Lärm, Staub und Chaos ohne Ende. Seit über einem Jahr leben wir an einer Dauerbaustelle. Während Monaten mussten die portugiesischen Bauarbeiter auch bei übelsten Wetterbedingungen Tag für Tag pickeln, baggern und schaufeln, um die Kanalisation und all die unterirdischen Kabel und Leitungen tief unter unserer Strasse den aktuellen Erfordernissen anzupassen. Ein aufwändiges und teures Tiefbauprojekt für die stetig wachsende Bevölkerung in einem Quartier, das verdichtet wird, was das Zeug hält .
Nun sieht es aber ganz danach aus, dass es bald ein Ende hat, mit dem Baustellendreck in unserer Strasse. Seit ein paar Tagen liegen vor unserem Haus zahlreiche Paletten mit glitzernden, hellen und fixfertig zugeschnittenen Randsteinen aus Granit.
Wie auf den Lieferschienen nachzulesen ist, handelt es sich dabei sogar um faire Steine. Dies zumindest will uns das Label «win-win – fair stone» mitteilen. Sie wurden – so steht es auf der Label-Website – «ohne Kinder- und Zwangsarbeit sowie unter Beachtung von Sicherheit und Gesundheit der Arbeiter hergestellt». Zudem werde bei der Produktion auf Umweltschutzmassnahmen geachtet. Was das genau heisst, steht nirgends.
Fest steht einzig: Mit «fair stone» gekennzeichnete Steine kommen von weit her, nämlich aus «Entwicklungs- und Schwellenländern». Bei den Randsteinen, die künftig unsere Strassen- und Trottoirränder zieren werden, handelt es sich um Granit der Qualitätsklasse G341. Dank aufgedrucktem QR-Code finden wir heraus, dass sie aus der ostchinesischen Provinz Shandong stammen und über Rotterdam in die Schweiz importiert worden sind. Das heisst: Unsere neuen Randsteine wurden über Tausende von Kilometern mit Schweröl-betriebenen Containerschiffen über den Ozean geschifft. Nach einer Ökobilanz über die gesamte Produktionskette, inklusive Abbau, Bearbeitung und Transport sucht man aber vergebens.
Chinesische Steinimporte gehören in der Stadt Zürich längst zum Alltag. Seit Jahren setzt die rot-grün regierte Stadt, die sich die Zielsetzungen der 2000-Wattgesellschaft auf die Fahnen geschrieben hat und im Hochbau Recycling-Beton propagiert, beim Strassenbau auf Importware aus China. Obschon diese aus ökologischer Sicht höchst fragwürdig ist.
Aber alles was recht ist: Im Zweifelsfall gewinnt eben die günstigste Offerte – und die stammt aus China und nicht aus dem Tessin. Wie sagt der Volksmund: Bei den reichen ZürcherInnen und ihrem obersten grünen Finanzverwalter lernt man sparen. Das Thema scheint in dieser Stadt niemanden mehr zu bewegen…
Ganz anders in den Kantonen Thurgau, St. Gallen oder Basel-Land, wo sich ParlamentarierInnen in den letzten Monaten wiederholt gegen die Steinimporte aus Übersee ausgesprochen und entsprechende Vorstösse eingereicht haben. Bisher allerdings mit bescheidenem Erfolg: Schweizer Granit sei mindestens doppelt so teuer wie aus dem Ausland importierte Randsteine, heisst es von Seiten von sparsamen Kantons- und Stadtoberen. Zudem verstecken sich die öffentlichen Hände gerne hinter WTO-Regulierungen, wonach sie in Ausschreibungsverfahren nicht explizit Schweizer Material verlangen dürften.
Doch es geht auch anders, wie die Kantone Neuenburg, Tessin und Basel-Stadt beweisen. Sie verwenden im Strassenbau ausschliesslich Randsteine aus dem Tessin, die von den Behörden direkt eingekauft und zur Verfügung gestellt werden. Ein einfacher und gangbarer Weg, der zudem finanziell kaum ins Gewicht fällt:
Laut der Zeitschrift Beobachter kosten 100 Meter Strasse – inklusive Kanalisation – rund eine Million Franken. Die Ausgaben für die Randsteine sind dabei ein verschwindend kleiner Budgetposten von einem bis maximal zwei Prozent. Das Sparpotential ist also bescheiden, wenn anstelle von Granit aus der Südschweiz «faire» Win-win-Randsteine aus Übersee eingekauft werden. Umso weniger ist nachvollziehbar, weshalb auf Kosten von Umwelt und einheimischen Arbeitsplätzen wider jeglichen gesunden Menschenverstand seit Jahren forciert Steine aus dem fernen Osten importiert werden.
Remedur kommt nun möglicherweise aus China selber: Wie die auf den Export von Natursteinen spezialisierte Firma Profstone in ihrer aktuellen Marktanalyse schreibt, steht die Randsteinproduktion in der Provinz Shandong nämlich zurzeit still. Dies, weil die chinesische Regierung im Kampf gegen die grassierende Luftverschmutzung von den Firmen die Einhaltung strenger Umweltauflagen verlangt. Künftig dürften die Stein-Produktionskosten in China deshalb spürbar steigen, stellen die Exporteure in Aussicht. Fragt sich nur, wohin die strassenbauenden Behörden ausweichen werden, um weiterhin billigen, «fairen» Win-win-Stein einzukaufen.