Dumdudum–dudum-dumdudum-dudum… tönt es durch die Wohnung. Ein Klingelton, weder schrill noch besonders laut oder originell – und trotzdem von magischer Kraft. Wie oft hat mich ein Dumdudum – dumdudum von meiner Sofalektüre, vom Kochherd oder sonst irgendeiner Tätigkeit weggescheucht. Wie oft habe ich alles stehen und liegengelassen und bin dem Dumdudum-dumdudum gefolgt. Im Eilschritt zum Computer, um den Anruf ja nicht zu verpassen…
Skype hat mein Leben nicht nur bereichert, sondern buchstäblich revolutioniert. Unmöglich, die Anzahl Stunden zu ermitteln, die ich in den letzten Jahren «auf Skype» verbracht habe und all die virtuellen Begegnungen und Besuche, Gespräche, Diskussionen, Interviews aufzuzählen, die mir Skype ermöglicht hat.
Dank Skype war Telefonieren plötzlich «gratis», was vor allem bei Auslandgesprächen schnell ins Gewicht fällt. Doch Skype ist viel mehr als bloss kostengünstig telefonieren, da man dank Computerkamera und Bildschirm das Gegenüber nicht nur hören, sondern auch sehen kann. Das veränderte die Kommunikation auf Distanz grundlegend.
Heute gehören – Smartphone sei dank – Videocalls per Whatsapp, Threema, Facetime und wie sie alle heissen nicht nur zum Alltag, sie sind zu einer wahren Seuche geworden. Egal ob beim Spazieren, im Bus oder in einem Laden – die virtuell zugeschalteten Begleiter:innen sind stets dabei, und zuweilen präsenter als die reale Welt, in der sich die fernkommunizierende Person bewegt.
Spätestens seit Corona gehören auch virtuelle Sitzungen am Computer zum Courant normale. Mittlerweile hat man sich so sehr daran gewöhnt, dass wir uns eine Kommunikation ganz ohne Videocalls gar nicht mehr vorstellen wollen. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass wir für den fernmündlichen Austausch mit Interviewpartner:innen, Freund:innen und Verwandten zum Telefonhörer gegriffen haben.
Ich erinnere mich, als ob es gestern gewesen wäre, wie A. eines Tages von einem Dreh bei der Firma Skype nachhause kam und von einem neuen, bahnbrechenden Tool schwärmte. Wir haben uns dann gleich nach dem Nachtessen vor unseren Bürocomputer gesetzt und das Programm runtergeladen, um es zu testen.
Doch skypen geht nur mit Leuten, die selber auch über ein Skype-Konto verfügen. Das waren damals noch nicht so viele. Also begannen wir auf gut Glück mit der Suche, gaben diesen und jenen Namen in der Suchfunktion ein und scrollten uns durch das Skype-Verzeichnis.
Eigentlich hatte ich meinen Nachnamen bloss zum Jux eingetippt, da ploppte unverhofft der Eintrag meiner Eltern auf. Ich konnte es kaum glauben: Mein Vater – damals schon weit über 80 Jahre alt – war uns mit der Installation von Skype zuvorgekommen!
Das war nicht bloss ein Treffer, sondern ein Volltreffer. Also nichts wie los und den ersten Versuch starten. Und siehe da: Schon nach kurzem Läuten blickte uns tatsächlich mein Vater aus dem Computer entgegen. Und lachte herzhaft über unsere Frage, wie um Himmelswillen er denn auf Skype gekommen sei… Seit Wochen schon, klärte er uns auf, würde er mit meinem Bruder und dessen Familie in Kanada nicht mehr telefonieren, sondern skypen. Das sei nicht nur billiger, sondern auch sehr viel schöner…
Das war unser Start ins Skype-Zeitalter. Bald schon traf auch ich mich öfter auf einen Computerschwatz mit meinem Bruder in Kanada. Ein Novum, telefoniert hatten wir zuvor nämlich höchst selten. Auch mit verschiedenen Freund:innen wie Jenny in London oder Susan in Denver tauschte ich mich fortan regelmässig per Skype aus.
Und dann die Familientreffen: Immer mal wieder haben wir uns aus allen Himmelsrichtungen zu einem virtuellen Treffen zusammengeschaltet und so einen gemeinsamen Abend (resp. Morgen, für jene in Kanada und den USA) am Computer verbracht. Oder das wohlbekannte Dumdudum–dudum-dumdudum-dudum ertönte, wenn wir gemütlich mit meinen Eltern am Tisch sassen. Das war dann das Zeichen für alle Anwesenden, den gemütlichen Platz am Tisch mit einem Stehplatz vor dem Computer zu vertauschen, auf dass die aus der Ferne zugeschalteten auch dabei sein konnten.
Irgendeinmal entdeckte ich dann Skype auch für meine Arbeit. Zum einen, weil es durchaus angenehm ist, besonders bei längeren Interviews, sein Gegenüber im Auge zu behalten. Vor allem aber, weil das Aufnehmen von Gesprächen mit Skype wesentlich einfacher war als beim Telefonieren.
Die weitaus wichtigste Rolle in meinem Leben hat Skype aber während Corona gespielt. In einer Zeit, da wir unseren Vater nicht besuchen durften, konnten wir uns trotzdem täglich sehen. Jeden Abend haben wir uns damals nicht nur gesprochen, sondern für ein paar Momente getroffen. Wenn auch bloss virtuell, waren es besonders kostbare Momente. Die einzigen, die uns blieben.
Damals hat mein Vater sich mit Erfolg dafür eingesetzt, dass die Leitung auch den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern das Skypen mit ihren Liebsten ermöglichte. Weil er aus eigener Erfahrung wusste, wie wichtig es für die von der Aussenwelt abgeschirmten, eingesperrten Menschen war, wenigstens auf diesem Weg mit ihren Familien in Kontakt zu bleiben.
Auf Skype hat denn auch unser letztes Familientreffen stattgefunden. Ende Mai 2020 planten meine Schwester, unser Vater und ich gemeinsam unser erstes Wiedersehen nach Corona «im richtigen Leben». 23 Minuten und 23 Sekunden dauerte unser Gespräch, wie dem Skype-Archiv zu entnehmen ist. Ich erinnere mich, wie wir alles besprochen und geplant, und uns dann voller Vorfreude verabschiedet haben. Zwei Stunden später war er tot.
Seither ertönt das Dumdudum–dudum-dumdudum-dudum bei mir nicht mehr so oft wie einst. Und bald wird es gänzlich verstummen: Der Microsoftkonzern, der Skype 2011 gekauft hat, kündigt schon seit Wochen dessen Ende an: «Ab Anfang Mai ist Skype nicht mehr verfügbar», lautet die Mitteilung auf der Startseite, gepaart mit der Aufforderung: «Setzen Sie ihre Anrufe und Chats in Teams fort.»
Damit geht eine Aera zu Ende. Auch wenn die Errungenschaften der Videocalls und Online-Telefonie erhalten bleiben und sich weiter entwickeln werden: Skype ist und bleibt für mich ein ganz besonderes Tool. Das Dumdudum–dudum-dumdudum-dudum wird mir fehlen.