Auf der Frontseite der NZZaS die dominanten Themen der letzten zehn Tage: «Jeder fünfte Industriebetrieb ist existenziell bedroht» und «Polizei und Armee bekämpfen Terror in Europa». Frankenschock und islamistischer Terror, so schreit es aus allen Kanälen, bedrohen unseren Wohlstand. Wir sind in Gefahr — und alles, was uns lieb und teuer ist.
Der Anschlag auf Charlie Hebdo sei das 9/11 Europas, liessen selbsternannte Analysten verlauten. Damit sei der islamistische Terror in unseren Breitengraden angelangt. Als ob dies der erste Anschlag dieser Art auf dem «alten Kontinent» gewesen wäre. Doch Superlative und Aufregung gehören zum Konzept der heutigen Berichterstattung: Gehört wird, wer am schnellsten und emotionalsten über Breaking News berichtet.
Live-Ticker und Schaltungen an die Orte des Geschehens gehören zur Tagesordnung. Ob die Erstürmung der von Terroristen besetzten Druckerei in der Nähe von Paris oder die Pressekonferenz der Schweizer Nationalbank: Dabeisein ist alles. Aufregung pur — spannender als jeder Tatort, weil echt. Direktübertragungen sind authentisch – dies zumindest wird uns suggeriert. Dass dies ein Trugschluss ist, zeigen die im Nachhinein publizierten Bilder von der Anti-Terrordemonstration in Paris: Plötzlich führen die StaatspräsidentInnen nicht mehr, wie in der Liveschaltung vermittelt, den Demonstrationszug gegen den Terrorismus an. Sondern posieren in einem abgeschotteten Sektor für die Kameras — in sicherer Distanz zum Volk.
Eigentlich hätte man es wissen müssen. Doch im Zeitalter der Instant-Meldungen zählt nur der Augenblick. Denken bremst, Hinterfragen verunmöglicht schnelle einfache Botschaften. Dass diese sich später oft als falsch erweisen, spielt keine Rolle, denn: So schnell wie sie verbreitet werden, sind sie auch wieder vergessen. Ein Ereignis bleibt so lange aktuell, bis ein neuer Hype für süffigere Schlagzeilen sorgt.
Dabei sind die Medien bloss der Spiegel – oder der verlängerte Arm? — der Realpolitik: Jeder versucht, das Geschehen für seine eigene kleine Agenda zu nutzen. «Brandgefährlich» hat eine Politikerin nach dem Nationalbank-Entscheid getwittert. Und sich dabei die erhoffte Schlagzeile gesichert. Unternehmer, die sonst für die freie Marktwirtschaft einstehen, schüren Existenzängste und fordern staatliche Unterstützung.
Schlimmer die Folgen von Paris: In Dresden werden die Montags-Demos abgesagt. In der Schweiz sollen Asylsuchende systematisch auf Terror-Verdacht untersucht werden. Und Politiker in England fordern zum Schutz der Bevölkerung, wie sie behaupten, den Zugriff auf die Internet-Daten ihrer BürgerInnen. Repressionen, Kontrollen und Aufrüstung im Namen der Sicherheit – und zur Erhaltung von Wohlstand und Freiheit. Wie es heisst.
In Pakistan haben die Schulen den Betrieb wieder aufgenommen. Seit dem Massaker in Peschawar, bei dem 150 Menschen getötet wurden, ist Bildung in Pakistan endgültig zu einem gefährlichen Unterfangen geworden. Viele Eltern haben Angst, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Über diese dramatische Situation berichteten die Zeitungen hierzulande — wenn überhaupt — mit einer kurzen Notiz.