Mut zur weissen Fahne!

Schon wie­der ertönt ein all­ge­mei­nes Lamento in Schlag­zei­len, Kom­men­ta­ren und Social Media-Posts: Wie von der Taran­tel gesto­chen, wird auf eine beson­nene, beden­kens­werte Wort­mel­dung zu den medi­en­be­herr­schen­den Krie­gen mit Häme und Spott reagiert. Dies­mal haben sich die Kriegstreiber:innen an Wor­ten von Papst Fran­zis­kus fest­ge­bis­sen. Die­ser hat sich bereits in der Ver­gan­gen­heit wie­der­holt für ein Ende des Krie­ges in der Ukraine stark gemacht.

Die Aus­sa­gen, die gerade hohe Wel­len schla­gen, machte der Papst Mitte Februar im Rah­men eines Inter­views mit dem Tes­si­ner Fern­se­hen RSI. Der Jour­na­list fragte das Ober­haupt der Katho­li­schen Kir­che, ob es in die­sem Krieg beson­de­ren Mut brau­che, die weisse Fahne zu his­sen. Wor­auf die­ser ant­wor­tete: «Das ist eine Frage der Sicht­weise. Aber ich denke, dass jener der Stär­kere ist, der beim Betrach­ten der Situa­tion an die Men­schen denkt und den Mut zur weis­sen Fahne hat – zum Verhandeln.»

Wei­ter weist der Papst in die­sem Gespräch dar­auf hin, dass es in Bezug auf die Ukraine zahl­rei­che Staa­ten gebe, die sich für Ver­hand­lun­gen als Ver­mitt­ler zur Ver­fü­gung stel­len wür­den – etwa die Tür­kei. Und wei­ter: «Man darf sich nicht schä­men zu ver­han­deln, wenn man sieht, dass sich die Lage wei­ter verschlimmert.»

Sol­che Töne pas­sen gar nicht ins Kon­zept der immer noch kriegs­ver­ses­se­nen Ukraine-Lobbyist:innen. Auch nach Hun­dert­tau­sen­den toter Men­schen, der Zer­stö­rung von gan­zen Städ­ten und Land­stri­chen und — ange­sichts der auf ihren Posi­tio­nen ver­har­ren­den Kriegs­par­teien — ohne Aus­sicht auf einen bal­di­gen Waf­fen­still­stand, hal­ten sie wei­ter­hin an ihrer Kriegs­rhe­to­rik fest. Und am Mythos, in der Ukraine wür­den unser aller Frei­heit und die Demo­kra­tie verteidigt.

«Ein Papst auf erschüt­tern­den Abwe­gen» schreibt ein ehe­ma­li­ger Schwei­zer Russ­land-Kor­re­spon­dent auf FB und postet dazu eine Kari­ka­tur, die den Frie­dens­bot­schaf­ter Fran­zis­kus salu­tie­rend auf einem rus­si­schen Pan­zer zeigt. Die Medien wer­den nicht müde, die zwei Sätze von Papst Fran­zis­kus zu skan­da­li­sie­ren und zitie­ren dabei Politiker:innen, die dem Papst eine Lek­tion ertei­len wollen.

Zu Wort kom­men dabei die übli­chen «Ver­däch­ti­gen» – von der Grü­nen deut­schen Aus­sen­mi­ni­ste­rin Baer­bock über die Waf­fen­lob­by­istin Strack-Zim­mer­mann bis zum ukrai­ni­schen Aus­sen­mi­ni­ster Kuleba, der sich auf X gegen die päpst­li­che Auf­for­de­rung zu Ver­hand­lun­gen stellt und ver­kün­det: «Unsere Flagge ist gelb und blau. Dies ist die Flagge, unter der wir leben, ster­ben und siegen.»

Was die hie­si­gen Medien hin­ge­gen unter­schla­gen, sind die Stim­men jener Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker im Westen, wel­che die Frie­dens­bot­schaft des Pap­stes begrüs­sen und unter­stüt­zen. So sagte etwa Sach­sens CDU-Mini­ster­prä­si­dent Michael Kret­schmer: «Papst Fran­zis­kus ist ein beson­ne­ner Mann. Sei­nen Auf­ruf ‘Mut zu Ver­hand­lun­gen’ teile ich.» Und Sahra Wagen­knecht ver­ur­teilte die aktu­elle Kri­tik am Papst als «respekt­los und viel­fach unter der Gürtellinie».

Wäh­rend sich west­li­che Kommentator:innen mehr­heit­lich nega­tiv bis ent­setzt zum Ver­hand­lungs­ap­pell von Papst Fran­zis­kus äus­sern, deu­tet Mos­kau die Aus­sage zu sei­nen Gun­sten. So erklärte die Spre­che­rin des rus­si­schen Aus­sen­mi­ni­ste­ri­ums gegen­über der ita­lie­ni­schen Nach­rich­ten­agen­tur ANSA: «So wie ich es sehe, bit­tet der Papst den Westen, seine Ambi­tio­nen bei­seite zu legen und zuzu­ge­ben, dass er falsch lag.»

Das ist eine drei­ste Inter­pre­ta­tion des Gesag­ten, da liegt Putins Laut­spre­che­rin sel­ber falsch. Genauso falsch ist aller­dings der Vor­wurf von der ande­ren Seite, der Papst habe mit sei­ner Aus­sage die Kapi­tu­la­tion der Ukraine gefor­dert. Der kurze, online ver­füg­bare Aus­schnitt des besag­ten Inter­views ist näm­lich nichts ande­res als ein Plä­doyer für Ver­hand­lun­gen statt Kampf bis zum letz­ten Bluts­trop­fen. Eine Frie­dens­bot­schaft, die er nota­bene nicht nur in Bezug auf die Ukraine verkündet.

Hier zeigt sich ein­mal mehr, dass es sich mit­un­ter lohnt, nicht nur Medien zu kon­su­mie­ren, son­dern die Ori­gi­nal­quelle zu nutzen.

Im besag­ten TV-Inter­view schlägt Papst Fran­zis­kus näm­lich unmit­tel­bar nach sei­ner Fest­stel­lung, man dürfe sich nicht schä­men, zu ver­han­deln, die Brücke zum Krieg in Gaza. Er habe soeben einen Brief an die Juden in Israel geschrie­ben und sie auf­ge­for­dert, die Situa­tion zu über­den­ken, sagt er und bekräf­tigt noch ein­mal: «Ver­han­deln bedeu­tet nie Kapi­tu­la­tion – son­dern es ist Mut, der ver­hin­dert, dass ein Land in den Selbst­mord getrie­ben wird.»

In die­sem Sinn ist hier auch das — nota­bene vom Inter­viewer ins Spiel gebrachte — Sym­bol der weis­sen Flagge zu ver­ste­hen. Als Absage an eine Wei­ter­füh­rung der Kriegs­hand­lun­gen, die letzt­end­lich nur Tod und Zer­stö­rung brin­gen. Und als Auf­for­de­rung, die Kon­flikte auf einer ande­ren Ebene, am Ver­hand­lungs­tisch, auszutragen.

Nur wol­len das viele ganz offen­sicht­lich nicht begrei­fen. Weder die inter­es­sens­ge­trie­be­nen Politiker:innen und Lobbyist:innen, noch der über­wie­gende Teil der Medien, die zwei Sätze, — her­aus­ge­pickt aus einem Kon­text — zum Anlass neh­men, das Was­ser auf ihre eige­nen Müh­len zu len­ken und die Frie­dens­bot­schaft ein­mal mehr der Lächer­lich­keit preiszugeben.

Was das Thema Flag­gen anbe­langt, nur so viel: Ich habe für mich beschlos­sen, an kei­ner Frie­dens­demo mehr teil­zu­neh­men, auf der irgend­wel­che natio­na­li­sti­schen Fah­nen geschwun­gen und mit­ge­tra­gen wer­den. Mit weis­sen Fah­nen oder sol­chen in den Regen­bo­gen­far­ben habe ich kein Problem.

Besonnenheit statt Diffamierung

Ein Jugend­li­cher sticht mit­ten in Zürich einen Mann der ortho­do­xen jüdi­schen Gemein­schaft nie­der. Er ver­letzt ihn lebens­ge­fähr­lich. Laut Medi­en­be­rich­ten ver­stand sich der 15jährige Schü­ler als isla­mi­sti­scher Kämp­fer. Er wollte «Juden ermor­den», wie dies in extre­mi­sti­schen isla­mi­sti­schen Netz­wer­ken zele­briert wird.

Der Junge soll sich in einem Beken­ner­vi­deo als Sol­dat des IS bezeich­net und ange­kün­digt haben, er wolle mög­lichst viele Juden töten. Zum Glück ist es ihm nicht gelun­gen. Der 15jährige wurde noch am Tat­ort sei­nes ersten Über­falls über­wäl­tigt und fest­ge­nom­men, sein Opfer ist mitt­ler­weile aus­ser Lebensgefahr.

Die Tat hat Ent­set­zen und Angst aus­ge­löst. Auch bei mir. In der Schweiz sind wir uns gott­sei­dank solch bru­tale Gewalt auf offe­ner Strasse nicht gewohnt. Was vie­ler­orts auf die­ser Welt heute nicht mehr mög­lich ist, neh­men wir allzu gerne als Selbst­ver­ständ­lich­keit: Bei uns ist die Sicher­heit im öffent­li­chen Raum weit­ge­hend gewähr­lei­stet, wir kön­nen uns frei und ohne Angst bewe­gen. Ein kost­ba­res Gut, dem wir Sorge tra­gen müssen.

Gleich­zei­tig wis­sen wir alle, dass Mord und Tot­schlag nicht nur im Fern­se­hen – am Sonn­tag­abend im Tat­ort – gesche­hen. Der Angriff des 15jährigen Schü­lers in Zürich erin­nert an ähn­lich gela­gerte Gewalt­ver­bre­chen, die in der Ver­gan­gen­heit hier­zu­lande für Schlag­zei­len gesorgt und die Gemü­ter bewegt haben. Wie etwa 2012 die Serie von Mes­ser­at­tacken auf Frauen – eine davon endete töd­lich. Oder der Vier­fach­mord von Rup­pers­wil, der 2015 eine ganze Region in Angst und Schrecken versetzte.

Die Täter der drei Fälle haben eines gemein­sam: Es han­delt sich dabei um psy­chisch kranke Men­schen. Ob ein Mord aus Rach­sucht oder Frau­en­hass geschieht, ob anti­se­mi­tisch oder wie auch immer moti­viert, spielt in die­sem Zusam­men­hang letzt­lich keine Rolle: Sol­che Täter:innen sind krank und ja – gefährlich. 

Wie jede Gesell­schaft, müs­sen auch wir einen Umgang mit sol­chen Men­schen fin­den. Uns steht dafür eine breite Palette von Instru­men­ten zur Ver­fü­gung – von der The­ra­pie bis zur Verwahrung.

Für den jugend­li­chen Täter von Zürich for­derte Mario Fehr, Zür­cher Regie­rungs­rat und Sicher­heits­di­rek­tor, in der NZZ nun gar den Ent­zug des Schwei­zer Bür­ger­rechts. Seine lapi­dare Begrün­dung: «Für Ter­ro­ri­sten hat es kei­nen Platz in der Schweiz.»

Da macht sich’s der Magi­strat, der nicht zum ersten Mal mit sei­ner popu­li­sti­schen, frem­den­feind­li­chen Poli­tik Schlag­zei­len pro­du­ziert, aller­dings allzu ein­fach: Der 15-jäh­rige Teen­ager — laut Medi­en­be­rich­ten wurde seine aus Tune­sien stam­mende Fami­lie vor 11 Jah­ren ein­ge­bür­gert — ist in der Schweiz gebo­ren. Er ist ein Schwei­zer — hier auf­ge­wach­sen und sozia­li­siert. Hier zum «Ter­ro­ri­sten» geworden?

Ja, schreibt der Kriegs­re­por­ter Kurt Pelda. Er geht noch einen Schritt wei­ter als Fehr und bedient seine frem­den­feid­li­che Leser­schaft: Die kin­der­rei­che Fami­lie wohne in einem «schä­bi­gen Haus» im Glattal, wo «die an den Brief­kä­sten ange­schrie­be­nen Namen mehr­heit­lich aus­län­disch» seien, schreibt Pelda in sei­nem Arti­kel, den CH Media in ihren Blät­tern schweiz­weit publi­zierte und sug­ge­riert damit, dass der Mes­ser­ste­cher in sei­nem Umfeld isla­mi­stisch radi­ka­li­siert wor­den sei. Bei der Tat, so sein Fazit, habe es sich «nicht ein­fach um eine anti­se­mi­ti­sche Blut­tat, son­dern um ein Ter­ror­at­ten­tat» gehandelt.

Genauso, wie der Über­fall der Hamas vom 7. Okto­ber 2023 in unse­ren Medien und von unse­ren Politiker:innen uni­sono als Ter­ror­akt bezeich­net wird. Dies ist aus israe­li­scher Sicht­weise ver­ständ­lich und nach­voll­zieh­bar. Wehe aber all jenen, die dar­auf hin­wei­sen, dass die­ser Ter­ror­akt eine Vor­ge­schichte hatte, und vor dem Hin­ter­grund der jahr­zehn­te­lan­gen israe­li­schen Demü­ti­gungs- und Besat­zungs­po­li­tik gegen­über der palä­sti­nen­si­schen Bevöl­ke­rung ganz anders gele­sen wer­den kann.

Judith But­ler, die in ihrem Buch «Am Schei­de­weg» bereits vor über zehn Jah­ren die israe­li­sche Besat­zungs­po­li­tik kri­ti­siert hat, ern­tete bereits im Okto­ber 2023 einen Shits­torm, als sie in einem Arti­kel zum Hamas-Über­fall eine «histo­ri­sche Kon­tex­tua­li­sie­rung» der Gräu­el­ta­ten, die sie expli­zit ver­ur­teilte, forderte. 

Die­ser Tage nun über­tref­fen sich Medien darin, die jüdisch-ame­ri­ka­ni­sche Phi­lo­so­phin erneut anzu­grei­fen und mit zum Teil aus der Luft gegrif­fe­nen Behaup­tun­gen durch den Dreck zu zie­hen. So titelte etwa die Frank­fur­ter All­ge­meine «Kin­der­mord als Form des Frei­heits­kamp­fes», die ZEIT ver­ur­teilt Judith But­ler und ihre «törich­ten neuen Aus­sa­gen zum Nah­ost­kon­flikt» und klein­re­port ver­steigt sich zur Schlag­zeile «Super­hel­din der Gen­der Stu­dies lobt den ‘bewaff­ne­ten Wider­stand’ vom 7. Oktober».

Dies alles, weil But­ler gewagt hat, in einer Ver­an­stal­tung in Paris zu sagen: «Ich bin der Mei­nung, dass der Auf­stand vom 7. Okto­ber histo­risch kor­rekt als ein «Akt des bewaff­ne­ten Wider­stands» bezeich­net wer­den müsste. Es war weder eine Ter­ror­at­tacke noch eine anti­se­mi­ti­sche Attacke – es war eine Attacke gegen Israelis.»

Wei­ter weist sie dar­auf hin, dass nach dem 7. Okto­ber ein­zig der Hor­ror, den die Israe­lis erlit­ten haben, zum Thema gemacht wurde – nicht aber jene mör­de­ri­sche Staats­ge­walt, unter der die Palä­sti­nen­se­rin­nen und Palä­sti­nen­ser seit Jah­ren lei­den. Für die Phi­lo­so­phin steht fest: «Es war ein Auf­stand, der aus einer Situa­tion der Unter­jo­chung ent­stand, und der sich gegen einen gewalt­sa­men Staats­ap­pa­rat richtete.»

Es lohnt sich, ins Ori­gi­nal von Judith But­lers ana­ly­tisch kla­rer Stel­lung­nahme hin­ein­zu­hö­ren. Sie bil­det einen wohl­tu­en­den Kon­trast und hebt sich ab vom hyper­ven­ti­lie­ren­den Schwin­gen der Ter­ror- und Anti­se­mi­tis­mus­keu­len. Sel­ber den­ken, statt mit­heu­len und nach­be­ten, lau­tet das Gebot der Stunde.

AHV-Abstimmung: Beschimpfungen und einäugige Analysen

Was ist nur mit unse­ren Medien und Politiker:innen los?

Hohe Stimm­be­tei­li­gung und ein­deu­tige Resul­tate – seit letz­tem Sonn­tag sind die Mei­nungs­um­fra­gen blosse Maku­la­tur: Eine deut­li­che Mehr­heit der stimm­be­rech­tig­ten Bevöl­ke­rung hat JA zur 13. AHV-Rente gesagt. Ohne Wenn und Aber. Die­ses demo­kra­ti­sche Ver­dikt gilt es nun zu respek­tie­ren und umzusetzen.

Doch wie schon im Vor­feld der Abstim­mung, wer­den bür­ger­li­che Politiker:innen und die Leit-Medien auch nach dem glas­kla­ren Ergeb­nis nicht müde, am Sach­ver­halt vor­bei zu «ana­ly­sie­ren und einzuordnen».

Schon als sich um 12.30 Uhr mit der ersten SRF-Hoch­rech­nung die Annahme der Initia­tive abzeich­nete, war bei Radio DRS von einer «Zei­ten­wende» die Rede, die auf die Mobi­li­sie­rung von «Pro­test­stim­men» zurück­zu­füh­ren sei.

Auch im TV-Abstim­mungs­stu­dio bezeich­nete der «Polit-Experte» Lukas Golder vom Insti­tut gfs Bern die Abstim­mung als «Pro­test­vo­tum». Ins Zen­trum gerückt wurde in der glei­chen Sen­dung zudem ein­mal mehr ein behaup­te­ter Gene­ra­tio­nen­gra­ben zwi­schen der älte­ren «indi­vi­dua­li­sti­schen Gene­ra­tion» der Baby­boo­mer und den Jun­gen, die nun von den Alten aus­ge­beu­tet würden.

Sol­che Pole­mik geht seit­her im glei­chen Stil wei­ter. Die Abstim­mungs-Kom­men­tare und ‑Ana­ly­sen der letz­ten Tage zei­gen ein arm­se­li­ges Bild vom Zustand unse­rer Demo­kra­tie: Bür­ger­li­chen Politiker:innen fehlt wie­der ein­mal die Ein­sicht und der Wille zur getreuen Umset­zung der Vor­lage. Statt­des­sen wird wei­ter­hin über die 13. AHV-Rente, wel­che die Schweiz teuer zu ste­hen komme, geschimpft und gejam­mert, was das Zeug hält.

Keine Spur von Respekt vor dem Volks­wil­len, der sonst so gerne bei jeder pas­sen­den und unpas­sen­den Gele­gen­heit vor­ge­scho­ben wird. Jetzt, wo es ein­mal trotz mil­lio­nen­schwe­rer Abstim­mungs­kam­pa­gne nicht gelun­gen ist, das Stimm­volk zu den eige­nen Gun­sten zurecht­zu­bie­gen, wird die grosse Mehr­heit schlechtgemacht:

Die Rede ist von indi­vi­dua­li­sti­schen, selbst­ge­rech­ten Baby­boo­mern mit «Anspruchs­hal­tung». Der Chef­re­dak­tor des Nebel­spal­ters geht sogar so weit, die SVP-Wäh­ler­schaft, die sich aus guten Grün­den für ein JA ent­schie­den hat, als «Trot­tel» zu bezeich­nen. Und die NZZ stellt ein­mal mehr unter Beweis, dass sie das System der AHV nicht ver­stan­den hat: So schreibt etwa Inland­che­fin Chri­stina Neu­haus: «Der Gene­ra­tio­nen­ver­trag, der die Soli­da­ri­tät der arbei­ten­den Bevöl­ke­rung mit den Rent­nern sicher­stel­len soll, wurde verletzt.»

Eine Behaup­tung, die auch bei 1000facher Wie­der­ho­lung nicht wah­rer wird: Die 13. AHV-Rente wird der­einst auch den heute Berufs­tä­ti­gen zugu­te­kom­men. Wo ist also das Pro­blem? Fakt ist: Wäh­rend sogar gfs-Experte Golder zuge­ben muss, dass es mit dem Gene­ra­tio­nen­kon­flikt hier­zu­lande doch (noch) nicht so schlimm sei, zeigt der Blick auf die Abstim­mungs­re­sul­tate einen ande­ren, tie­fen Gra­ben: Jenen zwi­schen Reich und Arm. Doch davon ist weit und breit nichts zu lesen.

Bei nähe­rem Hin­se­hen fällt näm­lich auf, dass Gemein­den mit einem hohen Anteil an Gut­si­tu­ier­ten ten­den­zi­ell hohe Anteile an Nein-Stim­men ver­zeich­ne­ten. Ein­drück­lich zeigt sich dies etwa im Kan­ton Zürich, wo die Initia­tive in den Mil­lio­närs­re­si­den­zen an der Gold­kü­ste haus­hoch ver­wor­fen wurde (Erlen­bach mit 68% NEIN-Stim­men). Das Glei­che gilt aber auch anderswo und lässt sich etwa in Bern oder Zürich sogar auf Quar­tie­r­ebene her­un­ter­bre­chen: Die Wohl­ha­ben­den im Ber­ner Kir­chen­feld und am Zürich­berg leg­ten deut­lich mehr Nein in die Urne als ihre Mitbürger:innen in ande­ren Stadt­tei­len mit nied­ri­ge­rem Steu­er­auf­kom­men. Und die Wohl­ha­ben­den sind weit über­durch­schnitt­lich zur Urne gegan­gen – von Erlen­bach bis Herr­li­berg mit Stimm­be­tei­li­gun­gen von 67 bis 71%.

An den Gold­kü­sten herrscht Panik, dass die soli­da­ri­sche Finan­zie­rung der AHV in Zukunft die pral­len Geld­säckel der Mehr­bes­se­ren anknab­bern könnte – zum Bei­spiel durch die Ein­füh­rung einer Erb­schafts- oder Mikrosteuer.

Die Chuzpe, mit der eine rei­che, gie­rige Schicht in die­sem Land wei­ter­hin ver­sucht, den not­wen­di­gen Aus­bau der AHV zu sabo­tie­ren, macht wütend. Ange­sichts der aktu­el­len Zusam­men­set­zung des Bun­des-Par­la­ments und der dort gras­sie­ren­den Inter­es­sens- und Lob­by­po­li­tik, die den Volks­wil­len bloss als stö­ren­des Ele­ment betrach­tet, besteht die berech­tigte Befürch­tung, dass die Umset­zung auch die­ser erfolg­rei­chen Volks­in­itia­ti­ven – wie schon oft prak­ti­ziert – hem­mungs­los tor­pe­diert wird.

Umso wich­ti­ger ist jetzt, dass das JA vom letz­ten Sonn­tag nicht in den Müh­len der Poli­tik pul­ve­ri­siert wird. Es gilt, den Druck auf Bun­des­bern auf­recht zu erhal­ten. Die 13. AHV-Rente ist näm­lich weder ein Pro­test­vo­tum noch ein Mei­len­stein. Sie ist ledig­lich ein klei­ner, prag­ma­ti­scher Schritt, der es erlaubt, den der­zei­ti­gen Alters­ren­ten­ab­bau ein Stück weit auf­zu­fan­gen. Auf dass der Gra­ben zwi­schen Arm und Reich nicht wei­ter wachse.

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