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Kranke Arbeitswelt

In Spa­nien ist die Jugend­ar­beits­lo­sig­keit mitt­ler­weile auf fast 50 Pro­zent gestie­gen. In der Schweiz waren es, laut dem Staats­se­kre­ta­riat für Wirt­schaft SECO, im Dezem­ber 2011 gerade mal 3,4%. Kaum der Rede wert, im Ver­gleich mit der Not in ande­ren Län­dern. Immer­hin sind es aber auch hier­zu­lande 20’000 junge Men­schen, denen der Ein­stieg in ein so genannt nor­ma­les Erwerbs­le­ben ver­wehrt bleibt. Mit allen wirt­schaft­li­chen und sozia­len Fol­gen, die ein Aus­sen-vor-Blei­ben mit sich bringt. 

Aller­dings lei­den heute auch viele, die – wie es so schön heisst – in die Arbeits­welt inte­griert sind. Weil der Druck in den letz­ten Jah­ren enorm zuge­nom­men hat. Der­mas­sen, dass sich manch einer fragt, ob die Arbeit den Men­schen und ihrem Aus­kom­men diene, oder umgekehrt.

Eine vom SECO in Auf­trag gege­bene Stress­stu­die aus dem Jahr 2010 stellt fest, dass sich gut ein Drit­tel aller Erwerbs­tä­ti­gen in der Schweiz chro­nisch gestresst fühlt – deut­lich mehr, als noch vor zehn Jah­ren. Im Gespräch mit Men­schen aus allen Bran­chen bestä­tigt sich die­ser Trend: Ob Ver­käu­fe­rin im Coop, Redak­tor einer gros­sen Tages­zei­tung oder Kran­ken­schwe­ster im Akut­spi­tal – sie alle bekla­gen sich über ähn­li­che Phänomene.

Näm­lich dar­über, dass man ihnen nicht nur stets wach­sen­den Out­put abver­langt, son­dern auch grös­sere Fle­xi­bi­li­tät, bei gleich­zei­ti­gem Rück­gang von Selbst­be­stim­mung und Mit­ge­stal­tung im Betrieb. Kein Wun­der, dass unter sol­chen Umstän­den Arbeit zuneh­mend als Last emp­fun­den wird, die auch krank macht.

Die­sem Miss­stand will die Arbeit­neh­mer­or­ga­ni­sa­tion Tra­vail Suisse mit ihrer Initia­tive «Sechs Wochen Ferien für alle» Gegen­steuer geben. Ein berech­tig­tes Anlie­gen, nicht zuletzt ange­sichts der Tat­sa­che, dass die Kader­leute in vie­len Betrie­ben bereits heute in den Genuss von sechs Wochen Ferien kom­men, wäh­rend sich ihre Unter­ge­be­nen mit vier bis maxi­mal fünf Wochen begnü­gen müssen.

Die Behaup­tung der Initia­tiv-Geg­ner, dass sich die Schwei­zer Wirt­schaft die zusätz­li­chen Feri­en­wo­chen für Arbei­te­rIn­nen und Ange­stellte nicht lei­sten könne, erscheint vor die­sem Hin­ter­grund dop­pelt ver­lo­gen: Aktu­ell gewährt man ja gerade jenen mit den höch­sten Gehäl­tern die läng­sten Ferien.

Dass es auch anders geht, zeigt das Bei­spiel einer Thur­gauer Drucke­rei, die im Echo der Zeit vom 17. Januar por­trä­tiert wor­den ist: Alle Mit­glie­der der rund 50köpfigen Beleg­schaft kom­men glei­cher­mas­sen in den Genuss von sechs Wochen Ferien – bei guten Löh­nen und ohne zusätz­li­che Kosten für den Betrieb. Weil die Mit­ar­bei­te­rIn­nen durch die sechs Wochen moti­vier­ter und zudem bereit seien, auch mal mehr zu lei­sten, wenn es denn sein müsse, wie der Geschäfts­füh­rer betont: «Es ist ein Geben und ein Neh­men in einer sol­chen Partnerschaft.»

Faire Part­ner­schaft lässt sich lei­der nicht per Gesetz ver­ord­nen. Des­halb die Initia­tive für die sechs Wochen Ferien. Damit aller­dings das Ganze nicht blosse Sym­ptom­be­kämp­fung bleibt, braucht es mehr, als ein paar Tage Zusatz­er­ho­lung für die Aus­ge­power­ten eines zuneh­mend men­schen­feind­li­chen Systems.

Parallelwelten

Treff­punkt HB Zürich, 13 Uhr. Die Sonne scheint und es ist warm. Zu warm für die Jah­res­zeit. Aus den Häu­sern gelockt vom schö­nen Wet­ter und der Aus­sicht auf ein Schnäpp­chen im Aus­ver­kauf, wäl­zen sich Men­schen­mas­sen durch die Bahn­hofstrasse. Wir las­sen uns mit­t­rei­ben und ent­schwe­ben, in unser Gespräch ver­tieft, bald in andere Sphären. 

Fast ein Jahr lang hat­ten wir kaum Kon­takt, wie meist, wenn sie im Aus­land auf Mis­sion ist. Umso mehr gibt es jetzt zu erzäh­len und zu erfah­ren. Schon bald ent­füh­ren mich ihre Schil­de­run­gen von der Stadt, in der sie jetzt lebt, in eine völ­lig andere Welt.

Beni, im Nord­osten der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo an der Grenze zu Uganda gele­gen, dürfte etwa gleich gross sein wie Zürich. Damit enden aber bereits die Par­al­le­len. Kein elek­tri­scher Strom, keine städ­ti­sche Was­ser­ver­sor­gung, kaum geteerte Stras­sen. Die mei­sten Men­schen leben in ein­fa­chen, klei­nen Häu­sern mit Dächern aus Well­blech oder Stroh.

Der All­tag ist geprägt von Unsi­cher­heit und Angst. Seit Jah­ren schwelt hier ein Bür­ger­krieg, Men­schen wer­den aus ihren Dör­fern ver­trie­ben, regel­mäs­sig kommt es zu Gewalt­aus­brü­chen, Ver­ge­wal­ti­gun­gen, Mor­den… Des­halb sind in und um Beni UNO-Trup­pen und huma­ni­täre Orga­ni­sa­tio­nen mit einer statt­li­chen Anzahl von Per­so­nal im Ein­satz. Zu ihnen gehört auch meine viel­spra­chige und welt­erfah­rene Freundin.

Sie teilt Büro und Unter­kunft mit einem Kol­le­gen aus Indien und einem Grie­chen. In ihrer Frei­zeit trifft sie sich aber gerne mit Men­schen, die nicht nur Vor­bei­zie­hende sind, son­dern seit Jah­ren in der Region leben. Wie die Fran­zö­sin, die bereits für ver­schie­dene Hilfs­werke im Ein­satz war und Land und Leute bestens kennt. Oder der Inge­nieur, eben­falls aus Europa ein­ge­wan­dert und heute einer der weni­gen Bau­un­ter­neh­mer in Nord-Kivu.

Zu ihren lieb­sten Freun­den gehört auch eine Gruppe von Grie­chin­nen und Grie­chen, die in den 1960er Jah­ren vor der Mili­tär­dik­ta­tur geflüch­tet sind und sich im Kongo eine neue Exi­stenz auf­ge­baut haben. Einst hat­ten sie nebst einer ortho­do­xen Kir­che sogar eine eigene Schule. Diese Zei­ten sind längst vor­bei – doch einige von ihnen sind bis heute geblieben.

Auch bei der Arbeit trifft die Dele­gierte der huma­ni­tä­ren Orga­ni­sa­tion Men­schen aus aller Welt. Wäh­rend die mei­sten ihrer direk­ten Mit­ar­bei­te­rIn­nen aus dem Kongo stam­men, kann sie bei den Sol­da­ten der UN-Frie­dens­trup­pen unter ande­rem ihr Nepali und Spa­nisch auf­fri­schen. Auf­gabe der mili­tä­ri­schen und huma­ni­tä­ren Hel­fe­rin­nen und Hel­fer ist es, die Situa­tion für die Men­schen in die­sem vom Rest der Welt kaum wahr­ge­nom­me­nen Kon­flikt zu ver­bes­sern. Unter schwie­ri­gen Bedin­gun­gen, und allzu oft auch mit frag­wür­di­gen Metho­den. Die inter­na­tio­nale Nah­rungs­mit­tel­hilfe für die Ver­trie­be­nen, zum Bei­spiel, habe dazu geführt, sagt meine Freun­din, dass in einer der frucht­bar­sten Regio­nen der Welt kaum mehr Lebens­mit­tel ange­baut würden.

Wäh­rend wir über den Para­de­platz Rich­tung Bel­le­vue schlen­dern, erwähnt sie schliess­lich noch die mas­si­ven Bud­get­kür­zun­gen, die sie als Lei­te­rin des Büros in Beni in den näch­sten Mona­ten umset­zen muss. Die Spar­mass­nah­men, die von der Zen­trale gefor­dert wer­den, haben zur Folge, dass ganze Pro­jekte auf­ge­ge­ben wer­den müs­sen, bei ande­ren wird keine kon­ti­nu­ier­li­che Betreu­ung mehr mög­lich sein.

Abschiedsgeschenk

Ein neues Jahr, ein neuer Job. Beat Waber, bis Ende 2011 Lei­ter der Bun­des­haus­re­dak­tion der NZZ, ist neu Stabs­mit­ar­bei­ter im Bun­des­amt für Berufs­bil­dung und Tech­no­lo­gie. Ein wei­te­rer Kol­lege, der sei­nen Jour­na­li­sten­be­ruf an den Nagel hängt und damit die Seite wech­selt. Nicht ohne Neid meint ein Noch-Zei­tungs­re­dak­tor: «Dort wird er bestimmt ein Mehr­fa­ches sei­nes bis­he­ri­gen Salärs kassieren.» 

Auch wenn es viel­leicht nicht gerade das Mehr­fa­che ist, steht fest, dass ein Stabs­mit­ar­bei­ter in der Ver­wal­tung deut­lich mehr ver­dient, als ein NZZ-Redak­tor. In weni­gen Beru­fen klaf­fen Anfor­de­rungs­pro­fil und Ent­löh­nung der­mas­sen aus­ein­an­der, wie im Journalismus.

Doch dies ist nicht der ein­zige Grund, wes­halb sich immer mehr und gerade die guten Leute aus die­sem Métier ver­ab­schie­den. Die Nischen, in denen fun­dierte jour­na­li­sti­sche Arbeit gefragt, ja über­haupt noch mög­lich ist, wer­den immer enger. Das hat struk­tu­relle Gründe, aber nicht nur.

Just in jener Aus­gabe der NZZ, in der sein Abgang ange­kün­digt und seine bis­he­rige Arbeit ver­dankt wer­den, hat uns Beat Waber eine glas­klare Ana­lyse der aktu­el­len Medien-Misere gelie­fert – man kann davon aus­ge­hen, dass das kein Zufall ist.

In sei­nem Arti­kel «Die ‚vierte Gewalt’ und ihre Schwä­chen» zeigt er auf, wie sehr sich die Medien hier­zu­lande von Inter­es­sen­ver­tre­tern mani­pu­lie­ren las­sen und wes­halb «Spar­druck und das Kräfte-Ungleich­ge­wicht zwi­schen Pro­pa­ganda auf der einen und Fast-Food-Jour­na­lis­mus auf der ande­ren Seite» nicht alles erklä­ren: «Selbst­kri­tisch muss man zuge­ben, dass die Medien ihre Stel­lung auch sel­ber schwä­chen. (…) Es gibt viel ober­fläch­li­che Bes­ser­wis­se­rei, aber einen ekla­tan­ten Man­gel an qua­li­fi­zier­tem Hinterfragen.»

Mit sel­ten gele­se­ner Offen­heit the­ma­ti­siert der schei­dende Bun­des­haus­re­dak­tor das Ver­hält­nis zwi­schen Poli­ti­ke­rIn­nen und Medien und wirft Letz­te­ren vor, dass sie sich allzu leicht instru­men­ta­li­sie­ren las­sen: «Der Man­gel an Kon­ti­nui­tät und Tie­fen­schärfe in der Recher­ché und an geleb­ter Unab­hän­gig­keit liegt nicht nur an feh­len­den Res­sour­cen, son­dern hat auch mit Bequem­lich­keit zu tun.»

Hef­tig kri­ti­siert er die dar­aus resul­tie­rende Hal­tung vie­ler Jour­na­li­stIn­nen: «Die offene Gesell­schaft erfor­dert auch Offen­heit im jour­na­li­sti­schen Zugang, ein Den­ken in Optio­nen statt Ideo­lo­gien, Skep­sis gegen­über jedem abso­lu­ten Wahr­heits­an­spruch. Die Funk­tion des kri­ti­schen Beob­ach­ters ver­trägt keine Kum­pa­nei und schon gar keine Ver­mi­schung mit der Rolle des poli­ti­schen (oder auch wirt­schaft­li­chen) Akteurs.»

Beim Schrei­ben die­ser Zei­len muss Beat Waber auch – viel­leicht sogar ins­be­son­dere – an seine eige­nen Vor­ge­setz­ten gedacht haben. Bekannt­lich ver­such­ten sich sowohl NZZ-Chef­re­dak­tor Mar­kus Spill­mann wie Inland­chef René Zel­ler in den letz­ten Mona­ten als Steig­bü­gel­hal­ter von SVP-Expo­nen­ten. Zum Glück mit mehr Eifer als Erfolg.

Mar­kus Häf­li­ger, der neue NZZ-Redak­ti­ons­lei­ter im Bun­des­haus, hat sich mit ähn­li­chem par­tei­po­li­ti­schem Eifer in sei­nen bis­he­ri­gen Arti­keln für den Job emp­foh­len. Mit ihm dürfte die Inland­be­richt­erstat­tung der neuen Zür­cher Zei­tung wei­ter von der, vom Ex-NZZ-Redak­tor Beat Waber gefor­der­ten, jour­na­li­sti­schen Unab­hän­gig­keit in die Polit­pro­pa­ganda abdriften.

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