Der letzte Akt

Die Nach­richt erreichte uns Mitte Februar per E‑Mail: Am Lüt­zow­platz in Ber­lin sind die Abriss­bag­ger auf­ge­fah­ren. Damit wer­den nun die letz­ten Zeu­gen eines ein­ma­li­gen archi­tek­to­ni­schen und sozia­len Pro­jekts aus dem Stadt­bild ausradiert.

Die Wohn­sied­lung am Lüt­zow­platz, in den 1980er Jah­ren im Rah­men der inter­na­tio­na­len Bau-Aus­stel­lung IBA vom dama­li­gen Star­ar­chi­tek­ten Mathias O. Ungers ent­wor­fen, war weit über Ber­lin hin­aus Vor­bild für hoch­wer­ti­ges und auch für wenig Bemit­telte bezahl­ba­res Woh­nen mit­ten in der Stadt.

Die Woh­nun­gen wur­den teils als Sozi­al­woh­nun­gen, teils auf dem freien Markt ver­mie­tet. So ent­stand innert kur­zer Zeit auf der ein­sti­gen Kriegs­bra­che eine leben­dige durch­mischte Sied­lung. «Wir waren mul­ti­kulti, lange bevor der Begriff in Mode kam», sagt eine ehe­ma­lige Mie­te­rin. An den gemein­sa­men Festen habe es jeweils Köst­lich­kei­ten «aus aller Her­ren Län­der» gege­ben. Denn hier leb­ten Deut­sche, Tür­kIn­nen, Ira­ne­rIn­nen, Ame­ri­ka­ne­rIn­nen und Aus­sied­ler­fa­mi­lien aus dem Osten Tür an Tür.

Wäh­rend der Lärm der Lüt­zow­strasse an der Vor­der­seite der Häu­ser abprallte, war der Innen­hof der Anlage eine grüne Oase: Rie­sige Ter­ras­sen und lie­be­voll gepflegte Gär­ten lies­sen einen ver­ges­sen, dass man hier mit­ten in einer Gross­stadt war. Es gab viel Raum zum Spie­len, und die zahl­rei­chen Fami­lien hal­fen sich gegen­sei­tig aus beim Kinderhüten.

«Die Mischung zwi­schen Pri­vat­sphäre und Gemein­schafts­ge­fühl war ideal», schwärmt ein lang­jäh­ri­ger Mie­ter. Wer Gesel­lig­keit suchte, kam auf seine Rech­nung – man konnte sich aber auch jeder­zeit in seine eige­nen vier Wände zurück­zie­hen. Am Lüt­zow­platz wurde gelebt, was Poli­ti­ke­rIn­nen und Stadt­pla­ne­rIn­nen gerne als Zukunfts­vi­sion für die ideale Stadt beschwören.

Viel Zeit war der bereits Wirk­lich­keit gewor­de­nen Wohn­uto­pie aller­dings nicht ver­gönnt. Ende der 1990er Jahre erstei­gerte ein Inve­stor aus Mün­chen die 90 im Bau­recht erstell­ten Woh­nun­gen, kurze Zeit spä­ter ver­kaufte ihm die Stadt auch das 11’500 Qua­drat­me­ter grosse Grund­stück. Zu einem Preis, des­sen Wert sich bis heute ver­viel­facht haben dürfte.

Seit dem Mau­er­fall liegt der Lüt­zow­platz nicht mehr im Mauer-Rand­ge­biet von «West­ber­lin» son­dern wie­der im Zen­trum von Ber­lin. In unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft zu den Ungers-Bau­ten steht heute der Haupt­sitz der CDU. Ein neues Bot­schafts­quar­tier wurde hoch­ge­zo­gen, teure Luxus­woh­nun­gen, Hotels. Das Poten­zial des Stand­orts ver­lange nach dich­te­rer Bebau­ung und höhe­rer Ren­dite, so der Inve­stor. Die IBA-Häu­ser waren gerade mal 17 Jahre alt, als der Inve­stor 2001 den ersten Abriss­an­trag beim Ber­li­ner Bezirks­amt Mitte einreichte.

Der anfäng­li­che Wider­stand von Sei­ten der Stadt war schnell gebro­chen: Nach­dem eine grüne Bezirks-Stadt­rä­tin noch ver­sucht hatte, die Häu­ser zu schüt­zen, unter­stützte ihr Nach­fol­ger von der SPD die Pläne des Inve­stors. Mit der Ver­ab­schie­dung eines neuen Bebau­ungs­plans für das Grund­stück war das Schick­sal der Wohn­oase poli­tisch besiegelt.

Vor dem Miet­ge­richt hin­ge­gen blitzte der Inve­stor mit sei­nen Räu­mungs­kla­gen vor­erst ab. Aber das Nach­ge­ben der Justiz war nur eine Frage der Zeit: Schliess­lich fand sich auch der Rich­ter, der die Gewinn­op­ti­mie­rung des Inve­stors höher gewich­tete als das Recht auf Woh­nen einer Hand­voll von Mie­te­rin­nen und Mie­tern. Damit war der Weg frei für die neuen Ren­di­te­bau­ten am Lüt­zow­platz nach gän­gi­gem Inve­sto­ren-Muster: Büro-und Gewer­be­räume sowie Woh­nun­gen für zah­lungs­kräf­tige Kundschaft.

siehe auch: – Eine Ber­li­ner Repor­tage von Gabriela Neuhaus

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