Sonntagsgeschichte

«Kein Porzellan, heu­te?» fragt leicht ver­är­gert der rund­li­che Gast. Soeben hat er den Kaffee in einem Kartonbecher ser­viert bekom­men. «Nein, heu­te nur Pappbecher!» sagt gut gelaunt die Kellnerin und wen­det sich gleich wie­der ihrem neu­en Kollegen zu, den sie heu­te — unter­wegs von St. Gallen nach Genf — in die Kunst des Speisewagen-Services ein­füh­ren soll. Gemeinsam neh­men sie unse­re Bestellung auf. Nein, es hand­le sich beim Geschirr-Verzicht nicht um die jüngs­te Sparrunde bei der Speisewagen-Gesellschaft, beru­higt sie. Der Geschirrspüler sei defekt – des­halb wer­de heu­te aus­schliess­lich in Pappe und Plastik ser­viert. Geschirr von Hand abwa­schen, sei ihr streng unter­sagt. Eine Weisung von ganz oben — aus hygie­ni­schen Gründen.

Jetzt gehe es ja noch, fügt sie an, als der Zug kurz nach 10 Uhr den HB Zürich ver­lässt. Aber spä­ter, wenn die Gäste dann Essen und Wein bestel­len… Sagt’s, und tischt dem an sei­nem Becher nip­pen­den Gast am Nebentisch schwung­voll Brötchen, Konfitüre und den sepa­rat bestell­ten Schinken auf. «Gibt’s heu­te kein Porzellan??» – fragt die­ser noch ein­mal, schon eine Spur schär­fer. Geduldig erklärt sie nun auch ihm, dass heu­te weil die Abwaschmaschine defekt aus hygie­ni­schen Gründen… Worauf er ver­steht, die aus­führ­li­che Antwort mit einem Lächeln quit­tiert und sich zufrie­den sei­nem Frühstück widmet.

Nächster Halt, Aarau. Neue Gäste stei­gen zu, bestel­len Kaffee und wun­dern sich. Sie erklärt zum drit­ten, vier­ten Mal – nicht bloss gedul­dig, nein – auf­ge­stellt, fröh­lich. Ein Spruch hier, ein Augenzwinkern dort – in Olten hat sie uns alle in der Tasche. Dann Solothurn. Herzliche Begrüssungsszeremonie – ein Stammgast ist ein­ge­stie­gen. Sogleich spürt sie sei­ne lei­se Enttäuschung und trös­tet ihn: Ab Biel sei sein Tisch wie­der frei, denn die Gäste hät­ten soeben bezahlt. Er bestellt Riz Casimir – und will das Plastikbesteck gleich wie­der retour geben. Also die Geschichte noch ein­mal. Er lächelt, packt Messer und Gabel aus und legt sie vor sich auf den Tisch.

Ebenfalls ab Solothurn ein jun­ges Paar. Sie bestellt Kaffee, er stu­diert die Menükarte. Weil er nur gebro­chen Deutsch spricht, macht ihm die Kellnerin ein spe­zi­el­les Angebot: «Ich habe vie­le Sprachen zur Auswahl…» Als er sich Griechisch wünscht, eini­gen sie sich auf Englisch. Weil er Wein aus Plastikbechern ver­ab­scheut, kommt es dies­mal zu kei­ner Bestellung – dafür folgt ein humor­vol­ler Disput über Männer und Frauen. Dabei lässt unse­re Kellnerin kei­nen Moment Zweifel dar­über auf­kom­men, wel­ches das star­ke Geschlecht sei. «I love my work,» bekennt sie mit ihrer gan­zen Herzlichkeit und lässt ein „Hopp Schwiiz!“ folgen.

Meine Tischnachbarin und ich tau­schen beschäm­te Blicke, als sie vom guten Teamgeist schwärmt, von der Verlässlichkeit der Schweizer, vom gegen­sei­ti­gen Vertrauen – so ganz anders als in ihrem Land… Wo sie denn her­kom­me? Aus Afghanistan. – Seit fünf Jahren sei sie in der Schweiz und glück­lich hier: «Meine Mutter weiss, dass ich in Sicherheit bin – und ich füh­le mich akzep­tiert. Keiner fragt nach mei­ner Religion. Für die Menschen hier zählt mein Herz, nicht mei­ne Herkunft.»

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