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Pulitzerpreis für einen Dichter

Gestern Mor­gen poppte eine uner­war­tete Mel­dung auf mei­nem Face­book-Account auf: Der Pulit­zer Preis­trä­ger 2025 in der Sparte «Com­men­tary» heisst Mosab Abu Toha! Für ein­mal konnte der Poet aus Gaza, der vor ein­ein­halb Jah­ren mit sei­ner Fami­lie in die USA geflüch­tet ist, eine posi­tive Nach­richt tei­len. Er tat dies mit einem Link zu einem Arti­kel im Guar­dian, und dem Kom­men­tar: «Ich fühle mich geehrt, heute den Pulit­zer Preis zu erhal­ten. Ich widme die­sen Erfolg mei­ner Fami­lie, mei­nen Freun­den, Leh­rern und Stu­den­ten in Gaza. Ich bete für einen sofor­ti­gen, dau­er­haf­ten Waf­fen­still­stand und Gerechtigkeit.»

Mosab Abu Toha ist 32 Jahre alt, wurde in Gaza gebo­ren. Der Sohn eines Leh­rers begei­sterte sich schon früh für die eng­li­sche Spra­che und grün­dete als Stu­dent in sei­ner Hei­mat­stadt Beit Lahia die Edward Said Biblio­thek – die ein­zige eng­li­sche Biblio­thek in Gaza, eine wich­tig Kul­tur­in­sti­tu­tion. Für seine Lyrik wurde Mosab Abu Toha 2022 bereits mit dem Pal­e­stine Book Award und 2023 mit dem Ame­ri­can Book Award ausgezeichnet.

Im Okto­ber 2023 zer­stör­ten israe­li­sche Bom­ben das Haus, wo Mosab Abu Toha mit sei­ner Frau und den drei klei­nen Kin­dern lebte und wo seine Biblio­thek unter­ge­bracht war. Die Fami­lie fand Zuflucht in einer Not­un­ter­kunft, mit Tau­sen­den ande­ren Men­schen – krank und stän­dig in Angst vor den näch­sten Angriffen…

Im Gegen­satz zum Rest sei­ner Fami­lie und vie­ler sei­ner Freunde, Kol­le­gen und Stu­den­ten konnte Mosab Abu Toha der Gaza-Hölle ent­kom­men. Der ame­ri­ka­ni­sche Pass sei­nes vier­jäh­ri­gen Sohns, der in den USA gebo­ren wurde, als sein Vater an der Syra­cuse Uni­ver­sity sein Master­stu­dium absol­vierte, ermög­lichte der Fami­lie die Aus­reise, zuerst nach Ägyp­ten und bald dar­auf in die USA.

Die Flucht war trau­ma­tisch – genauso wie das Zurück­las­sen von Ange­hö­ri­gen und Freun­des­kreis. Das ist aus jedem Wort, jeder Zeile, die Mosab Abu Toha seit­her geschrie­ben hat, zu spü­ren. Er publi­zierte in der Folge nicht nur einen wei­te­ren Gedicht­band über das Leben in Gaza und seine Erin­ne­run­gen, son­dern schrieb auch ver­schie­dene Essays, die in der Zeit­schrift The New Yor­ker publi­ziert wur­den. Dafür erhielt der palä­sti­nen­si­sche Autor nun den Pulit­zer Preis*.

Ich habe Mosab Abu Toha auf ganz ande­ren Wegen ken­nen gelernt: Auf der Suche nach glaub­wür­di­gen und zuver­läs­si­gen Quel­len stiess ich unver­hofft auf seine Posts, die fast stünd­lich über den Krieg in Gaza berichten.

Es sind keine schö­nen Geschich­ten. Ein Hor­ror folgt auf den andern. Mosab ist gut ver­netzt in Gaza, und erhält lau­fend Nach­rich­ten, Bil­der und Videos vom Gesche­hen vor Ort. Uner­müd­lich reicht er wei­ter, was man ihm mit­teilt und rap­por­tiert über Bom­ben, die Häu­ser zer­stö­ren, Zelte zer­fet­zen, schla­fende Fami­lien töten, Kin­der in Kran­ken­häu­sern oder Ret­ter in Aktion massakrieren…

Mosab Abu Toha berich­tete auch über das Ver­schwin­den der Ambu­lan­zen und die inzwi­schen nicht mehr zu leug­nende Ermor­dung von 15 Sani­tä­tern, Tage bevor die ersten Medien und spä­ter die UNO über die­ses Kriegs­ver­bre­chen infor­mier­ten. Alles, was er damals rap­por­tiert hat, wurde spä­ter durch die Unter­su­chun­gen der OCHA und das Auf­tau­chen eines Videos erhärtet.

Es sind immer wie­der auch sehr per­sön­li­che Geschich­ten, die er über Face­book wei­ter­reicht: Freunde, Stu­di­en­kol­le­gen, ums Leben gebracht von israe­li­schen Bom­ben und Gra­na­ten. Mosab Abu Toha erzählt von sei­nen Bekann­ten, postet Fotos aus Stu­di­en­zei­ten zusam­men mit dem letz­ten Bild der Getö­te­ten… Sein Schmerz mischt sich mit Wut und dem ver­zwei­fel­ten Auf­schrei, die­sem Mor­den ein Ende zu set­zen. Tag für Tag.

Der Poet stellt sich mit all sei­ner Kraft in den Dienst der Men­schen vor Ort. Er gibt ihnen eine Stimme und ein Gesicht, nennt ihre Namen. Es ist ein Hil­fe­ruf an die Welt, die teil­nahms­los ihrem All­tag nach­geht. Die Bil­der des Schreckens sind für die mei­sten nicht aus­zu­hal­ten, man will sie nicht sehen, man will nichts mehr hören von die­sem Grauen. Abschal­ten, ver­drän­gen, mensch­li­ches Mit­ge­fühl und Anteil­nahme zum Selbst­schutz abblocken. Mosab schreibt und postet dage­gen an.

Seine Akti­vi­tä­ten in den Sozia­len Medien sind aller­dings nicht über­all gern gese­hen. Zwar hat er als Visi­ting Scho­lar an der Syra­cuse Uni­ver­sity in den USA Zuflucht gefun­den. Doch er fühlt sich auf­grund mas­si­ver Bedro­hun­gen nicht sicher und hat im letz­ten Monat eine Reihe von Ver­an­stal­tun­gen abge­sagt. Eine kluge Vor­sichts­mass­nahme, ange­sichts der Trump­schen Poli­tik gegen palä­sti­nen­si­sche Men­schen in den USA und der Akti­vi­tä­ten von israe­lisch-rech­ten Extremisten.

Auch in den Sozia­len Medien gibt es Druck­ver­su­che, um den unbe­que­men Mosab zum Schwei­gen zu brin­gen. Auf Face­book fehl­ten vor ein paar Tagen plötz­lich die sonst so regel­mäs­sig erschei­nen­den Nach­rich­ten aus Gaza. Die Suche nach sei­nem Account mit über 67’000 Fol­lo­wern endete mit der Mes­sage: «Diese Seite ist momen­tan nicht ver­fügbar». Auch seine Posts, die ich in mei­nem Feed geteilt hatte, waren ein­fach ver­schwun­den – wie von Geisterhand.

Doch Mosab Abu Toha ist nicht so schnell klein­zu­krie­gen: Er ver­brei­tet seine Mes­sa­ges auch über andere Kanäle wie X, Insta­gram – und wusste sich beim Meta-Kon­zern, der Face­book betreibt, zu weh­ren. Plötz­lich waren er und seine Posts auch auf Face­book wie­der da. Um dann – kurz nach­dem er sei­nen Post über den Pulit­zer Preis abge­setzt hatte – wie­derum: «Diese Seite ist momen­tan nicht ver­fügbar»..

Wer hat ein Inter­esse, Zeu­gen wie Mosab von der Bild­flä­che ver­schwin­den zu las­sen? Mos­sad kon­tra Mosab? Ein Unter­fan­gen, das in Zei­ten von Inter­net und Social Media zum Glück schwie­ri­ger gewor­den ist. Nach ein paar Stun­den war Mosab Abu Toha wie­der online – Andy Stone, der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­chef von Meta postete klein­laut, das Ganze sei «ein Miss­ver­ständ­nis» gewesen.

Und Mosab ver­brei­tet wie­der «Brea­king News» – über einen neu­er­li­chen israe­li­schen Rake­ten­an­griff auf einen Eva­kua­ti­ons­ort in einer Schule im Bureij-Lager im Süden Gazas – min­de­stens neun Men­schen wur­den getö­tet, 50 ver­wun­det – Film­auf­nah­men bele­gen das Gemetzel.

Hun­dert­fach die Kom­men­tare aus aller Welt: Wann, wann end­lich hört die­ses Mor­den auf?

Nach Aus­sa­gen der israe­li­schen Regie­rung erst, wenn die Rest­be­völ­ke­rung des Gaza­strei­fens getö­tet oder depor­tiert ist – oder, mit deut­schen Wor­ten: wenn Israel die «End­lö­sung» ver­kün­den kann. From the River to the Sea ein palä­sti­nen­ser­freies Palä­stina, Isra­els gelob­tes und ver­brann­tes Land.

Dage­gen kämp­fen Mosab Abu Toha und seine Freund:innen wei­ter an – mit Wor­ten, Bil­dern und Fil­men gegen die israe­li­sche Besat­zungs­ar­mada und deren Kom­pli­zen im Westen – und gegen das betre­tene Weg­schauen der Welt.


* Der Pulit­zer-Preis ist ein US-ame­ri­ka­ni­scher Medi­en­preis für her­aus­ra­gende jour­na­li­sti­sche, lite­ra­ri­sche und musi­ka­li­sche Bei­träge. Seit sei­ner Stif­tung 1917 durch Joseph Pulit­zer gilt das Renom­mee des Prei­ses als ähn­lich hoch wie etwa das des Oscars in der Film­in­du­strie oder das der Nobelpreise.

Mit dem Preis in der Kate­go­rie “Kom­men­tar” wurde der palä­sti­nen­si­sche Dich­ter Mosab Abu Toha aus dem Gaza­strei­fen aus­ge­zeich­net. Die Jury lobte seine “tief­grün­dige Bericht­erstat­tung mit der Inti­mi­tät von Memoi­ren”. Die palä­sti­nen­si­schen Foto­gra­fen der Nach­rich­ten­agen­tur AFP waren Fina­li­sten in der Kate­go­rie Nach­rich­ten­fo­to­gra­fie. Sie wur­den dafür gelobt, dass sie “die bestän­dige Mensch­lich­keit der Men­schen in Gaza inmit­ten weit ver­brei­te­ter Zer­stö­rung und Ver­lu­ste” ein­fan­gen würden.

Quelle: tages​schau​.de


FB-Post vom 4. Mai 2025 von Mosab Abu Toha:

Ich hasse es, etwas zu posten, das zeigt, wie meine Leute lei­den. Aber sie lei­den. Und ich weiss es – aber das allein wir ihr Lei­den nicht beenden.

Ich hasse mich selbst, wenn ich diese Dinge poste.

Wenn ich ein Video von mei­nen Freun­den und Nach­barn poste, die in Stücke zer­fetzt sind, als ob sie dadurch wie­der zum Leben erweckt, oder zumin­dest auf eine weni­ger schreck­li­che Weise ster­ben würden.

Ich weiss nicht, aber manch­mal hasse ich mich selbst, und ich hasse die­je­ni­gen, die Fotos und Videos machen.

Und ich hasse die­je­ni­gen, die aus der Ferne zuse­hen und nichts tun. Und ich ver­achte die­je­ni­gen, die Israel und seine Hand­lun­gen ver­tei­di­gen. Und ich ver­ab­scheue die­je­ni­gen, die Israel Waf­fen schicken und es in der UNO unter­stüt­zen. Und ich bete dafür, dass sie zur Rechen­schaft gezo­gen und ihrer gerech­ten Strafe zuge­führt wer­den. Alle von ihnen.

Denn es heisst nie wie­der – für niemanden!




Und das grosse Schweigen:

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Demokratie in der Sackgasse

Die Nach­richt bestä­tigte eigent­lich bloss, was wir alle längst wis­sen. Und doch löste sie in Poli­tik und Medien ein brei­tes, teil­weise äus­serst gehäs­si­ges Echo aus. Die Mel­dung, dass der deut­sche Ver­fas­sungs­schutz die AfD als «gesi­chert rechts­extreme Par­tei» ein­stuft, quit­tierte etwa die NZZ am Sonn­tag mit der boul­var­desken Schlag­zeile «Nancy’s Rache».

Aus Sym­pa­thie zur ihrer AfD-affi­nen Leserschaft?

Dies, weil die schei­dende deut­sche Innen­mi­ni­ste­rin Nancy Fae­ser (SPD) das Resul­tat einer lang­jäh­ri­gen Recher­ché im letz­ten Moment vor ihrem Abtre­ten öffent­lich machte. Sie hätte das Gut­ach­ten bes­ser in der Schub­lade ruhen las­sen, so das Credo der NZZ. Mit der Ver­öf­fent­li­chung werde nun der neue Kanz­ler Merz gleich beim Start «über Wochen und Monate eine neue Debatte über ein Ver­bot der AfD am Hals haben.» 

Armer Fried­rich Merz.

Fakt ist, dass die­ses Ver­bot schon längst hätte erfol­gen müs­sen. Par­teien, deren Pro­gramm auf einer ras­si­sti­schen Welt­an­schau­ung basiert und den fun­da­men­ta­len Umbau des bestehen­den Staats- und Rechts­sy­stems zugun­sten einer völ­ki­schen Élite zum Ziel hat, gefähr­den die Demo­kra­tie nicht nur – sie zer­stö­ren sie.

Dabei bedie­nen sich die Toten­grä­ber der Demo­kra­tie aus­ge­rech­net jenes Instru­men­ta­ri­ums und der Werte, die sie – sobald an der Macht – schleu­nigst über Bord wer­fen. So gesche­hen Anfang der 1930er Jahre, als sich die Natio­nal­so­zia­li­sten ermächtigten.

Es ist erschreckend, wie gegen­wär­tig in Deutsch­land das glei­che Muster abläuft wie damals, mit den glei­chen Argu­men­ten wie damals. Obschon man sich bemüht hatte, aus der Geschichte zu ler­nen und sich nach dem 2. Welt­krieg eine ver­meint­lich gegen Rechts­extre­mis­mus was­ser­dichte Ver­fas­sung gab. Das Nie-wieder-Grundgesetz.

Und jetzt, nach über 70 Jah­ren, heisst es: Ach­tung, 1933 reloaded…

Doch nicht nur in Deutsch­land sind die Rechts­na­tio­na­len auf dem Durch­marsch. Mit Schau­dern müs­sen wir mit­an­schauen, wie in Ita­lien, Frank­reich, Eng­land, Schwe­den, Hol­land und den USA die glei­che Ent­wick­lung im Gange ist: Die Zer­stö­rung der Demo­kra­tie mit demo­kra­ti­schen Mitteln.

Es ist denn auch kein Zufall, dass die Welt­wo­che die Klas­si­fi­zie­rung der AfD durch den Ver­fas­sungs­schutz als «Anschlag auf die Demo­kra­tie» (!) scharf ver­ur­teilt. Aus­ge­rech­net jenes Blatt, das – seit der Über­nahme durch Roger Koep­pel – nicht müde wird, gegen demo­kra­ti­sche Mit­spra­che­rechte in unse­rem Land anzu­schrei­ben und Volks­ent­scheide nie­der­schreit, die nicht in sein Welt­bild passen.

Auch auf die Schwei­zer Demo­kra­tie ist der Angriff längst in vol­lem Gang. Mit ihrer pro­vo­ka­ti­ven, men­schen­ver­ach­ten­den und offen ras­si­sti­schen Poli­tik bestimmt die schwei­zer­völ­ki­sche SVP näm­lich weit­ge­hend die poli­ti­sche Agenda in unse­rem Land: Sie ist nicht nur wäh­ler­stärk­ste Par­tei, son­dern sitzt seit Jah­ren in der Regierung.

SVP-Politiker:innen geben sich gerne volks­nah, wie es sich für Popu­li­sten gehört. Wenn es aber um die Sache geht, hal­ten sie nicht viel vom Volks­wil­len, wie etwa die aktu­elle Poli­tik von SVP-Bun­des­rat Albert Rösti zeigt: Kaum im Amt, setzte er alle Hebel in Bewe­gung, um die 2016 mit gros­sem Volks­mehr ange­nom­mene Atom­aus­stiegs­in­itia­tive aus­ser Kraft zu set­zen. Und auch die Absage der Schwei­zer Stimm­be­völ­ke­rung an die Auto­bahn­kre­dite hin­dert ihn nicht daran, nach Schlupf­lö­chern zu suchen, um den Aus­bau doch noch umzusetzen.

Wäh­rend man sich in Deutsch­land scheut, die AfD zu ver­bie­ten, da immer­hin über 20 Pro­zent der Wäh­len­den ihre Stimme die­ser «gesi­chert rechts­extre­men Par­tei» gege­ben haben, duckt man sich auch in der Schweiz immer und immer wie­der vor der SVP.

Jüng­stes Bei­spiel – Der Kom­men­tar in der heu­ti­gen Sonn­tags Zei­tung von Chef­re­dak­tor Arthur Rutis­hau­ser: «Es sind gleich zwei Zumu­tun­gen, die die grösste Schwei­zer Par­tei, die SVP, in die­ser Woche hin­neh­men musste. Da erklärte erst der Bun­des­rat mit einer hauchdünnen Mehr­heit, bei der Abstim­mung zu den umstrit­te­nen Bila­te­ra­len 3 brau­che es kein Stän­de­mehr. Dann wird beschlos­sen, die 10-Mil­lio­nen-Initia­tive der SVP im Rekord­tempo durchs Par­la­ment zu jagen.»

Das sei unklug, fol­gert Rutis­hau­ser, weil dies die SVP stärke. Rechte Popu­li­sten wür­den näm­lich immer dann Zulauf erhal­ten, wenn sie von den eta­blier­ten Polit­eli­ten ein­ge­schränkt wür­den. Das sehe man in Frank­reich, wo ein umstrit­te­nes Urteil die Prä­si­dent­schaft von Marine Le Pen ver­hin­dern soll oder in Deutsch­land, wo nie­mand weiss, wie der Sie­ges­zug der AfD zur tota­len Mehr­heit gebremst wer­den kann und soll.

Bleibt die Frage, wie Demo­kra­tie noch zu ret­ten ist – in Zei­ten, da sich in immer mehr Län­dern die wahl­be­rech­tigte Bevöl­ke­rung zu demo­kra­tie­feind­li­chen Par­teien hin­wen­det und ihnen den Zugang zur Macht ermöglicht.

Eines steht fest: Ducken, schwei­gen und dul­den brin­gen gar nichts. Angst vor Populist:innen ist ein schlech­ter Rat­ge­ber, und die Samt­hand­schuhe im Umgang mit noch so smar­ten Rassist:innen kann man getrost weglegen.

Lei­der ist es bereits zu spät, der AfD und der SVP Zügel anzu­le­gen, geschweige denn mit Ver­bo­ten han­tie­ren zu wol­len. Zu viele sind den Rat­ten­fän­gern schon gefolgt, und zu gut sind diese orga­ni­siert. Der Marsch durch die Insti­tu­tio­nen haben nicht die Lin­ken und Grü­nen geschafft, son­dern die Extrem-Rechten.

Ein Ver­bot der AfD wird in Deutsch­land nicht Tat­sa­che wer­den. Es ist zu hof­fen, dass es min­de­stens zu einem har­ten Durch­grei­fen gegen Rassist:innen und Hetzer:innen kommt, noch bevor sie die Justiz- und Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen unter­wan­dert und sich unter den Nagel geris­sen haben. Die ero­dierte Mitte der Gesell­schaft und die macht­gei­len Sozi­al­de­mo­kra­ten tun gut daran, nicht bloss von Brand­mau­ern zu schwur­beln, son­dern kei­nen Zoll breit von demo­kra­ti­schen Wer­ten abzu­rücken. Sie müs­sen über­zeu­gen, dass Demo­kra­tie kein Kon­sum­ar­ti­kel ist.

Die Beschrän­kung auf ein paar wenige Instru­mente der poli­ti­schen Mit­be­stim­mung reicht aller­dings nicht. Damit Demo­kra­tie Bestand hat, muss sie in alle Lebens­be­rei­che Ein­gang fin­den. Demo­kra­tie ver­ste­hen und leben heisst: Mit­ver­ant­wor­tung tra­gen, teil­ha­ben, sich enga­gie­ren und mit­re­den – in der Fami­lie, im Unter­neh­men, in der Gemeinde, im Staat.

Demo­kra­tie kann und darf nicht beschränkt wer­den auf das Pri­vi­leg, seine Stimme abge­ben zu dür­fen und hie und da einer Initia­tive die Unter­schrift zu lei­hen. Damit kommt man nicht an gegen Ras­si­sten und Faschi­sten, die – wie noch nie seit Jahr­zehn­ten – Mor­gen­luft wittern.

Israel auf der Anklagebank der Welt

Seit dem 2. März blockiert Israel jeg­li­che huma­ni­täre Hilfe für Gaza. 3000 Last­wa­gen ste­hen seit Wochen an der Grenze. Aus­hun­gern ist keine Kriegs­tak­tik, son­dern ein scheuss­li­ches Verbrechen.

Der haupt­ver­ant­wort­li­che Täter heisst Netan­jahu und ist seit Novem­ber 2024 zur Ver­haf­tung aus­ge­schrie­ben. Israe­li­sche Soldat:innen töten und ver­let­zen in sei­nem Auf­trag erneut Tag für Tag Dut­zende von Men­schen, seit Israel vor sechs Wochen den Waf­fen­still­stand gebro­chen hat. Unter ihnen (durch das huma­ni­täre Völ­ker­recht spe­zi­ell geschützt) medi­zi­ni­sches Per­so­nal, geflüch­tete Fami­lien, Jour­na­li­sten – in Spi­tä­lern, Schu­len, Zelten.

Hat Israel eigent­lich einen Frei­pass zum Mor­den? Zwar wächst die Kri­tik auf diplo­ma­ti­scher Ebene – doch viel mehr als Ermah­nun­gen und Appelle hat es bis­lang nicht gege­ben. Im Gegen­teil: Die USA und ihre Ver­bün­de­ten belie­fern Israel nach wie vor mit Waf­fen, und rüh­ren kei­nen Fin­ger für die gemar­ter­ten Men­schen in Gaza.

Die UNO ver­sucht zwar, mit den ihr zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln, Israel in die Schran­ken zu wei­sen. Doch sie ist weit­ge­hend hand­lungs­un­fä­hig – nicht zuletzt, weil sich die USA wei­ter­hin ohne Wenn und Aber hin­ter Israel stellen.

Ein­zi­ger Licht­blick ist die Anklage vor dem Inter­na­tio­na­len Gerichts­hof (IGH) in Den Haag, die Netan­jahu vor die Schran­ken des Welt-Gerichts brin­gen will.

Die UNO-Gene­ral­ver­samm­lung hat den IGH mit einem Gut­ach­ten beauf­tragt, zur Klä­rung, ob Israel dazu ver­pflich­tet ist, huma­ni­täre Hilfe zuzu­las­sen und ob es mit dem seit Anfang Jahr gel­ten­den UNRWA-Ver­bot huma­ni­tä­res Völ­ker­recht gebro­chen hat.

Über 40 Län­der waren diese Woche auf­ge­ru­fen, vor dem 15köpfigen Rich­ter­gre­mium ihre Sicht der Dinge dar­zu­le­gen. Israel ver­wei­gerte eine Aus­sage vor dem Gericht und blieb der Anhö­rung fern, was kein gutes Licht auf den ange­klag­ten Staat wirft. Statt­des­sen wies die israe­li­sche Regie­rung in einem Schrei­ben pau­schal auf die pre­käre Sicher­heits­lage Isra­els hin, die ihrer Mei­nung nach ihre Kriegs­füh­rung in Gaza rechtfertige.

Die ande­ren Staa­ten waren mit einer Dele­ga­tion an den Ver­hand­lun­gen in Den Haag ver­tre­ten. Aus ihren State­ments ging klar her­vor, dass Israel mit sei­nem Krieg in Gaza das huma­ni­täre Völ­ker­recht und die Charta der Men­schen­rechte gleich mehr­fach bricht.

Für Schlag­zei­len sorg­ten ein­zig die Aus­füh­run­gen von Joshua Sim­mons, dem Ver­tre­ter der USA. Im Gegen­satz zu den ande­ren Sprecher:innen agierte er als Ver­tei­di­ger Isra­els und behaup­tete, dass das Ver­bie­ten und Behin­dern von UNRWA-Hilfs­ak­ti­vi­tä­ten auf­grund israe­li­scher Sicher­heits­be­dürf­nisse legi­tim sei und nicht gegen die Gen­fer Kon­ven­tion verstosse.

Eine etwas andere Per­spek­tive ver­trat der Dele­gierte aus der Schweiz, der in sei­nen Aus­füh­run­gen eben­falls auf die Sicher­heits­in­ter­es­sen von Israel ein­ging. Diese müss­ten jedoch im Rah­men des gel­ten­den Völ­ker­rechts gewährt wer­den, so die For­de­rung der Schweiz. Genauso, wie die Palä­sti­nen­ser das ihnen zuste­hende Selbst­be­stim­mungs­recht nur im Rah­men des gel­ten­den inter­na­tio­na­len Rechts ein­for­dern können.

Israel als Mit­glied der UNO und Besat­zungs­macht müsse mit sämt­li­chen UN-Orga­ni­sa­tio­nen koope­rie­ren auch mit der UNRWA. Diese spiele eine zen­trale Rolle in Gaza und habe mitt­ler­weile den Nach­weis erbracht, dass sie sich kon­form ver­halte, so das State­ment der Schweiz.

Der Schwei­zer Ver­tre­ter räumte jedoch ein, dass es durch­aus mög­li­che Frik­tio­nen zwi­schen der Tätig­keit der UNRWA und Isra­els Sicher­heits­be­dürf­nis gebe. In die­sen Fäl­len müsse gemein­sam mit der UNO nach Lösun­gen gesucht wer­den. Aus­nah­men zum gel­ten­den huma­ni­tä­ren Völ­ker­recht setz­ten vor­aus, dass der krieg­füh­rende Staat die Gefahr kon­kret benen­nen könne, dass diese Gefahr einen krie­ge­ri­schen Ein­griff legi­ti­miere und dass und es einen direk­ten Kau­sal­zu­sam­men­hang gebe zwi­schen dem Ein­griff und der Gewäh­rung von Sicherheit…

Die Anhö­run­gen vor dem IGH sind öffent­lich und wer­den gestreamt. Weil ich mir das Schwei­zer State­ment anhö­ren wollte, habe ich mich gestern Vor­mit­tag ins UN-WebTV eingeloggt.

Als erster Red­ner war der Ver­tre­ter Chi­nas an der Reihe. Er stellte gleich am Anfang klar: «China unter­stützt die gerechte Sache der Palä­sti­nen­ser.» Es folgte eine ein­drück­li­che Lek­tion über huma­ni­tä­res Völ­ker­recht, die Men­schen­rechte und die zen­trale Rolle der UNO, die rundum zu respek­tie­ren sei.

Ein Plä­doyer, wie aus einer Völ­ker­rechts­vor­le­sung, das ich so von China nicht erwar­tet hatte. Mit der kla­ren, auf inter­na­tio­na­les Recht gestütz­ten For­de­rung an Israel, die Kriegs­op­fer in Gaza zu unter­stüt­zen, statt ihnen Hilfe zu ver­weh­ren. Als UNO-Mit­glied deren Gesetze zu respek­tie­ren und der Fest­stel­lung: Mit der Blockade wie auch mit dem UNRWA-Ver­bot ver­letze Israel klar inter­na­tio­na­les Recht.

Ange­sichts der aktu­el­len Situa­tion drängte er auf ent­schie­de­nes Han­deln, damit nicht «die Säule der Zivi­li­sa­tion vor dem Gesetz des Dschun­gels zurück­weicht» und kam zum Schluss: «Nur wenn Fair­ness und Gerech­tig­keit durch Gesetze gewähr­lei­stet sind, kön­nen wir für die Mensch­heit eine gemein­same Zukunft aufbauen.»

Wäh­rend die Schweiz mit ihrem State­ment unüber­hör­bar darum bemüht war, ein­mal mehr «Neu­tra­li­tät» zu demon­strie­ren und Israel mit Samt­hand­schu­hen anzu­fas­sen, stell­ten sich die ande­ren Redner:innen an die­sem Vor­mit­tag des 2. Mai auf die Seite der Palästinenser:innen und for­der­ten laut und deut­lich ein Ende des Mor­dens. Der Spre­cher der Komo­ren, wie der Ver­tre­ter der Schweiz mit dezent roter Kra­watte und dunk­lem Anzug, trug über sei­nem Kit­tel gar eine Kufiya. Da staunt das Schwei­zer Diplomat:innenkorps…

Ich bin gespannt, wie das Gut­ach­ten des IGH aus­fal­len wird, nach all den Argu­men­ten, die Isra­els Kriegs­stra­te­gie scharf ver­ur­teil­ten. Das Fazit der Anhö­run­gen ist eigent­lich klar. Ob die Argu­mente des Ver­tre­ters der Komo­ren gleich gewich­tet wer­den wie die ame­ri­ka­ni­schen, wer­den wir bald erfah­ren. Bis dahin, und wahr­schein­lich bis zum jüng­sten Gericht wird Israel wei­ter machen, wenn es nicht bald mit schar­fen Sank­tio­nen belegt und zur Ver­nunft gezwun­gen wird.


Aktu­elle Mel­dung vom 3. Mai 2025 der Schwei­ze­ri­schen Depe­schen­agen­tur SDA:

https://​www​.blue​win​.ch/​e​n​/​n​e​w​s​/​i​n​t​e​r​n​a​t​i​o​n​a​l​/​u​s​a​-​a​n​d​-​i​s​r​a​e​l​-​w​a​n​t​-​t​o​-​b​y​p​a​s​s​-​h​a​m​a​s​-​i​n​-​d​e​l​i​v​e​r​i​n​g​-​a​i​d​-​t​o​-​g​a​z​a​-​2​6​77841.html

Zahl­rei­che Tote bei israe­li­schen Luftangriffen

Nach palä­sti­nen­si­schen Anga­ben sind bei israe­li­schen Luft­an­grif­fen im Gaza­strei­fen erneut meh­rere Men­schen getö­tet wor­den. Allein zehn Opfer – dar­un­ter auch Min­der­jäh­rige – wur­den gemel­det, als das Haus einer Fami­lie in Al-Bureij im Zen­trum des Gebiets getrof­fen wurde, wie das Per­so­nal des nahen gele­ge­nen Al-Aksa-Kran­ken­hau­ses in Deir al-Balah mit­teilte. Wei­tere sechs Palä­sti­nen­ser wur­den nach Anga­ben aus medi­zi­ni­schen Krei­sen bei einem israe­li­schen Angriff auf eine Sup­pen­kü­che in der Stadt Gaza getö­tet. Die Anga­ben konn­ten zunächst nicht veri­fi­ziert werden.

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