Geldgier zerstört die Stadt

Die Zeit, als Normalsterbliche sich ein Haus in der Stadt Zürich leis­ten konn­ten, ist längst Geschichte. Die meis­ten Liegenschaften wech­seln mitt­ler­wei­le auch im eins­ti­gen Aussenquartier Oerlikon die Hand zu Millionenpreisen. Gekauft wer­den sie von pro­fit­ori­en­tier­ten Immobilienhaien, wel­che die vor­han­de­ne Bausubstanz zu Bauschutt machen.

Plattwalzen und Ersatzneubau, heisst ihre Devise. Um aus den teu­er bezahl­ten Grundstücken die höchst­mög­li­che Rendite her­aus­zu­ho­len, set­zen die Investoren auf Eigentums- und Mietwohnungen im Hochpreissegment. Neuerdings auch im in den 1920er Jahren gegrün­de­ten Birchdörfli.

Das leben­di­ge Gartenstadtquartier, angren­zend an Oerlikon in Zürich-Affoltern,  ist sogar im Verzeichnis der erhal­tens­wer­ten Ortsbilder auf­ge­führt. Dies hin­der­te die Stadt jedoch nicht dar­an, die­se Siedlung der städ­ti­schen Verdichtungsstrategie zu unter­wer­fen und die Aufzonung um ein Stockwerk zu erlau­ben. Schon bald wur­den bei der ers­ten Liegenschaft in die­sem Quartier, die einem Investor ver­hö­kert wur­de, Bauprofile auf­ge­stellt, die deut­lich mach­ten, was die neu erlaub­te Gebäudehöhe bedeu­tet. Und dann kamen die Bagger: Ein Dominoeffekt war die Folge.

Birchdörfli 50/52 – Juli 2023

Mittlerweile droht das eins­ti­ge Biotop zu einer Dauerbaustelle zu mutie­ren. Mit sicht- und spür­ba­ren Folgen für die Nachbarschaft. So wur­de auch der Werkplatz des alt­ein­ge­ses­se­nen Baugeschäfts Lanfranconi platt­ge­walzt und bereit­ge­macht für ein quar­tier­frem­des Bauprojekt: Zwei vier­stö­cki­ge Wohnblöcke mit Eigentumswohnungen für Gutbetuchte.

©ALOS Immo AG / bnar­chi­tects GmbH

Die Visualisierung zeigt, dass die Baukubaturen das Grundstück bis auf den letz­ten Quadratzentimeter aus­rei­zen. Raum für Bäume und gros­se Gärten, wie sie im Birchdörfli dazu­ge­hör­ten, sucht man im Verkaufsprospekt ver­geb­lich. Die 18 Luxus-Eigentumswohnungen wer­den mit dem Etikett «Stadtvillen» zu Preisen ver­mark­tet, dass sich die Alteingesessenen im Quartier nur noch die Augen reiben.

So kos­tet etwa die 2,5‑Zimmerwohnung im Erdgeschoss mit einer Fläche von 65.4 Quadratmetern glat­te 1,23 Millionen CHF – die Attikawohnung mit einer beschei­de­nen Fläche von 137.8 Quadratmeter  gibt es für 2,82 Millionen. Laut Webseite des Vermarkters ist bereits vor Baubeginn über die Hälfte der Wohnungen reserviert.

Solche Profitaussichten dürf­ten wei­te­re Liegenschaftsbesitzer:innen dazu ver­füh­ren, ihr Haus und Garten an den Meistbietenden zu ver­scha­chern. Zumal das Quartier mit jedem der­ar­ti­gen Neubau und Zuzüger:innen, die nichts mit der gewach­se­nen Struktur am Hut haben, an Attraktivität ver­liert und lang­sam stirbt.

Ein paar Strassen wei­ter, das nächs­te Beispiel: Vor ein paar Wochen stan­den plötz­lich auf dem Grundstück an der Regensbergstrasse 156 die Unheil ankün­di­gen­den Bauprofile. Es ist schwer zu ver­ste­hen, dass die­ses gut erhal­te­ne Haus mit dem cha­rak­te­ris­ti­schen Giebeldach, den grü­nen Fensterläden und dem gepfleg­ten Garten eben­falls dem Abbruchhammer zum Opfer fal­len soll.

Regensbergstrasse 156 / August 2023

Der Abriss einer sol­chen Liegenschaft steht in kras­sem Widerspruch zu den aktu­el­len Erkenntnissen über not­wen­di­ge Massnahmen in Anbetracht der Klimafrage. Sanierungen von Gebäuden sei­en dem­nach dem Abriss und Ersatzneubauten vor­zu­zie­hen. Kommt hin­zu, dass es sich bei die­ser Liegenschaft um einen quar­tier­prä­gen­den Zeugen sei­ner Zeit han­delt, der mit einer sanf­ten Renovation pro­blem­los fit gemacht wer­den könn­te für die Zukunft.

Aber die Bauherrschaft hat ande­res im Sinn.  Auch die­se Liegenschaft befin­det sich in den Klauen eines Immobilienunternehmens, das mit Erhalt und Sanierung nichts am Hut hat. Gekauft hat es die Forleo Immobilien und Entwicklungs AG. Deren Mitbesitzer und Geschäftsführer ist ein mit allen Wassern gewa­sche­ner Player der Immobilienbranche und kein unbe­schrie­be­nes Blatt: Jürg Bircher, Ex-Präsident des EHC Kloten, wur­de im Januar 2021 wegen Urkundenfälschung, Betrug und unge­treu­er Geschäftsbesorgung zu einer teil­be­ding­ten Freiheitsstrafe von 30 Monaten ver­ur­teilt, von denen er 6 Monate absit­zen musste.

Die NZZ cha­rak­te­ri­sier­te das Gebaren des Immobilienunternehmers wäh­rend sei­ner Zeit als Kloten-Präsident wie folgt: «Stolz zeig­te der Immobilienunternehmer bei Amtsantritt sein Holding-Konstrukt mit zig Tochterfirmen, dar­un­ter die Kloten Flyers. Jenes Konstrukt, in wel­chem er, wie man heu­te weiss, Geld ’rezy­klier­te’, indem er es zwi­schen Firmen hin- und her­schob, um Solvenz vorzutäuschen.»

Dieser Mann hat mit einer sei­ner Firmen nun also die Regensbergstrasse 156 gekauft. Und will auf dem Grundstück in einem Quartier mit noch vor­han­de­ner Gründerzeitidentität einen vier­stö­cki­gen Wohnbunker bau­en. Für die Architektur zeich­nen Gabathuler und Partner aus Winterthur verantwortlich.

©FORLEO AG / Gabathuler 1 Partner Architekten AG

Laut Baugesuch sol­len auf dem 1170 Quadratmeter gros­sen Grundstück 15 Wohnungen sowie eine Tiefgarage mit 13 Auto- und vier Motorradparkplätzen gebaut wer­den. Das Projekt reiht sich ein in die lan­ge Liste von Renditebauten in Oerlikon, die Schritt für Schritt die gewach­se­nen Quartiere über­wu­chern und verunstalten.

Nicht zuletzt, weil auch die ehe­ma­li­gen Gärten – bis­he­ri­ge Grünräume, auf denen sich die Neubauten aus­deh­nen – ver­sie­gelt wer­den und ver­lo­ren sind. Bis auf ein paar Grünstreifen, flan­kiert von mick­ri­gen Alibi-Bäumen, wenn es die Renditevorstellungen erlau­ben. Das alles in Zeiten der Klimaänderung und des stadt­rät­li­chen Geschwurbels, man wol­le die Stadt fit für die Hitzezukunft machen.

 

Hilfswerkspenden und Atomstrom

Bunte Bilder, gros­se Kinderaugen, her­zi­ge Geschichten – die Entwicklungsorganisation Helvetas weiss, wie man Menschen berührt. Das hat im Geschäftsjahr 2022 über 40 Millionen Schweizer Franken ein­ge­bracht. Überwiesen von Spenderinnen und Spendern, die mit ihrem Geld Helvetas’ Engagement für die Ärmsten die­ser Welt unterstützen.

Ein beacht­li­cher Betrag – der aller­dings gera­de mal einem Viertel der Gesamteinnahmen von Helvetas ent­spricht, wie dem neu­es­ten Jahresbericht zu ent­neh­men ist. Längst hat sich die eins­ti­ge von ihren Mitgliedern und Unterstützer:innen getra­ge­ne Wohltätigkeitsorganisation zu einem NGO-Konzern gemau­sert, der im Geschäft mit Entwicklung und Armut ganz vor­ne mit­mischt. Das Unternehmen ist so erfolg­reich, dass es mitt­ler­wei­le über Tochtergesellschaften in den USA und in Deutschland ver­fügt. Was einst als «Hilfe für die Ärmsten» begon­nen hat, ist zum Business gewor­den. Heute ver­kauft Helvetas sei­ne Dienstleistungen für teu­res Geld an UN-Organisationen, Staaten und Unternehmen.

Helvetas agiert dort, wo Elend herrscht und west­li­che Hilfsorganisationen mit- und gegen­ein­an­der ihre Fäden zie­hen. Die agi­le PR-Abteilung am Hauptsitz in Zürich ope­riert nach dem Motto «tue Gutes und lass die Medien dar­über berichten».

So war es nicht wei­ter erstaun­lich, dass nach dem Putsch in Niger Ende Juli 2023 der Helvetas-Mitarbeiter Bétou Bizou aus Niamey auf Schweizer Kanälen qua­si flä­chen­de­ckend sei­ne Einschätzungen zur Situation vor Ort ver­brei­ten durfte.

Laut der Helvetas-Website unter­hält das Entwicklungsunternehmen in Niger ein Landesprogramm mit Schwerpunkt Wasser und Hygiene, das durch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA mit­fi­nan­ziert wird. Wo und was genau für Projekte Helvetas in Niger umsetzt und wie­vie­le Mittel dort inves­tiert wer­den, ist online genau­so wenig in Erfahrung zu brin­gen, wie die genaue Funktion des gelern­ten Soziologen Bétou Bizou.

Man darf jedoch davon aus­ge­hen, dass das Engagement von Helvetas in eine ähn­li­che Richtung zielt wie jenes von wei­te­ren Schweizer Entwicklungsorganisationen, die eben­falls in Niger tätig sind, etwa Swisscontact oder Swissaid.

Niger ist eines der ärms­ten Länder der Welt. Die Menschen lei­den seit Jahren unter extre­mer Trockenheit, Misswirtschaft, Gewalt und poli­ti­scher Instabilität. Die ehe­ma­li­ge fran­zö­si­sche Kolonie ist gleich­zei­tig Sorgen- wie auch Lieblingskind der west­li­chen (auch der schwei­ze­ri­schen) Entwicklungspolitik. Seit sich die Nachbarländer Mali und Burkina Faso vom Westen abge­wandt haben, blieb – bis zum Putsch vom Juli – Niger als letz­te Bastion mit einer «demo­kra­tisch gewähl­ten» Regierung.

Die DEZA ist mit einem eige­nen Kooperationsbüro in Niger prä­sent. Im Sommer 2022 stat­te­te der dama­li­ge Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis dem armen west­afri­ka­ni­schen Land einen Blitzbesuch ab – in Begleitung der Schweizer Illustrierten.

In sel­te­ner Offenheit tat er damals kund, wo das Hauptinteresse der Schweiz für die Unterstützung eines der ärms­ten Länder die­ser Welt lie­ge: «Niger ist ent­schei­dend für die Stabilität Afrikas, aber auch für Europa», lässt sich Cassis in der SI zitie­ren. «Migranten aus Staaten wie Mali, Burkina Faso oder Nigeria durch­que­ren das Land, um nach Libyen zu kom­men und von dort das Mittelmeer zu über­que­ren. Darum möch­ten wir die Beziehungen zu Niger stärken.»

Mit ande­ren Worten: Die Hilfsgelder, die nach Niger flies­sen, sind Teil einer poli­ti­schen Strategie und ein Druckmittel, um die Regierung von Niger zur Kooperation bei der «Eindämmung der Migrationsströme» zu zwin­gen. Doch die Interessen des Westens gehen noch weiter:

Dank der Berichterstattung in der Nachfolge des Putschs vom Juli ken­nen wir mitt­ler­wei­le wei­te­re Gründe, wes­halb Niger so wich­tig ist für den Westen. So war zuvor kaum jeman­dem bekannt, dass nebst fran­zö­si­schen auch deut­sche Soldaten in Niger sta­tio­niert sind, und die USA dort eine Militärbasis unterhalten.

Niger gehört näm­lich zu den welt­weit wich­tigs­ten Uranlieferanten. Das Geschäft mit dem umwelt- und gesund­heits­schä­di­gen­den Erzabbau wird bis heu­te von Frankreich aus gelenkt. Und dient in ers­ter Linie der fran­zö­si­schen Atomwirtschaft.

Da schliesst sich der Kreis- – Zurück zu Helvetas: Diesen Sommer haben Schweizer Energieunternehmen mit Frankreich erneut einen Vertrag unter­zeich­net, wonach die Schweiz jähr­lich bis zu 1500 Gigawattstunden bil­li­gen Strom aus Frankreich bezie­hen kann. Atomstrom, der seit Jahrzehnten und auch in Zukunft mit Uran aus Niger pro­du­ziert wird. Vorausgesetzt, das Land bleibt abhän­gig vom Westen und den west­li­chen Bergbaukonzernen, die dafür sor­gen, dass der ato­ma­re Brennstoff nach Frankreich gelie­fert wird.

Die von Akteuren wie Helvetas und der DEZA orga­ni­sier­te Stabilität in Niger hat letzt­end­lich zum Ziel, dass hier­zu­lan­de wei­ter­hin der sta­bi­le Bezug von bil­li­gem Atomstrom gesi­chert ist. Die Entsorgung der Abfälle über­las­sen wir gross­zü­gig den Franzosen. Lieber spen­den wir für die Armen in Niger, auf dass wei­ter­hin Uran für unse­ren Wohlstand geför­dert werde.

Feuer und Fluten

Videoschaltung mit­ten ins Geschehen: Die bri­ti­sche Touristin berich­tet in den BBC-News live aus ihrem Hotelzimmer auf Rhodos. Zwei Tage nach der Landung auf der Ferieninsel, sei es aus gewe­sen mit Strandplausch und Entspannung. Hitze, Rauch, das Feuer.…

Während rund­um eva­ku­iert wird, müs­sen sie und ihre Familie vor­läu­fig im Hotelzimmer aus­har­ren. Sie füh­le sich sicher, beru­higt die Frau den mit­füh­len­den BBC-Redaktor im fer­nen Studio. Im Hintergrund ein Teenager im Bett, der auf sei­nem Smartphone herumdrückt.

Die Familie hof­fe, bald einen Flieger zurück nach England bestei­gen zu kön­nen, sagt die Touristin und der Anchorman wünscht mit aus­drucks­star­ker Empathie good luck.

In einem wei­te­ren News-Beitrag aus der Rubrik «Wir schaf­fen Zuschauer:innen-Nutzen» wird die Reaktion der Reiseveranstalter und Airlines auf die Situation abge­ru­fen. TUI fliegt vor­erst kei­ne Tourist:innen nach Rhodos, wäh­rend British Airways alle Tourismusflüchtlinge gra­tis heimbefördert.

Die Zeitung BLICK zitiert die Swiss Airlines: Keine Veranlassung, Rhodos-Flüge ein­zu­stel­len. Dem Vernehmen nach soll im Norden der Insel nach wie vor unver­rauch­tes Ferienmachen mög­lich sein.

Menschenrecht Urlaub – das lässt sich der Homo Turisticus nicht und von nie­man­dem ver­dries­sen! Schliesslich hat man es sich hart ver­dient, mit all der Arbeit, dem Stress jahr­ein, jahraus.

Waldbrände wegen Klimaerwärmung? – Reine Panikmache, sagen vie­le. Andere geben sich durch­aus besorgt und zäh­len auf, was sie im Alltag so alles tun, gegen die Klimakrise: Man isst weni­ger Fleisch als frü­her, inves­tiert in eine Wärmepumpe fürs Einfamilienhaus oder fährt einen Tesla… Bei so viel Achtsamkeit für die Umwelt darf man getrost wie gewohnt Ferien machen.

Ob mit dem Camper durch den Gotthard oder mit dem Flugzeug auf die Inseln – jetzt ist wie­der Mobilität à dis­cre­ti­on ange­sagt. Denn alles, was wir uns wün­schen ist ja:

Ein biss­chen Frieden, ein biss­chen Sonne
Für die­se Erde, auf der wir wohnen.
Ein biss­chen Frieden, ein biss­chen Freude,
Ein biss­chen Wärme, das gönn’ ich mir.

Das wird aller­dings immer schwie­ri­ger. Weil die Katastrophe auch vor ver­meint­li­chen Paradiesen nicht Halt macht. Schon allein die Hitze – über 40 Grad in man­chen Mittelmeerdestinationen – dürf­te den Feriengenuss dras­tisch schmä­lern. Wo es wegen Feuer oder Fluten zur Vertreibung aus dem «Paradies» kommt, hat der Spass end­gül­tig ein Ende.

Die Verwüstungen in Italien, Kanada oder Griechenland sind nur die aktu­el­len Spitzenereignisse, die es in unse­re Medien schaf­fen. Der Mangel an Wasser, die immer dras­ti­scher wer­den­den Unwetter – wir alle erle­ben bereits heu­te immer stär­ker die längst vor­aus­ge­sag­ten Auswirkungen der Klimakrise. Dabei ist das Leiden der glück­lo­sen Tourist:innen, die durch ihr Verhalten die­se Katastrophen zusätz­lich beför­dern, noch das kleins­te Übel…

Die Rhodos-Tourist:innen ent­kom­men dem Inferno per Flugzeug. Daheim, in ihrem «myhomeis­my­cast­le» wer­den sie sich, sobald der Schreck über­wun­den ist, bald an die Planung der nächs­ten Ferien machen und einen Flug in eine ver­meint­lich unver­sehr­te Feriendestination buchen. Ungerührt der Tatsache, dass sie dadurch – natür­lich bloss im Promillebereich – zu den nächs­ten Katastrophen bei­tra­gen. Schliesslich soll unbe­dingt nach­ge­holt wer­den, was man auf Rhodos ver­passt hat.

Währenddessen müs­sen die Menschen, die in den von Feuern und Unwettern zer­stör­ten Regionen leben, mit der Katastrophe zurecht­kom­men. Und es wer­den immer mehr…

Angesichts der aktu­el­len Entwicklungen braucht es kei­ne hell­se­he­ri­schen Fähigkeiten, um vor­aus­zu­sa­gen, dass es zuse­hends schwie­ri­ger wer­den dürf­te, sich in «Ferienparadiesen» den Realitäten der Klimakrise zu entziehen.

Wenigstens kriegt man vor­der­hand dank Reiseversicherung das Geld für die ver­dor­be­nen Ferien zurück – oder steht etwa neu­er­dings etwas ande­res im Kleingedruckten?

WOZ-Abo – das war’s

Heute ist der 1. Mai und ich habe soeben mein WOZ-Abo gekün­digt. Damit kommt eine jah­re­lan­ge Beziehung zu einem trau­ri­gen Ende. Was habe ich für die­se Zeitung gewor­ben, Freund:innen und Neffen mit Probeabos ange­fixt, immer wie­der zitiert, gelobt, ver­tei­digt – und ja, auch ab und an für sie geschrieben…

Natürlich war und bin ich nicht immer mit allem ein­ver­stan­den, was in der WOZ steht. Trotzdem bin ich dabei geblie­ben, aus der Überzeugung, dass WOZ-Journalist:innen ihr Handwerk beherr­schen und sich an den Standards eines pro­fes­sio­nel­len und fak­ten­ba­sier­ten Recherchejournalismus orientieren. 

Leider ist die­se Überzeugung in den letz­ten Jahren immer öfter ins Wanken gera­ten. Strapaziert wur­de sie etwa mit dem salop­pen Etiketten-Schimpfwort «Coronaleugner:innen», das all jenen, die auch nur lei­se Kritik an der Schweizer Corona-Politik wag­ten, ver­passt wur­de. Inbegriffen die Unterstellung eines Rechtsdralls und dem Hang zu Verschwörungstheorien.

Immer öfter neh­men WOZ-Schreibende für sich in Anspruch, die ein­zig­wah­re Wahrheit links der poli­ti­schen Mitte zu ver­tre­ten. Das ist nicht nur anmas­send, son­dern auch lang­wei­lig und dumm. Guter Journalismus heisst näm­lich, dass sich der Leser, die Leserin auf­grund recher­chier­ter Informationen sel­ber eine Meinung bil­den kann.

Die WOZ gebär­det sich aber lie­ber als hel­ve­ti­sche Prawda im Taschenformat. Insbesondere, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht: Argumente und Bestrebungen für Verhandlungen und ein bald­mög­lichs­tes Ende der Kampfhandlungen haben in der Wochenzeitung kei­nen Platz. Einheitsfront heisst das seit je im lin­ken Vokabular. Wer sich also nicht ein­reiht unter die Waffenforderer:innen zur «Unterstützung der Ukraine» und zur «Verteidigung unse­rer west­li­chen Werte», wird nie­der­ge­schrien und mit Häme über­gos­sen. Ein beson­ders häss­li­ches Beispiel war etwa im Februar die unsäg­li­che Diffamierung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, die sich erlaubt haben, eine Friedensdemo in Berlin zu organisieren.

In der jüngs­ten Ausgabe brei­tet die WOZ-Reporterin Anna Jikhareva, auf einer Doppelseite aus­ge­walzt, eine Schimpftirade gegen all jene Linken aus, die nicht in die main­strea­mi­ge Kriegs- und Waffenlogik ein­stim­men wol­len. Und kommt zum Schluss: «Die Gräben, die sich im letz­ten Jahr auf­ge­tan haben, wer­den sich so schnell nicht zuschüt­ten las­sen. Das wür­de nicht nur ein Zuhören und Wissenwollen vor­aus­set­zen, son­dern auch eine ehr­li­che Auseinandersetzung mit lin­ker Gewaltgeschichte und ihrer Symbolik, einen Abschied von alten Feindbildern und beque­men Gewissheiten.»

Nun, aus pazi­fis­ti­scher Sicht muss man, bei einer ehr­li­chen Auseinandersetzung mit Gewaltgeschichte, zu einem ande­ren Schluss kom­men: Wahr ist, dass Links und Pazifismus per se kei­ne Synonyme sind. Und dass es in Bezug auf Waffen und Krieg gera­de in der Linken schon immer Debatten, Streit und Fraktionsbildung gege­ben hat. Das ist heu­te nicht anders als vor 100 Jahren.

Umso wich­ti­ger wären gegen­sei­ti­ges Zuhören, Wissenwollen und Debattieren. Genau das haben aber Anna Jikhareva und ihre Kollegen von der WOZ-Redaktion anläss­lich einer Podiumsdiskussion am Vorabend des 1. Mai ver­hin­dert: Anlässlich der Vernissage zum jüngs­ten WIDERSPRUCH-Heft mit dem Titel «Ukraine, Krieg, lin­ke Positionen» kamen sie, um zu stören.

Statt zuzu­hö­ren und sich ein­zu­brin­gen, hat die WOZ-Redaktionsdelegation mit thea­tra­lisch zur Schau gestell­ter Herablassung und aggres­si­ven Interventionen eine kon­struk­ti­ve Diskussion im Keim erstickt.

Statements vom Podium quit­tier­ten sie mit Grinsen,  per­ma­nen­tem Getuschel und halb­lau­ten Kommentaren. Dies, und ihr stän­di­ges Herumspielen auf den Smartphones stör­te und ärger­te jene, die gekom­men waren, um sich ernst­haft mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Daran hat­ten die anwe­sen­den WOZ-«Journalist:innen» null Interesse – wozu auch: Ihre eige­ne Meinung ist längst gemacht, sie steht Woche für Woche im Blatt. Andere Positionen und Argumente woll­ten sie gar nicht hören. Im Gegenteil: Mit halt­lo­sen Vorwürfen und Verzerrungen ver­such­ten sie, die neue Ausgabe des WIDERSPRUCH niederzumachen.

So nicht, lie­be WOZ. Nachdem ich ges­tern Abend gese­hen habe, wie ihr «arbei­tet», gibt es für mich nur eins: Ich kün­di­ge mein Abo per sofort. Und wer­de mich künf­tig damit begnü­gen, monat­lich den «Monde diplo­ma­tique» zu lesen – ein Format, das ein paar Nummern grös­ser ist als die Wochenzeitung.

Tüüfels-Chile statt Ostermarsch

Ostermontag – ein strah­len­der Frühlingstag. Wir machen uns auf den Weg zum Bahnhof. Für uns ist die­ses Jahr der Ostermarsch in Bern kein Thema. Weil er dies­mal defi­ni­tiv kein Marsch für den Frieden im Geiste der Ostermarsch-Tradition ist. Leider.

Schon im Februar hat­te das Organisationskomitee rund um die GSoA mit ihrem Altersdirigenten Jo Lang die «Schweizerische Friedensbewegung» (SFB) von der Teilnahme am dies­jäh­ri­gen Ostermarsch aus­ge­schlos­sen. Ohne vor­he­ri­ge Diskussion oder Anhörung – ein­fach, weil die kon­se­quent pazi­fis­ti­sche Haltung der SFB dem Friedens-Zentralkomitee nicht in den Kram passte.

Im Unterschied zu den aktu­ell regie­ren­den Ostermarsch-Organisatoren sagt die Schweizerische Friedensbewegung mit aller Deutlichkeit «JA zur Neutralität, NEIN zur Annäherung an die NATO!» und for­dert kon­flikt­lö­sen­de Friedensverhandlungen statt Sanktionen.

Bereits anläss­lich des letzt­jäh­ri­gen Ostermarsches hat­te ein Teil der GSoA – unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine – Grundpfeiler des Pazifismus wie die kate­go­ri­sche Ablehnung von Waffenlieferungen jeg­li­cher Art, infra­ge gestellt. Jo Lang und sein Umfeld pro­pa­gie­ren seit­her ein «poli­tisch-prag­ma­ti­sches Vorgehen», das eine Verwässerung der Pazifismus-Idee bis zur Unkenntlichkeit zur Folge hat.

Mit der «Schweizerischen Friedensbewegung» hat das Ostermarsch-Komitee aus­ge­rech­net jene Organisation kalt­ge­stellt, die seit den Anfängen der Ostermarschbewegung in den 1960er Jahren nicht nur aktiv an allen Ostermärschen teil­ge­nom­men hat, son­dern die­se auch mit­trug und wesent­lich mitprägte.

Es erstaunt des­halb nicht, dass die­ses Jahr mit rund 500 Mitmarschierenden nur gera­de die Hälfte der letzt­jäh­ri­gen Teilnehmenden erreicht wer­den konn­te. Statt wie frü­her von blau-weis­sen Friedenstaubenplakaten beglei­tet, sind auf den Fotos bloss uni­for­me Peace-Regenbogenfahnen im Umzug aus­zu­ma­chen. Organisationen und Transparente, wel­che die Sanktionen der Schweiz gegen Russland aus guten Gründen infra­ge stel­len und vom Diktat der Organisatoren abwi­chen, wur­den kur­zer­hand ausgegrenzt. 

Damit hat das Ostermarsch-Komitee die Friedensbewegung gleich dop­pelt ver­ra­ten: Das Aufgeben einer kon­se­quent pazi­fis­ti­schen Haltung wird zum neu­en Programm, Vielfalt zu Einfalt.

Ganz anders die Bilder vom dies­jäh­ri­gen Ostermarsch in Berlin: Dort wur­de nie­mand aus­ge­schlos­sen, und die Stossrichtung der Kundgebung war klar: Gegen Kriegstreiber und Waffenlieferanten – Engagement für Frieden und Aussöhnung.

Obschon Medien und Politiker:innen die von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initi­ier­te frü­he­re Friedenskundgebung mit der Forderung nach einem Stopp von Waffenlieferung uni­so­no ver­teu­fel­ten, haben dop­pelt so vie­le Menschen wie im Vorjahr am Berliner Ostermarsch teil­ge­nom­men. Im Fokus der Redner:innen stan­den die Kritik der kapi­ta­lis­ti­schen Verhältnisse, die Notwendigkeit gesell­schaft­li­cher Utopie und Solidarität mit den Leidtragenden des Krieges auf bei­den Seiten der Front.

In Bern weist nichts dar­auf hin, dass  Jo Lang und sei­ne Mitrednerinnen sich zu Waffenlieferungen an die Ukraine geäus­sert hät­ten. Vielmehr wie­der­hol­te er sein Mantra, wonach «Putin ohne die Abermillionen aus der Schweiz sei­ne Kriegskasse nicht hät­te fül­len können».

In eine ukrai­ni­sche Fahne gehüllt hat­te der GSoA Gründervater Lang anläss­lich der schwach besuch­ten «Friedenskundgebung» vom 22. Februar die­ses Jahres in Bern die Waffenfrage bereits ähn­lich ele­gant umschifft.

GSoA ist bekannt­lich die Abkürzung für Gruppe Schweiz ohne Armee. Es scheint, dass wir jetzt zur Kenntnis neh­men müs­sen, dass es offen­bar einer Zusatzbezeichnung bedarf:  «GUmA/GSoA – Gruppe für eine Ukraine mit Armee und eine Schweiz ohne Armee».

Diese (ver­strit­te­ne) Gruppe kann uns nicht mehr mobi­li­sie­ren. Wir zie­hen es vor, sol­chen «Friedensdemonstrationen» fern­zu­blei­ben, die von eini­gen Wenigen für ihre pri­vat­po­li­ti­schen Zwecke instru­men­ta­li­siert werden.

Deshalb sind wir am Ostermontag nicht in Bern mar­schiert, son­dern zur Tüüfels-Chile bei Kollbrunn und wei­ter berg­auf. Nach einem wun­der­ba­ren Tag sind wir hei­ter und beschwingt nach Hause zurück­ge­kehrt. Unsere Wut auf die GSoA (und den Rest des Schweizer Ostermarschkomitees) haben wir beim Tüüfel depo­niert. Heimgenommen haben wir hin­ge­gen Mut und Lust, wei­ter­hin auf eige­nen Wegen für den Frieden zu marschieren.

 

 

 

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