­ab­schie­det. Und wir unser lau­schi­ges Zimmer in der Hamilton Lodge bezie­hen, auf 2100 Metern – hoch über dem Tal.

Langsam wird es Nacht. Funkelnde Sterne, ein strah­len­der Mond zum Greifen nahe. Wir sit­zen im damp­fen­den Wasser unter frei­em Himmel. Spa auf der Alp. Zugegeben, etwas deka­dent — aber unend­lich roman­tisch und ent­span­nend. Die Welt ist nur noch Ruhe und Frieden. Über uns die­ser wei­te Himmel – wir Teil der ver­schnei­ten Märchenlandschaft. Hier und da in der Ferne ein war­mes Licht hin­ter ver­eis­ten Fenstern. Das Gefühl, eins zu sein mit dem Universum.Wir beglück­wün­schen uns, die­se Perle gefun­den zu haben, genies­sen in vol­len Zügen und beschlies­sen nach drei­tä­gi­ger Auszeit, bald wie­der zu kommen.

Auf die­se Alp, wo der Tourismus sanft ist und noch nicht zer­stört hat, was er ver­spricht. Zurück im Tal, holt uns die Realität bald wie­der ein. Ein Blick ins Internet zeigt: Wollen wir noch ein­mal genies­sen, müs­sen wir uns beei­len. Die Tage der Belalp, wie sie ein­mal war und ist, sind gezählt. Mit der Volksabstimmung vom 28. November 2010 haben die Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde Naters die Weichen defi­ni­tiv gestellt und mit gros­sem Mehr grü­nes Licht gege­ben für die Modernisierung der Tourismusdestination Belalp. Dazu gehö­ren der Bau einer Reka-Feriensiedlung in Blatten sowie eine zwei­te Gondelbahn, die stünd­lich 2000 Personen beför­dern kann.

Damit wird die bis­he­ri­ge Förderkapazität mehr als ver­drei­facht. Das gibt Betrieb auf der Alp!Und welch ein Glück: Die neue Bergstation wird nur einen Steinwurf von der Hamilton Lodge ent­fernt zu ste­hen kom­men. Der Blick vom Hot Tub aus glei­tet dann auf die bun­te Schar der ankom­men­den Passagiere, die abend­li­che Stille wird abge­löst durch das von metal­li­schen Klängen beglei­te­te Schauspiel der in die Garage glei­ten­den glän­zen­den 8er Gondeln. Weit weg das Universum – und unser Alptraum ein Albtraum.

Landwirtschaftsboom

Das jah­re­lan­ge Ringen um die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft hat ein Ende! Vorbei das Bauernsterben. Bereits zählt man über eine Million neu­er Landwirte die vol­ler Enthusiasmus auf Teufel komm raus pro­du­zie­ren, ohne Sorgen und ganz ohne Subventionen. 

Es gibt weder Verdrängungskampf, noch Nachwuchsprobleme oder Diskussionen um Milchkontingente

Diese Bauernhof-Renaissance ist einem Team jun­ger Informatiker aus Zürich zu ver­dan­ken. Sie ver­brach­ten Stunden und Tage auf her­kömm­li­chen Landwirtschaftsbetrieben, inter­view­ten Bauern, foto­gra­fier­ten Kühe und Traktore, stu­dier­ten Abläufe und Bewegungen und über­tru­gen alles Detail um Detail in die Welt des Virtuellen. 

Der so ent­stan­de­ne Landwirtschafts-Simulator legt nicht nur den Grundstein für ein neu­es Bauerntum, son­dern erlöst die Landwirte von allen Beschwerden ihrer bis­he­ri­gen Existenz

Nie mehr muss ein Bauer draus­sen in Regen, Wind oder Schnee den Elementen trot­zen. Vorbei sind die Zeiten von Stiefeln, Dreck und Gestank. An der Spielkonsole  in der war­men Stube lässt sich ange­nehm und zeit­ge­mäss bau­ern. Und läuft das Ganze wider Erwarten doch ein­mal aus dem Ruder, ret­tet sich der moder­ne Landwirt mit einem Neustart in die nächs­te Runde.

Wie revo­lu­tio­när die Entwicklung aus Zürich ist, zeigt sich erst, wenn man über den ein­zel­nen Betrieb hin­aus und in die Zukunft denkt. Haben ein­mal alle Betriebe auf vir­tu­ell umge­stellt, gibt es kei­nen Güllengestank mehr, kein läs­ti­ges Kuhglockengeläut, das Rattern der Traktoren nur noch auf dem Bildschirm. Nie mehr Angst wegen Dioxin in der Nahrungskette. Und alle Absatzprobleme der Milch- und Käseproduzenten gehö­ren der Geschichte an.

Es sei denn, die krea­ti­ven Informatiker wol­len ihr Geschäft wei­ter ent­wi­ckeln und erfin­den zum Beispiel einen Milchvermarktungs- und Emmentalerverkaufs-Simulator. Was zu hof­fen ist, denn wie wir hören, hat sich Zürich zum Ziel gesetzt, in der vir­tu­el­len Welt ganz vor­ne mit­zu­mi­schen. Mit staat­lich unter­stütz­ter Wirtschaftsförderung, wofür man ja aus der alten Milch- und Emmentalerwelt auf ein­schlä­gi­ge Erfahrungen zurück grei­fen kann.

Selbstgerecht

China. Die Entwicklung des bevöl­ke­rungs­reichs­ten Landes der Erde hin zu einer wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Weltmacht ruft in unse­ren Breitengraden regel­mäs­sig Unbehagen her­vor. So berech­tigt die Kritik am auto­ri­tä­ren Regime auch ist, täten wir doch bes­ser dar­an, unse­re eige­ne Rolle bezüg­lich der Menschenrechtsverletzungen, Billiglohnarbeit und Umweltzerstörung hier wie dort zu hin­ter­fra­gen, statt unse­re Verhältnisse und die Rolle des Westens selbst­ge­recht zu ver­klä­ren. So titel­te die NZZ zum Beispiel ihren Kommentar anläss­lich des viel beach­te­ten Staatsbesuchs des chi­ne­si­schen Präsidenten Hu Jintao beim US-ame­ri­ka­ni­schen Präsidenten Barack Obama mit «China und die freie Welt – Macht und Unbeholfenheit».

Statt auf den Fortschritt hin­zu­wei­sen, dass sich der chi­ne­si­sche Präsident tat­säch­lich den Fragen von Journalisten stell­te, was bis vor kur­zem undenk­bar gewe­sen wäre, wird sein Auftritt als «unbe­hol­fen» ver­höhnt und die «Demonstration der Überlegenheit einer offe­nen Gesellschaft» besun­gen. Einer offe­nen Gesellschaft nota­be­ne, die seit Jahren auf Pump lebt und nicht nur im eige­nen Land sehr wohl Unterdrückung und Unfreiheit prak­ti­ziert. Im Hauptartikel moniert der Autor Beat U. Wieser, China habe sei­ne wirt­schaft­li­che Stellung und Position als Financier «nicht aus eige­ner Kraft erlangt, son­dern dank jahr­zehn­te­lan­gen aus­län­di­schen Investitionen und chro­ni­schen Handelsbilanzüberschüssen infol­ge nied­rig gehal­te­ner Löhne und eines gedrück­ten Aussenwertes der chi­ne­si­schen Währung».

Als ob die Position der USA – oder irgend eines ande­ren rei­chen Staates die­ser Welt — ein­zig und allein auf «Eigenleistungen» beru­hen wür­de. Was immer man dar­un­ter ver­ste­hen mag. China ist genau­so Teil die­ser glo­ba­li­sier­ten Welt, wie der Westen. Kein Wort ver­liert der Autor z.B. dar­über, dass die aus­län­di­schen Investitionen (nament­lich aus dem «frei­en Westen») nicht zuletzt getä­tigt wur­den, weil die Löhne nied­rig und die Umweltbestimmungen lasch waren und man des­halb in China grös­se­re Gewinne erzie­len konn­te, als im eige­nen Land.

Noch abge­ho­be­ner wird der Artikel bei der geo­po­li­ti­schen Gegenüberstellung von China und den USA. Während China unter­stellt wird, es habe sich im ver­gan­ge­nen Jahr «aus­sen­po­li­tisch auf­ge­plus­tert», weil es Ansprüche auf eine Herrschaftsposition in den Gewässern Ostasiens gel­tend macht, wird die von US-Amerika ange­streb­te Rolle als «zuver­läs­si­ge Ordnungsmacht in der Region» mit der «Transparenz sei­nes poli­ti­schen Systems und des­sen checks and balan­ces» legi­ti­miert. Und wei­ter: «Ähnliches gibt es in China nicht. So, wie mit Dissidenten und Andersdenkenden umge­sprun­gen wird, kann, wenn es oppor­tun ist, jeder­zeit auch mit gewöhn­li­chen Bürgern oder ande­ren Staaten umge­gan­gen werden.»

Leider kom­men mir, wenn ich sol­ches lese, vor allem Beispiele aus den USA in den Sinn: Todesstrafe, Folterung von Häftlingen in Guantanamo, Einschleusung eines Computervirus in Iran, Bombardierung von Zivilisten in Afghanistan…

Alhambra

Ein Hauch von Zauber und Verheissung lag in die­sem Wort.

Die Alhambra von Granada — ein Sehnsuchtsort.

Man rät uns, früh­zei­tig hoch­zu­fah­ren, da wir nicht im Internet vor­ge­bucht hat­ten. Als uns der Taxifahrer kurz nach sie­ben vor dem Eingang absetzt, ist noch Nacht. Hinter der ver­schlos­se­nen Glastür hell erleuch­tet die Ticketautomaten in Reih und Glied. Vor der ver­bar­ri­ka­dier­ten Kasse bil­det sich bereits eine Schlange. Punkt acht geht es los: Eine Lautsprecherstimme ver­kün­det, dass für den heu­ti­gen Vormittag noch 900 Eintritte zur Verfügung stün­den, für den Nachmittag 700. Eindrücklich die pro­fes­sio­nel­le Organisation: Dem Touristen-Ansturm begeg­net das Management des UNESCO-Weltkulturerbes „Alhambra“ mit einer Tageslimite von 8400 Eintritten. Für die Nasridenpaläste erhal­ten die Besucher zusätz­lich eine Eintrittszeit zuge­teilt. Wer sich nicht dar­an hält, ver­passt die­sen Höhepunkt. Davor hat­te man uns mehr­fach gewarnt. Auf unse­ren Tickets steht 8.30 Uhr – also nichts wie los.

Im Pulk durch die berühm­ten Gärten. Ohne Blick und Gefühl für die Umgebung, eili­gen Schrittes zum Eingang, wo Palastdiener des 21. Jahrhunderts, aus­ge­rüs­tet mit Barcodeleser und Zähler, über den Zutritt wachen.Klick-klick-klick – die reich ver­zier­ten Säulen sind ein­ma­lig. Auch der Blick hin­aus, über die Stadt im Morgenlicht. Lichte Höfe, Wasser plät­schert – der Rundgang führt von Kunstwerk zu Kunstwerk. Reiseführer, Audioguides und jenen, die beim Eingang den Podcast her­un­ter­ge­la­den haben, das iPhone, erklä­ren Geschichte und Besonderheiten.

Strategisch vor­ge­hen lohnt sich: Die japa­ni­sche Gruppe zie­hen las­sen. Warten, bis sich das ita­lie­ni­sche Paar gegen­sei­tig abge­lich­tet hat. Ein kur­zer Moment des Alleinseins: Eintauchen, auf­sau­gen – das Hirn regis­triert, der Kopf ver­steht. — Das Herz? Klick-klick-klick. Schon kom­men die nächs­ten. Im 15.Jahrhundert gab es kei­ne Fotoapparate. Auch nicht, als Washington Irving anfangs des 19. Jahrhunderts dort sei­ne Geschichten schrieb. Weder pick-nicken­de Familien inklu­si­ve Grosseltern und Kinderwagen aus England, noch Studentengruppen aus Hongkong, Reisegesellschaften aus Italien, Frankreich, Russland – der gan­zen Welt. Die mau­ri­schen Kunstwerke sind beein­dru­ckend, der Sommerpalast und die Burg Kaiser Karls V. — Wunderschön die Gärten, der Sommerpalast – die Aussicht auf Stadt und Berge.

Wir sahen und lern­ten viel, an die­sem Sonnentag. Und kön­nen jetzt mit­re­den, wenn es um die Alhambra geht. Nur träu­men geht nicht mehr. Das eins­ti­ge Zauberwort ist tot. — Was bleibt ist die Erinnerung an eine Touristendestination ers­ter Klasse.

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