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Mobilmachung beim Bauernverband

Der Abstim­mungs­kampf um die Bio­di­ver­si­täts-Initia­tive, der lang­sam in Fahrt kommt, nimmt immer gro­tes­kere For­men an. Die Geg­ner­schaft – ange­führt vom Schwei­ze­ri­schen Bau­ern­ver­band – scheut keine Kosten und Mit­tel, um das Volks­be­geh­ren mit der etwas län­ge­ren, dafür tref­fen­de­ren Über­schrift «Für die Zukunft unse­rer Natur und Land­schaft» zu bodigen.

Die Ziel­set­zung der Initiant:innen – den Schutz unse­rer Lebens­grund­la­gen in der Ver­fas­sung bes­ser zu ver­an­kern – ist so ein­fach wie ver­nünf­tig. Denn eigent­lich wis­sen es alle, auch die, die es nicht wis­sen wol­len: Ein sorg­fäl­ti­ger Umgang mit Umwelt und Res­sour­cen tut drin­gend Not.

Nicht erst seit heute. Eini­ges wurde schon erfolg­reich getan, wie fol­gende drei Bei­spiele zei­gen: Dank dem Bau von Klär­an­la­gen und gesetz­lich ver­lang­ten Gewäs­ser­schutz­mass­nah­men, geht es unse­ren Flüs­sen und Seen heute wesent­lich bes­ser als noch vor 30 Jah­ren. Zwei­tens gibt es mit dem Raum­pla­nungs­ge­setz ein Instru­ment, um die Zer­sie­de­lung zu begren­zen. Schliess­lich för­dern land­auf, landab Hun­derte von Pro­jek­ten, ver­ord­net oder frei­wil­lig, die Bio­di­ver­si­täts­för­de­rung, den Arten­schutz und eine nach­hal­tige Entwicklung. 

Tat­sa­che ist aber auch, dass der Schutz unse­rer Res­sour­cen und Land­schaf­ten allzu oft hint­an­ste­hen muss, weil andere Begehr­lich­kei­ten Prio­ri­tät genies­sen. Wenn es um den Aus­bau von Tou­ris­mus- oder Mobi­li­täts­in­fra­struk­tur geht, um die Inter­es­sen von Bau­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­bran­che, um die Errich­tung von neuen Ener­gie­an­la­gen im Grü­nen – stets hat der Hei­mat- und Natur­schutz das Nachsehen.

Auch der Schwei­ze­ri­sche Bau­ern­ver­band wird nicht müde zu behaup­ten, es gebe gar kei­nen Hand­lungs­be­darf in Sachen Bio­di­ver­si­tät, die Land­wirt­schaft tue dies­be­züg­lich längst mehr als genug.

Das Gegen­teil ist der Fall. Natür­lich tra­gen zahl­rei­che Bäue­rin­nen und Bau­ern, ihren Res­sour­cen Sorge. Mit dem Ver­zicht auf Pesti­zide und Kunst­dün­ger lei­stet die bio­lo­gi­sche Land­wirt­schaft nicht nur einen wich­ti­gen Bei­trag zu unse­rer Lebens­mit­tel­ver­sor­gung, son­dern sie sorgt auch dafür, dass die Böden gesund und frucht­bar blei­ben und die Bio­di­ver­si­tät in unse­rem Land erhal­ten und geför­dert wird.

Die­ser Teil der Bau­ern­schaft ist aber nur eine kleine Min­der­heit, die vom Schwei­ze­ri­schen Bau­ern­ver­band mar­gi­na­li­siert wird. Die mäch­tige Bau­ern­lobby setzt nach wie vor alles daran, die Land­wirt­schaft aus ihrer Ver­ant­wor­tung zum Erhalt der Bio­di­ver­si­tät zu ent­las­sen. So war sie mass­geb­lich daran betei­ligt, einen kon­struk­ti­ven Gegen­vor­schlag zur vor­lie­gen­den Initia­tive im Par­la­ment zu ver­sen­ken, genau gleich wie eine schon beschlos­sene Ver­ord­nung zu Bio­di­ver­si­täts­flä­chen im Ackerbau.

Mehr noch: Der Schwei­ze­ri­sche Bau­ern­ver­band for­dert in der Ver­nehm­las­sung zur Total­re­vi­sion der Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ord­nung die prü­fungs­freie Zulas­sung aller in der EU bewil­lig­ten Pflan­zen­schutz­mit­tel für die Schweiz. Damit will er das Mit­spra­che­recht der Umwelt­ver­bände bei der Zulas­sung von Insek­ti­zi­den und Her­bi­zi­den unterbinden. 

Trotz­dem haben Bau­ern­chef Mar­kus Rit­ter und seine Leute die Chuzpe zu behaup­ten, die Landwirt:innen seien Spit­zen­rei­ter in Sachen Enga­ge­ment für Bio­di­ver­si­tät. Tat­sa­che ist, dass bereits heute 19 Pro­zent der gesam­ten land­wirt­schaft­li­chen Nutz­flä­che in der Schweiz als soge­nannte Bio­di­ver­si­täts­för­der­flä­chen (BFF) aus­ge­wie­sen wer­den. Dies, wenig über­ra­schend, weil es dafür Sub­ven­tio­nen vom Bund gibt. Mit der Menge allein ist es aber nicht getan…

Sogar der Bio­loge Mar­cel Züger, der im Auf­trag des Bau­ern­ver­ban­des eine Stu­die zum Zustand der Bio­di­ver­si­tät in Bezug auf die Land­wirt­schaft erstellt hat, kommt zum Schluss: Die ver­lang­ten Min­dest-Bio­di­ver­si­täts-Flä­chen (BFF) in der Land­wirt­schaft (sprich: Flä­chen, für wel­che die Bau­ern Sub­ven­tio­nen erhal­ten, weil sie sie exten­siv bewirt­schaf­ten) wer­den zwar erreicht und gar über­trof­fen, aber es mangle an Qualität.

Sprich: Beim Aus­schei­den von BFF steht bei vie­len Bäue­rin­nen und Bau­ern nicht die Frage nach dem grösst­mög­li­chen Nut­zen für die Bio­di­ver­si­tät im Zen­trum – sie bevor­zu­gen jene Par­zel­len, die abge­le­gen sind oder in der Ver­gan­gen­heit eh am wenig­sten abge­wor­fen haben.

Gleich­zei­tig wird auf dem übri­gen Land­wirt­schafts­land wei­ter­hin mit Pesti­zi­den und Dün­ger gefuhr­werkt, was das Zeug hält. Davon wis­sen Landwirt:innen ein Lied­chen zu sin­gen, die ihr Land bio­lo­gisch bewirt­schaf­ten, aber immer wie­der von Pesti­zid­ne­beln ein­ge­deckt wer­den, die ihre Kol­leg: innen auf angren­zen­den Fel­dern ausbringen.

Mit sei­ner Fron­tal­op­po­si­tion gegen einen mode­ra­ten Ver­fas­sungs­ar­ti­kel zur För­de­rung von Bio­di­ver­si­tät und Res­sour­cen­schutz scha­det der Bau­ern­ver­band letzt­end­lich sei­nen eige­nen Leuten.

Genauso wie jene in den Städ­ten und Agglo­me­ra­tio­nen, die in jeg­li­cher Grün­flä­che nur das Poten­zial für Immo­bi­li­en­busi­ness sehen und so tun als wären die übrig­ge­las­se­nen Grün­streif­chen ein gross­zü­gi­ger Bei­trag zum Erhalt der Biodiversität. 

Des­halb muss lei­der fest­ge­stellt wer­den, dass es unsin­nig ist in Sachen Bio­di­ver­si­tät auf Frei­wil­lig­keit zu set­zen. Wäre dies ziel­füh­rend, könnte der Staat auch bei Steu­er­ein­nah­men das Prin­zip der Frei­wil­lig­keit anwenden.

Ein Ja zur Initia­tive ist auch ein Ja zum Gemein­wohl – anstelle der vom Par­la­ment befeu­er­ten Beloh­nung von rück­sichts­lo­sen Eigeninteressen. 

Aufgaben nicht gemacht – und nun jammern, was das Zeug hält

Das Urteil des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rechte EGMR in Strass­burg vom Diens­tag, 9. April 2024 lässt an Klar­heit nichts zu wün­schen übrig. Ent­spre­chend hef­tig sind die Reak­tio­nen in der Schweiz. Da ist zum einen die Freude und Erleich­te­rung all jener, die seit Jah­ren für ent­schlos­se­nes Han­deln gegen die Kli­ma­krise engagieren.

Auf der ande­ren Seite und beson­ders laut­stark die ableh­nen­den und feind­se­li­gen Reak­tio­nen von recht­ha­be­ri­schen Politiker:innen und Pres­se­kom­men­ta­ren, von Herr­li­berg bis BLICK. Es ist die jam­mernde Rede von einem «poli­ti­schen Urteil», gefällt von «frem­den Rich­tern», wel­che die demo­kra­ti­sche Basis der Schwei­zer Kli­ma­po­li­tik nicht ver­stün­den. Es wird gegen das Urteil gewet­tert, gegen den Schwei­zer Rich­ter im Gre­mium, der sein Land ver­ra­ten habe sowie gegen die von «Green­peace gesteu­er­ten» Klimaseniorinnen.

Die Sonn­tags­Zei­tung vom 14. April por­trä­tiert mit hämi­schen Wor­ten den «Erfin­der» der Kli­ma­klage und lässt dar­über hin­aus Mar­kus Somm kom­men­tie­ren. Unter dem Titel «17 Rich­ter gegen 5,5 Mil­lio­nen Stimm­bür­ger» schlägt Eid­ge­nos­sen Somm mit der Kom­men­tar­hel­le­barde zu und dis­kre­di­tiert in sei­nem Pam­phlet nicht nur den EGMR-Rich­ter Andreas Zünd und die Kli­ma­se­nio­rin­nen – er behaup­tet dar­über hin­aus, das Gericht habe mit sei­nem Urteil ein neues Gesetz geschrie­ben, «über das bloss 17 Leute statt 5,5 Mil­lio­nen wahl­be­rech­tigte Schwei­zer abstimmen.»

Im Sonn­tags Blick wird eben­falls ver­sucht, Rich­ter Zünd zu demon­tie­ren. Die­ser bleibt ruhig und sach­lich und räumt mit den kol­por­tier­ten Fehl­in­for­ma­tio­nen auf. Als ihn die Blick als «Akti­vi­sten» anspricht, lau­tet seine Ant­wort kurz und bün­dig: «Das ist keine inhalt­li­che Aus­sage, son­dern ein simp­ler Angriff. Die­ser Begriff wird ver­wen­det, um Rich­te­rin­nen und Rich­ter zu dis­kre­di­tie­ren, die die Rechte der Men­schen ernst nehmen.»

Schon zuvor, im Tages­ge­spräch auf Radio SRF, hakte Befra­ger David Kara­sek drei­mal nach, wie es sich anfühle, sein eige­nes Land zu ver­ur­tei­len. Da hat einer die Inter­view­tech­nik bei den Sportreporter:innen abge­schaut. Als ob bei die­sem bahn­bre­chen­den, wich­ti­gen Urteil des EGMR Patrio­tis­mus und die Befind­lich­keit des Rich­ters im Zen­trum stünden!

Das mit 16:1 Stim­men gefällte Urteil des Men­schen­ge­richts­hofs stellt klar und deut­lich fest: Die Schweiz tut nicht genug zur Umset­zung ihrer Gesetze in Bezug auf die CO2-Emis­sio­nen, son­dern ver­nach­läs­sigt auch die von Bun­des­rat und Par­la­ment rati­fi­zier­ten Ver­pflich­tun­gen aus dem Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men. Dadurch ver­letzt sie das vom Ver­ein der Kli­ma­se­nio­rin­nen ein­ge­klagte Men­schen­recht auf Gesund­heit und schützt sie nicht genü­gend vor den Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels. Klar­text: Die selbst­er­kürte Klas­sen­be­ste und Stre­be­rin Schweiz hat die Haus­auf­ga­ben nicht gemacht. Nun muss sie nach­sit­zen und nachbessern!

Wäh­rend sich die bür­ger­li­chen Medien in der Schweiz aufs Wun­den lecken und ver­letz­ten Natio­nal­stolz zurück­zie­hen, bringt Joa­chim Mül­ler-Jung, Co-Res­sort­lei­ter der «Wis­sen­schaft» bei der F.A.Z. (!) in sei­nem Kom­men­tar vom 12. April 2024 die eigent­li­che Bedeu­tung des Urteils auf den Punkt:

«Mit der beein­drucken­den Mehr­heit von sech­zehn zu eins Stim­men haben die Straß­bur­ger Rich­ter aner­kannt, dass es sich beim Kli­ma­wan­del um eine exi­sten­ti­elle Bedro­hung für die Mensch­heit han­delt, die poli­tisch abzu­wen­den sei. Die Begrün­dung war dabei die­selbe wie in allen ande­ren Fäl­len auch: Nicht, dass keine Kli­ma­po­li­tik gemacht wird, ist justiz­sei­tig moniert wor­den, son­dern dass diese Poli­tik unge­nü­gend ist. Maß­stab dabei ist für die Rich­ter allein die Wis­sen­schaft, indi­rekt damit auch die Ein­schät­zung des Welt­kli­ma­ra­tes IPCC, die zu dem Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men und der von fast allen Staa­ten mit­ge­tra­ge­nen Ziel­vor­gabe – unter zwei Grad glo­ba­ler Erwär­mung und mög­lichst 1,5 Grad zu bleiben.»

Den Vor­wurf, es handle sich beim Strass­bur­ger Kli­maur­teil um ein poli­ti­sches Urteil, ja sogar um einen «Anschlag auf die Demo­kra­tie», kon­tert Mül­ler-Jung mit der Tat­sa­che, dass der EGMR der Schweiz eben gerade nicht vor­schreibt, mit wel­cher Poli­tik sie die Kli­ma­ziele errei­chen soll – er ver­langt ein­zig, dass sie ein­zu­hal­ten sind.

«Die Strass­bur­ger Rich­ter haben des­halb auch nichts Unmög­li­ches ver­langt, auch nichts Absur­des, son­dern ledig­lich: die Ver­ant­wor­tung end­lich zu über­neh­men, die in der Kli­ma­rah­men­kon­ven­tion schon in den Neun­zi­ger­jah­ren völ­ker­rechts­ver­bind­lich unter­schrie­ben, rati­fi­ziert und mit dem Pari­ser Abkom­men kon­kre­ti­siert wor­den ist. Wenn man so will, über­nimmt die Justiz damit ein stück­weit die Auf­ar­bei­tung von Jahr­zehn­ten sträf­lich ver­pass­ter, zum Gut­teil auch sabo­tier­ter Klimapolitik.» 

Das gilt für die Schweiz genauso wie für die andern Län­der Europas.

Wer nun behaup­tet, der EGMR habe mit sei­nem Urteil gegen Schwei­zer Recht und Usan­zen ver­stos­sen, hat das für Demo­kra­tien mass­ge­bende Prin­zip der Gewal­ten­tei­lung nicht begrif­fen. Die­ses gilt auch und vor allem, wenn es gewis­sen Volks­par­teien nicht in den Kram passt. Weil sie lie­ber wei­ter­hin den immer drän­gen­der wer­den­den Hand­lungs­be­darf in Bezug auf die Kli­ma­krise leug­nen und wir­kungs­volle Mass­nah­men auf Teu­fel komm raus blockieren.

Genau des­halb ist es so wich­tig, dass unab­hän­gige Gerichte Kla­gen wie jene des Ver­eins Kli­ma­se­nio­rin­nen aus der Schweiz ernst neh­men und dafür sor­gen, dass statt stets nur gebremst auch end­lich gehan­delt wird.

© Sher­vine Nar­fissi /​Greenpeace

Falsche Weichenstellung:
NEIN zum neuen Stromgesetz!

Die Ener­gie­stif­tung Schweiz SES hat Anfang März eine äus­serst span­nende Stu­die publi­ziert. Basie­rend auf einer Ana­lyse der gel­ten­den Bun­des­ge­setze zeigt sie auf, wie der Ener­gie­kon­sum in der Schweiz durch Fehl­an­reize ange­heizt wird: Auf­ge­führt wer­den 112 soge­nannte «Mass­nah­men mit ener­ge­ti­schem Fehl­an­reiz» – die Liste, so die Autor:innen der Stu­die, sei nicht abschlies­send, die Zahl der Fehl­an­reize eher unterschätzt.

Die Expert:innen iden­ti­fi­zier­ten Fehl­an­reize in zahl­rei­chen Sek­to­ren – dazu gehö­ren ins­be­son­dere die Berei­che Ener­gie, Ver­kehr, Land­wirt­schaft, Tou­ris­mus, Industrie/​Unternehmen – aber auch Regu­lie­run­gen im Steu­er­we­sen sowie bei Bau und Raum­pla­nung beför­dern den Ener­gie­ver­schleiss. Und zwar durch ver­schie­dene For­men von Mass­nah­men wie Sub­ven­tio­nen, Steu­ern, Vor­schrif­ten – aber auch Män­gel im Voll­zug oder bei der Kon­trolle ver­hin­dern bis­lang einen effi­zi­en­ten Umgang mit Energie.

Bei­spiele für Fehl­an­reize sind etwa Tarife, die bei hohem Strom­ver­brauch sin­ken. Oder das Feh­len einer CO2-Abgabe auf Treib­stof­fen im Stras­sen­ver­kehr. Und die Befrei­ung des Flug­ver­kehrs von der Mineralölsteuer.

Allein die Kor­rek­tur von sie­ben in der Stu­die näher unter­such­ten Fehl­an­rei­zen beinhal­tet ein Ener­gie­spar­po­ten­zial von 9 bis 10 Ter­ra­watt­stun­den (TWh) pro Jahr, was knapp 5 Pro­zent des heu­ti­gen Schwei­zer Gesamt­ener­gie­ver­brauchs ent­spricht. – Mit ande­ren Wor­ten: Durch die Abschaf­fung oder Revi­sion der Geset­zes­ar­ti­kel, die zum Mehr­ver­brauch an Ener­gie ani­mie­ren, könnte der Ener­gie­be­darf in der Schweiz mas­siv redu­ziert werden.

Dass nun aus­ge­rech­net die SES das Ja-Lager der Umwelt­ver­bände zum neuen Strom­ge­setz, über das wir am 9. Juni 2024 abstim­men wer­den, anführt, ist abso­lut unver­ständ­lich. Han­delt es sich doch bei der Vor­lage («Man­tel­erlass») um ein Mach­werk, das gleich in mehr­fa­cher Hin­sicht zusätz­li­che Fehl­an­reize in der Schwei­zer Ener­gie­po­li­tik produziert.

Wer das Fei­len an den neuen Geset­zes­ar­ti­keln mit­ver­folgt hat und sich die Mühe nimmt, die neuen Bestim­mun­gen im Detail zu lesen, stellt mit gros­ser Ver­wun­de­rung fest: Die Slo­gans für die Ja-Parole der Umwelt­ver­bände klin­gen wie ein Hohn und ent­sprin­gen eher einem Wunsch­den­ken als der Realität.

So wird etwa in Bezug auf Solar­an­la­gen behaup­tet: «Über 80 Pro­zent der Anla­gen ent­ste­hen auf Gebäu­den und bestehen­der Infra­struk­tur.» – Stimmt nicht. Fakt ist: Die ange­dachte Solar-Pflicht für Fas­sa­den und Dächer hatte im Par­la­ment keine Chance. Was davon übrig blieb ist ein­zig die Vor­schrift, dass beim «Bau neuer Gebäude mit einer anre­chen­ba­ren Gebäu­de­flä­che von mehr als 300m²» eine Pho­to­vol­taik oder Solar­ther­mie­an­lage zu erstel­len sei. Und noch da ermög­licht das Gesetz die Gewäh­rung von Ausnahmen.

Dies, obschon etwa ein vom Bun­des­amt für Ener­gie publi­zier­ter Solar­ka­ta­ster auf­zeigt, dass allein geeig­nete Haus­dä­cher und Fas­sa­den 67 TWh Strom lie­fern könn­ten. Mit einer zusätz­li­chen Bestückung von Infra­struk­tu­ren wie Lärm­schutz­wän­den, Ver­kehrs­flä­chen oder Stau­mau­ern mit Pho­to­vol­taik-Anla­gen könn­ten jähr­lich sogar 90 TWh Ener­gie pro­du­ziert wer­den. Das ist mehr als dop­pelt soviel Strom wie sämt­li­che Was­ser­kraft­werke der Schweiz liefern.*

Statt die­ses enorme Poten­zial mit einer kon­se­quen­ten För­de­rung von Solar­an­la­gen auf bestehen­den Bau­ten zu nut­zen, ermög­licht das neue Gesetz für Ener­gie­infra­struk­tu­ren «von natio­na­lem Inter­esse», dass bis­he­rige Bestim­mun­gen des Natur- und Hei­mat­schutz­ge­set­zes zugun­sten der Ener­gie­ge­win­nung aus­ge­he­belt wer­den. Und finan­zi­elle Anreize für die gros­sen Ener­gie­kon­zerne ver­hin­dern eine schlan­kere, dezen­trale Ener­gie­pro­duk­tion. Denn der Bund soll bis zu 40 Pro­zent an die Pro­jek­tie­rungs­ko­sten neuer gros­ser Wasserkraft‑, Wind­ener­gie- oder Geo­ther­mie­an­la­gen zah­len, was den Elek­tro­kon­zer­nen bei ihren Plä­nen entgegenkommt.

Dies sind nur zwei einer gan­zen Reihe von Bei­spie­len, die zei­gen, wie das neue Strom­ge­setz das ver­al­tete Den­ken und die Ener­gie­ver­schwen­dung wei­ter zemen­tiert. Keine Frage: Wir brau­chen drin­gend neue Regeln und Vor­schrif­ten, um den Ener­gie­ver­brauch in unse­rem Land nach­hal­tig zu gestal­ten – das heisst aber vor allem auch, ihn zu senken.

Dass dies mög­lich wäre, zeigt nicht nur die ein­gangs erwähnte SES-Stu­die. Laut einer ande­ren Stu­die der Schwei­ze­ri­schen Agen­tur für Ener­gie­ef­fi­zi­enz S.A.F.E. liegt das Spar­po­ten­zial beim Strom – allein gestützt auf den tech­ni­schen Fort­schritt – bei rund 26 TWh. Laut dem Ver­ein bräuchte die Schweiz 2035 – bei gleich­blei­ben­dem Wachs­tum – pro Jahr nur 46 TWh Strom, also 23 Pro­zent weni­ger als heute, wenn sie das tech­ni­sche Spar­po­ten­zial aus­schöp­fen würde.

Das neue Strom­ge­setz macht in Bezug auf Ener­gie­spar­mass­nah­men bloss sehr all­ge­meine Anga­ben. Trotz har­tem Rin­gen muss der erfeilschte Kom­pro­miss als grot­ten­schlecht bezeich­net wer­den – allzu viel von dem, was die Vertreter:innen der JA-Parole nun aus dem Man­tel­erlass her­aus­le­sen, steht dort mit kei­nem Wort. Im Gegen­teil: Die Vor­lage ist eine Mogel­packung, gefüllt mit Gummiparagraphen.

Mit der Kate­go­rie Ener­gie­an­la­gen «von natio­na­lem Inter­esse» schafft das Gesetz gar die Basis für einen unge­brem­sten Aus­bau von Ener­gie-Infra­struk­tur­bau­ten auf Kosten von Natur und Umwelt: Eine von den Strom­ba­ro­nen zu defi­nie­rende «Ener­gie­si­cher­heit» erhält expli­zit das Pri­mat über Land­schafts- und Hei­mat­schutz. Mit- und Ein­spra­che­rechte wer­den beschnit­ten, Bewil­li­gungs­ver­fah­ren beschleu­nigt und «ver­schlankt».

Das geht auf Kosten von Sorg­falt und Serio­si­tät. Dies nota­bene ohne Not, wie oben erwähnte Stu­dien bewei­sen: Die Schweiz ver­fügt aktu­ell nicht nur über genü­gend Ener­gie, sie hat dar­über hin­aus ein gros­ses Ener­gie­spar-Poten­zial. Dies muss erst ein­mal aus­ge­schöpft wer­den, bevor man dem Aus­bau von Ener­gie-Infra­struk­tur hem­mungs­los Tür und Tor öff­net. Es braucht ein grif­fi­ges Gesetz, das auch der Erkennt­nis Rech­nung trägt, dass Ener­gie­res­sour­cen sorg­fäl­tig und nach­hal­tig genutzt wer­den müssen.

Ein NEIN am 9. Juni wird die Politiker:innen – und auch die Umwelt­ver­bände – zwin­gen, das Ganze neu auf­zu­glei­sen. Die Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen sol­len ihre Auf­ga­ben erfül­len und dür­fen nicht Hand zu fau­len Kom­pro­mis­sen mit den Elek­tro­tur­bos bie­ten. Damit die Parole «Strom im Ein­klang mit der Natur» nicht bloss eine leere Wort­hülse bleibt, son­dern tat­säch­lich umge­setzt wird.

*Quelle: Die Ener­gie­wende im War­te­saal, Rudolf Rech­stei­ner, hrsg. von der SES, Ver­lag Zocher&Peter, 2021

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