Falsche Weichenstellung:
NEIN zum neuen Stromgesetz!

Die Ener­gie­stif­tung Schweiz SES hat Anfang März eine äus­serst span­nende Stu­die publi­ziert. Basie­rend auf einer Ana­lyse der gel­ten­den Bun­des­ge­setze zeigt sie auf, wie der Ener­gie­kon­sum in der Schweiz durch Fehl­an­reize ange­heizt wird: Auf­ge­führt wer­den 112 soge­nannte «Mass­nah­men mit ener­ge­ti­schem Fehl­an­reiz» – die Liste, so die Autor:innen der Stu­die, sei nicht abschlies­send, die Zahl der Fehl­an­reize eher unterschätzt.

Die Expert:innen iden­ti­fi­zier­ten Fehl­an­reize in zahl­rei­chen Sek­to­ren – dazu gehö­ren ins­be­son­dere die Berei­che Ener­gie, Ver­kehr, Land­wirt­schaft, Tou­ris­mus, Industrie/​Unternehmen – aber auch Regu­lie­run­gen im Steu­er­we­sen sowie bei Bau und Raum­pla­nung beför­dern den Ener­gie­ver­schleiss. Und zwar durch ver­schie­dene For­men von Mass­nah­men wie Sub­ven­tio­nen, Steu­ern, Vor­schrif­ten – aber auch Män­gel im Voll­zug oder bei der Kon­trolle ver­hin­dern bis­lang einen effi­zi­en­ten Umgang mit Energie.

Bei­spiele für Fehl­an­reize sind etwa Tarife, die bei hohem Strom­ver­brauch sin­ken. Oder das Feh­len einer CO2-Abgabe auf Treib­stof­fen im Stras­sen­ver­kehr. Und die Befrei­ung des Flug­ver­kehrs von der Mineralölsteuer.

Allein die Kor­rek­tur von sie­ben in der Stu­die näher unter­such­ten Fehl­an­rei­zen beinhal­tet ein Ener­gie­spar­po­ten­zial von 9 bis 10 Ter­ra­watt­stun­den (TWh) pro Jahr, was knapp 5 Pro­zent des heu­ti­gen Schwei­zer Gesamt­ener­gie­ver­brauchs ent­spricht. – Mit ande­ren Wor­ten: Durch die Abschaf­fung oder Revi­sion der Geset­zes­ar­ti­kel, die zum Mehr­ver­brauch an Ener­gie ani­mie­ren, könnte der Ener­gie­be­darf in der Schweiz mas­siv redu­ziert werden.

Dass nun aus­ge­rech­net die SES das Ja-Lager der Umwelt­ver­bände zum neuen Strom­ge­setz, über das wir am 9. Juni 2024 abstim­men wer­den, anführt, ist abso­lut unver­ständ­lich. Han­delt es sich doch bei der Vor­lage («Man­tel­erlass») um ein Mach­werk, das gleich in mehr­fa­cher Hin­sicht zusätz­li­che Fehl­an­reize in der Schwei­zer Ener­gie­po­li­tik produziert.

Wer das Fei­len an den neuen Geset­zes­ar­ti­keln mit­ver­folgt hat und sich die Mühe nimmt, die neuen Bestim­mun­gen im Detail zu lesen, stellt mit gros­ser Ver­wun­de­rung fest: Die Slo­gans für die Ja-Parole der Umwelt­ver­bände klin­gen wie ein Hohn und ent­sprin­gen eher einem Wunsch­den­ken als der Realität.

So wird etwa in Bezug auf Solar­an­la­gen behaup­tet: «Über 80 Pro­zent der Anla­gen ent­ste­hen auf Gebäu­den und bestehen­der Infra­struk­tur.» – Stimmt nicht. Fakt ist: Die ange­dachte Solar-Pflicht für Fas­sa­den und Dächer hatte im Par­la­ment keine Chance. Was davon übrig blieb ist ein­zig die Vor­schrift, dass beim «Bau neuer Gebäude mit einer anre­chen­ba­ren Gebäu­de­flä­che von mehr als 300m²» eine Pho­to­vol­taik oder Solar­ther­mie­an­lage zu erstel­len sei. Und noch da ermög­licht das Gesetz die Gewäh­rung von Ausnahmen.

Dies, obschon etwa ein vom Bun­des­amt für Ener­gie publi­zier­ter Solar­ka­ta­ster auf­zeigt, dass allein geeig­nete Haus­dä­cher und Fas­sa­den 67 TWh Strom lie­fern könn­ten. Mit einer zusätz­li­chen Bestückung von Infra­struk­tu­ren wie Lärm­schutz­wän­den, Ver­kehrs­flä­chen oder Stau­mau­ern mit Pho­to­vol­taik-Anla­gen könn­ten jähr­lich sogar 90 TWh Ener­gie pro­du­ziert wer­den. Das ist mehr als dop­pelt soviel Strom wie sämt­li­che Was­ser­kraft­werke der Schweiz liefern.*

Statt die­ses enorme Poten­zial mit einer kon­se­quen­ten För­de­rung von Solar­an­la­gen auf bestehen­den Bau­ten zu nut­zen, ermög­licht das neue Gesetz für Ener­gie­infra­struk­tu­ren «von natio­na­lem Inter­esse», dass bis­he­rige Bestim­mun­gen des Natur- und Hei­mat­schutz­ge­set­zes zugun­sten der Ener­gie­ge­win­nung aus­ge­he­belt wer­den. Und finan­zi­elle Anreize für die gros­sen Ener­gie­kon­zerne ver­hin­dern eine schlan­kere, dezen­trale Ener­gie­pro­duk­tion. Denn der Bund soll bis zu 40 Pro­zent an die Pro­jek­tie­rungs­ko­sten neuer gros­ser Wasserkraft‑, Wind­ener­gie- oder Geo­ther­mie­an­la­gen zah­len, was den Elek­tro­kon­zer­nen bei ihren Plä­nen entgegenkommt.

Dies sind nur zwei einer gan­zen Reihe von Bei­spie­len, die zei­gen, wie das neue Strom­ge­setz das ver­al­tete Den­ken und die Ener­gie­ver­schwen­dung wei­ter zemen­tiert. Keine Frage: Wir brau­chen drin­gend neue Regeln und Vor­schrif­ten, um den Ener­gie­ver­brauch in unse­rem Land nach­hal­tig zu gestal­ten – das heisst aber vor allem auch, ihn zu senken.

Dass dies mög­lich wäre, zeigt nicht nur die ein­gangs erwähnte SES-Stu­die. Laut einer ande­ren Stu­die der Schwei­ze­ri­schen Agen­tur für Ener­gie­ef­fi­zi­enz S.A.F.E. liegt das Spar­po­ten­zial beim Strom – allein gestützt auf den tech­ni­schen Fort­schritt – bei rund 26 TWh. Laut dem Ver­ein bräuchte die Schweiz 2035 – bei gleich­blei­ben­dem Wachs­tum – pro Jahr nur 46 TWh Strom, also 23 Pro­zent weni­ger als heute, wenn sie das tech­ni­sche Spar­po­ten­zial aus­schöp­fen würde.

Das neue Strom­ge­setz macht in Bezug auf Ener­gie­spar­mass­nah­men bloss sehr all­ge­meine Anga­ben. Trotz har­tem Rin­gen muss der erfeilschte Kom­pro­miss als grot­ten­schlecht bezeich­net wer­den – allzu viel von dem, was die Vertreter:innen der JA-Parole nun aus dem Man­tel­erlass her­aus­le­sen, steht dort mit kei­nem Wort. Im Gegen­teil: Die Vor­lage ist eine Mogel­packung, gefüllt mit Gummiparagraphen.

Mit der Kate­go­rie Ener­gie­an­la­gen «von natio­na­lem Inter­esse» schafft das Gesetz gar die Basis für einen unge­brem­sten Aus­bau von Ener­gie-Infra­struk­tur­bau­ten auf Kosten von Natur und Umwelt: Eine von den Strom­ba­ro­nen zu defi­nie­rende «Ener­gie­si­cher­heit» erhält expli­zit das Pri­mat über Land­schafts- und Hei­mat­schutz. Mit- und Ein­spra­che­rechte wer­den beschnit­ten, Bewil­li­gungs­ver­fah­ren beschleu­nigt und «ver­schlankt».

Das geht auf Kosten von Sorg­falt und Serio­si­tät. Dies nota­bene ohne Not, wie oben erwähnte Stu­dien bewei­sen: Die Schweiz ver­fügt aktu­ell nicht nur über genü­gend Ener­gie, sie hat dar­über hin­aus ein gros­ses Ener­gie­spar-Poten­zial. Dies muss erst ein­mal aus­ge­schöpft wer­den, bevor man dem Aus­bau von Ener­gie-Infra­struk­tur hem­mungs­los Tür und Tor öff­net. Es braucht ein grif­fi­ges Gesetz, das auch der Erkennt­nis Rech­nung trägt, dass Ener­gie­res­sour­cen sorg­fäl­tig und nach­hal­tig genutzt wer­den müssen.

Ein NEIN am 9. Juni wird die Politiker:innen – und auch die Umwelt­ver­bände – zwin­gen, das Ganze neu auf­zu­glei­sen. Die Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen sol­len ihre Auf­ga­ben erfül­len und dür­fen nicht Hand zu fau­len Kom­pro­mis­sen mit den Elek­tro­tur­bos bie­ten. Damit die Parole «Strom im Ein­klang mit der Natur» nicht bloss eine leere Wort­hülse bleibt, son­dern tat­säch­lich umge­setzt wird.

*Quelle: Die Ener­gie­wende im War­te­saal, Rudolf Rech­stei­ner, hrsg. von der SES, Ver­lag Zocher&Peter, 2021

Schweizer Zynismus

Der Chef des Palä­sti­nen­ser-Hilfs­werks UNRWA Phil­ipp Laz­z­a­rini lei­stet die­ser Tage das Men­schen­mög­li­che. Damit die drin­gend benö­tigte huma­ni­täre Hilfe für die Kriegs­op­fer im Gaza­strei­fen nicht ver­siegt, reist er zur­zeit von Land zu Land, um die Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker zu bewe­gen, ihre Ver­pflich­tun­gen gegen­über der UNRWA ein­zu­hal­ten und ihre Zah­lun­gen wie­der aufzunehmen.

Zur Erin­ne­rung: Nach­dem Israel 12 Mitarbeiter:innen des Hilfs­werks beschul­digt hatte, an den Attacken gegen Israel vom 7. Okto­ber 2023 betei­ligt gewe­sen zu sein, stell­ten zahl­rei­che Staa­ten – dar­un­ter auch die Schweiz – ihre Unter­stüt­zung für das UNRWA ein.

Die UNO und Laz­z­a­rini reagier­ten sofort: Die von Israel bezeich­ne­ten Mit­ar­bei­ter wur­den umge­hend dis­pen­siert, eine interne sowie eine externe Unter­su­chung ein­ge­lei­tet. Bis­lang konn­ten die Anschul­di­gun­gen nicht erhär­tet wer­den, was die israe­li­sche Regie­rung nicht davon abhält, ihre Stra­te­gie zur Ver­nich­tung des UNRWA unver­fro­ren weiterzuverfolgen.

Gleich­zei­tig hat sich die Situa­tion in den palä­sti­nen­si­schen Gebie­ten in den letz­ten Mona­ten dra­ma­tisch ver­schlim­mert. Die israe­li­sche Besat­zungs­ar­mee hat im Gaza­strei­fen eine huma­ni­täre Kata­stro­phe ange­rich­tet und hört trotz inter­na­tio­na­ler Pro­te­ste nicht auf, die Zivil­be­völ­ke­rung zu beschies­sen und aus­zu­hun­gern. Mitt­ler­weile wur­den über 32’000 Men­schen getö­tet, 75’000 ver­letzt. Zer­stö­rung, Ver­trei­bung und nun auch noch der Hun­ger – was vor den Augen der Welt­öf­fent­lich­keit im Gaza­strei­fen geschieht, ist kaum zu fassen.

Dass Israel das UNWRA mit allen Mit­teln los­wer­den möchte, ist seit lan­gem bekannt. Aber krieg­füh­rende Par­teien wie Israel haben sich noch nie um die Opfer ihrer Bom­bar­die­run­gen geküm­mert. Des­halb braucht es inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tio­nen wie das Rote Kreuz und das UNRWA. Die­ses kennt mit Tau­sen­den von Mit­ar­bei­ten­den vor Ort die Umstände, ver­fügt über ein Netz­werk, wie keine andere Hilfs­or­ga­ni­sa­tion in Palästina. 

Auf­grund des vor­ei­li­gen Zah­lungs­stopps droht dem UNRWA aber in Kürze das Geld aus­zu­ge­hen. Aus­ge­rech­net jetzt, wo seine Hilfe drin­gen­der denn je benö­tigt wird. UNRWA-Chef Phil­ipp Laz­z­a­rini, der ange­sichts der gros­sen Her­aus­for­de­run­gen eigent­lich mit der ope­ra­tio­nel­len Lei­tung der Orga­ni­sa­tion schon genug am Hut hätte, ist nun unter­wegs auf einer unwür­di­gen Bet­tel­tour, um die poli­ti­schen Entscheidungsträger:innen zu bewe­gen, die ver­spro­che­nen Bei­träge ans UNRWA freizugeben.

Letzte Woche musste Laz­z­a­rini in die­ser Sache auch vor der Aus­sen­po­li­ti­schen Kom­mis­sion (APK) des Natio­nal­rats in der Schweiz Red und Ant­wort ste­hen. Und gab der Hoff­nung Aus­druck, dass die Schweiz bald ihre Zah­lun­gen wie­der auf­neh­men und wie in der Ver­gan­gen­heit als ver­läss­li­che, unter­stüt­zende Part­ne­rin des UNRWA auf­tre­ten werde. Wie dies andere west­li­che Staa­ten bereits getan haben.

Diese Hoff­nung wurde bit­ter ent­täuscht: Die 20 Mil­lio­nen Fran­ken, wel­che die Schweiz für 2024 an das UNRWA zah­len müsste, blei­ben vor­läu­fig ein­ge­fro­ren. Die sat­ten, selbst­ge­rech­ten Kom­mis­si­ons­mit­glie­der – allen voran die Natio­nal­räte Franz Grüt­ter (SVP) und Hans-Peter Port­mann (FDP) sowie Eli­sa­beth Schnei­der-Schnei­ter (Mitte) – höhn­ten, Laz­z­a­rini habe «eine Chance ver­passt» und ihnen «nicht glaub­haft wider­le­gen kön­nen, dass die Schwei­zer Gel­der für das UNRWA even­tu­ell doch in ter­ro­ri­sti­schen Hän­den landen.»

Auch das EDA ver­kriecht sich und ver­laut­bart, man warte die End­ergeb­nisse der exter­nen Unter­su­chung zu den israe­li­schen Vor­wür­fen ab, bevor der Bun­des­rat einen Ent­scheid fäl­len werde – der dann wie­derum der APK vor­ge­legt wer­den muss. Bis es soweit ist, dürf­ten noch Wochen verstreichen.

Mit ihrem demon­stra­ti­ven Abwar­ten und Nichts­tun für die ver­hun­gern­den und ver­dur­sten­den Men­schen im Gaza­strei­fen, machen sich die unver­ant­wort­li­chen Schwei­zer Volksvertreter:innen mit­schul­dig an den Kriegs­ver­bre­chen im Nahen Osten. Ein­fach nur schä­big. Müs­sen wir als Wähl- und Stimm­volk das akzeptieren?

Ein­zig Nico­las Wal­der (Grüne), eben­falls Mit­glied der APK, for­derte nach der Anhö­rung von Laz­z­a­rini in den Medien eine Wie­der­auf­nahme der Zah­lun­gen und wies dar­auf hin, dass der Zusam­men­bruch des UNRWA für die Men­schen in Gaza ver­hee­rende Fol­gen habe, was die mei­sten Län­der mitt­ler­weile begrif­fen hätten.

In der Tat gehört die Schweiz inzwi­schen zu einer klei­nen Gruppe von Hard­li­nern, die sich wei­gern, das UNRWA wei­ter zu unter­stüt­zen. Andere Natio­nen, wie etwa Spa­nien haben bereits im Februar die UNRWA mit einer Son­der­zah­lung unter­stützt, die skan­di­na­vi­schen Län­der sowie Kanada und Austra­lien haben ihre Zah­lun­gen in den letz­ten Wochen wie­der auf­ge­nom­men. Und sogar Deutsch­land hat 40 Mil­lio­nen fürs UNRWA bewil­ligt – die aller­dings – nicht im Gaza­strei­fen ein­ge­setzt wer­den dürfen.

Nach sei­nem Tref­fen mit den Schwei­zer Politiker:innen ist Phil­ipp Laz­z­a­rini letzte Woche nach Japan wei­ter­ge­reist. Auch dort stiess er auf mehr Empa­thie und Enga­ge­ment für die not­lei­den­den Men­schen in Gaza als in sei­nem Hei­mat­land: In der ersten April-Hälfte wird Japan die gestopp­ten Zah­lun­gen wie­der freigeben.

Brücken bauen statt Gräben aufreissen

«Wir for­dern die Men­schen auf, sich nicht auf eine Seite zu schla­gen: Wir brau­chen weder Pro-Palä­stina- noch Pro-Israel-Kund­ge­bun­gen — aber ein Bekennt­nis zur Mensch­lich­keit.» So brachte Rana Sal­man, Co-Direk­to­rin der Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tion Com­ba­tants for Peace (CfP)* ihre Mes­sage anläss­lich der Ver­an­stal­tung am Mon­tag, 11. März 2024 im Progr Bern auf den Punkt.

Unter dem Motto «Zusam­men statt Spal­tung: Jetzt erst recht!» tourt die Palä­sti­nen­se­rin aus Beth­le­hem zusam­men mit ihrem israe­li­schen Kol­le­gen Yair Bun­zel wäh­rend einer Woche durch die Schweiz. Orga­ni­siert wurde der Besuch der Friedensaktivist:innen von der Orga­ni­sa­tion «Ina autra senda – Swiss Fri­ends of Com­ba­tants for Peace» mit Unter­stüt­zung von Amne­sty Inter­na­tio­nal und des Forums für Men­schen­rechte in Israel Palästina.

Die bei­den Friedensaktivist:innen sind mit einer ein­drück­li­chen und ein­dring­li­chen Bot­schaft ange­reist, von der zu hof­fen ist, dass sie auch hier­zu­lande die Her­zen eines brei­ten Publi­kums erreicht. Immer­hin war der Bet­saal der Jüdi­schen Libe­ra­len Gemeinde in Zürich anläss­lich ihrer ersten Ver­an­stal­tung in der Schweiz bis auf den letz­ten Platz besetzt, und auch in Bern kamen zahl­rei­che Men­schen in die Progr-Aula und sorg­ten für eine leben­dige Diskussion.

Schon die Bio­gra­fien von Rana und Yair zei­gen die seit lan­gem ver­fah­rene Situa­tion im Nahen Osten: Yair blickt auf eine lange Kar­riere als Offi­zier in der israe­li­schen Armee zurück. Wäh­rend sei­nes vier­jäh­ri­gen Mili­tär­dien­stes wurde er 1982 in den Liba­non­krieg abkom­man­diert, danach diente er wei­tere 17 Jahre als Reser­vist und war wäh­rend der 1. und 2. Inti­fada im Mili­tär­ein­satz. «Mein letz­ter Akt als Sol­dat war der Schutz von Sied­lern in Gaza», erin­nert sich Yair.

Erst Jahre spä­ter, anläss­lich einer Reise durch die West­bank, begeg­nete Yair, inzwi­schen Rei­se­füh­rer gewor­den, auf einer Tou­ris­mus-Tour palä­sti­nen­si­schen Men­schen in ihren Häu­sern. Zum ersten Mal ohne Uni­form, unbe­waff­net und angst­frei auf bei­den Sei­ten. «Zuvor fürch­te­ten sich die Leute immer vor mir – dies­mal trug ich keine Uni­form, trat nicht als Sol­dat auf, son­dern auf glei­cher Augenhöhe.»

Nach die­sem und wei­te­ren posi­ti­ven Erleb­nis­sen hat er sich den Com­ba­tants for Peace ange­schlos­sen und besucht nun bereits seit sie­ben Jah­ren ein- bis zwei­mal wöchent­lich Hir­ten­fa­mi­lien im Jor­dan­tal, die von der israe­li­schen Armee und von radi­ka­len Sied­lern bedroht und ver­trie­ben wer­den. «Ich fühle mich ver­ant­wort­lich für die Taten mei­ner Regie­rung», sagt Yair. «Zusätz­lich zur Hitze und den har­ten Lebens­be­din­gun­gen set­zen meine Leute, meine Armee und meine Regie­rung alles daran, das Leben die­ser Men­schen zu zer­stö­ren.» Weil Israe­lis davon aus­ge­hen wür­den, dass jeder Ara­ber Gefahr bedeute.

Angst domi­niert auch das Leben der Palästinenser:innen. Rana erzählt von ihrer ersten Begeg­nung mit jüdi­schen Men­schen – 2000 Mei­len ent­fernt von ihrer Hei­mat, in Kroa­tien. Sie war ein­ge­la­den in ein Wil­der­ness-Camp für junge israe­li­sche und palä­sti­nen­si­sche Frauen, die wäh­rend des 10tägigen Work­shops durch gemein­sa­mes Über­le­bens­trai­ning ganz neue Erfah­run­gen mach­ten. «Dort traf ich erst­mals Israe­lis, die nicht schwer bewaff­net in Uni­form waren – vor­her hatte ich nur Bil­der von Sol­da­ten und Sied­lern, bei­des machte Angst.»

Die gemein­sa­men Erfah­run­gen hät­ten bewirkt, dass am Ende irra­tio­nale Angst durch Respekt ersetzt und aus dem «wir gegen die ande­ren» ein «wir und sie» wurde. Rana beschreibt die para­doxe Situa­tion in Israel und Palä­stina tref­fend: «Wir has­sen die ande­ren, ohne sie zu ken­nen. Die Medien haben uns seit Jah­ren unauf­hör­lich damit gefüt­tert». Vor drei Jah­ren beschloss sie, dies zu ändern und ist den Com­ba­tants for Peace bei­getre­ten. Sie enga­giert sich auf ver­schie­de­nen Ebe­nen in der Zusam­men­ar­beit von jüdi­schen und palä­sti­nen­si­schen Friedensaktivist:innen und ist heute — zusam­men mit ihrer israe­li­schen Part­ne­rin Esz­ter Kro­anyi — die erste weib­li­che Co-Direk­to­rin der Organisation.

Dafür wird sie auf palä­sti­nen­si­scher Seite genauso kri­ti­siert wie Yair aus dem israe­lisch-jüdi­schen Umfeld. Die bei­den las­sen sich davon nicht beir­ren — daran haben auch die Attacke vom 7. Okto­ber und der Krieg im Gaza nichts geän­dert. Obschon es in einer ersten Phase sehr schwie­rig gewe­sen sei, die gemein­same Frie­dens­ar­beit fort­zu­füh­ren. «Am Sonn­tag nach dem Angriff dis­ku­tier­ten wir wäh­rend drei Stun­den auf Zoom», erin­nert sich Rana. «Das war eine echte Belastungsprobe.»

Danach hät­ten sich die jüdi­schen und palä­sti­nen­si­schen Mit­glie­der der Gruppe wäh­rend einer Woche nur sepa­rat unter­ein­an­der aus­ge­tauscht, um wie­der etwas kla­rer zu den­ken. Nach die­ser ersten Zeit der not­wen­di­gen Kon­so­li­die­rung arbeite man jetzt aber mit der glei­chen Über­zeu­gung wei­ter wie zuvor.

«Für mich ist wich­tig, dass das Gespräch zwi­schen den Men­schen wei­ter­geht», sagt Yair, und Rana ergänzt: «Wir haben uns in den letz­ten Jah­ren von Fein­den zu Part­nern ent­wickelt. Wir füh­len den glei­chen Schmerz für ein israe­li­sches Kind wie für ein palä­sti­nen­si­sches Kind. Was wir jetzt aber erle­ben, ist ein beäng­sti­gen­des Mass an Entmenschlichung.»

Dage­gen anzu­kämp­fen, so Rana wei­ter, dafür stün­den alle in der Ver­ant­wor­tung. Weil Frie­den nur mög­lich sei, wenn wir die Mensch­lich­keit des Gegen­übers aner­ken­nen. Ein Appell, den die bei­den Frie­dens­rei­sen­den durch­aus auch an uns in der Schweiz rich­ten. Gerade in Bezug auf den aktu­el­len Krieg im Nahen Osten.

Weil wir in einer glo­ba­li­sier­ten Welt leben, würde jedes Enga­ge­ment Kreise zie­hen, wie wenn man einen Stein ins Was­ser wirft, sagte Yair. Mehr­fach wie­der­holte er, dass sie jetzt uns in Europa brau­chen wür­den und ein ent­schlos­se­nes Ein­ste­hen für einen gerech­ten Frie­den: «Was kann man machen? – Ich kann sagen, es sei zu kom­pli­ziert und nichts tun – oder ler­nen, ver­ste­hen und han­deln… Wenn wir schwei­gen, wird das Unrecht wei­ter gehen.»

From the river to the sea only peace will set us free

Rana Sal­man wurde in Jeru­sa­lem gebo­ren. Sie ist die palä­sti­nen­si­sche Ko-Direk­to­rin von CFP. Zuvor war sie Mit­be­grün­de­rin von Peace By Piece Tours, einem Rei­se­un­ter­neh­men, das Bil­dungs- und poli­ti­sche Rei­sen in Israel und Palä­stina anbie­tet. In die­ser Funk­tion ver­brachte sie einen Groß­teil der letz­ten 10 Jahre damit, inter­na­tio­nale Grup­pen auf alter­na­ti­ven Tou­ren und Erkun­dungs­mis­sio­nen in der Region zu füh­ren. Rana hat auch als frei­be­ruf­li­che Über­set­ze­rin und Autorin gear­bei­tet. Sie hat einen Bache­lor-Abschluss in eng­li­scher Spra­che und Lite­ra­tur und ein Diplom als Rei­se­lei­te­rin. Ihr Ziel ist es, Men­schen zu ver­bin­den und Ver­än­de­run­gen zu erreichen. 

Yair Bun­zel wurde 1962 in Israel gebo­ren. Er ist ver­hei­ra­tet und hat drei Söhne. Er ist ehe­ma­li­ger Haupt­mann der israe­li­schen Armee, in der er vier Jahre lang diente und deren Teil er 17 Jahre als Reser­ve­of­fi­zier war, auch wäh­rend des ersten Liba­non­kriegs und der bei­den Inti­fa­das. Vor sechs Jah­ren beschloss er, sich Com­ba­tants for Peace anzu­schlie­ßen, nach­dem er eine unver­gess­li­che Begeg­nung mit palä­sti­nen­si­schen Hir­ten hatte. Seit­dem wid­met er einen gro­ßen Teil sei­ner Zeit der Beob­ach­tung der Situa­tion im Jor­dan­tal und der Unter­stüt­zung der palä­sti­nen­si­schen Gemein­den bei der Ver­tei­di­gung ihrer Rechte.

* Die Com­ba­tants for Peace wur­den 2006 von ehe­ma­li­gen Sol­da­ten und Frei­heits­kämp­fern in Israel und Palä­stina gegrün­det. Inzwi­schen ist die Bewe­gung offen für alle, die sich gewalt­frei für Frie­den und glei­che Rechte für Israe­lis und Palästinenser:innen engagieren.

Bil­der © Com­ba­tants for Peace

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