Klima UND Landschaft schützen!

Das Ver­dikt der Gemein­de­ver­samm­lung liess an Deut­lich­keit nichts zu wün­schen übrig: Die Stimm­be­rech­tig­ten der Gemeinde Sur­ses im Grau­bün­den waren am 29. Januar 2024 beson­ders zahl­reich erschie­nen, um über ein hoch­al­pi­nes Solar­pro­jekt im Val Nan­dro ober­halb von Savo­gnin zu befinden.

Die Ener­gie­ab­tei­lung ewz der Indu­stri­el­len Betriebe der Stadt Zürich wollte 66,5 Hektaren Natur­land­schaft mit einer Pho­to­vol­ta­ik­an­lage für die Pro­duk­tion von «sau­be­rem Strom» zubauen – auf einer Flä­che, die 95 Fuss­ball­fel­dern entspricht.

Der Hin­ter­grund: Im Sep­tem­ber 2022 bewil­ligte das eid­ge­nös­si­sche Par­la­ment für die För­de­rung hoch­al­pi­nes Solar­pro­jekte Sub­ven­tio­nen in Mil­li­ar­den­höhe (unter dem Titel «Solar­ex­press»): Für Anla­gen, die bis zum 31. Dezem­ber 2025 ans Netz gehen, wer­den bis zu 60 Pro­zent der Inve­sti­ti­ons­ko­sten vom Bund über­nom­men und mit Steu­er­gel­dern bezahlt!

Wäh­rend sich für Pri­vate die Inve­sti­tio­nen in Solar­pa­nels auf bestehen­den Gebäu­den oft nicht rech­nen, eröff­net der in Bun­des­bern geschickt ein­ge­fä­delte «Solar­ex­press» den Gros­sen im Strom­busi­ness wie ewz, BKW oder Axpo ein veri­ta­bles Eldo­rado. Kein Wun­der, grei­fen sie gie­rig zu. In den letz­ten Mona­ten sind Dut­zende von hoch­al­pi­nen Solar­pro­jek­ten auf­ge­gleist wor­den, nach dem Motto: Gross­flä­chig ist beau­tiful und ren­tiert bei soviel Sub­ven­tio­nen. Nun müs­sen sie nur noch der Flä­chen hab­haft wer­den. Die gehö­ren ihnen im hoch­al­pi­nen Raum aber nicht flä­chen­deckend. Zudem lässt sich der unge­zü­gelte Ener­gie­hun­ger dort nur auf Kosten von Land­schaft und Natur stillen.

Zum Glück scheint es nun aber doch nicht so ein­fach zu gehen, wie sich das die Solar­ba­rone aus dem Unter­land vor­ge­stellt haben: Im Wal­lis stellte sich eine Mehr­heit der Bevöl­ke­rung gegen die über­stürzte Ertei­lung von Bewil­li­gun­gen, im Kan­ton Bern erteilte die Gemeinde Saa­nen dem 67 Fuss­ball­fel­der gros­sen Pro­jekt Solsarine bereits im Dezem­ber 2023 eine Absage. 

Und nun also auch Sur­ses, die Stand­ort­ge­meinde des Mar­morera-Stau­sees: Genau 70 Jahre ist es her, dass das alte Dorf Mar­morera der Strom­pro­duk­tion geop­fert wurde. Damals hatte der Unter­händ­ler der Indu­stri­el­len Betriebe Zürich ein leich­tes Spiel: Er han­delte mit den weni­gen Haus- und Land­be­sit­zern indi­vi­du­elle Kauf­ver­träge aus und ver­pflich­tete sie zum Stillschweigen.

So kam es, wie es kom­men musste: Nach­dem die stimm­be­rech­tig­ten Män­ner von Mar­morera mit 24 Ja- zu 2 Nein­stim­men der Kon­zes­sion für die Aus­nüt­zung der Was­ser­kräfte durch die Stadt Zürich zuge­stimmt hat­ten, wurde 1954 das gesamte Dorf zer­stört und geflutet. 

Eine bit­tere Erfah­rung, aus der man in der Region mög­li­cher­weise seine Leh­ren gezo­gen hat. Dies­mal lehn­ten die Stimm­be­rech­tig­ten das Ange­bot aus dem Unter­land mit 378 zu 177 Stim­men ent­schie­den ab. Dies, obschon der Gemeinde jähr­lich Ein­nah­men in der Höhe von CHF 450’000 bis 600’000 Fran­ken aus dem Solar­strom­deal winkten.

Nun muss die im Novem­ber 2023 instal­lierte Test­an­lage für das Solar­pro­jekt wie­der demon­tiert wer­den. Genauso wie jene auf dem Horn­berg im Ber­ner Ober­land, wo der Gold­grä­ber­stim­mung der Strom­kon­zerne eben­falls der Rie­gel gescho­ben wurde. Die Mes­sage ist klar: Die Bevöl­ke­rung in den bei­den Tou­ris­mus­ge­bie­ten will keine Land­schafts­ver­schan­de­lung durch Solarpanels.

Das ist kon­se­quent und rich­tig. Nun braucht es aber zwin­gend näch­ste Schritte: Die Ableh­nung von pro­ble­ma­ti­schen Solar- und Wind­ener­gie­an­la­gen allein genügt nicht. Wol­len wir sowohl das Klima wie die Land­schaft ernst­haft schüt­zen, braucht es drin­gend ein Umden­ken. Das brach­lie­gende Solar-Poten­tial an geeig­ne­ten bestehen­den und neuen Gebäu­den muss in der Schweiz end­lich an die Steck­dose gebracht werden.

Zudem ist es an der Zeit, statt ein­zig über zusätz­li­che Ener­gie­quel­len zu debat­tie­ren, ernst­haft Reduk­ti­ons- und Spar­mass­nah­men bei der Nut­zung ins Auge zu fas­sen. Bis­lang sind The­men wie «Ver­zicht» oder «Begren­zung» tabu. Dies, obschon ange­sichts der momen­tan herr­schen­den Ener­gie­ver­schwen­dung Ein­spa­run­gen in beacht­li­chem Stil mög­lich wären – ohne dass dies für die Wirt­schaft oder die Bevöl­ke­rung in der Schweiz schmerz­hafte Ein­schrän­kun­gen zur Folge hätte.

Vom Erdboden verschwunden

Der Weg ver­läuft par­al­lel zum wil­den Bach. Abschüs­sige Hänge über dem tief unten lie­gen­den Bett, vom Was­ser wäh­rend Jahr­tau­sen­den in den Fels gefres­sen. Das stete Rau­schen und Tosen beglei­tet uns. Sonst Ruhe, aus­ser uns keine Menschenseele.

Wir sind in Küb­lis gestar­tet, mit einem Abste­cher zur Kir­che. Ein refor­mier­tes Got­tes­haus mit einer wech­sel­vol­len Geschichte und einem fili­gra­nen Kirch­turm. Die mor­gend­li­chen Son­nen-strah­len bre­chen durchs Fen­ster. Die kräf­ti­gen Far­ben der Glas­ma­le­reien – ein Werk von Augu­sto Gia­co­metti aus den 1920er Jah­ren – wer­fen ver­spielte bunte Farb­mu­ster auf die weisse Mauer.

Über den Bach und dem Wald­rand ent­lang geht es auf­wärts wei­ter. Bald schon errei­chen wir den Wei­ler Strah­legg, dort bie­gen wir ab Rich­tung Berg und las­sen die Zivi­li­sa­tion hin­ter uns. Wald und wuchernde Natur, soweit das Auge blickt.

Nach einer knap­pen Stunde wird das Bach­bett plötz­lich breit und seicht. Eine Holz­brücke führt über den Fluss. Auf der ande­ren Seite eine ein­same Feu­er­stelle und eine kleine Holz­hütte, über deren Ein­gang in alten grü­nen Let­tern die Auf­schrift BAD FIDERIS prangt.

Dies und eine Infor­ma­ti­ons­ta­fel sind alles, was daran erin­nert, dass hier einst eines der mon­dän­sten Kur­bä­der der Schweiz stand. Gäste aus ganz Europa, dar­un­ter sowohl illu­stre wie zwie­lich­tige Poli­ti­ker und Adlige stie­gen in Bad Fide­ris ab, tra­fen sich hier zu Kon­fe­ren­zen und Hei­rats­kup­pe­leien, so die Überlieferung.

Erst­mals wurde das Bad mit den natrium- und eisen­hal­tige Quel­len 1464 erwähnt. In abge­le­ge­nem, schwie­ri­gem Gelände gele­gen, wurde es mehr­mals von Hoch­was­ser zer­stört und wie­der auf­ge­baut. Seine Blü­te­zeit erlebte Bad Fide­ris in der zwei­ten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Der abge­le­gene Kur­ort ver­fügte schon früh über eine eigene Bäcke­rei und Metz­ge­rei sowie eine Kapelle. Der Chro­nist erwähnt zudem bereits 1611 über 60 höl­zerne Bade­wan­nen für die Kur­gä­ste. Spä­ter kam eine Trink­halle dazu, zahl­rei­che Wirt­schafts- und Hotelgebäude.

Wäh­rend der Blü­te­zeit Ende des 19. Jahr­hun­derts konn­ten hier bis zu 250 Gäste beher­bergt wer­den. Bad Fide­ris hatte ein eige­nes Kur­or­che­ster und bereits ab 1896 elek­tri­schen Strom.

Die­ser Epo­che des flo­rie­ren­den Tou­ris­mus­ge­schäfts mit den Rei­chen die­ser Welt setzte der erste Welt­krieg ein jähes Ende. Zwar ver­such­ten die Betrei­ber in der Zwi­schen­kriegs­zeit an die ver­gan­ge­nen Erfolge anzu­knüp­fen – aller­dings mit wenig Erfolg.

1939 musste die ohne­hin schlechte Sai­son wegen des zwei­ten Welt­kriegs abge­bro­chen wer­den – das war das end­gül­tige Ende. Nach dem Krieg wur­den die Lie­gen­schaf­ten ver­hö­kert – und 1967 machte ein Hoch­was­ser die noch übrig geblie­be­nen Rui­nen end­gül­tig platt.

Heute hat die Natur auch die letz­ten Spu­ren die­ses ein­sti­gen Tou­ris­mus-Hot­spots getilgt. Ein­zig die rot gefärb­ten Fels­brocken im Bach­bett erin­nern daran, dass es hier eisen­hal­tige Quel­len gibt.

Wir gehen wei­ter, dem ein­sti­gen Kur­weg ent­lang, wo zahl­rei­che Pavil­lons und Unter­hal­tungs­ein­rich­tun­gen die Gäste lock­ten. Der schmale Wald­pfad führt wei­ter, ins Dorf Fide­ris. Unsere Gedan­ken krei­sen um die dama­lige noble Kund­schaft, auf die­sem Weg fla­nie­rend, intri­gie­rend und karisierend.

Auch die drei gros­sen Hotel­an­la­gen ein­gangs Fide­ris, die wäh­rend der Blü­te­zeit der Bäder­epo­che gebaut wur­den, sind wie vom Erd­bo­den ver­schwun­den. Sie wur­den man­gels Zukunft­aus­sich­ten von ihren Besit­zern ange­zün­det, ver­kauft oder gesprengt. Auch hier: Ohne histo­ri­sche Infor­ma­ti­ons­ta­feln käme nie­mand auf die Idee, dass es sie je gege­ben hat…

Ver­gan­gen, ver­ges­sen vor­bei. Sel­ten sind mir die Ver­gäng­lich­keit unse­rer «Zivi­li­sa­tion» und die Kraft von Zeit und Natur so unmit­tel­bar begegnet.

Wir gehen wei­ter, stei­gen wie­der ins Tal hin­un­ter, wo die Auto­bahn dröhnt und die Gast­häu­ser an der alten Land­strasse durchs Dorf leer stehen.

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