Skip to content

Israelischer Terror oder politische Nachhilfe im Kunstmuseum

Aktu­ell scheint die israe­li­sche Regie­rung alles daran zu set­zen, dass die Gewalt­spi­rale im Nahen Osten wei­ter eska­liert. Anläss­lich des Besuchs von Pre­mier­mi­ni­ster Netan­jahu in den USA musste sich die­ser strenge Ermah­nun­gen und deut­li­che Auf­for­de­run­gen anhö­ren, dem Töten von Zivilist:innen in Gaza end­lich ein Ende zu setzen.

Netan­jahu aber stellte sich taub – er lässt sich weder von Demon­stra­tio­nen im eige­nen Land noch von aus­län­di­schen Appel­len beein­drucken. Unbe­irrt macht er wei­ter. Wäh­rend in Paris unter mas­siv­sten Sicher­heits­vor­keh­ren der Auf­takt der Olym­pi­schen Som­mer­spiele gefei­ert wurde, bom­bar­dierte die israe­li­sche Armee erneut eine Schule in Deir al-Balah im Gazastreifen.

Sie diente Hun­der­ten von Men­schen als Zufluchts­ort vor den Kämp­fen – dreis­sig von ihnen star­ben beim Angriff, es gab über hun­dert Ver­letzte. Damit nicht genug: Die israe­li­sche Armee for­derte die Men­schen dazu auf, erneut zu flie­hen und sich andern­orts «in Sicher­heit» zu bringen.

Wäh­rend es für die Welt­presse nichts Wich­ti­ge­res gibt als olym­pi­sche Zir­kus­spiele, eska­liert die Situa­tion auch im Nor­den der von Israel besetz­ten Gebiete: Fast täg­lich über­fällt die israe­li­sche Armee Städte und Dör­fer im West­jor­dan­land, tötet Kämpfer:innen, die sich gegen die Besat­zung auf­leh­nen, ver­haf­tet Men­schen und steckt sie in berüch­tigte Gefäng­nisse. Oft sind auch Bull­do­zer dabei, die Pri­vat­häu­ser demolieren. 

Drei Tage nach einem töd­li­chen Rake­ten­ein­schlag auf ein von Dru­sen bewohn­tes Dorf in den von Israel wider­recht­lich annek­tier­ten Golan­hö­hen, ver­übte die israe­li­sche Armee in Bei­rut ein Ver­gel­tungs­at­ten­tat auf einen hoch­ran­gi­gen Kom­man­dan­ten der His­bol­lah. Die Ver­gel­tung galt dabei nicht den toten (nicht­is­rae­li­schen) Jugend­li­chen, die ihr gan­zes kur­zes Leben unter israe­li­scher Besat­zung ver­brin­gen muss­ten, son­dern dem Erz­feind im Nor­den, des­sen Rakete israe­li­sche Gefechts­stel­lun­gen in der Nach­bar­schaft hätte tref­fen sol­len. Die Ver­tre­ter der betrof­fe­nen Dru­sen Gemeinde haben klar gemacht: Sie wol­len kein Blut­ver­gies­sen in ihrem Namen und wün­schen sich im Gegen­teil Frie­den und den end­gül­ti­gen Abzug der israe­li­schen Armee aus ihrer Heimat.

Damit nicht genug: In Tehe­ran tötete eine Spreng­la­dung am 31. Juli den poli­ti­schen Hamas-Chef Ismail Han­jyeh und sei­nen Leib­wäch­ter. Dadurch liqui­dierte Israel den Ver­hand­lungs­füh­rer der Gegen­seite im Rin­gen um die Frei­las­sung der rest­li­chen Gei­seln vom 7. Oktober.

Mit die­sem Atten­tat zün­dete Israel eine näch­ste Stufe der Eska­la­tion. Offen­bar pokern Netan­jahu und seine Kriegs­scher­gen dar­auf, dass ihre Ver­bün­de­ten – allen voran die USA – sich in einen gros­sen Krieg mit Isra­els Nach­bar­län­dern und dem Iran hin­ein­zie­hen lassen.

Israe­li­sche Ter­ror­an­griffe auf unlieb­same Geg­ner sind nichts Neues. Im Gegen­teil: Die Geschichte von geziel­ten Tötun­gen, Atten­ta­ten und Aktio­nen durch israe­li­sche Geheim­dienst- und Sicher­heits­kräfte auf nicht-israe­li­schem Ter­ri­to­rium ist lang – und wurde von den Ver­bün­de­ten im Westen immer gedul­det, wenn nicht gar unterstützt.

Wie aktiv Israel hin­ter den Kulis­sen die Fäden zieht, doku­men­tierte die Künst­le­rin Sarah Mor­ris bereits 2008 in ihrem Film «1972». Ihr Inter­view mit dem ehe­ma­li­gen Poli­zei­psy­cho­lo­gen Georg Sie­ber ist ein Zeit­do­ku­ment von poli­ti­scher Bri­sanz und fast schon erschrecken­der Aktua­li­tät – gezeigt als eines von zahl­rei­chen Wer­ken der aktu­el­len Aus­stel­lung «All Systems Fail» im Klee­mu­seum in Bern.

©Sarah Mor­ris, 1972

Im Zen­trum des Films steht das Desa­ster rund um die Gei­sel­nahme von neun Israe­lis anläss­lich der Olym­pi­schen Som­mer­spiele 1972 in Mün­chen. Das all­ge­mein bekannte Nar­ra­tiv lau­tet, dass die deut­sche Poli­zei damals mass­los über­for­dert gewe­sen sei. Die Folge: Eine miss­glückte Befrei­ungs­ak­tion unter Ein­satz von Scharf­schüt­zen, bei der sämt­li­che Gei­seln sowie ein Poli­zist und fünf der acht palä­sti­nen­si­schen Gei­sel­neh­mer star­ben. Ver­ant­wort­lich für das Miss­lin­gen der Aktion, so bis heute die offi­zi­elle Geschichts­schrei­bung, sei das Ver­sa­gen der deut­schen Poli­zei­kräfte und der deut­schen Poli­ti­ker im Kri­sen­stab gewesen.

Georg Sie­ber, der 1972 als Bera­ter der Poli­zei die Sicher­heits­mass­nah­men der Spiele mit vor­be­rei­tete, rückt die dama­li­gen Gescheh­nisse im Gespräch mit Sarah Mor­ris in ein völ­lig ande­res Licht. Schon kurz nach der Gei­sel­nahme, mit der die Atten­tä­ter inhaf­tierte Palästinenser:innen frei­pres­sen woll­ten, habe Israel das Kom­mando an sich geris­sen, so Sieber.

Die deut­schen Behör­den seien bloss noch Befehls­emp­fän­ger gewe­sen, den deut­schen Poli­zi­sten habe man eine Situa­tion auf­ge­zwun­gen, auf die sie nicht vor­be­rei­tet waren. Statt zu ver­su­chen, die Gei­seln mit Mit­teln der Dees­ka­la­tion frei­zu­be­kom­men, muss­ten sie für sol­che Ein­sätze untrai­nier­tes Schiess­per­so­nal auf­bie­ten, das in einer hoch­ris­kan­ten Aktion die Gei­seln frei­schies­sen sollte. Ein Plan, der schei­tern musste.

Wes­halb die deut­schen Politiker:innen und Behör­den in die­ser Situa­tion den Lead voll und ganz den Israe­lis über­lies­sen, dar­über kann man bloss spe­ku­lie­ren. Das dama­lige Muster gleicht aber der heu­ti­gen Hal­tung west­li­cher Politiker:innen, wel­che sich nach wie vor den Kar­ren israe­li­scher Inter­es­sen und Füh­rung span­nen lassen.

Bei den Olym­pi­schen Spie­len 1972 in Mün­chen ist das schief gegan­gen, ohne dass die Ver­ant­wort­li­chen im (israe­li­schen) Hin­ter­grund je belangt wor­den wären. Heute droht ein ähn­li­ches Ver­sa­gen in viel grös­se­rem Stil – es ist höch­ste Zeit, dass die west­li­che Welt Israel den Tarif erklärt, bevor diese nach dem Völ­ker­mord in Gaza auch noch den Rest der Welt ins Ver­der­ben zieht. Mit Appease­ment Poli­tik und from­men Wün­schen ist der aktu­el­len Regie­rung nicht beizukommen.*

* Han­deln tut Not: Israel hat in Gaza bereits wie­der zuge­schla­gen: Laut neu­sten Mel­dun­gen bom­ba­dierte die israe­li­sche Armee am Sams­tag, 3. August zwei wei­tere Schu­len in Gaza und tötete erneut min­de­stens 30 Menschen.

Propaganda-Show auf dem Bürgenstock

Eine «Frie­dens­kon­fe­renz», an der nur eine der bei­den sich bekrie­gen­den Par­teien ver­tre­ten ist – absur­der geht es nim­mer. Mehr noch: Ein «Frie­dens­gip­fel», des­sen Agenda von einer der bei­den Kriegs­par­teien auf­ge­setzt und vom Ver­an­stal­ter weit­ge­hend akzep­tiert wird – ein Akt der Dumm­heit ohne­glei­chen. Jeder ver­nünf­tig den­kende Mensch käme zu die­sem Schluss – nur: Wenn es um den Krieg in der Ukraine geht, hat die Ver­nunft einen schwe­ren Stand. Auch in der Schweiz.

Was die Schwei­zer Diplo­ma­tie – ange­zet­telt durch Bun­des­prä­si­den­tin Viola Amherd und Aus­sen­mi­ni­ster Igna­zio Cas­sis – am ver­gan­ge­nen Wochen­ende auf dem Bür­gen­stock ver­an­stal­tet hat, ist auf meh­re­ren Ebe­nen ein Ärgernis.

Da kön­nen sich die Schwei­zer Medien von WOZ bis NZZ noch so ums Schön­re­den und ‑schrei­ben bemü­hen: Die teure Polit­show, wel­che die «neu­trale Schweiz» im Namen und zugun­sten des ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Wolo­dymyr Selen­skyj insze­niert hat, ist alles andere als ein Schritt in Rich­tung Frie­den – zu befürch­ten ist viel­mehr das Gegenteil.

Das Bür­gen­stock-Hap­pe­ning war nichts ande­res als eine wei­tere Folge im Sequel «Selen­skyj – von der TV-Serie auf die Welt­bühne». Ohne sei­nen Wider­sa­cher Putin, den die Schweiz – dem Wunsch des ukrai­ni­schen Kriegs­recht-Prä­si­den­ten ent­spre­chend – erst gar nicht an die Kon­fe­renz ein­ge­la­den hatte.

«Die Schweiz hat dem Ukrai­ner wäh­rend zweier Tage vor traum­haf­ter Kulisse auf dem Bür­gen­stock die ganz grosse Bühne berei­tet,» schreibt Fabian Hock, Res­sort­lei­ter Aus­land bei CH Media – und meint dies durch­aus posi­tiv. Auf der Web­site von SRF fin­det man die Bild­le­gende: «Der wich­tig­ste Teil­neh­mer kommt bereits am Frei­tag: Wolo­dymyr Selen­skyj flog mit einem Super Puma der Schwei­zer Armee in die Zentralschweiz.»

Wozu eigent­lich? Wel­chem Zweck diente der immense Auf­wand? Laut Anga­ben des Bun­des kostet die Bür­gen­stock-Show uns Steuerzahler:innen rund 15 Mil­lio­nen Fran­ken – hinzu kom­men die Kosten für den Armee­ein­satz (rund 4000 Soldat:innen) und die Orga­ni­sa­ti­ons­ar­beit des EDA

Es sind noch keine zwei Jahre, seit der Kon­fe­renz zum «Wie­der­auf­bau in der Ukraine» – dem ersten Pre­sti­ge­pro­jekt in Sachen Ukraine, das Bun­des­rat Igna­zio Cas­sis in sei­nem Hei­mat­kan­ton aus­rich­ten liess. Ein Tes­si­ner Pre­sti­ge­pro­jekt, das viel kostete und aus­ser Tou­ris­mus­wer­bung für die Desti­na­tion Lugano wenig brachte.

Damals wur­den der ukrai­ni­sche Pre­mier­mi­ni­ster und der ukrai­ni­sche Par­la­ments­prä­si­dent mit dem Bun­des­rats­jet ein­ge­flo­gen. Selen­skyj liess sich per Video zuschal­ten – zu die­sem Zeit­punkt hatte er das Rei­sen zu und mit den Mäch­ti­gen noch nicht für sich ent­deckt und hielt die Stel­lung in Kiew.

Und auch sonst blieb die Poli­tik­pro­mi­nenz dem Tref­fen weit­ge­hend fern, ein­zig Ursula von der Leyen begab sich damals nach dem G7-Gip­fel in Gar­misch-Par­ten­kir­chen und dem Nato-Gip­fel in Madrid noch ins Tessin.

Das sollte sich nicht wie­der­ho­len, wes­halb das EDA alles dar­an­setzte, mög­lichst viel Pro­mi­nenz in die Inner­schweiz zu locken. Es bleibt jedoch schlei­er­haft, wes­halb diese Blitz­übung über­haupt nötig war:

Nur Tage vor dem Bür­gen­stock-Event war Selen­skyj näm­lich schon auf allen Kanä­len zu sehen. Zuerst in Ber­lin, wo er sich anläss­lich der von Deutsch­land ein­be­ru­fe­nen «Wie­der­auf­bau­kon­fe­renz» mit Bun­des­kanz­ler Scholz traf und eine Anspra­che vor dem Bun­des­tag hielt.

Dann am G7-Gip­fel in Apu­lien, aus­ge­rich­tet von der neo­fa­schi­sti­schen Regie­rungs­chefin Meloni, mit der Ukraine als einem wich­ti­gen Trak­tan­dum. Der Ein­la­dung gefolgt waren dort, nebst den Regie­rungs­chefs der G7-Mit­glie­der Gross­bri­tan­nien, USA, Japan, Deutsch­land, Frank­reich und Kanada wei­tere Regie­rungs­chefs unter ande­rem aus der Tür­kei und Bra­si­lien sowie Papst Fran­zis­kus und natür­lich Wolo­dymyr Selen­skyj, der gedrückt und abge­küsst wurde, was das Zeug hielt.

Die USA und ihre Ver­bün­de­ten nutz­ten den G7-Gif­pel für die Ver­kün­di­gung wei­te­rer mas­si­ver Unter­stüt­zun­gen zugun­sten der Ukraine. Unter ande­rem stellte Biden einen 50-Mil­li­ar­den­kre­dit für die Ukraine in Aus­sicht, geäuf­net aus Erträ­gen aus den ein­ge­fro­re­nen rus­si­schen Vermögenswerten.

Nach juri­sti­schen Kri­te­rien, die welt­weit in der Geschäfts­welt gel­ten, ein erpres­se­ri­scher Dieb­stahl. Auch wenn die­ser von der ame­ri­ka­ni­schen Finanz­mi­ni­ste­rin als recht­lich unbe­denk­lich ver­harm­lost wird.

Wie dem auch sei: Nach dem Tref­fen in Apu­lien dis­lo­zierte der Pulk also auf den Bür­gen­stock, wo man sich damit brü­stete, dass Dele­ga­tio­nen aus 92 Län­der zuge­sagt hat­ten, dar­un­ter 57 Staats­chefs. Mit was für Ver­spre­chun­gen man etwa den Prä­si­den­ten des Insel­staats Palau auf den Bür­gen­stock gelockt hat, bleibt das Geheim­nis der EDA-Diplomat:innen. Ihn dürf­ten andere Sor­gen als die «Ver­tei­di­gung der west­li­chen Werte in der Ukraine» wesent­lich mehr umtrei­ben: Sei­nem Land droht der Unter­gang als Folge der Klimaerhitzung…

Viel Zeit für Bespre­chun­gen blieb den rund 1000 Kon­fe­renz­teil­neh­men­den ohne­hin nicht. Und als Meloni am Sonn­tag ein­traf, waren US-Vize­prä­si­den­tin Kamala Har­ris und Kanz­ler Scholz bereits auf dem Heim­weg. Zu sehen gab es vor allem Droh­nen­bil­der vom Lake Lucerne und immer lächeln­des Posie­ren mit Handshake.

Die Bil­der vom Bür­gen­stock inter­es­sier­ten – wenn über­haupt – die west­li­che Welt. In Indien, China und Bra­si­lien nahm man davon kaum Notiz, weil deren Prä­si­den­ten sich fern hiel­ten und Wich­ti­ge­res zu tun hatten.

Freude herrschte trotz­dem bei Tou­ris­mus Schweiz und beim kata­ri­schen Staats­fonds, der laut eige­nen Anga­ben über eine halbe Mil­li­arde in den Aus­bau und die Erneue­rung des Luxus­re­sorts inve­stiert hat. Jetzt möchte er es aller­dings wie­der los­wer­den, zum best­mög­li­chen Preis. Der Wer­be­spot dürfte den Kata­ris mehr als gele­gen gekom­men sein.

Der­weil geht das Töten in der Ukraine wei­ter – nie­mand spricht von Waf­fen­still­stand, geschweige denn von Frie­den. Die im Vor­feld laut ange­kün­digte Nach­fol­ge­kon­fe­renz steht in den Sternen.

Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz mur­melte auf dem Bür­gen­stock, in Zukunft müsste auch Russ­land mit ein­be­zo­gen wer­den. Wie das gegen den Wil­len von Wolo­dymyr Selen­skyj und sei­nes Umfelds gelin­gen soll, bleibt schleierhaft.

Die Diplo­ma­ten-Schweiz kann davon ein Lied­lein singen.

Aufgaben nicht gemacht – und nun jammern, was das Zeug hält

Das Urteil des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rechte EGMR in Strass­burg vom Diens­tag, 9. April 2024 lässt an Klar­heit nichts zu wün­schen übrig. Ent­spre­chend hef­tig sind die Reak­tio­nen in der Schweiz. Da ist zum einen die Freude und Erleich­te­rung all jener, die seit Jah­ren für ent­schlos­se­nes Han­deln gegen die Kli­ma­krise engagieren.

Auf der ande­ren Seite und beson­ders laut­stark die ableh­nen­den und feind­se­li­gen Reak­tio­nen von recht­ha­be­ri­schen Politiker:innen und Pres­se­kom­men­ta­ren, von Herr­li­berg bis BLICK. Es ist die jam­mernde Rede von einem «poli­ti­schen Urteil», gefällt von «frem­den Rich­tern», wel­che die demo­kra­ti­sche Basis der Schwei­zer Kli­ma­po­li­tik nicht ver­stün­den. Es wird gegen das Urteil gewet­tert, gegen den Schwei­zer Rich­ter im Gre­mium, der sein Land ver­ra­ten habe sowie gegen die von «Green­peace gesteu­er­ten» Klimaseniorinnen.

Die Sonn­tags­Zei­tung vom 14. April por­trä­tiert mit hämi­schen Wor­ten den «Erfin­der» der Kli­ma­klage und lässt dar­über hin­aus Mar­kus Somm kom­men­tie­ren. Unter dem Titel «17 Rich­ter gegen 5,5 Mil­lio­nen Stimm­bür­ger» schlägt Eid­ge­nos­sen Somm mit der Kom­men­tar­hel­le­barde zu und dis­kre­di­tiert in sei­nem Pam­phlet nicht nur den EGMR-Rich­ter Andreas Zünd und die Kli­ma­se­nio­rin­nen – er behaup­tet dar­über hin­aus, das Gericht habe mit sei­nem Urteil ein neues Gesetz geschrie­ben, «über das bloss 17 Leute statt 5,5 Mil­lio­nen wahl­be­rech­tigte Schwei­zer abstimmen.»

Im Sonn­tags Blick wird eben­falls ver­sucht, Rich­ter Zünd zu demon­tie­ren. Die­ser bleibt ruhig und sach­lich und räumt mit den kol­por­tier­ten Fehl­in­for­ma­tio­nen auf. Als ihn die Blick als «Akti­vi­sten» anspricht, lau­tet seine Ant­wort kurz und bün­dig: «Das ist keine inhalt­li­che Aus­sage, son­dern ein simp­ler Angriff. Die­ser Begriff wird ver­wen­det, um Rich­te­rin­nen und Rich­ter zu dis­kre­di­tie­ren, die die Rechte der Men­schen ernst nehmen.»

Schon zuvor, im Tages­ge­spräch auf Radio SRF, hakte Befra­ger David Kara­sek drei­mal nach, wie es sich anfühle, sein eige­nes Land zu ver­ur­tei­len. Da hat einer die Inter­view­tech­nik bei den Sportreporter:innen abge­schaut. Als ob bei die­sem bahn­bre­chen­den, wich­ti­gen Urteil des EGMR Patrio­tis­mus und die Befind­lich­keit des Rich­ters im Zen­trum stünden!

Das mit 16:1 Stim­men gefällte Urteil des Men­schen­ge­richts­hofs stellt klar und deut­lich fest: Die Schweiz tut nicht genug zur Umset­zung ihrer Gesetze in Bezug auf die CO2-Emis­sio­nen, son­dern ver­nach­läs­sigt auch die von Bun­des­rat und Par­la­ment rati­fi­zier­ten Ver­pflich­tun­gen aus dem Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men. Dadurch ver­letzt sie das vom Ver­ein der Kli­ma­se­nio­rin­nen ein­ge­klagte Men­schen­recht auf Gesund­heit und schützt sie nicht genü­gend vor den Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels. Klar­text: Die selbst­er­kürte Klas­sen­be­ste und Stre­be­rin Schweiz hat die Haus­auf­ga­ben nicht gemacht. Nun muss sie nach­sit­zen und nachbessern!

Wäh­rend sich die bür­ger­li­chen Medien in der Schweiz aufs Wun­den lecken und ver­letz­ten Natio­nal­stolz zurück­zie­hen, bringt Joa­chim Mül­ler-Jung, Co-Res­sort­lei­ter der «Wis­sen­schaft» bei der F.A.Z. (!) in sei­nem Kom­men­tar vom 12. April 2024 die eigent­li­che Bedeu­tung des Urteils auf den Punkt:

«Mit der beein­drucken­den Mehr­heit von sech­zehn zu eins Stim­men haben die Straß­bur­ger Rich­ter aner­kannt, dass es sich beim Kli­ma­wan­del um eine exi­sten­ti­elle Bedro­hung für die Mensch­heit han­delt, die poli­tisch abzu­wen­den sei. Die Begrün­dung war dabei die­selbe wie in allen ande­ren Fäl­len auch: Nicht, dass keine Kli­ma­po­li­tik gemacht wird, ist justiz­sei­tig moniert wor­den, son­dern dass diese Poli­tik unge­nü­gend ist. Maß­stab dabei ist für die Rich­ter allein die Wis­sen­schaft, indi­rekt damit auch die Ein­schät­zung des Welt­kli­ma­ra­tes IPCC, die zu dem Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men und der von fast allen Staa­ten mit­ge­tra­ge­nen Ziel­vor­gabe – unter zwei Grad glo­ba­ler Erwär­mung und mög­lichst 1,5 Grad zu bleiben.»

Den Vor­wurf, es handle sich beim Strass­bur­ger Kli­maur­teil um ein poli­ti­sches Urteil, ja sogar um einen «Anschlag auf die Demo­kra­tie», kon­tert Mül­ler-Jung mit der Tat­sa­che, dass der EGMR der Schweiz eben gerade nicht vor­schreibt, mit wel­cher Poli­tik sie die Kli­ma­ziele errei­chen soll – er ver­langt ein­zig, dass sie ein­zu­hal­ten sind.

«Die Strass­bur­ger Rich­ter haben des­halb auch nichts Unmög­li­ches ver­langt, auch nichts Absur­des, son­dern ledig­lich: die Ver­ant­wor­tung end­lich zu über­neh­men, die in der Kli­ma­rah­men­kon­ven­tion schon in den Neun­zi­ger­jah­ren völ­ker­rechts­ver­bind­lich unter­schrie­ben, rati­fi­ziert und mit dem Pari­ser Abkom­men kon­kre­ti­siert wor­den ist. Wenn man so will, über­nimmt die Justiz damit ein stück­weit die Auf­ar­bei­tung von Jahr­zehn­ten sträf­lich ver­pass­ter, zum Gut­teil auch sabo­tier­ter Klimapolitik.» 

Das gilt für die Schweiz genauso wie für die andern Län­der Europas.

Wer nun behaup­tet, der EGMR habe mit sei­nem Urteil gegen Schwei­zer Recht und Usan­zen ver­stos­sen, hat das für Demo­kra­tien mass­ge­bende Prin­zip der Gewal­ten­tei­lung nicht begrif­fen. Die­ses gilt auch und vor allem, wenn es gewis­sen Volks­par­teien nicht in den Kram passt. Weil sie lie­ber wei­ter­hin den immer drän­gen­der wer­den­den Hand­lungs­be­darf in Bezug auf die Kli­ma­krise leug­nen und wir­kungs­volle Mass­nah­men auf Teu­fel komm raus blockieren.

Genau des­halb ist es so wich­tig, dass unab­hän­gige Gerichte Kla­gen wie jene des Ver­eins Kli­ma­se­nio­rin­nen aus der Schweiz ernst neh­men und dafür sor­gen, dass statt stets nur gebremst auch end­lich gehan­delt wird.

© Sher­vine Nar­fissi /​Greenpeace

Wir benutzen Cookies um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.