Der Weg verläuft parallel zum wilden Bach. Abschüssige Hänge über dem tief unten liegenden Bett, vom Wasser während Jahrtausenden in den Fels gefressen. Das stete Rauschen und Tosen begleitet uns. Sonst Ruhe, ausser uns keine Menschenseele.
Wir sind in Küblis gestartet, mit einem Abstecher zur Kirche. Ein reformiertes Gotteshaus mit einer wechselvollen Geschichte und einem filigranen Kirchturm. Die morgendlichen Sonnen-strahlen brechen durchs Fenster. Die kräftigen Farben der Glasmalereien – ein Werk von Augusto Giacometti aus den 1920er Jahren – werfen verspielte bunte Farbmuster auf die weisse Mauer.
Über den Bach und dem Waldrand entlang geht es aufwärts weiter. Bald schon erreichen wir den Weiler Strahlegg, dort biegen wir ab Richtung Berg und lassen die Zivilisation hinter uns. Wald und wuchernde Natur, soweit das Auge blickt.
Nach einer knappen Stunde wird das Bachbett plötzlich breit und seicht. Eine Holzbrücke führt über den Fluss. Auf der anderen Seite eine einsame Feuerstelle und eine kleine Holzhütte, über deren Eingang in alten grünen Lettern die Aufschrift BAD FIDERIS prangt.
Dies und eine Informationstafel sind alles, was daran erinnert, dass hier einst eines der mondänsten Kurbäder der Schweiz stand. Gäste aus ganz Europa, darunter sowohl illustre wie zwielichtige Politiker und Adlige stiegen in Bad Fideris ab, trafen sich hier zu Konferenzen und Heiratskuppeleien, so die Überlieferung.
Erstmals wurde das Bad mit den natrium- und eisenhaltige Quellen 1464 erwähnt. In abgelegenem, schwierigem Gelände gelegen, wurde es mehrmals von Hochwasser zerstört und wieder aufgebaut. Seine Blütezeit erlebte Bad Fideris in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Der abgelegene Kurort verfügte schon früh über eine eigene Bäckerei und Metzgerei sowie eine Kapelle. Der Chronist erwähnt zudem bereits 1611 über 60 hölzerne Badewannen für die Kurgäste. Später kam eine Trinkhalle dazu, zahlreiche Wirtschafts- und Hotelgebäude.
Während der Blütezeit Ende des 19. Jahrhunderts konnten hier bis zu 250 Gäste beherbergt werden. Bad Fideris hatte ein eigenes Kurorchester und bereits ab 1896 elektrischen Strom.
Dieser Epoche des florierenden Tourismusgeschäfts mit den Reichen dieser Welt setzte der erste Weltkrieg ein jähes Ende. Zwar versuchten die Betreiber in der Zwischenkriegszeit an die vergangenen Erfolge anzuknüpfen – allerdings mit wenig Erfolg.
1939 musste die ohnehin schlechte Saison wegen des zweiten Weltkriegs abgebrochen werden – das war das endgültige Ende. Nach dem Krieg wurden die Liegenschaften verhökert – und 1967 machte ein Hochwasser die noch übrig gebliebenen Ruinen endgültig platt.
Heute hat die Natur auch die letzten Spuren dieses einstigen Tourismus-Hotspots getilgt. Einzig die rot gefärbten Felsbrocken im Bachbett erinnern daran, dass es hier eisenhaltige Quellen gibt.
Wir gehen weiter, dem einstigen Kurweg entlang, wo zahlreiche Pavillons und Unterhaltungseinrichtungen die Gäste lockten. Der schmale Waldpfad führt weiter, ins Dorf Fideris. Unsere Gedanken kreisen um die damalige noble Kundschaft, auf diesem Weg flanierend, intrigierend und karisierend.
Auch die drei grossen Hotelanlagen eingangs Fideris, die während der Blütezeit der Bäderepoche gebaut wurden, sind wie vom Erdboden verschwunden. Sie wurden mangels Zukunftaussichten von ihren Besitzern angezündet, verkauft oder gesprengt. Auch hier: Ohne historische Informationstafeln käme niemand auf die Idee, dass es sie je gegeben hat…
Vergangen, vergessen vorbei. Selten sind mir die Vergänglichkeit unserer «Zivilisation» und die Kraft von Zeit und Natur so unmittelbar begegnet.
Wir gehen weiter, steigen wieder ins Tal hinunter, wo die Autobahn dröhnt und die Gasthäuser an der alten Landstrasse durchs Dorf leer stehen.