Gefährdete Ernte

«Gemüse und Toma­ten wäh­rend der Trocken­zeit – das ist ein Rie­sen­fort­schritt für Aweil!», klärt mich Ange­lina auf, als ich ihr erzähle, dass mir am Vor­tag ein Bauer wun­der­schöne Toma­ten geschenkt hat. Sie kommt aus einem Dorf in der Nähe von Aweil und arbei­tet als Dorf-Ani­ma­to­rin für eine Ent­wick­lungs­or­ga­ni­sa­tion. Ihr Enga­ge­ment für die Men­schen im Nor­den des Süd­su­dans, ihr Wis­sen über Tra­di­tio­nen, Lebens­be­din­gun­gen und Schick­sale hier, hel­fen der Frem­den, die schwie­ri­gen Ver­hält­nisse zumin­dest ein wenig zu verstehen…

Frü­her hät­ten sich die Men­schen wäh­rend der trocke­nen Win­ter­mo­nate ein­zig von Getreide, Erd­nüs­sen und getrock­ne­tem Fisch ernährt. Die Äcker wur­den nur wäh­rend der Regen­zeit bestellt. Erst seit ein paar Jah­ren wür­den Bäue­rin­nen und Bau­ern Gär­ten und Fel­der bewäs­sern, um auch wäh­rend der regen­lo­sen Win­ter­mo­na­ten eine kleine Ernte einzufahren.

Diese ist aller­dings hart erkämpft und gefähr­det: Der aus­ge­mer­gelte Boden muss gelockert und mit Vieh­dung genährt wer­den. Ohne mehr­ma­li­ges Wäs­sern jeden Tag ver­dur­sten die Pflan­zen. Vor allem aber kla­gen viele Bau­ern über kleine Insek­ten, die Toma­ten und Okra befal­len. Sie wis­sen nicht, wie sie bekämp­fen. Insek­ti­zide kön­nen sie sich nicht leisten.

Doch eine Lösung muss her, soll die leise Hoff­nun­gen auf eine Ver­bes­se­rung der Ernäh­rungs­si­tua­tion nicht gleich wie­der zer­rin­nen. Viel­leicht hilft eine Inter­net-Recher­ché wei­ter? Es muss doch auch für afri­ka­ni­sche Klein­bau­ern öko­lo­gisch und öko­no­misch ver­träg­li­che Alter­na­ti­ven zu den gif­ti­gen und teu­ren Insek­ti­zi­den geben!

Was die Such­be­griffe «Toma­ten» und «klei­nes Insekt» zutage för­dern, ist aller­dings erst ein­mal ent­mu­ti­gend – ja, alar­mie­rend: Zahl­rei­che Berichte dre­hen sich um eine kleine Motte namens «Tuta abso­luta». Die soge­nannte Toma­ten­mi­nier­motte wurde 2006 aus Latein­ame­rika in Spa­nien ein­ge­schleppt und hat sich seit­her rasant ausgebreitet.

Das Weib­chen legt jeweils über 250 Eier ein­zeln unter Blät­tern, an Stän­geln und Kelch­blät­tern der Früchte ab. Die Folge sind Miss­bil­dun­gen, Wachs­tums­hem­mun­gen und Welke der Pflan­zen. Befal­lene Früchte wer­den von Pil­zen und Bak­te­rien ange­grif­fen und fau­len. Wo sich die Motte aus­brei­tet, kommt es zu gros­sen Ver­lu­sten. Der «Guar­dian» berich­tete im Som­mer 2016 zum Bei­spiel von einem fast voll­stän­di­gen Ern­te­aus­fall in Nige­ria, wo Toma­ten eine wich­tige Cash Crop sind.

Mit den gän­gi­gen Insek­ti­zi­den ist dem hart­näcki­gen Schäd­ling kaum bei­zu­kom­men; in man­chen Regio­nen hat die Motte bereits Resi­sten­zen gegen die Pesti­zide ent­wickelt. «Tuta abso­luta hat das Poten­zial, Toma­ten gänz­lich aus dem land­wirt­schaft­li­chen Kreis­lauf zu eli­mi­nie­ren», wird der Bio­lo­gie Richard Hop­kins vom Green­wich Natu­ral Resour­ces Insti­tute im Guar­dian-Arti­kel zitiert.

Die Motte brei­tet sich in Europa wie auch in Afrika aus. In der Schweiz wur­den die ersten Exem­plare 2009 ent­deckt. 2010 gefähr­dete sie erst­mals Toma­ten­kul­tu­ren im Sudan, 2014 wurde der Schäd­ling in Kenia nach­ge­wie­sen, 2016 kam es unter ande­rem in Nige­ria und Sam­bia zu mas­si­ven Ernteverlusten.

Ob es sich bei den «klei­nen Insek­ten» auf den Äckern und in den Gär­ten im Nor­den des Süd­su­dans eben­falls um «Tuta abso­luta» han­delt, ist unge­wiss. Wie auch immer die­ser Schäd­ling heis­sen mag – die Bau­ern müs­sen ein Mit­tel dage­gen finden.

Das Inter­net hilft schliess­lich doch wei­ter: Die Stif­tung Bio­vi­sion hat ein Rezept für ein Insek­ti­zid hoch­ge­la­den, das aus Samen des Niem­baums her­ge­stellt wird. Ein klei­ner Hoff­nungs­schim­mer, denn die­ses Mit­tel kön­nen die Bau­ern sel­ber herstellen.

Der ursprüng­lich aus Asien stam­mende Niem­baum ist auch im Süd­su­dan weit ver­brei­tet. Beson­ders beliebt ist er wegen der mala­ria­hem­men­den Wir­kung sei­ner Blät­ter. Alle Men­schen hier, mit denen ich spre­che, ken­nen diese Eigen­schaf­ten des Niem­baums – und nut­zen sie gegen die tücki­sche und oft töd­li­che Krankheit.

Dass der Niem­baum auch ein Ver­bün­de­ter im Kampf gegen Schäd­linge auf dem Feld sein kann, war bis­her in Aweil offen­bar kaum bekannt. Umso wiss­be­gie­ri­ger sind alle, denen ich davon erzähle. Die Anlei­tung zur Her­stel­lung des Niemöl-Pesti­zids ist heiss begehrt: Alle wol­len ein Exem­plar der Anlei­tung: Der Pastor, sein Assi­stent – meine Gui­des, die Fah­rer, die Tech­ni­ker… Sie alle wol­len das Rezept – weil sie alle auch Bau­ern sind.

Der letzte Akt

Die Nach­richt erreichte uns Mitte Februar per E‑Mail: Am Lüt­zow­platz in Ber­lin sind die Abriss­bag­ger auf­ge­fah­ren. Damit wer­den nun die letz­ten Zeu­gen eines ein­ma­li­gen archi­tek­to­ni­schen und sozia­len Pro­jekts aus dem Stadt­bild ausradiert.

Die Wohn­sied­lung am Lüt­zow­platz, in den 1980er Jah­ren im Rah­men der inter­na­tio­na­len Bau-Aus­stel­lung IBA vom dama­li­gen Star­ar­chi­tek­ten Mathias O. Ungers ent­wor­fen, war weit über Ber­lin hin­aus Vor­bild für hoch­wer­ti­ges und auch für wenig Bemit­telte bezahl­ba­res Woh­nen mit­ten in der Stadt.

Die Woh­nun­gen wur­den teils als Sozi­al­woh­nun­gen, teils auf dem freien Markt ver­mie­tet. So ent­stand innert kur­zer Zeit auf der ein­sti­gen Kriegs­bra­che eine leben­dige durch­mischte Sied­lung. «Wir waren mul­ti­kulti, lange bevor der Begriff in Mode kam», sagt eine ehe­ma­lige Mie­te­rin. An den gemein­sa­men Festen habe es jeweils Köst­lich­kei­ten «aus aller Her­ren Län­der» gege­ben. Denn hier leb­ten Deut­sche, Tür­kIn­nen, Ira­ne­rIn­nen, Ame­ri­ka­ne­rIn­nen und Aus­sied­ler­fa­mi­lien aus dem Osten Tür an Tür.

Wäh­rend der Lärm der Lüt­zow­strasse an der Vor­der­seite der Häu­ser abprallte, war der Innen­hof der Anlage eine grüne Oase: Rie­sige Ter­ras­sen und lie­be­voll gepflegte Gär­ten lies­sen einen ver­ges­sen, dass man hier mit­ten in einer Gross­stadt war. Es gab viel Raum zum Spie­len, und die zahl­rei­chen Fami­lien hal­fen sich gegen­sei­tig aus beim Kinderhüten.

«Die Mischung zwi­schen Pri­vat­sphäre und Gemein­schafts­ge­fühl war ideal», schwärmt ein lang­jäh­ri­ger Mie­ter. Wer Gesel­lig­keit suchte, kam auf seine Rech­nung – man konnte sich aber auch jeder­zeit in seine eige­nen vier Wände zurück­zie­hen. Am Lüt­zow­platz wurde gelebt, was Poli­ti­ke­rIn­nen und Stadt­pla­ne­rIn­nen gerne als Zukunfts­vi­sion für die ideale Stadt beschwören.

Viel Zeit war der bereits Wirk­lich­keit gewor­de­nen Wohn­uto­pie aller­dings nicht ver­gönnt. Ende der 1990er Jahre erstei­gerte ein Inve­stor aus Mün­chen die 90 im Bau­recht erstell­ten Woh­nun­gen, kurze Zeit spä­ter ver­kaufte ihm die Stadt auch das 11’500 Qua­drat­me­ter grosse Grund­stück. Zu einem Preis, des­sen Wert sich bis heute ver­viel­facht haben dürfte.

Seit dem Mau­er­fall liegt der Lüt­zow­platz nicht mehr im Mauer-Rand­ge­biet von «West­ber­lin» son­dern wie­der im Zen­trum von Ber­lin. In unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft zu den Ungers-Bau­ten steht heute der Haupt­sitz der CDU. Ein neues Bot­schafts­quar­tier wurde hoch­ge­zo­gen, teure Luxus­woh­nun­gen, Hotels. Das Poten­zial des Stand­orts ver­lange nach dich­te­rer Bebau­ung und höhe­rer Ren­dite, so der Inve­stor. Die IBA-Häu­ser waren gerade mal 17 Jahre alt, als der Inve­stor 2001 den ersten Abriss­an­trag beim Ber­li­ner Bezirks­amt Mitte einreichte.

Der anfäng­li­che Wider­stand von Sei­ten der Stadt war schnell gebro­chen: Nach­dem eine grüne Bezirks-Stadt­rä­tin noch ver­sucht hatte, die Häu­ser zu schüt­zen, unter­stützte ihr Nach­fol­ger von der SPD die Pläne des Inve­stors. Mit der Ver­ab­schie­dung eines neuen Bebau­ungs­plans für das Grund­stück war das Schick­sal der Wohn­oase poli­tisch besiegelt.

Vor dem Miet­ge­richt hin­ge­gen blitzte der Inve­stor mit sei­nen Räu­mungs­kla­gen vor­erst ab. Aber das Nach­ge­ben der Justiz war nur eine Frage der Zeit: Schliess­lich fand sich auch der Rich­ter, der die Gewinn­op­ti­mie­rung des Inve­stors höher gewich­tete als das Recht auf Woh­nen einer Hand­voll von Mie­te­rin­nen und Mie­tern. Damit war der Weg frei für die neuen Ren­di­te­bau­ten am Lüt­zow­platz nach gän­gi­gem Inve­sto­ren-Muster: Büro-und Gewer­be­räume sowie Woh­nun­gen für zah­lungs­kräf­tige Kundschaft.

siehe auch: – Eine Ber­li­ner Repor­tage von Gabriela Neuhaus

Wir benutzen Cookies um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.