Montagmorgen. Im Briefkasten drei A5-Fenstercouverts. Links oben jeweils der Absender mit Logo: Einmal «Schweizerische Eidgenossenschaft», einmal «Ärzte ohne Grenzen» und schliesslich «gebana» mit dem Slogan «Weltweit ab Hof».
Bunt und verlockend der mehrfach gefaltete Prospekt, den ich aus dem gebana-Couvert fische. Dazu die schier endlose Bestellliste «Frühsommer 2019». Aktuell kann man sich zum Beispiel frische Spargeln, Chia-Samen, Mandelpaste aus Pakistan, Müeslimischungen, Quinoakörner oder Ingwer und Kurkuma aus Peru ins Haus liefern lassen. Und noch viel mehr.
Im beigelegten Newsletter preist Sandra Dütschler, Leiterin Kommunikation bei der gebana AG, die frischen Bio-Mangos aus Westafrika an und wirbt mit einer «revolutionären Neuerung»: Künftig sollen die Bäuerinnen und Bauern in Burkina Faso für ihre Mangos und Cashew-Nüsse zusätzlich zum Rohwarenpreis eine Erfolgsbeteiligung in der Höhe von 10% des Verkaufspreises erhalten.
Das beste an der Geschichte: Die gebana-KundInnen müssen trotzdem kaum tiefer in die Tasche greifen. Dank sinkender Weltmarktpreise und weil gebana auf einen Teil seiner Marge verzichtet.
Also nichts wie los: Die Bestellkarte ausfüllen und möglichst viel Ware kaufen! Ab einem Bestellwert von 150 Franken muss man kein Porto zahlen, ab 300 Franken gibt es fünf Prozent Rabattabzug, ab 500 sogar zehn Prozent! Mittlerweile ist die Organisation, die einst im Kampf gegen die Grossverteiler für gerechtere Bananenpreise gekämpft hat, selber zum Supermarkt verkommen.
Ich frage mich, weshalb wir gebana-Spargeln aus Deutschland essen sollen, wer hierzulande im Sommer gebana-Mangos aus Afrika braucht und wie sinnvoll es ist, gebana-Quinoa nach Europa zu exportieren, während sich die Armen in Lateinamerika das dort einheimische Getreide nicht mehr leisten können. – Weil das Label einen Win-Win-Handel verspricht? Wer bei gebana kauft, tut und erhält gleichzeitig Gutes…
Beim zweiten Couvert gibt es nichts zu kaufen. Es enthält eine achtseitige Broschüre, die Einladung zur traditionellen Jahreskonferenz der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA. Allerdings erinnert einzig noch das Cover an die ursprüngliche Aufgabe der DEZA: Zwei junge Frauen, beide dunkelhäutig, die eine Kopftuchträgerin, posieren lächelnd mit einem Laptop. Wie zu Zeiten, als EZA noch Entwicklungshilfe hiess und die besagte Jahreskonferenz ein Klassentreffen der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit war. Mit ReferentInnen aus Afrika, Lateinamerika oder Asien, die über die schwierigen Lebensbedingungen in ihren Heimatländern berichteten.
2019 hingegen setzt man konsequent auf helvetisches Schaffen: Angesagt sind Podien über «Neue Finanzlösungen für eine nachhaltige Zukunft» oder «Stabilität für eine nachhaltige Entwicklung» sowie eine Diskussion mit «JungpolitikerInnen und Jungpolitikern». Alles Swiss made. Ganz auf Kurs gemäss dem neoliberalen Slogan von Departementschef Ignazio Cassis: Die Entwicklungszusammenarbeit muss in erster Linie uns selber nützen!
Das dritte Couvert, jenes von Médecins sans Frontières, ist das dünnste. Es enthält lediglich ein beidseitig bedrucktes A4-Blatt und einen Einzahlungsschein. Der Spendenaufruf, persönlich geschrieben von Andrea Isenegger, Projektkoordinatorin von MSF im Libanon, verspricht keine Weltverbesserung dank biologisch produzierter Kolonialwaren oder der Förderung von Schweizer Start-ups. Doch was die Gesundheitsfachfrau über die Situation der rund 1,5 Millionen syrischen Flüchtlinge im Libanon beschreibt, geht unter die Haut:
«Diesen Familien fehlen die Mittel, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Das ist bedenklich, denn auch sie sind von chronischen Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen und die Lebensbedingungen in den Lagern verschlechtern diese Krankheiten zusätzlich. Wir bieten Geflüchteten kostenlose medizinische Betreuung, Behandlungen und auch psychologische Unterstützung, damit sie die traumatischen Erlebnisse im Zusammenhang mit den Konflikten, die sie in die Flucht gezwungen haben, verarbeiten können.»
Im letzten Jahr konnte das Team von Andrea Isenegger über 3300 Sprechstunden für Kinder und Erwachsene im Bereich psychische Gesundheit durchführen, schreibt die gelernte Pharmazeutin weiter. «Nicht zuletzt möchte ich erwähnen, wie sehr mich Ihre Unterstützung und Ihre Treue berührt. Sie geben uns die Möglichkeit, unabhängig zu handeln, und das ist ein enormes Privileg. Da ich auch für die Finanzen des Projekts zuständig bin, weiss ich aus dem Alltag, dass Ihre Spende vor Ort wirklich etwas bewirkt!»
Das klingt gar nicht nach Win-Win – aber überzeugend nach dringlicher Notwendigkeit. Während die beiden ersten Couverts samt Inhalt längst im Altpapier gelandet sind, liegt der Einzahlungsschein zuoberst auf meinem Schreibtischstapel.