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GABRIELA NEUHAUS

35 Zeilen zum Lauf der Welt

35 ZEILEN ZUM LAUF DER WELT

Der Wolf im Fadenkreuz

Bald sind es 30 Jahre, dass wie­der Wölfe in der Schweiz gesich­tet wur­den. 2012 tappte im Calan­da­ge­biet (GR) ein Wolfs­welpe in eine Foto­falle – der erste Nach­weis einer Fami­li­en­grün­dung in der Schweiz, seit der Wie­der­ein­wan­de­rung des euro­pa­weit geschütz­ten Raubtiers.

Die Rück­kehr der Wölfe in die Schweiz war von Anfang an hoch­um­strit­ten. Diese Ein­wan­de­rungs­be­we­gung wurde denn auch nicht, wie etwa in Ita­lien, pro­ak­tiv unter­stützt. Trotz­dem haben sich im Lauf der letz­ten 20 Jahre immer mehr Wolfs­fa­mi­lien in unse­rem Land nie­der­ge­las­sen. Ein Gewinn für die Natur und das öko­lo­gi­sche Gleich­ge­wicht, sagen die einen, wäh­rend andere den Wolf als Gefahr für Mensch und Nutz­tier ver­teu­feln und alles dar­an­set­zen, ihn erneut auszurotten.

Fakt ist jedoch: Der Wolf ist ein geschütz­tes Tier und darf nicht geschos­sen wer­den. Aus­nah­me­be­wil­li­gun­gen erteilte das Bun­des­amt für Umwelt BAFU wäh­rend Jah­ren nur, wenn es sich um ein soge­nann­tes «Pro­blem­tier» han­delte, das nach­weis­lich wie­der­holt Nutz­tiere geris­sen hat.

Mit der Zunahme der Anzahl Wölfe in der Schweiz, wuchs jedoch auch der Druck, diese unter Kon­trolle zu hal­ten. Der Ent­wurf eines neuen Jagd­ge­set­zes hätte den Schutz­sta­tus des Wolfs sub­stan­ti­ell unter­gra­ben – in einem emo­tio­na­len Abstim­mungs­kampf gelang es 2020, dies abzuwenden.

Mit Albert Rösti als Chef des Bun­des­am­tes für Umwelt (aber nicht zustän­dig für das Bun­des­am­tes für Land­wirt­schaft!) wen­dete sich dann aber das Blatt defi­ni­tiv zuun­gun­sten der Wölfe in der Schweiz. Was seit­her in Sachen Wolfs­ma­nage­ment abgeht, ist ein erschrecken­des Bei­spiel dafür, wie der Rechts­staat von einem soge­nann­ten Umwelt­mi­ni­ster, der seine Spo­ren als Milch­wirt­schafts- und Erd­öl­in­ter­es­sen­ver­tre­ter abver­dient hat, aus­ge­he­belt wer­den kann.

Ange­fan­gen hat es damit, dass Rösti – ent­ge­gen aller ursprüng­li­chen Bestre­bun­gen und Vor­ga­ben des BAFU – die Min­dest­zahl der für den Schutz des Wolfs not­wen­di­gen Rudel in der Schweiz von 20 auf 12 redu­zierte. Wor­auf der lang­jäh­rige eid­ge­nös­si­sche Jagd­in­spek­tor Rein­hard Schni­drig das Hand­tuch warf und in Früh­pen­sion ging.

Der Wild­bio­loge, der sich mit sei­nem Team stets für eine dif­fe­ren­zierte, ver­hal­tens­bio­lo­gisch ver­tret­bare «Regu­la­tion» der Wolfs­be­stände ein­ge­setzt hatte, wollte offen­sicht­lich die von Rösti neu dekre­tierte «prä­ven­ti­ven Regu­la­tion» nicht mit­tra­gen, wonach ganze Wolfs­fa­mi­lien aus­ge­löscht wer­den kön­nen, ohne dass sie auch nur einen ein­zi­gen Nutz­tier-Riss began­gen haben.

Schni­drig ist nicht der ein­zige Experte, der das BAFU seit Röstis Amts­an­tritt ver­las­sen hat. Die Gründe lie­gen auf der Hand: Der ehe­ma­lige SVP-Poli­ti­ker fou­tiert sich um das Know-how der Fach­leute in sei­nem Amt – was zählt ist ein­zig, was ihm poli­ti­sche Meri­ten bringt.

Es erstaunt denn auch nicht, dass man beim BAFU seit Mona­ten kei­nen neuen Jagd­in­spek­tor gefun­den hat. Dies, obschon man laut Medi­en­be­rich­ten für die Suche nach einer Nach­folge für Schni­drig schon über 86’000 Fran­ken Steu­er­gel­der aus­ge­ge­ben hat, nach­dem die BAFU-intern auf­ge­baute Nach­fol­ge­rin Rösti offen­bar nicht genehm war.

Der­weil nimmt das Wolfs­drama sei­nen Lauf: Nach­dem bereits im letz­ten Win­ter Dut­zende von Wöl­fen zum «prä­ven­ti­ven Abschuss» frei­ge­ge­ben wor­den waren, hat das BAFU aktu­ell die «Eli­mi­na­tion» von sechs wei­te­ren Wolfs­fa­mi­lien sowie die Tötung von Wel­pen in einer Reihe wei­te­rer Rudel bewilligt.

Ein Auf­schrei ging letzte Woche durch die Medien, als bekannt wurde, dass das BAFU aus­ge­rech­net die Wolfs­fa­mi­lie, die sich letz­tes Jahr neu in und um den Natio­nal­park (!) ange­sie­delt hat, zum Abschuss frei gege­ben hat. Dies, weil im Som­mer auf einer Alp­weide im angren­zen­den Unter­enga­din zwei Rin­der geris­sen wor­den seien.

Ein Skan­dal, zumal bis­he­rige Abklä­run­gen dar­auf hin­wei­sen, dass zumin­dest eines der Tiere von einer Wöl­fin getö­tet wurde, die nicht mehr Teil des Rudels ist. Trotz­dem hat das BAFU, auf Antrag des Amts für Jagd und Fische­rei Grau­bün­den, das Todes­ur­teil für das gesamte Rudel unterzeichnet.

Fach­lich fun­dierte Stel­lung­nah­men, wie etwa jene der «For­schungs­kom­mis­sion des Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­parks», die fest­hält, dass das Wolfs­ru­del ein wich­ti­ger Teil des Natio­nal­park-Öko­sy­stems gewor­den sei und for­dert, dies bei der Inter­es­sen­ab­wä­gung ent­spre­chend zu berück­sich­ti­gen, wur­den in den Wind geschlagen.

Statt die Wolfs­fa­mi­lie im Natio­nal­park aus­zu­lö­schen, wo laut Gesetz der Mensch nicht ein­grei­fen dürfte, so die Kom­mis­sion, sol­len bloss jene Tiere, wel­che die Risse began­gen hät­ten, getö­tet werden.

Für eine solch dif­fe­ren­zierte Her­an­ge­hens­weise scheint man beim BAFU kein Ver­ständ­nis mehr zu haben. Oder getrauen sich die noch ver­blie­be­nen Beamt:innen unter Röstis Fuch­tel ein­fach nicht?

Nach­dem näm­lich das BAFU Anfang Sep­tem­ber drei von vier Anträ­gen für die Aus­lö­schung von Wolfs­ru­deln im Wal­lis abge­lehnt hatte, inter­ve­nierte Depar­te­ment­chef Rösti – wohl­ge­merkt nach einer Aus­spra­che mit den Wal­li­ser Behör­den – und sorgte dafür, dass die­ser Ent­scheid rück­gän­gig gemacht wurde.

Ein wei­te­res frap­pan­tes Bei­spiel für die hemds­ärm­lige Poli­tik von Bun­des­rat Rösti, der nicht nur Exper­ten­wis­sen in den Wind schlägt, son­dern auch nicht davor zurück­schreckt, die demo­kra­tisch beschlos­se­nen und bewähr­ten Mit­wir­kungs­ver­fah­ren ad absur­dum zu führen.

Verkehrspolitik von vorgestern – STOPP der Verschleuderung von Steuergeld!

Die Ver­an­ke­rung der Bio­di­ver­si­tät in der Ver­fas­sung ist vom Tisch. Die Schlag­wort­kam­pa­gne der ver­ein­ten Bau­ern, Bau- und Strom­wirt­schaft hat das von ihr her­bei­ge­wünschte Abstim­mungs­er­geb­nis erzielt.

Und schon folgt der näch­ste Streich der schlag­kräf­ti­gen Wirt­schafts- und Wachs­tums­lobby. Nur zwei Tage nach dem gewon­ne­nen Abstim­mungs­kampf lädt sie ins Medi­en­zen­trum des Bun­des­hau­ses nach Bern: Auf zur näch­sten Wort- und Bilderschlacht!

Mit einem Gross­auf­ge­bot von sie­ben Natio­nal- und Ständerät:innen der Par­teien Die Mitte, FDP und SVP will uns das Komi­tee «JA zur Siche­rung der Natio­nal­stras­sen» ein­re­den, dass wir am 24. Novem­ber sechs Auto­bahn-Aus­bau­pro­jekte bewil­li­gen sol­len. Kosten­punkt 5,3 Mil­li­ar­den Franken.

Schon der Name des Komi­tees ist grund­falsch: Unsere bestehen­den Natio­nal­stras­sen sind gesi­chert. Sie wer­den nach Schwei­zer Qua­li­täts­stan­dard unter­hal­ten und repa­riert. Ja, sie gehö­ren sogar zu den am besten unter­hal­te­nen, sicher­sten Stras­sen der Welt!

Das hat auch sei­nen Preis: Allein den betrieb­li­chen Unter­halt der Auto­bah­nen las­sen wir uns jähr­lich gegen 400 Mil­lio­nen Fran­ken kosten – dazu gehö­ren Arbei­ten wie die Rei­ni­gung, der Win­ter­dienst oder die Betriebs- und Sicher­heits­aus­rü­stun­gen für die zahl­rei­chen Tun­nels hierzulande.

Hinzu kom­men Kosten in Mil­li­ar­den­höhe, die wir jähr­lich für not­wen­dige Sanie­rungs­ar­bei­ten der bestehen­den Auto­bah­nen aus­ge­ben. Dies alles ist unbe­strit­ten und gehört zur unab­ding­ba­ren, wich­ti­gen Siche­rung unse­rer Natio­nal­stras­sen. Dass diese Aus­ga­ben im Par­la­ment durch­ge­winkt wer­den, ist jeweils so sicher wie das Amen in der Kir­che. Doch das scheint der bür­ger­lich gelenk­ten Mehr­heit in Bun­des­bern nicht zu genügen.

Um was es dem Komi­tee tat­säch­lich geht, ist näm­lich etwas ganz ande­res als die «Siche­rung» unse­rer Auto­bah­nen: Was seine Mit­glie­der wol­len, ist eine zusätz­li­che Erwei­te­rung der Auto­bahn­ka­pa­zi­tä­ten – ein unnö­ti­ger und schäd­li­cher Luxus.

Kon­kret han­delt es sich um sechs Pro­jekte, die alle lokal äus­serst umstrit­ten sind. Trotz­dem haben Bun­des­rat und Par­la­ment 2023 die Aus­bau­pro­jekte und den dafür not­wen­di­gen Bau­kre­dit ver­ab­schie­det. Auf Par­la­ments­ebene hat die Auto-Lobby bereits gewonnen. 

Im Zen­trum steht dabei das alte, viel­fach wider­legte und trotz­dem immer wie­der wie­der­holte Argu­ment, dass durch die Erwei­te­rung von Stras­sen­ka­pa­zi­tä­ten Stau ver­min­dert und ver­hin­dert wer­den könne. Dazu der Mobi­li­täts­for­scher Tho­mas Sau­ter-Ser­vaes in einem Inter­view mit dem Mobi­lity-Maga­zin: «Es ist bedau­er­lich, dass wir das alte Leit­bild des heu­ti­gen Ver­kehrs­sy­stems in die Zukunft beto­nie­ren. Es gibt in der Mobi­li­tät ein Sprich­wort, das die Wis­sen­schaft immer wie­der bestä­tigt hat: Wer Auto­bah­nen sät, wird Ver­kehr ernten.»

Es ist abso­lut unver­ständ­lich, dass in der heu­ti­gen Zeit, wo der Schutz unse­res Kli­mas, die drin­gend not­wen­dige Reduk­tion der Treib­stoff­emis­sio­nen und eine Reduk­tion nament­lich des moto­ri­sier­ten Indi­vi­du­al­ver­kehrs ganz oben auf der Agenda ste­hen müss­ten, eine Mehr­heit unse­rer Parlamentarier:innen immer noch den Stras­sen­bau vor­an­trei­ben will.

Eigent­lich wäre es nichts weni­ger als ein Zei­chen der Ver­nunft, ange­sichts der klam­men Bun­des­fi­nan­zen die geplan­ten Kapa­zi­täts­er­wei­te­run­gen bei den Auto­bah­nen ein­fach mal zu sistie­ren: Statt wie aktu­ell vor­ge­se­hen durch Strei­chung von Sozi­al­lei­stun­gen, Ent­wick­lungs­bei­trä­gen oder Inve­sti­tio­nen in Kli­ma­mass­nah­men 4,4 Mil­li­ar­den vom Bun­des­bud­get abzu­schrän­zen, könnte das Loch in der Bun­des­kasse mit den Auto­bahn-Aus­bau-Mil­li­ar­den in beacht­li­chem Mass ver­rin­gert werden.

Statt­des­sen läu­tet das JA-Komi­tee, mit tat­kräf­ti­ger Unter­stüt­zung von UVEK-Bun­des­rat Albert Rösti eine Abstim­mungs­kam­pa­gne ein, die – wie schon bei der Bio­di­ver­si­täts-Initia­tive erprobt– nicht vor Angst­ma­che­rei, Lügen und der Unter­schla­gung von Fak­ten zurückschreckt.

So pro­gno­sti­ziert das Bun­des­amt für Stras­sen ASTRA etwa, dass der volks­wirt­schaft­li­che Nut­zen des geplan­ten Auto­bahn­aus­baus jähr­lich 184 Mil­lio­nen betra­gen würde. Aller­dings basie­ren diese Berech­nun­gen auf einer ver­al­te­ten und fal­schen Berech­nungs­me­thode aus dem Jahr 2009. Nach der neuen Norm, die in der Pra­xis – aus­ser beim Bund – längst ange­wandt wird, würde der so errech­nete «Gewinn» um fast 70 Pro­zent schrump­fen. Das ASTRA hält jedoch an sei­nen alten Zah­len fest – mit dem lach­haf­ten Hin­weis, auf Bun­des­ebene trete die neue Norm erst nach der Abstim­mung in Kraft.

Auch sonst glänzt das ASTRA (wie gewohnt) mit zen­tra­li­sti­scher Arro­ganz gegen­über regio­na­len und loka­len Bedürf­nis­sen und Intrans­pa­renz, ganz wie es den Auto­bahn­fans im Depar­te­ment Rösti gefällt. Ein schla­gen­des Bei­spiel ist die Pla­nung der soge­nann­ten «Eng­pass­be­sei­ti­gung Auto­bahn N4, Schaff­hau­sen», wo der Stadt durch den geplan­ten Aus­bau des Fäsen­berg­tun­nels und dem damit ver­bun­de­nen neuen Auto­bahn­an­schluss Mut­zen­täli uner­wünsch­ter Mehr­ver­kehr und eine mas­sive Beein­träch­ti­gung des Orts­bil­des droht.

Die Oppo­si­tion gegen die­ses Mam­mut­pro­jekt – bud­ge­tierte Bau­ko­sten 473 Mil­lio­nen, Bau­zeit 8,5 Jahre – kämpft in der IG Fäsenstaub gegen die­ses Pro­jekt – und fol­ge­rich­tig auch für ein NEIN am 24. November.

Ihre Argu­mente und Ein­wände erhal­ten neu­er­dings zusätz­li­chen Auf­wind durch eine Unter­su­chung, die von der Schaff­hau­ser Stadt­re­gie­rung in Auf­trag gege­ben wurde: In ihrer Stu­die kom­men die Exper­ten­bü­ros Basler&Hofmann und Van de Wete­ring Städ­te­bau zum Schluss, das ASTRA-Pro­jekt weise «äus­serst schwie­rige räum­li­che Ein­griffe auf», die Aus­wir­kun­gen des mas­si­ven Aus­baus der Ver­kehrs­in­fra­struk­tur auf die Stadt­ent­wick­lung seien nicht berück­sich­tigt und wür­den sich sogar nega­tiv auf die regio­nale Wirt­schaft auswirken.

Das Fazit der Exper­ten ist unmiss­ver­ständ­lich: «Diese Ein­sei­tig­keit des Pro­jekts in der heu­ti­gen Zeit ist frap­pant und unter­schei­det sich von ver­gleich­ba­ren, stadt­na­hen Auto­bahn­pla­nun­gen in der Schweiz. Gleich­zei­tig wur­den viele neue Erkennt­nisse und Anfor­de­run­gen nicht berücksichtigt.»

Jeg­li­che Ver­su­che von Sei­ten der Stadt­re­gie­rung, mit dem ASTRA Ver­bes­se­run­gen des Pro­jekts zu dis­ku­tie­ren, sind bis­lang geschei­tert. Mehr noch: Die ursprüng­lich für 2023 geplante öffent­li­che Plan­auf­lage des Pro­jekts wurde wie­der­holt ver­scho­ben. Sie soll – welch ein Zufall – erst nach der Abstim­mung vom 24. Novem­ber stattfinden. 

Auch das ist nicht neu: UVEK-Chef Rösti erkennt man an sei­nem Stil, immer wie­der ent­schei­dende Unter­la­gen, Details und Fak­ten unter Ver­schluss zu hal­ten, auf dass sie sei­nem gewünsch­ten Abstim­mungs­re­sul­tat nicht in die Quere kom­men. So gesche­hen bereits beim Strom­ge­setz wie auch bei der Biodiversitäts-Initiative.

Noch blei­ben zwei Monate Zeit bis zur Abstim­mung. Sor­gen wir dafür, dass wir es dies­mal schaf­fen, die Auto­bahn-Mil­li­ar­den mit­hilfe von Fak­ten und den rich­ti­gen Zah­len aus den Klauen der Auto­bahn­frak­tion zu befreien – auf dass die 5,3 Mil­li­ar­den Fran­ken sinn­vol­ler und gewinn­brin­gend ein­ge­setzt wer­den können!

Demokratie oder Demokratur?

Am Tag nach der wuch­ti­gen Ableh­nung der Bio­di­ver­si­täts-Initia­tive schwanke ich zwi­schen Unver­ständ­nis, Rat­lo­sig­keit und Wut.

Ich ver­stehe nicht, wes­halb eine aus­ge­wo­gen und zurück­hal­tend for­mu­lierte Initia­tive, die nichts ande­res zum Ziel hatte, als die Lebens­grund­la­gen in unse­rem Land lang­fri­stig zu schüt­zen und zu sichern, so hef­tig bekämpft und schliess­lich bachab geschickt wurde.

An vor­der­ster Front kämpfte aus­ge­rech­net ein Gross­teil jener Bevöl­ke­rungs­gruppe dage­gen, die für sich in Anspruch nimmt, einen beson­de­ren Bezug zur Natur in unse­rem Land zu haben. Land­wirte und Bäue­rin­nen. So auch im Ent­le­buch und Emmental.

Schon auf dem Dorf­platz im luzer­ni­schen Wig­gen, wo wir aus dem Post­auto aus­stei­gen, sind die die ersten Nein-Pla­kate pro­mi­nent plat­ziert: Die Bio­di­ver­si­täts-Initia­tive gefährde unsere Strom­ver­sor­gung… Ganz klein rechts oben in der Ecke steht: «Mit künst­li­cher Intel­li­genz hergestellt».

Der son­nige Herbst­tag stimmt ver­söhn­lich – wir sagen dem ärger­li­chen Pla­kat tschüss und tau­chen ein in die herbst­li­che Land­schaft. Der Weg führt durch einen lau­schi­gen Wald steil hin­auf, bald öff­net sich der Blick. Auf den noch saf­ti­gen Mat­ten wei­den Kühe, Glocken­ge­läut – heile Schwei­zer Vor­al­pen­welt wie aus dem Schulbuch.

Am Rande der Vieh­wei­den nicht zu über­se­hen auf weis­sen, ecki­gen Pfo­sten Pro­pa­gan­da­sprü­che der Land­wirt­schafts­lobby. Kurze Sätze, die erklä­ren, dass blu­men­rei­che Wie­sen nicht unbe­dingt opti­ma­les Tier­fut­ter her­ge­ben und dass Bäue­rin­nen und Bau­ern mit der Tier­wirt­schaft ein Ein­kom­men erwirt­schaf­ten müs­sen. Wer mehr wis­sen will, kann sich per QR-Code auf der ent­spre­chen­den Web­site des Schwei­zer Bau­ern­ver­bands weiterbilden.

Beleh­run­gen für doofe, grün ange­hauchte Städ­te­rin­nen, wie sie zum Welt­bild von Bau­ern­prä­si­dent Mar­kus Rit­ter und sei­ner Lands­knechte pas­sen. Damit nicht genug. Jeder zweite Bau­ern­hof mit Gera­nien auf den Fen­ster­bän­ken ist mit einem gros­sen roten NEIN-Pla­kat ver­un­stal­tet. Sogar die Hunde bel­len unver­kenn­bar NEIN.

Nur an den Bio-Bau­ern­hö­fen ist keine Pro­pa­ganda zu fin­den. Keine roten NEIN-Tafeln, aber auch keine JA-zur Bio­di­ver­si­tät-Bie­nen­po­ster. Zufall oder Angst vor dem Feu­er­teu­fel im Dorf?

Vor einem mit bun­ter Blu­men­pracht geschmück­ten Bau­ern­haus kom­men wir mit der freund­li­chen Bäue­rin ins Gespräch. Sie gräbt gerade ein Beet um – umge­ben von einem Para­dies der Bio­di­ver­si­tät. Beim Wei­ter­ge­hen stelle ich erleich­tert fest, dass auch an ihrem Haus kein rotes Trans­pa­rent hängt…

Ob und wie sie am letz­ten Sonn­tag gestimmt hat, weiss ich aller­dings nicht. Fakt ist, dass der Anteil an Nein-Stim­men in ihrer Gemeinde im Emmen­tal über 90 Pro­zent lag. Ein fast nord­ko­rea­nisch anmu­ten­des Resul­tat, das zu einem gros­sen Teil der Pro­pa­ganda des Schwei­zer Bau­ern­ver­bands geschul­det ist.

Auch am Tag nach dem ver­hee­ren­den Abstim­mungs­re­sul­tat bläst Bau­ern­ver­bands­prä­si­dent und Chef­ideo­loge Mar­kus Rit­ter erneut ins glei­che Horn. Unwi­der­spro­chen behaup­tet er im Tages­ge­spräch auf SRF 1, seine Bau­ern seien beschei­den und wür­den nichts (!) for­dern und for­derte im glei­chen Atem­zug die Umwelt­ver­bände zu «gemäs­sig­te­rem Ver­hal­ten» auf.

Rit­ter weiss geschickt jede Platt­form zu nut­zen. Sein selbst­ge­fäl­li­ges Gerede von den sich auf­op­fern­den, hart arbei­ten­den und so stark gefor­der­ten Bau­ern scheint immer noch zu ver­fan­gen. Das Zün­deln gegen Städter:innen oder die Wis­sen­schaft ver­brei­tet sich nicht nur in den sozia­len Medien, wo «grüne Gut­men­schen» und «linke Welt­ver­bes­se­rer» mit mar­ki­gen Wor­ten abge­straft werden.

Der Ver­dacht besteht, dass eine Mehr­zahl der Nein-Stim­men­den vom letz­ten Wochen­ende den Text der Initia­tive gar nie gele­sen haben. Ver­un­si­chert und ver­führt durch die fak­ten­wid­rige Angst- Kam­pa­gne leg­ten sie ihr Veto ein gegen eine Sache, die sie bei nüch­ter­ner Betrach­tung wohl unter­stützt hät­ten. Allen voran die Land­wir­tin­nen und Land­wirte, die alles Inter­esse haben müss­ten, an einem wir­kungs­vol­len Schutz der Biodiversität.

Beson­ders stos­send dabei ist die Tat­sa­che, dass aus den von uns allen steu­er­fi­nan­zier­ten Sub­ven­tio­nen für die Land­wirt­schaft letzt­lich und indi­rekt auch diese Kam­pa­gne der Bau­ern­ver­bände gegen die Bio­di­ver­si­täts­in­itia­tive finan­ziert wurde – auf dass wir wei­ter­hin die Fehl­ent­wick­lun­gen in der Land­wirt­schaft mit Sub­ven­tio­nen unterstützen.

Wohl­ge­merkt: Der Erhalt und die Stär­kung einer öko­lo­gi­schen Land­wirt­schaft, die uns einen mög­lichst hohen Grad an Selbst­ver­sor­gung mit regio­na­len, sai­so­na­len, nach­hal­tig pro­du­zier­ten Lebens­mit­teln erlaubt, ist zu för­dern. Dafür braucht es aber drin­gend eine Über­ar­bei­tung der Sub­ven­ti­ons­pra­xis: Von den 2,8 Mil­li­ar­den Fran­ken Direkt­zah­lun­gen, die Bäue­rin­nen und Bau­ern jähr­lich mit viel büro­kra­ti­schem Auf­wand erhal­ten, fliesst aktu­ell zuviel Geld in Fehl­an­reize und Pro­duk­ti­ons­len­kun­gen, die der Bio­di­ver­si­tät und einer nach­hal­ti­gen Land­wirt­schaft schaden.

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