Diese Politik ist an Zynismus kaum zu überbieten: Die europäischen Staaten – die Schweiz inklusive – investieren Milliarden, um Menschen aus Afrika den Weg nach Norden zu versperren. Gleichzeitig subventionieren sie ihre Exporte und Industrien, die damit ganz direkt die Lebensgrundlagen vieler Menschen in Afrika zerstören.
Zum Beispiel die industrielle Fischerei: Fischfabriken aus Europa (sowie China, Japan etc.) plündern seit Jahren die Fischbestände vor den Küsten Afrikas. «Diebstahl auf hoher See» lautet der Titel einer Reportage von Bernd Dörries aus Gambia. Eindrücklich schildert der Autor, wie chancenlos nicht nur die einheimischen Fischer, sondern auch die afrikanischen Regierungen den mächtigen Fischkonzernen gegenüberstehen.
Es ist ein Kampf David gegen Goliath, mit Playern auf unterschiedlichen Ebenen. Manche afrikanischen Davids vergeben Lizenzen an die Goliaths für die Ausbeutung ihrer Fischgründe. Meist für ein Butterbrot mit korruptem Aufstrich. Zu Recht kritisiert Greenpeace diese internationalen Fischereiabkommen, die es EU-Konzernen erlauben, in afrikanischen Gewässern zu fischen.
«Die Auswirkungen auf lokale Gemeinden sind enorm», schreibt Greenpeace in einem Bericht zu den europäischen Fischfangaktivitäten in Afrika. «Da es immer weniger Fische gibt, sind viele Fischer gezwungen, weiter hinaus zu fahren, was sehr gefährlich ist. Andere geben einfach auf und ziehen weg. Die grossen Fischfangschiffe demolieren traditionelle Fanggeräte, deren Ersatz sich die Einwohner nicht leisten können.»
Mit Gambia gibt es nicht einmal ein Lizenzabkommen für die Hochseefischerei in seinen Gewässern. Laut Angaben der Nichtregierungsorganisation Oceana plünderten Fischtrawler aus der EU zwischen 2012 und 2015 während 32’000 Stunden illegal in gambischen Gewässern. Erfasst wurden nur jene Schiffe, die ein Erkennungssystem eingeschaltet hatten – es ist davon auszugehen, dass eine unbekannte Zahl weiterer Plünderer unerkannt ihr Unwesen trieben.
Ein Fischtrawler kann bis zu 30 Tonnen Fisch pro Tag fangen. Kein Wunder, bleibt für die einheimischen Fischer nichts mehr übrig. Die traurige, aber logische Folge: Die illegale Fischerei provoziert «illegale» Migration: «Aus keinem anderen afrikanischen Land sind prozentual so viele Menschen nach Europa geflüchtet wie aus Gambia», schreibt Dörries.
Doch Fischdiebstahl ist nur ein Beispiel. Die grenzenlose Ausbeutung Afrikas durch die mächtigen Konzerne in den Industrieländern gehört zu den zentralen Ursachen für Flucht. Überall in Afrika verlieren Kleinbauern ihre Existenz, weil Agrokonzerne in grossem Stil Land aufkaufen, um Palmöl oder Biofuels zu produzieren. Bergbau und Ölindustrie zerstören Lebensgrundlagen. Internationale Produkte überschwemmen zu Dumpingpreisen afrikanische Märkte: Gegen subventionierte europäische Tomaten oder Poulets haben afrikanische Bauern keine Chance.
Damit nicht genug: Europa liefert auch Waffen nach Afrika. Damit wird die Spirale von Armut, Hunger und Elend durch Gewalt und Krieg weiter befeuert.
Die Milliarden, die zur Abschottung der europäischen Grenzen verpulvert werden, würden besser in Projekte investiert, die zur Eliminierung der erwähnten Missstände beitragen.
Statt sich mit Diktatoren und Warlords ins Bett zu legen, um Menschen in Not von Europa fern zu halten, braucht es dringend eine grundsätzliche Richtungsänderung. Das alte Geschäftsmodell der Ausbeutung wäre schon lange tot, wenn die europäischen Staaten und deren PolitikerInnen ihre aktive Unterstützung oder das stillschweigende Tolerieren der Machenschaften ihrer in Afrika tätigen Industrien aufgeben würden.
Noch wird dieses System – unter Anwendung von immer mehr Gewalt und dem Inkaufnehmen von inakzeptablen Menschenrechtsverletzungen – aufrecht erhalten. Dieser kurzsichtige Egoismus führt über kurz oder lang ins Verderben. Auch für jene, die momentan noch glauben, am längeren Hebel sitzen.