Bald sind es 30 Jahre, dass wieder Wölfe in der Schweiz gesichtet wurden. 2012 tappte im Calandagebiet (GR) ein Wolfswelpe in eine Fotofalle – der erste Nachweis einer Familiengründung in der Schweiz, seit der Wiedereinwanderung des europaweit geschützten Raubtiers.
Die Rückkehr der Wölfe in die Schweiz war von Anfang an hochumstritten. Diese Einwanderungsbewegung wurde denn auch nicht, wie etwa in Italien, proaktiv unterstützt. Trotzdem haben sich im Lauf der letzten 20 Jahre immer mehr Wolfsfamilien in unserem Land niedergelassen. Ein Gewinn für die Natur und das ökologische Gleichgewicht, sagen die einen, während andere den Wolf als Gefahr für Mensch und Nutztier verteufeln und alles daransetzen, ihn erneut auszurotten.
Fakt ist jedoch: Der Wolf ist ein geschütztes Tier und darf nicht geschossen werden. Ausnahmebewilligungen erteilte das Bundesamt für Umwelt BAFU während Jahren nur, wenn es sich um ein sogenanntes «Problemtier» handelte, das nachweislich wiederholt Nutztiere gerissen hat.
Mit der Zunahme der Anzahl Wölfe in der Schweiz, wuchs jedoch auch der Druck, diese unter Kontrolle zu halten. Der Entwurf eines neuen Jagdgesetzes hätte den Schutzstatus des Wolfs substantiell untergraben – in einem emotionalen Abstimmungskampf gelang es 2020, dies abzuwenden.
Mit Albert Rösti als Chef des Bundesamtes für Umwelt (aber nicht zuständig für das Bundesamtes für Landwirtschaft!) wendete sich dann aber das Blatt definitiv zuungunsten der Wölfe in der Schweiz. Was seither in Sachen Wolfsmanagement abgeht, ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie der Rechtsstaat von einem sogenannten Umweltminister, der seine Sporen als Milchwirtschafts- und Erdölinteressenvertreter abverdient hat, ausgehebelt werden kann.
Angefangen hat es damit, dass Rösti – entgegen aller ursprünglichen Bestrebungen und Vorgaben des BAFU – die Mindestzahl der für den Schutz des Wolfs notwendigen Rudel in der Schweiz von 20 auf 12 reduzierte. Worauf der langjährige eidgenössische Jagdinspektor Reinhard Schnidrig das Handtuch warf und in Frühpension ging.
Der Wildbiologe, der sich mit seinem Team stets für eine differenzierte, verhaltensbiologisch vertretbare «Regulation» der Wolfsbestände eingesetzt hatte, wollte offensichtlich die von Rösti neu dekretierte «präventiven Regulation» nicht mittragen, wonach ganze Wolfsfamilien ausgelöscht werden können, ohne dass sie auch nur einen einzigen Nutztier-Riss begangen haben.
Schnidrig ist nicht der einzige Experte, der das BAFU seit Röstis Amtsantritt verlassen hat. Die Gründe liegen auf der Hand: Der ehemalige SVP-Politiker foutiert sich um das Know-how der Fachleute in seinem Amt – was zählt ist einzig, was ihm politische Meriten bringt.
Es erstaunt denn auch nicht, dass man beim BAFU seit Monaten keinen neuen Jagdinspektor gefunden hat. Dies, obschon man laut Medienberichten für die Suche nach einer Nachfolge für Schnidrig schon über 86’000 Franken Steuergelder ausgegeben hat, nachdem die BAFU-intern aufgebaute Nachfolgerin Rösti offenbar nicht genehm war.
Derweil nimmt das Wolfsdrama seinen Lauf: Nachdem bereits im letzten Winter Dutzende von Wölfen zum «präventiven Abschuss» freigegeben worden waren, hat das BAFU aktuell die «Elimination» von sechs weiteren Wolfsfamilien sowie die Tötung von Welpen in einer Reihe weiterer Rudel bewilligt.
Ein Aufschrei ging letzte Woche durch die Medien, als bekannt wurde, dass das BAFU ausgerechnet die Wolfsfamilie, die sich letztes Jahr neu in und um den Nationalpark (!) angesiedelt hat, zum Abschuss frei gegeben hat. Dies, weil im Sommer auf einer Alpweide im angrenzenden Unterengadin zwei Rinder gerissen worden seien.
Ein Skandal, zumal bisherige Abklärungen darauf hinweisen, dass zumindest eines der Tiere von einer Wölfin getötet wurde, die nicht mehr Teil des Rudels ist. Trotzdem hat das BAFU, auf Antrag des Amts für Jagd und Fischerei Graubünden, das Todesurteil für das gesamte Rudel unterzeichnet.
Fachlich fundierte Stellungnahmen, wie etwa jene der «Forschungskommission des Schweizerischen Nationalparks», die festhält, dass das Wolfsrudel ein wichtiger Teil des Nationalpark-Ökosystems geworden sei und fordert, dies bei der Interessenabwägung entsprechend zu berücksichtigen, wurden in den Wind geschlagen.
Statt die Wolfsfamilie im Nationalpark auszulöschen, wo laut Gesetz der Mensch nicht eingreifen dürfte, so die Kommission, sollen bloss jene Tiere, welche die Risse begangen hätten, getötet werden.
Für eine solch differenzierte Herangehensweise scheint man beim BAFU kein Verständnis mehr zu haben. Oder getrauen sich die noch verbliebenen Beamt:innen unter Röstis Fuchtel einfach nicht?
Nachdem nämlich das BAFU Anfang September drei von vier Anträgen für die Auslöschung von Wolfsrudeln im Wallis abgelehnt hatte, intervenierte Departementchef Rösti – wohlgemerkt nach einer Aussprache mit den Walliser Behörden – und sorgte dafür, dass dieser Entscheid rückgängig gemacht wurde.
Ein weiteres frappantes Beispiel für die hemdsärmlige Politik von Bundesrat Rösti, der nicht nur Expertenwissen in den Wind schlägt, sondern auch nicht davor zurückschreckt, die demokratisch beschlossenen und bewährten Mitwirkungsverfahren ad absurdum zu führen.