Die negativen Schlagzeilen aus der Bauindustrie reissen nicht ab. Für Schlagzeilen sorgten in den letzten Wochen nebst Firmenpleiten vor allem die Kartellgeschichte aus Graubünden sowie als jüngste und schlimmste Hiobsbotschaft, die angekündigte Aufhebung der Frühpensionierungsoption für Bauarbeiter. Man könne es sich nicht mehr leisten, heisst es, Bauarbeitern mit 60 den gesicherten Ruhestand zu ermöglichen.
Wer auf dem Bau arbeitet, hat einen Knochenjob, der an die Substanz geht. Die Lebenserwartung eines Bauarbeiters in der Schweiz liegt 4,4 Jahre unter dem Durchschnitt. Laut Statistik sind 43% bereits vor Erreichen des Pensionsalters nicht mehr arbeitsfähig. Die Belastung der Arbeiter auf dem Bau ist enorm, und der Druck nimmt laufend zu: Liegenschaften müssen immer schneller hoch‑, Tiefbauarbeiten immer schneller durchgezogen werden.
Auf Zürcher Baustellen etwa gehört es heute wieder zum Courant normal, dass auch samstags gearbeitet wird. Flutlicht sei Dank, beginnt der Arbeitstag auf dem Bau auch im Winter spätestens um Sieben in der Früh. Obschon heute viele Maschinen im Einsatz sind, bleibt viel schwere körperliche Arbeit zu verrichten, die der Gesundheit schadet.
Zwangspausen wie einst, als bei Schnee und Eis die Bautätigkeit ruhte, gibt es kaum mehr. Zumindest nicht im Mittelland: Beton und Asphalt wurden chemisch soweit aufgemischt, dass ihre Verarbeitung auch bei unwirtlichsten Rahmenbedingungen noch möglich ist.
So brauchen die Bauunternehmer die Arbeitslosenkasse zur Überbrückung der Wintermonate nicht mehr regelmässig anzuzapfen, wie das lange Zeit gang und gäbe war. Ein Gewinn für die Unternehmer wie für die Kasse. Einzig die Arbeiter müssen nun auch bei Schnee und Kälte ihre ohnehin schwere Arbeit verrichten.
Dass man nach 10 Jahren den Bauarbeitern die Möglichkeit zur Pensionierung mit 60 wieder nehmen will, ist vor diesem Hintergrund blanker Hohn. Ein weiterer Puzzlestein in der aktuellen Geschichte des Sozialabbaus. Umso stossender, als in der Baubranche seit Jahren ein Preiskampf ohnegleichen betrieben wird.
Immer mehr, immer schneller, immer billiger heisst der Leitsatz. Was dabei auf der Strecke bleibt sind die Arbeiter – und die Qualität. Letzteres ist (zumindest für die Bauunternehmer) nicht so schlimm, denn Nachbessern, Reparieren und Ersetzen bringt neue Aufträge.
Was aber in der reichen Schweiz gar nicht toleriert werden darf, ist das Sparen auf dem Buckel derjenigen, die Tag für Tag ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, um den Bauboom am Laufen zu halten.
Höhere Preise in der Baubranche würden niemandem schaden – im Gegenteil: Längst wird in der Schweiz zuviel und zu schnell gebaut. Über lange Jahre hat die Bauwirtschaft Überkapazitäten geschaffen, mit denen sie sich und allen anderen schadet. Was wir brauchen sind weder Kartelle, die sich selber in die Tasche wirtschaften noch eine ruinöse Konkurrenz.
Dringend nötig wäre die Förderung von Baumeistern mit gesundem Menschenverstand. Die auf Qualität setzen. Das kostet. Deshalb führt auch hier die Politik der Vergabe von Aufträgen an den Billigsten in die Sackgasse. Geiz ist geil und blöd.
Wie wäre es, wenn Bauherrschaften auf andere Kriterien setzen würden? Etwa höchste Qualität, Dauerhaftigkeit von Bauten oder – und vor allem: Soziale Arbeitsbedingungen für jene, die unsere Häuser und Strassen bauen. Ohne Wenn und Aber.