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Israelischer Terror oder politische Nachhilfe im Kunstmuseum

Aktu­ell scheint die israe­li­sche Regie­rung alles daran zu set­zen, dass die Gewalt­spi­rale im Nahen Osten wei­ter eska­liert. Anläss­lich des Besuchs von Pre­mier­mi­ni­ster Netan­jahu in den USA musste sich die­ser strenge Ermah­nun­gen und deut­li­che Auf­for­de­run­gen anhö­ren, dem Töten von Zivilist:innen in Gaza end­lich ein Ende zu setzen.

Netan­jahu aber stellte sich taub – er lässt sich weder von Demon­stra­tio­nen im eige­nen Land noch von aus­län­di­schen Appel­len beein­drucken. Unbe­irrt macht er wei­ter. Wäh­rend in Paris unter mas­siv­sten Sicher­heits­vor­keh­ren der Auf­takt der Olym­pi­schen Som­mer­spiele gefei­ert wurde, bom­bar­dierte die israe­li­sche Armee erneut eine Schule in Deir al-Balah im Gazastreifen.

Sie diente Hun­der­ten von Men­schen als Zufluchts­ort vor den Kämp­fen – dreis­sig von ihnen star­ben beim Angriff, es gab über hun­dert Ver­letzte. Damit nicht genug: Die israe­li­sche Armee for­derte die Men­schen dazu auf, erneut zu flie­hen und sich andern­orts «in Sicher­heit» zu bringen.

Wäh­rend es für die Welt­presse nichts Wich­ti­ge­res gibt als olym­pi­sche Zir­kus­spiele, eska­liert die Situa­tion auch im Nor­den der von Israel besetz­ten Gebiete: Fast täg­lich über­fällt die israe­li­sche Armee Städte und Dör­fer im West­jor­dan­land, tötet Kämpfer:innen, die sich gegen die Besat­zung auf­leh­nen, ver­haf­tet Men­schen und steckt sie in berüch­tigte Gefäng­nisse. Oft sind auch Bull­do­zer dabei, die Pri­vat­häu­ser demolieren. 

Drei Tage nach einem töd­li­chen Rake­ten­ein­schlag auf ein von Dru­sen bewohn­tes Dorf in den von Israel wider­recht­lich annek­tier­ten Golan­hö­hen, ver­übte die israe­li­sche Armee in Bei­rut ein Ver­gel­tungs­at­ten­tat auf einen hoch­ran­gi­gen Kom­man­dan­ten der His­bol­lah. Die Ver­gel­tung galt dabei nicht den toten (nicht­is­rae­li­schen) Jugend­li­chen, die ihr gan­zes kur­zes Leben unter israe­li­scher Besat­zung ver­brin­gen muss­ten, son­dern dem Erz­feind im Nor­den, des­sen Rakete israe­li­sche Gefechts­stel­lun­gen in der Nach­bar­schaft hätte tref­fen sol­len. Die Ver­tre­ter der betrof­fe­nen Dru­sen Gemeinde haben klar gemacht: Sie wol­len kein Blut­ver­gies­sen in ihrem Namen und wün­schen sich im Gegen­teil Frie­den und den end­gül­ti­gen Abzug der israe­li­schen Armee aus ihrer Heimat.

Damit nicht genug: In Tehe­ran tötete eine Spreng­la­dung am 31. Juli den poli­ti­schen Hamas-Chef Ismail Han­jyeh und sei­nen Leib­wäch­ter. Dadurch liqui­dierte Israel den Ver­hand­lungs­füh­rer der Gegen­seite im Rin­gen um die Frei­las­sung der rest­li­chen Gei­seln vom 7. Oktober.

Mit die­sem Atten­tat zün­dete Israel eine näch­ste Stufe der Eska­la­tion. Offen­bar pokern Netan­jahu und seine Kriegs­scher­gen dar­auf, dass ihre Ver­bün­de­ten – allen voran die USA – sich in einen gros­sen Krieg mit Isra­els Nach­bar­län­dern und dem Iran hin­ein­zie­hen lassen.

Israe­li­sche Ter­ror­an­griffe auf unlieb­same Geg­ner sind nichts Neues. Im Gegen­teil: Die Geschichte von geziel­ten Tötun­gen, Atten­ta­ten und Aktio­nen durch israe­li­sche Geheim­dienst- und Sicher­heits­kräfte auf nicht-israe­li­schem Ter­ri­to­rium ist lang – und wurde von den Ver­bün­de­ten im Westen immer gedul­det, wenn nicht gar unterstützt.

Wie aktiv Israel hin­ter den Kulis­sen die Fäden zieht, doku­men­tierte die Künst­le­rin Sarah Mor­ris bereits 2008 in ihrem Film «1972». Ihr Inter­view mit dem ehe­ma­li­gen Poli­zei­psy­cho­lo­gen Georg Sie­ber ist ein Zeit­do­ku­ment von poli­ti­scher Bri­sanz und fast schon erschrecken­der Aktua­li­tät – gezeigt als eines von zahl­rei­chen Wer­ken der aktu­el­len Aus­stel­lung «All Systems Fail» im Klee­mu­seum in Bern.

©Sarah Mor­ris, 1972

Im Zen­trum des Films steht das Desa­ster rund um die Gei­sel­nahme von neun Israe­lis anläss­lich der Olym­pi­schen Som­mer­spiele 1972 in Mün­chen. Das all­ge­mein bekannte Nar­ra­tiv lau­tet, dass die deut­sche Poli­zei damals mass­los über­for­dert gewe­sen sei. Die Folge: Eine miss­glückte Befrei­ungs­ak­tion unter Ein­satz von Scharf­schüt­zen, bei der sämt­li­che Gei­seln sowie ein Poli­zist und fünf der acht palä­sti­nen­si­schen Gei­sel­neh­mer star­ben. Ver­ant­wort­lich für das Miss­lin­gen der Aktion, so bis heute die offi­zi­elle Geschichts­schrei­bung, sei das Ver­sa­gen der deut­schen Poli­zei­kräfte und der deut­schen Poli­ti­ker im Kri­sen­stab gewesen.

Georg Sie­ber, der 1972 als Bera­ter der Poli­zei die Sicher­heits­mass­nah­men der Spiele mit vor­be­rei­tete, rückt die dama­li­gen Gescheh­nisse im Gespräch mit Sarah Mor­ris in ein völ­lig ande­res Licht. Schon kurz nach der Gei­sel­nahme, mit der die Atten­tä­ter inhaf­tierte Palästinenser:innen frei­pres­sen woll­ten, habe Israel das Kom­mando an sich geris­sen, so Sieber.

Die deut­schen Behör­den seien bloss noch Befehls­emp­fän­ger gewe­sen, den deut­schen Poli­zi­sten habe man eine Situa­tion auf­ge­zwun­gen, auf die sie nicht vor­be­rei­tet waren. Statt zu ver­su­chen, die Gei­seln mit Mit­teln der Dees­ka­la­tion frei­zu­be­kom­men, muss­ten sie für sol­che Ein­sätze untrai­nier­tes Schiess­per­so­nal auf­bie­ten, das in einer hoch­ris­kan­ten Aktion die Gei­seln frei­schies­sen sollte. Ein Plan, der schei­tern musste.

Wes­halb die deut­schen Politiker:innen und Behör­den in die­ser Situa­tion den Lead voll und ganz den Israe­lis über­lies­sen, dar­über kann man bloss spe­ku­lie­ren. Das dama­lige Muster gleicht aber der heu­ti­gen Hal­tung west­li­cher Politiker:innen, wel­che sich nach wie vor den Kar­ren israe­li­scher Inter­es­sen und Füh­rung span­nen lassen.

Bei den Olym­pi­schen Spie­len 1972 in Mün­chen ist das schief gegan­gen, ohne dass die Ver­ant­wort­li­chen im (israe­li­schen) Hin­ter­grund je belangt wor­den wären. Heute droht ein ähn­li­ches Ver­sa­gen in viel grös­se­rem Stil – es ist höch­ste Zeit, dass die west­li­che Welt Israel den Tarif erklärt, bevor diese nach dem Völ­ker­mord in Gaza auch noch den Rest der Welt ins Ver­der­ben zieht. Mit Appease­ment Poli­tik und from­men Wün­schen ist der aktu­el­len Regie­rung nicht beizukommen.*

* Han­deln tut Not: Israel hat in Gaza bereits wie­der zuge­schla­gen: Laut neu­sten Mel­dun­gen bom­ba­dierte die israe­li­sche Armee am Sams­tag, 3. August zwei wei­tere Schu­len in Gaza und tötete erneut min­de­stens 30 Menschen.

«Es wird keinen gerechten Frieden geben»

Die am Nato-Jubi­lä­ums­gip­fel in Washing­ton ver­ab­schie­dete Marsch­rich­tung zeigt unmiss­ver­ständ­lich Rich­tung Auf­rü­stung und Krieg. Die Schluss­erklä­rung des Tref­fens lässt keine Zwei­fel offen: Die Nato geht aufs Ganze, in der Ukraine, aber auch im euro­päi­schen Hinterland.

Sicher­heit durch Auf­rü­stung heisst das Credo. Europa inve­stiert gehor­sam ins Mili­tär, was das Zeug hält und ohne Rück­sicht auf die eige­nen Staats­fi­nan­zen. Um die Droh­ku­lisse gegen­über Russ­land wei­ter auf­zu­bauen, sol­len in Deutsch­land wie­der Lang­strecken­ra­ke­ten sta­tio­niert und die Kriegs­in­du­strie in Europa kräf­tig ange­kur­belt werden.

Erin­ne­run­gen wer­den wach an Zei­ten, als wir und Hun­dert­tau­sende in Europa gegen sol­che Pläne auf die Strasse gin­gen. Heute wer­den die weni­gen Men­schen, die sich der Kriegs­pa­role «Frie­den schaf­fen mit Waf­fen» wider­set­zen, als «Putinknechte» und naïve Träumer:innen abge­stem­pelt. Die Main­stream-Medien las­sen es bei Ver­höh­nun­gen bewen­den und las­sen lie­ber immer wie­der die ewig­glei­chen «Expert:innen» mit ihren gebets­müh­len­ar­ti­gen Pro­gno­sen und Beschwö­run­gen zu Wort kommen.

Kaum jemand stellt die Frage, ob uns die Zusi­che­rung wei­te­rer mili­tä­ri­scher Unter­stüt­zung von min­de­stens 40 Mil­li­ar­den USD an die Ukraine sowie die bal­dige Lie­fe­rung von F‑16-Kampf­flug­zeu­gen nicht viel­leicht dem 3. Welt­krieg gerade ein Stück näher brin­gen. Ganz zu schwei­gen von der Zusage , die Ukraine in die Nato auf­neh­men zu wollen. 

Kommt hinzu, dass jeder Euro, der für Krieg aus­ge­ge­ben wird, anderswo fehlt. Selbst «rei­chen» Volks­wirt­schaf­ten wie Deutsch­land feh­len an allen Ecken und Enden die Mit­tel, um eine zuver­läs­sig funk­tio­nie­rende Bahn­in­fra­struk­tur instand zu hal­ten und marode Auto­bahn­brücken zu unter­hal­ten. Und wenn es um soziale Belange wie die Pflege alter Men­schen, um Bil­dung, Kul­tur oder einen men­schen­wür­di­gen Umgang mit Migrant:innen geht, macht eine zer­strit­tene Regie­rung nicht die lei­se­ste Anstren­gung ein «Son­der­ver­mö­gen» zu schaffen. 

Auch nach zwei­ein­halb Jah­ren Töten und Lei­den in der Ukraine und im angren­zen­den Russ­land, mit Hun­dert­tau­sen­den von Toten, las­sen die Kriegstreiber:innen nicht locker: Nach wie vor pre­di­gen sie, dass der Krieg erst zu Ende sei, wenn sich Russ­land aus allen Gebie­ten der Ukraine zurück­ge­zo­gen habe. Was zäh­len schon Hun­der­tau­sende wei­tere Tote, wenn der Krieg noch ein paar Jahre andauert.

Was für ein Thea­ter, wie die Staats-Führer:innen am Nato-Gip­fel ihre harte Hal­tung zele­brier­ten. Und dabei die ebenso simple wie fal­sche Beschwö­rungs­for­mel repe­tier­ten, die lau­tet: Wir «guten», demo­kra­ti­schen Staa­ten der Nato ver­tei­di­gen das Völ­ker­recht und die Demo­kra­tie gegen die «bösen», des­po­ti­schen Auto­kra­tien – mit Waf­fen­ge­walt, und bis zum bit­te­ren Ende

Den Preis dafür zah­len (vor­läu­fig noch) die Men­schen im ukrai­ni­schen Kriegs­ge­biet. Tag­täg­lich ster­ben dort 1000 und mehr rus­si­sche und ukrai­ni­sche Soldat:innen – ganz zu schwei­gen von den Ver­letz­ten, Trau­ma­ti­sier­ten – den Zerstörungen…Die erschrecken­den Zah­len wer­den tot­ge­schwie­gen, von auto­ri­tä­ren wie auch von demo­kra­ti­schen Medien.

«Wir ver­su­chen hier, ein Ide­al­bild zu schaf­fen – zu sagen, jemand gewinnt und jemand ver­liert. Und die Ukraine muss gewin­nen», kri­ti­sierte der pol­ni­sche Jour­na­list Jan Opielka in der Sen­dung Phoe­nix Runde vom 10. Juli 2024 die Gegen­seite. Er for­dert das Ende des Kriegs, bei dem alle Ver­lie­rer seien: «Die Ukraine hat schon jetzt ver­lo­ren, so wie die Rus­sen auch schon ver­lo­ren haben – indem sie Hun­dert­tau­sende von Men­schen ver­lo­ren haben. Es wird kei­nen gerech­ten Frie­den geben…»

Auf ein bal­di­ges Ende des Mor­dens zielt auch der Vor­schlag der US-ame­ri­ka­nisch Histo­ri­ke­rin Mary Elise Sarotte, die dafür plä­diert, die vor­läu­fige Tei­lung der Ukraine zu akzep­tie­ren, zugun­sten eines bal­di­gen Frie­dens. Span­nend zu lesen ist zudem ihre Ana­lyse der histo­ri­schen Ent­wick­lun­gen, die klar auf­zeigt, wie in den 1990er Jah­ren die Vision eines «ent­mi­li­ta­ri­sier­ten Her­zens Euro­pas» ‚unter Ein­bin­dung von Russ­land, von der Bush-Regie­rung ver­hin­dert wurde.

Das alles inter­es­siert Hard­li­ner wie den Mili­tär­öko­no­men Mar­cus Keupp kei­nen Deut. Trotz wie­der­holt fal­scher Pro­gno­sen in Bezug auf den Krieg in der Ukraine, erhält er von den Medien regel­mäs­sig eine Platt­form für seine ideo­lo­gisch gelei­tete Kriegspropaganda.

Argu­mente, sie mögen noch so hieb- und stich­fest sein, wischt er mit einem süf­fi­san­ten Lächeln unter den Tisch und sagt Sätze wie, es sei ein­zig und allein an Putin, den Krieg zu been­den… Die Men­schen an der Front und ihre Ange­hö­ri­gen inter­es­sie­ren ihn nicht.

Dies ist an Zynis­mus kaum zu über­tref­fen, wenn man weiss, dass der Pri­vat­do­zent, der an der Mili­tär­aka­de­mie der ETH Berufsoffizier:innen für die Schwei­zer Armee aus­bil­det, sel­bet keine Lust auf deut­schen Mili­tär­dienst ver­spürte und es vor­zog, im Post­kar­ten­ver­fah­ren* Zivil­dienst zu lei­sten. Das eigene Leben für die viel­zi­tierte «Frei­heit und Demo­kra­tie» aufs Spiel zu set­zen, war ihm wohl dann doch zu viel.

Und heute? Wyt vom Gschütz git alti Chrie­ger, sag­ten die alten Eid­ge­nos­sen. Und gut bezahlte Militärökonomen.

* Unter der sozial-libe­ra­len Regie­rung von Hel­mut Schmidt beschloss der Bun­des­tag am 13. Juli 1977 eine Novelle des Wehr­pflicht­ge­set­zes und Zivil­dienst­ge­set­zes, wel­che am 1. August 1977 in Kraft trat. Neben der Ver­län­ge­rung des Zivil­dien­stes auf 18 Monate beinhal­tete es ein neues Ver­fah­ren zur Aner­ken­nung einer Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung. Zuvor muss­ten Wehr­pflich­tige, die den Kriegs­dienst aus Glau­bens- und Gewis­sens­grün­den ver­wei­gern woll­ten, vor einem Aus­schuss Rede und Ant­wort über ihre Beweg­gründe ste­hen. Das neue Gesetz schaffte nun jeg­li­che der­ar­tige Prü­fung ab. Es reichte, unter Beru­fung auf das Grund­ge­setz die Ver­wei­ge­rung zu erklä­ren, ohne dafür Beweg­gründe anzu­ge­ben. Da hierzu theo­re­tisch auch eine Post­karte aus­reichte, sprach man vom «Post­kar­ten­ver­fah­ren».

Kriegsdienstverweigerung – Recht auf Asyl?

Kürz­lich publi­zierte die inter­na­tio­nale Pres­se­agen­tur Pres­senza die Geschichte von Mikita, einem jun­gen bela­rus­si­schen Deser­teur, den die Euro­päi­sche Union – selbst­er­nannte Ver­tei­di­ge­rin der «west­li­chen Werte» – nach Weiss­russ­land zurück­schicken will. Obschon ihm dort Fol­ter und Gefäng­nis, wenn nicht gar die Todes­strafe drohen.

Ange­fan­gen hat die Geschichte im Herbst 2021, als der damals 18jährige Mikita zum obli­ga­to­ri­schen Wehr­dienst in die bela­rus­si­sche Armee ein­ge­zo­gen wurde. Nur sechs Monate spä­ter wurde der Krieg in der Ukraine los­ge­tre­ten. Die jun­gen Sol­da­ten muss­ten damit rech­nen, schon bald als Kano­nen­fut­ter im Dien­ste Lukaschen­kos und Putins an die Front geschickt zu werden.

Ein Krieg, den Mikita nicht mit­tra­gen konnte und wollte. Wäh­rend einer Mili­tär­übung nahe der Grenze zu Litauen, gelang ihm im Mai 2022 die Flucht in die EU. In Litauen stellte der junge Mann umge­hend einen Asyl­an­trag. Die­ser wurde vor weni­gen Wochen in zwei­ter Instanz und damit defi­ni­tiv abge­lehnt. Die Begrün­dung: Bela­rus sei ein siche­res Land, eine Rück­kehr für den geflüch­te­ten Sol­da­ten problemlos.

Eine Ein­schät­zung, die in kras­sem Wider­spruch zu all den Zeu­gen­be­rich­ten über Repres­sio­nen, Fol­ter und Miss­hand­lun­gen von Men­schen wie Mikita durch das weiss­rus­si­sche Régime steht. Wenn es um Kri­tik an Lukaschen­kos Unrechts­staat geht, ken­nen west­li­che Politiker:innen in der Regel keine Zurück­hal­tung. Umso stos­sen­der ist es, dass nun aus­ge­rech­net jene Men­schen, die sich wei­gern, im Namen die­ses Staa­tes zu töten, zurück­ge­schickt statt geschützt wer­den sollen.

Mikita ist kein Ein­zel­fall. Ver­schie­dene Quel­len berich­ten, dass bela­rus­si­sche Geflüch­tete in Litauen heute als «Bedro­hung der natio­na­len Sicher­heit» gese­hen und des­halb immer öfter abge­scho­ben werden.

Olga Karach, die Lei­te­rin des Men­schen­rechts­zen­trums «Unser Haus», die sel­ber vor den Repres­sio­nen in ihrer bela­rus­si­schen Hei­mat nach Litauen geflüch­tet ist, schil­dert gegen­über der Zeit­schrift «Spinn­rad» die zuneh­mend auf­ge­heizte Stim­mung: «Einige wer­den sogar mit einem fünf­jäh­ri­gen Visum­ver­bot für die Euro­päi­sche Union zurück­ge­scho­ben, selbst Men­schen, die seit vie­len Jah­ren in Litauen leben, die Spra­che sehr gut beherr­schen und sehr gut inte­griert sind. Auch ich wurde zur Bedro­hung der natio­na­len Sicher­heit Litau­ens erklärt, weil wir in Litauen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer aus Gewis­sens­grün­den schüt­zen. Natür­lich sind wir strikt dage­gen, sie nach Weiss­russ­land abzuschieben.»

Nicht nur Litauen tut sich schwer mit dem Schutz geflüch­te­ter Kriegsdienstverweigerer:innen. Auch im übri­gen Europa und in der Schweiz ist die Flucht vor staat­lich ver­ord­ne­tem Töten kein aus­rei­chen­der Asyl­grund. Im Gegen­teil, denn im welt­wei­ten mili­tä­ri­schen Den­ken und Han­deln gibt es ein all­ge­mein­gül­ti­ges Dogma: Befehl ist Befehl. Wer sich die­ser Maxime ver­wei­gert, ist hart zu bestra­fen. Dienst­ver­wei­ge­rung wird des­halb kaum als Asyl­grund aner­kannt, auch in der Schweiz nicht. Sie wird als Schwe­ster der Deser­tion behan­delt, die in der Mili­tär­lo­gik zum Zer­fall der Befehls­ma­schi­ne­rie führt.

Gerade aus die­sem Grund ist die Auf­nahme und Unter­stüt­zung von Men­schen, die sich dem Krieg ver­wei­gern, ein radi­ka­ler und sinn­vol­ler Akt der Friedenspolitik.

Statt­des­sen wer­den Friedensaktivist:innen ver­folgt, ein­ge­sperrt und miss­han­delt – beson­ders schlimm ist es in krieg­füh­ren­den Län­dern wie Israel, Russ­land oder der Ukraine, wo Män­ner zum Kriegs­dienst gezwun­gen wer­den. Dies nota­bene, obschon die UNO seit 1987 Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung aus Gewis­sens­grün­den als Men­schen­recht anerkennt.

Ein Men­schen­recht, das in Zei­ten von Auf­rü­stung und neu ange­heiz­tem Mili­ta­ris­mus quer in der Polit­land­schaft steht und bei uns für Kon­tro­ver­sen sorgt. Umso wich­ti­ger ist die Unter­stüt­zung jener muti­gen Men­schen, die sich der Kriegs­ma­schi­ne­rie offen entgegenstellen.

So wie Sofia Orr und Tal Mit­nick, die sich wei­ger­ten, ihren obli­ga­to­ri­schen Mili­tär­dienst in Israel anzu­tre­ten. Die 19jährige Sofia ver­brachte fast drei Monate im Mili­tär­ge­fäng­nis, bevor sie das Mili­tär­ge­richt zur «Dienst­ver­wei­ge­re­rin aus Gewis­sens­grün­den» erklärte – ein Sta­tus, den man ihrem Kol­le­gen Tal* bis­lang ver­wei­gerte. Er begrün­dete seine Ver­wei­ge­rung im Dezem­ber 2023 mit den Wor­ten: «Ich wei­gere mich zu glau­ben, dass mehr Gewalt Sicher­heit brin­gen wird. Ich wei­gere mich, an einem Krieg der Rache teilzunehmen.»

Noch sind es nur wenige, die den Mut haben, sich gegen die Ein­be­ru­fung zu stel­len – weil für viele wohl die Pflicht am Vater­land vor­geht. Andere sehen schlicht und ein­fach keine Mög­lich­keit, sich dem Befehl zu ent­zie­hen – der Druck von Fami­lie und Gesell­schaft mag eben­falls eine ent­schei­dende Rolle spielen.

Etan Nechin, ein ehe­ma­li­ger israe­li­scher Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer, der heute in New York lebt, schreibt aus eige­ner Erfah­rung: «Ver­wei­ge­rung ist nicht hero­isch, aber sie drückt eine andere Art von Ent­schlos­sen­heit aus: Die Ent­schlos­sen­heit, allein zu ste­hen, die Kom­ple­xi­tät des Dis­sen­ses zu bewäl­ti­gen und ange­sichts gesell­schaft­li­cher Span­nun­gen sei­nen Über­zeu­gun­gen treu zu blei­ben; zu erken­nen, dass Rebel­lion not­wen­dig ist, wenn Men­schen einem gewalt­tä­ti­gen und unhalt­ba­ren Sta­tus quo gegenüberstehen.»

Rebel­lion statt Fah­nen­eid auf mili­tä­ri­schen Gehor­sam: Damit wird dem Mili­ta­ris­mus und letzt­lich den Kriegs­trei­bern das Was­ser abge­gra­ben. Genauso wie mit einer Frie­dens­po­li­tik, die statt dem süs­sen Gift von Waf­fen­lie­fe­run­gen und end­lo­ser Ankur­be­lung der Kriegs­in­du­strie zu erlie­gen, Men­schen unter­stützt, die sich dem Krieg ver­wei­gern und ihnen Asyl bietet. 

Ernst Bar­lach, Dom Mag­de­burg: Denk­mal des Krieges

* Nach­trag: Nach 185 Tagen im Knast wurde der 18jährige Tal Mit­nick am 11. Juli 2024 aus dem Mili­tär­dienst ent­las­sen. Er war im Dezem­ber 2023 der erste Wehr­dienst­ver­wei­ge­rer seit Beginn des Gaza-Kriegs und hat die läng­ste Haft­zeit aller Dienst­ver­wei­ge­rer des letz­ten Jahr­zehnts ver­büsst. Sein Kom­men­tar: «Ich bin erleich­tert, dass ich nach so lan­ger Zeit frei­ge­las­sen wurde. Glück­li­cher­weise hatte ich die Mög­lich­keit, mich amKampf gegen den Krieg und die Besat­zung zu betei­li­gen. In unse­rer Gesell­schaft meh­ren sich die Stim­men, die erken­nen, dass nur Frie­den Sicher­heit garan­tie­ren kann… »

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