Sachkundig macht sich der Experte an die Arbeit. Die Versicherung hatte ihn aufgeboten, um die Offerte für die Liftreparatur zu überprüfen.
Auch der Motor der Liftanlage war während Stunden im Wasser, die Steuerung teilweise. Entsprechend gross ist die Anzahl der Teile, die laut Offerte der Liftfirma AS – einer Tochter der Schindler Aufzüge – ersetzt oder gründlich revidiert werden müssen. Allerdings haben die Monteure von AS, die den Schaden begutachtet und die Offerte erarbeitet haben, offenbar nicht jegliche Funktion daraufhin überprüft, ob sie möglicherweise das Wasser überstanden hat.
Posten in der Offerte, die auf blossen Annahmen basieren, lässt der Experte nicht gelten. Ob der Schaden am Motor so gross sei, wie in der Offerte behauptet, zeige sich erst, wenn dessen Antrieb demontiert und auseinander genommen worden sei, sagt er. Und vereinbart mit dem AS-Vertreter einen weiteren Termin. Auch Netzgerät und Steuerung will er nicht ungeschaut ersetzt wissen. Im Sicherungskasten steckt immer noch die kaputte Sicherung – nach einigem Suchen findet sich ein Ersatz. Und siehe da: Die Anlage springt an…
Was nur bedingt erstaunt. Auch andere elektrische und elektronische Geräte haben die Flutung überlebt. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die feucht gewordenen Teile von innen her vom Rost zerfressen werden und in ein paar Wochen oder Monaten ebenfalls den Geist aufgeben. Endgültig.
Alle anderen elektrischen Anlagen im Haus, die unter Wasser gestanden haben, werden deshalb ersetzt – anstandslos. Beim Lift hingegen, hat der Experte sein Veto eingelegt – weil ein Teil der Anlage, namentlich das Netzgerät, nie unter Wasser gestanden sei.
Dass man der Firma AS genau auf die Finger schaut, leuchtet den Liftbesitzern ein. Auch sie haben sich schon von einem Experten beraten lassen, nachdem der täglich benutzte Lift nach einer Revision plötzlich kaputt war und eine Reparatur von mehreren Tausend Franken ins Haus stand. Das Mysterium konnte allerdings nie geklärt werden und sie mussten bezahlen. Wie auch für den Ersatz des defekten Notlichts (eine kleine Leuchtdiode, die aber gesetzlich vorgeschrieben ist), wofür AS das ganze Steuerungspanel in der Liftkabine auswechselte. Es gehe nicht anders, hiess es von der Firma.
Das Geschäft mit den Aufzügen ist hierzulande ein monopolisiertes. Umso wichtiger sind die Experten, die die Geschäftsmethoden von Schindler, Ortis und Co kennen und durchleuchten. Allerdings handelt es sich natürlich auch hier nicht um „neutrale“ Fachleute.
Der Experte, der von der Versicherung beigezogen wird, ist dafür bezahlt, deren Interesse zu vertreten. Zudem ist anzunehmen, dass er nach Aufwand entschädigt wird: Je länger und genauer er sich den Schaden anschaut, desto grösser sein Verdienst. Vor allem aber wird er versuchen, den Preis der Offerte soweit als möglich zu drücken. Je mehr er erreicht, desto zufriedener sind seine Kunden.
Der nächste Posten in der Offerte für die Liftreparatur nach der Überschwemmung, der der Prüfung des Experten Prüfung nicht standhält, ist der Ersatz der Tragseile. Ein kurzer Blick genügt ihm, um festzustellen, dass sie keinen Rost angesetzt haben. Allerdings empfiehlt die Herstellerfirma Brugg AG dringend, die Stahlseile nach einem solchen Schadensfall zu ersetzen. Möglicherweise stehen auch bei dieser Empfehlung Eigeninteressen im Vordergrund: Die Seilhersteller wollen Seile verkaufen. Allerdings kennen sie ihre Produkte sehr genau und wollen keine Risiken zulassen. Die Empfehlung, ein unverzinktes Seil, das teilweise im Wasser stand zu ersetzen, erscheint gar der Laiin plausibel.
Als Eigentümerin und Liftmitbesitzerin bleibt deshalb ein ungutes Gefühl: Darf der Experte sich über solche Empfehlungen hinweg setzen? rMüsste man nun seinerseits einen Experten beiziehen, oder die neuen Seile selber bezahlen?
Womit wir beim Kernthema wären: Das liebe Geld. Es darf davon ausgegangen werden, dass bereits heute die Kosten für Begutachtungen und Streit den Betrag, den der Experte schliesslich mit seinen Interventionen herunterhandelt, längst übersteigen.