Am 17. Dezember 2010 hat sich Mohamed Bouazizi mit Benzin übergossen und angezündet. Am 4. Januar ist er gestorben. Um gleich wieder aufzuerstehen – als tragischer Held, Märtyrer. Beispielhaft für Millionen junger Menschen, die durch Misswirtschaft und Machtmissbrauch alter Potentaten ihrer Zukunftsperspektiven beraubt worden sind.
Mohamed Bouazizis Selbstverbrennung war, angesichts der herrschenden Verhältnisse in Ländern wie Tunesien, Algerien oder Ägypten, bestimmt kein Einzelfall. Aber sie war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Sein Tod löste eine Volksbewegung, ein politisches Erdbeben aus – weil die Zeit dafür reif war. Damit wurde Mohamed Bouazizi posthum zum Helden. Ohne die Verzweiflungstat und ihre Folgen hätte sich kaum je jemand für seine Geschichte interessiert. Doch nun erhält seine Biografie plötzlich höhere Bedeutung.
So wird zum Beispiel mancherorts kolportiert, im Nachhinein hätte seine Familie den Tod als «Unfall» hingestellt. Nachvollziehbar, falls dies stimmt – denn Selbstmord ist im Islam genauso wenig vorgesehen wie in der katholischen Kirche. Unmissverständlich die Enttäuschung des Spiegel-Journalisten, der im Lead zu seiner Berichterstattung aus dem Ort des Geschehens vorwurfsvoll fragt: «Beging der 26-Jährige die Verzweiflungstat gar nicht aus politischen Gründen?» Bemerkenswert die Einigkeit einer ganzen Anzahl hiesiger Medien, die aus dem 26jährigen Marktfahrer, der mit Gemüse handelte, einen «jungen, arbeitslosen und armen Akademiker» machten – so z.B. in der gestrigen Frankfurter Rundschau nachzulesen.
Auch in der WOZ und bei der BBC ist Mohamed Bouazizi ein Studierter. Andere Medien wollen noch präziser wissen, dass er Informatiker war. So etwa die International Business Time, die ihm einen Abschluss in Computerwissenschaft zuschreibt. Andere Porträts berichten, Mohamed Bouazizi hätte nach dem frühen Tod des Vaters seine Mutter und die fünf jüngeren Geschwister ernähren müssen und deshalb die Schule abgebrochen. Laut NZZ allerdings erst «kurz vor der Matur». Seine Schwestern werden zitiert, die eine mit der Aussage, ihr grosser Bruder hätte gerne studiert. Die andere erzählt, er hätte hart gearbeitet, damit sie, seine jüngeren Geschwister, dereinst die Universität besuchen könnten.
Warum nur ist das so wichtig? Zählen arbeits- und perspektivenlose Akademiker und Akademikerinnen mehr als andere? Fast kommt der Verdacht auf, dass das Schicksal eines «einfachen» Gemüsehändlers, der angesichts der herrschenden Missstände vergeblich versucht hat, sich und seine Familie durchzubringen und daran verzweifelt ist, unsere Aufmerksamkeit nicht verdient hätte.