Aufgaben nicht gemacht – und nun jammern, was das Zeug hält

Das Urteil des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rechte EGMR in Strass­burg vom Diens­tag, 9. April 2024 lässt an Klar­heit nichts zu wün­schen übrig. Ent­spre­chend hef­tig sind die Reak­tio­nen in der Schweiz. Da ist zum einen die Freude und Erleich­te­rung all jener, die seit Jah­ren für ent­schlos­se­nes Han­deln gegen die Kli­ma­krise engagieren.

Auf der ande­ren Seite und beson­ders laut­stark die ableh­nen­den und feind­se­li­gen Reak­tio­nen von recht­ha­be­ri­schen Politiker:innen und Pres­se­kom­men­ta­ren, von Herr­li­berg bis BLICK. Es ist die jam­mernde Rede von einem «poli­ti­schen Urteil», gefällt von «frem­den Rich­tern», wel­che die demo­kra­ti­sche Basis der Schwei­zer Kli­ma­po­li­tik nicht ver­stün­den. Es wird gegen das Urteil gewet­tert, gegen den Schwei­zer Rich­ter im Gre­mium, der sein Land ver­ra­ten habe sowie gegen die von «Green­peace gesteu­er­ten» Klimaseniorinnen.

Die Sonn­tags­Zei­tung vom 14. April por­trä­tiert mit hämi­schen Wor­ten den «Erfin­der» der Kli­ma­klage und lässt dar­über hin­aus Mar­kus Somm kom­men­tie­ren. Unter dem Titel «17 Rich­ter gegen 5,5 Mil­lio­nen Stimm­bür­ger» schlägt Eid­ge­nos­sen Somm mit der Kom­men­tar­hel­le­barde zu und dis­kre­di­tiert in sei­nem Pam­phlet nicht nur den EGMR-Rich­ter Andreas Zünd und die Kli­ma­se­nio­rin­nen – er behaup­tet dar­über hin­aus, das Gericht habe mit sei­nem Urteil ein neues Gesetz geschrie­ben, «über das bloss 17 Leute statt 5,5 Mil­lio­nen wahl­be­rech­tigte Schwei­zer abstimmen.»

Im Sonn­tags Blick wird eben­falls ver­sucht, Rich­ter Zünd zu demon­tie­ren. Die­ser bleibt ruhig und sach­lich und räumt mit den kol­por­tier­ten Fehl­in­for­ma­tio­nen auf. Als ihn die Blick als «Akti­vi­sten» anspricht, lau­tet seine Ant­wort kurz und bün­dig: «Das ist keine inhalt­li­che Aus­sage, son­dern ein simp­ler Angriff. Die­ser Begriff wird ver­wen­det, um Rich­te­rin­nen und Rich­ter zu dis­kre­di­tie­ren, die die Rechte der Men­schen ernst nehmen.»

Schon zuvor, im Tages­ge­spräch auf Radio SRF, hakte Befra­ger David Kara­sek drei­mal nach, wie es sich anfühle, sein eige­nes Land zu ver­ur­tei­len. Da hat einer die Inter­view­tech­nik bei den Sportreporter:innen abge­schaut. Als ob bei die­sem bahn­bre­chen­den, wich­ti­gen Urteil des EGMR Patrio­tis­mus und die Befind­lich­keit des Rich­ters im Zen­trum stünden!

Das mit 16:1 Stim­men gefällte Urteil des Men­schen­ge­richts­hofs stellt klar und deut­lich fest: Die Schweiz tut nicht genug zur Umset­zung ihrer Gesetze in Bezug auf die CO2-Emis­sio­nen, son­dern ver­nach­läs­sigt auch die von Bun­des­rat und Par­la­ment rati­fi­zier­ten Ver­pflich­tun­gen aus dem Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men. Dadurch ver­letzt sie das vom Ver­ein der Kli­ma­se­nio­rin­nen ein­ge­klagte Men­schen­recht auf Gesund­heit und schützt sie nicht genü­gend vor den Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels. Klar­text: Die selbst­er­kürte Klas­sen­be­ste und Stre­be­rin Schweiz hat die Haus­auf­ga­ben nicht gemacht. Nun muss sie nach­sit­zen und nachbessern!

Wäh­rend sich die bür­ger­li­chen Medien in der Schweiz aufs Wun­den lecken und ver­letz­ten Natio­nal­stolz zurück­zie­hen, bringt Joa­chim Mül­ler-Jung, Co-Res­sort­lei­ter der «Wis­sen­schaft» bei der F.A.Z. (!) in sei­nem Kom­men­tar vom 12. April 2024 die eigent­li­che Bedeu­tung des Urteils auf den Punkt:

«Mit der beein­drucken­den Mehr­heit von sech­zehn zu eins Stim­men haben die Straß­bur­ger Rich­ter aner­kannt, dass es sich beim Kli­ma­wan­del um eine exi­sten­ti­elle Bedro­hung für die Mensch­heit han­delt, die poli­tisch abzu­wen­den sei. Die Begrün­dung war dabei die­selbe wie in allen ande­ren Fäl­len auch: Nicht, dass keine Kli­ma­po­li­tik gemacht wird, ist justiz­sei­tig moniert wor­den, son­dern dass diese Poli­tik unge­nü­gend ist. Maß­stab dabei ist für die Rich­ter allein die Wis­sen­schaft, indi­rekt damit auch die Ein­schät­zung des Welt­kli­ma­ra­tes IPCC, die zu dem Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men und der von fast allen Staa­ten mit­ge­tra­ge­nen Ziel­vor­gabe – unter zwei Grad glo­ba­ler Erwär­mung und mög­lichst 1,5 Grad zu bleiben.»

Den Vor­wurf, es handle sich beim Strass­bur­ger Kli­maur­teil um ein poli­ti­sches Urteil, ja sogar um einen «Anschlag auf die Demo­kra­tie», kon­tert Mül­ler-Jung mit der Tat­sa­che, dass der EGMR der Schweiz eben gerade nicht vor­schreibt, mit wel­cher Poli­tik sie die Kli­ma­ziele errei­chen soll – er ver­langt ein­zig, dass sie ein­zu­hal­ten sind.

«Die Strass­bur­ger Rich­ter haben des­halb auch nichts Unmög­li­ches ver­langt, auch nichts Absur­des, son­dern ledig­lich: die Ver­ant­wor­tung end­lich zu über­neh­men, die in der Kli­ma­rah­men­kon­ven­tion schon in den Neun­zi­ger­jah­ren völ­ker­rechts­ver­bind­lich unter­schrie­ben, rati­fi­ziert und mit dem Pari­ser Abkom­men kon­kre­ti­siert wor­den ist. Wenn man so will, über­nimmt die Justiz damit ein stück­weit die Auf­ar­bei­tung von Jahr­zehn­ten sträf­lich ver­pass­ter, zum Gut­teil auch sabo­tier­ter Klimapolitik.» 

Das gilt für die Schweiz genauso wie für die andern Län­der Europas.

Wer nun behaup­tet, der EGMR habe mit sei­nem Urteil gegen Schwei­zer Recht und Usan­zen ver­stos­sen, hat das für Demo­kra­tien mass­ge­bende Prin­zip der Gewal­ten­tei­lung nicht begrif­fen. Die­ses gilt auch und vor allem, wenn es gewis­sen Volks­par­teien nicht in den Kram passt. Weil sie lie­ber wei­ter­hin den immer drän­gen­der wer­den­den Hand­lungs­be­darf in Bezug auf die Kli­ma­krise leug­nen und wir­kungs­volle Mass­nah­men auf Teu­fel komm raus blockieren.

Genau des­halb ist es so wich­tig, dass unab­hän­gige Gerichte Kla­gen wie jene des Ver­eins Kli­ma­se­nio­rin­nen aus der Schweiz ernst neh­men und dafür sor­gen, dass statt stets nur gebremst auch end­lich gehan­delt wird.

© Sher­vine Nar­fissi /​Greenpeace

Falsche Weichenstellung:
NEIN zum neuen Stromgesetz!

Die Ener­gie­stif­tung Schweiz SES hat Anfang März eine äus­serst span­nende Stu­die publi­ziert. Basie­rend auf einer Ana­lyse der gel­ten­den Bun­des­ge­setze zeigt sie auf, wie der Ener­gie­kon­sum in der Schweiz durch Fehl­an­reize ange­heizt wird: Auf­ge­führt wer­den 112 soge­nannte «Mass­nah­men mit ener­ge­ti­schem Fehl­an­reiz» – die Liste, so die Autor:innen der Stu­die, sei nicht abschlies­send, die Zahl der Fehl­an­reize eher unterschätzt.

Die Expert:innen iden­ti­fi­zier­ten Fehl­an­reize in zahl­rei­chen Sek­to­ren – dazu gehö­ren ins­be­son­dere die Berei­che Ener­gie, Ver­kehr, Land­wirt­schaft, Tou­ris­mus, Industrie/​Unternehmen – aber auch Regu­lie­run­gen im Steu­er­we­sen sowie bei Bau und Raum­pla­nung beför­dern den Ener­gie­ver­schleiss. Und zwar durch ver­schie­dene For­men von Mass­nah­men wie Sub­ven­tio­nen, Steu­ern, Vor­schrif­ten – aber auch Män­gel im Voll­zug oder bei der Kon­trolle ver­hin­dern bis­lang einen effi­zi­en­ten Umgang mit Energie.

Bei­spiele für Fehl­an­reize sind etwa Tarife, die bei hohem Strom­ver­brauch sin­ken. Oder das Feh­len einer CO2-Abgabe auf Treib­stof­fen im Stras­sen­ver­kehr. Und die Befrei­ung des Flug­ver­kehrs von der Mineralölsteuer.

Allein die Kor­rek­tur von sie­ben in der Stu­die näher unter­such­ten Fehl­an­rei­zen beinhal­tet ein Ener­gie­spar­po­ten­zial von 9 bis 10 Ter­ra­watt­stun­den (TWh) pro Jahr, was knapp 5 Pro­zent des heu­ti­gen Schwei­zer Gesamt­ener­gie­ver­brauchs ent­spricht. – Mit ande­ren Wor­ten: Durch die Abschaf­fung oder Revi­sion der Geset­zes­ar­ti­kel, die zum Mehr­ver­brauch an Ener­gie ani­mie­ren, könnte der Ener­gie­be­darf in der Schweiz mas­siv redu­ziert werden.

Dass nun aus­ge­rech­net die SES das Ja-Lager der Umwelt­ver­bände zum neuen Strom­ge­setz, über das wir am 9. Juni 2024 abstim­men wer­den, anführt, ist abso­lut unver­ständ­lich. Han­delt es sich doch bei der Vor­lage («Man­tel­erlass») um ein Mach­werk, das gleich in mehr­fa­cher Hin­sicht zusätz­li­che Fehl­an­reize in der Schwei­zer Ener­gie­po­li­tik produziert.

Wer das Fei­len an den neuen Geset­zes­ar­ti­keln mit­ver­folgt hat und sich die Mühe nimmt, die neuen Bestim­mun­gen im Detail zu lesen, stellt mit gros­ser Ver­wun­de­rung fest: Die Slo­gans für die Ja-Parole der Umwelt­ver­bände klin­gen wie ein Hohn und ent­sprin­gen eher einem Wunsch­den­ken als der Realität.

So wird etwa in Bezug auf Solar­an­la­gen behaup­tet: «Über 80 Pro­zent der Anla­gen ent­ste­hen auf Gebäu­den und bestehen­der Infra­struk­tur.» – Stimmt nicht. Fakt ist: Die ange­dachte Solar-Pflicht für Fas­sa­den und Dächer hatte im Par­la­ment keine Chance. Was davon übrig blieb ist ein­zig die Vor­schrift, dass beim «Bau neuer Gebäude mit einer anre­chen­ba­ren Gebäu­de­flä­che von mehr als 300m²» eine Pho­to­vol­taik oder Solar­ther­mie­an­lage zu erstel­len sei. Und noch da ermög­licht das Gesetz die Gewäh­rung von Ausnahmen.

Dies, obschon etwa ein vom Bun­des­amt für Ener­gie publi­zier­ter Solar­ka­ta­ster auf­zeigt, dass allein geeig­nete Haus­dä­cher und Fas­sa­den 67 TWh Strom lie­fern könn­ten. Mit einer zusätz­li­chen Bestückung von Infra­struk­tu­ren wie Lärm­schutz­wän­den, Ver­kehrs­flä­chen oder Stau­mau­ern mit Pho­to­vol­taik-Anla­gen könn­ten jähr­lich sogar 90 TWh Ener­gie pro­du­ziert wer­den. Das ist mehr als dop­pelt soviel Strom wie sämt­li­che Was­ser­kraft­werke der Schweiz liefern.*

Statt die­ses enorme Poten­zial mit einer kon­se­quen­ten För­de­rung von Solar­an­la­gen auf bestehen­den Bau­ten zu nut­zen, ermög­licht das neue Gesetz für Ener­gie­infra­struk­tu­ren «von natio­na­lem Inter­esse», dass bis­he­rige Bestim­mun­gen des Natur- und Hei­mat­schutz­ge­set­zes zugun­sten der Ener­gie­ge­win­nung aus­ge­he­belt wer­den. Und finan­zi­elle Anreize für die gros­sen Ener­gie­kon­zerne ver­hin­dern eine schlan­kere, dezen­trale Ener­gie­pro­duk­tion. Denn der Bund soll bis zu 40 Pro­zent an die Pro­jek­tie­rungs­ko­sten neuer gros­ser Wasserkraft‑, Wind­ener­gie- oder Geo­ther­mie­an­la­gen zah­len, was den Elek­tro­kon­zer­nen bei ihren Plä­nen entgegenkommt.

Dies sind nur zwei einer gan­zen Reihe von Bei­spie­len, die zei­gen, wie das neue Strom­ge­setz das ver­al­tete Den­ken und die Ener­gie­ver­schwen­dung wei­ter zemen­tiert. Keine Frage: Wir brau­chen drin­gend neue Regeln und Vor­schrif­ten, um den Ener­gie­ver­brauch in unse­rem Land nach­hal­tig zu gestal­ten – das heisst aber vor allem auch, ihn zu senken.

Dass dies mög­lich wäre, zeigt nicht nur die ein­gangs erwähnte SES-Stu­die. Laut einer ande­ren Stu­die der Schwei­ze­ri­schen Agen­tur für Ener­gie­ef­fi­zi­enz S.A.F.E. liegt das Spar­po­ten­zial beim Strom – allein gestützt auf den tech­ni­schen Fort­schritt – bei rund 26 TWh. Laut dem Ver­ein bräuchte die Schweiz 2035 – bei gleich­blei­ben­dem Wachs­tum – pro Jahr nur 46 TWh Strom, also 23 Pro­zent weni­ger als heute, wenn sie das tech­ni­sche Spar­po­ten­zial aus­schöp­fen würde.

Das neue Strom­ge­setz macht in Bezug auf Ener­gie­spar­mass­nah­men bloss sehr all­ge­meine Anga­ben. Trotz har­tem Rin­gen muss der erfeilschte Kom­pro­miss als grot­ten­schlecht bezeich­net wer­den – allzu viel von dem, was die Vertreter:innen der JA-Parole nun aus dem Man­tel­erlass her­aus­le­sen, steht dort mit kei­nem Wort. Im Gegen­teil: Die Vor­lage ist eine Mogel­packung, gefüllt mit Gummiparagraphen.

Mit der Kate­go­rie Ener­gie­an­la­gen «von natio­na­lem Inter­esse» schafft das Gesetz gar die Basis für einen unge­brem­sten Aus­bau von Ener­gie-Infra­struk­tur­bau­ten auf Kosten von Natur und Umwelt: Eine von den Strom­ba­ro­nen zu defi­nie­rende «Ener­gie­si­cher­heit» erhält expli­zit das Pri­mat über Land­schafts- und Hei­mat­schutz. Mit- und Ein­spra­che­rechte wer­den beschnit­ten, Bewil­li­gungs­ver­fah­ren beschleu­nigt und «ver­schlankt».

Das geht auf Kosten von Sorg­falt und Serio­si­tät. Dies nota­bene ohne Not, wie oben erwähnte Stu­dien bewei­sen: Die Schweiz ver­fügt aktu­ell nicht nur über genü­gend Ener­gie, sie hat dar­über hin­aus ein gros­ses Ener­gie­spar-Poten­zial. Dies muss erst ein­mal aus­ge­schöpft wer­den, bevor man dem Aus­bau von Ener­gie-Infra­struk­tur hem­mungs­los Tür und Tor öff­net. Es braucht ein grif­fi­ges Gesetz, das auch der Erkennt­nis Rech­nung trägt, dass Ener­gie­res­sour­cen sorg­fäl­tig und nach­hal­tig genutzt wer­den müssen.

Ein NEIN am 9. Juni wird die Politiker:innen – und auch die Umwelt­ver­bände – zwin­gen, das Ganze neu auf­zu­glei­sen. Die Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen sol­len ihre Auf­ga­ben erfül­len und dür­fen nicht Hand zu fau­len Kom­pro­mis­sen mit den Elek­tro­tur­bos bie­ten. Damit die Parole «Strom im Ein­klang mit der Natur» nicht bloss eine leere Wort­hülse bleibt, son­dern tat­säch­lich umge­setzt wird.

*Quelle: Die Ener­gie­wende im War­te­saal, Rudolf Rech­stei­ner, hrsg. von der SES, Ver­lag Zocher&Peter, 2021

Schweizer Zynismus

Der Chef des Palä­sti­nen­ser-Hilfs­werks UNRWA Phil­ipp Laz­z­a­rini lei­stet die­ser Tage das Men­schen­mög­li­che. Damit die drin­gend benö­tigte huma­ni­täre Hilfe für die Kriegs­op­fer im Gaza­strei­fen nicht ver­siegt, reist er zur­zeit von Land zu Land, um die Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker zu bewe­gen, ihre Ver­pflich­tun­gen gegen­über der UNRWA ein­zu­hal­ten und ihre Zah­lun­gen wie­der aufzunehmen.

Zur Erin­ne­rung: Nach­dem Israel 12 Mitarbeiter:innen des Hilfs­werks beschul­digt hatte, an den Attacken gegen Israel vom 7. Okto­ber 2023 betei­ligt gewe­sen zu sein, stell­ten zahl­rei­che Staa­ten – dar­un­ter auch die Schweiz – ihre Unter­stüt­zung für das UNRWA ein.

Die UNO und Laz­z­a­rini reagier­ten sofort: Die von Israel bezeich­ne­ten Mit­ar­bei­ter wur­den umge­hend dis­pen­siert, eine interne sowie eine externe Unter­su­chung ein­ge­lei­tet. Bis­lang konn­ten die Anschul­di­gun­gen nicht erhär­tet wer­den, was die israe­li­sche Regie­rung nicht davon abhält, ihre Stra­te­gie zur Ver­nich­tung des UNRWA unver­fro­ren weiterzuverfolgen.

Gleich­zei­tig hat sich die Situa­tion in den palä­sti­nen­si­schen Gebie­ten in den letz­ten Mona­ten dra­ma­tisch ver­schlim­mert. Die israe­li­sche Besat­zungs­ar­mee hat im Gaza­strei­fen eine huma­ni­täre Kata­stro­phe ange­rich­tet und hört trotz inter­na­tio­na­ler Pro­te­ste nicht auf, die Zivil­be­völ­ke­rung zu beschies­sen und aus­zu­hun­gern. Mitt­ler­weile wur­den über 32’000 Men­schen getö­tet, 75’000 ver­letzt. Zer­stö­rung, Ver­trei­bung und nun auch noch der Hun­ger – was vor den Augen der Welt­öf­fent­lich­keit im Gaza­strei­fen geschieht, ist kaum zu fassen.

Dass Israel das UNWRA mit allen Mit­teln los­wer­den möchte, ist seit lan­gem bekannt. Aber krieg­füh­rende Par­teien wie Israel haben sich noch nie um die Opfer ihrer Bom­bar­die­run­gen geküm­mert. Des­halb braucht es inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tio­nen wie das Rote Kreuz und das UNRWA. Die­ses kennt mit Tau­sen­den von Mit­ar­bei­ten­den vor Ort die Umstände, ver­fügt über ein Netz­werk, wie keine andere Hilfs­or­ga­ni­sa­tion in Palästina. 

Auf­grund des vor­ei­li­gen Zah­lungs­stopps droht dem UNRWA aber in Kürze das Geld aus­zu­ge­hen. Aus­ge­rech­net jetzt, wo seine Hilfe drin­gen­der denn je benö­tigt wird. UNRWA-Chef Phil­ipp Laz­z­a­rini, der ange­sichts der gros­sen Her­aus­for­de­run­gen eigent­lich mit der ope­ra­tio­nel­len Lei­tung der Orga­ni­sa­tion schon genug am Hut hätte, ist nun unter­wegs auf einer unwür­di­gen Bet­tel­tour, um die poli­ti­schen Entscheidungsträger:innen zu bewe­gen, die ver­spro­che­nen Bei­träge ans UNRWA freizugeben.

Letzte Woche musste Laz­z­a­rini in die­ser Sache auch vor der Aus­sen­po­li­ti­schen Kom­mis­sion (APK) des Natio­nal­rats in der Schweiz Red und Ant­wort ste­hen. Und gab der Hoff­nung Aus­druck, dass die Schweiz bald ihre Zah­lun­gen wie­der auf­neh­men und wie in der Ver­gan­gen­heit als ver­läss­li­che, unter­stüt­zende Part­ne­rin des UNRWA auf­tre­ten werde. Wie dies andere west­li­che Staa­ten bereits getan haben.

Diese Hoff­nung wurde bit­ter ent­täuscht: Die 20 Mil­lio­nen Fran­ken, wel­che die Schweiz für 2024 an das UNRWA zah­len müsste, blei­ben vor­läu­fig ein­ge­fro­ren. Die sat­ten, selbst­ge­rech­ten Kom­mis­si­ons­mit­glie­der – allen voran die Natio­nal­räte Franz Grüt­ter (SVP) und Hans-Peter Port­mann (FDP) sowie Eli­sa­beth Schnei­der-Schnei­ter (Mitte) – höhn­ten, Laz­z­a­rini habe «eine Chance ver­passt» und ihnen «nicht glaub­haft wider­le­gen kön­nen, dass die Schwei­zer Gel­der für das UNRWA even­tu­ell doch in ter­ro­ri­sti­schen Hän­den landen.»

Auch das EDA ver­kriecht sich und ver­laut­bart, man warte die End­ergeb­nisse der exter­nen Unter­su­chung zu den israe­li­schen Vor­wür­fen ab, bevor der Bun­des­rat einen Ent­scheid fäl­len werde – der dann wie­derum der APK vor­ge­legt wer­den muss. Bis es soweit ist, dürf­ten noch Wochen verstreichen.

Mit ihrem demon­stra­ti­ven Abwar­ten und Nichts­tun für die ver­hun­gern­den und ver­dur­sten­den Men­schen im Gaza­strei­fen, machen sich die unver­ant­wort­li­chen Schwei­zer Volksvertreter:innen mit­schul­dig an den Kriegs­ver­bre­chen im Nahen Osten. Ein­fach nur schä­big. Müs­sen wir als Wähl- und Stimm­volk das akzeptieren?

Ein­zig Nico­las Wal­der (Grüne), eben­falls Mit­glied der APK, for­derte nach der Anhö­rung von Laz­z­a­rini in den Medien eine Wie­der­auf­nahme der Zah­lun­gen und wies dar­auf hin, dass der Zusam­men­bruch des UNRWA für die Men­schen in Gaza ver­hee­rende Fol­gen habe, was die mei­sten Län­der mitt­ler­weile begrif­fen hätten.

In der Tat gehört die Schweiz inzwi­schen zu einer klei­nen Gruppe von Hard­li­nern, die sich wei­gern, das UNRWA wei­ter zu unter­stüt­zen. Andere Natio­nen, wie etwa Spa­nien haben bereits im Februar die UNRWA mit einer Son­der­zah­lung unter­stützt, die skan­di­na­vi­schen Län­der sowie Kanada und Austra­lien haben ihre Zah­lun­gen in den letz­ten Wochen wie­der auf­ge­nom­men. Und sogar Deutsch­land hat 40 Mil­lio­nen fürs UNRWA bewil­ligt – die aller­dings – nicht im Gaza­strei­fen ein­ge­setzt wer­den dürfen.

Nach sei­nem Tref­fen mit den Schwei­zer Politiker:innen ist Phil­ipp Laz­z­a­rini letzte Woche nach Japan wei­ter­ge­reist. Auch dort stiess er auf mehr Empa­thie und Enga­ge­ment für die not­lei­den­den Men­schen in Gaza als in sei­nem Hei­mat­land: In der ersten April-Hälfte wird Japan die gestopp­ten Zah­lun­gen wie­der freigeben.

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