Pazifismus – wann, wenn nicht jetzt?

Krieg bedeu­tet Mord und Totschlag, Horror und Elend. Leidtragende sind Menschen wie du und ich. Tagtäglich ver­lie­ren Hunderte, Tausende welt­weit ihr Leben und ihre Existenz als Folge sinn­lo­ser Zerstörung und Vernichtung. Krieg ist eine men­schen­ge­mach­te Katastrophe. In jedem Fall grau­sam und nie gerecht.

Wer sich jedoch in die­sen Tagen vehe­ment gegen Krieg aus­spricht oder gar zum Pazifismus bekennt, wird nie­der­ge­schrien und ern­tet Kampfansagen. Friedensverhandlungen sind ange­sichts des aktu­el­len Kriegs in der Ukraine ein Tabuthema – zu dem auch ich all­zu oft geschwie­gen habe. Aus Angst vor Diffamierungen und Streit, dem per­sön­li­chen Frieden zuliebe.

Nicht nur in Deutschland sind es aus­ge­rech­net Exponent:innen der Grünen, der eins­ti­gen Friedenspartei sowie des «lin­ken Establishments», die heu­te die Kriegstrommel schla­gen und laut nach Aufrüstung und Waffenlieferungen an die Ukraine schrei­en. Verbunden mit einer gehäs­si­gen Diffamierung gegen alle, die die­sen weit­ver­brei­te­ten Gesinnungsumsturz in Frage stellen.

In der Schweiz wie in Deutschland lie­fern die Mainstreammedien mit plum­pen Schwarzweissbildern tat­kräf­tig Unterstützung: Hier die demo­kra­ti­schen, frei­heits­lie­ben­den Helden der Ukraine, dort die ver­ge­wal­ti­gen­den rus­si­schen Horden. David gegen Goliath – gut gegen böse. Mit den Fakten nimmt man es dabei oft nicht all­zu genau – es geht um die Message, nicht um Wahrheit.

Erschreckend und beängs­ti­gend, wie geschmiert die­se Kriegspropaganda funk­tio­niert – und wie bereit­wil­lig man mit­mar­schiert und in das Kriegsgeheul miteinstimmt.

Auch in der Schweiz ertönt der Ruf nach Waffen für die Ukraine plötz­lich aus erstaun­li­chen Ecken: Weder die Gruppe Schweiz ohne Armee GSOA noch der Schweizer Friedensrat stel­len sich – wie man es von ihnen erwar­tet hät­te – vehe­ment gegen eine Aufweichung des Waffenlieferungsverbots zuguns­ten der Ukraine. Im Gegenteil: Ruedi Tobler, Präsident des Schweizerischen Friedensrats bezeich­net die Lieferung von Kriegsmaterial an die Ukraine als «legi­tim». Und der lang­jäh­ri­ge GSOA-Präsident Joe Lang refe­rier­te kürz­lich an einer Demo, in die gelb-blaue Nationalflagge der Ukraine gehüllt, ein­sei­tig nur über die Kriegsverbrechen der Russen und war sich nicht zu scha­de, Sahra Wagenknecht, die Mitinitiantin des Manifests «Aufstand für den Frieden», aufs häss­lichs­te zu diffamieren. 

«Auch ich war mal Pazifist, aber ich habe gelernt, dass es Momente gibt, wo man die Freiheit mit Waffengewalt ver­tei­di­gen muss. Genau das pas­siert im Moment», kom­men­tiert etwa Dominik Landwehr, ehe­ma­li­ger Journalist und Kulturschaffender auf Facebook. So oder ähn­lich äus­sern sich vie­le in den Social Media. Darauf ange­spro­chen, recht­fer­tigt ein ehe­ma­li­ger Gesinnungsgenosse und Abrüstungsaktivist: «Selber bin ich anfangs 70er Jahre mit der Waffenausfuhrverbotsinitiative (Bührleskandal der Schweizer Kanonen in Biafra) poli­ti­siert wor­den, bin seit­her wei­ter für ein strik­tes Waffenausfuhrregime, aber jetzt wo es um die legi­ti­me Verteidigung gegen einen bru­ta­len Aggressor geht, für eine geziel­te Ausnahme.»

Der stu­dier­te Historiker ist nicht der Einzige, der im Zusammenhang mit Putins Angriff auf die Ukraine von einem «bei­spiel­lo­sen Bruch der glo­ba­len Nachkriegsordnung zur fried­li­chen Konfliktlösung unter unab­hän­gi­gen Staaten» spricht und dabei die Geschichte völ­lig ausblendet.

Ja, der mili­tä­ri­sche Angriff auf die Ukraine steht in kras­sem Gegensatz zu dem, was wir unter «fried­li­cher Konfliktlösung» ver­ste­hen und ist mit kei­nem, gar kei­nem Argument zu recht­fer­ti­gen. Leider ist er aber nicht so bei­spiel­los und ein­ma­lig, wie man uns weis­ma­chen will. Wie war das etwa mit den US-ame­ri­ka­ni­schen Interventionen von Vietnam über den Irak bis nach Afghanistan – um nur eini­ge Beispiele zu nennen? 

Wie war es 1999, als die NATO völ­ker­rechts­wid­rig Jugoslawien mili­tä­risch angriff und so mass­geb­lich zum desas­trö­sen Kosovokrieg bei­trug? Diesen Bruch ver­such­te man im Nachhinein als «huma­ni­tä­ren Kriegseinsatz» zu recht­fer­ti­gen – noch so ein Begriff, der Tatsachen ver­schlei­ert: Krieg ist und kann nie­mals «huma­ni­tär» sein. Und den Menschen in Ex-Jugoslawien hat er bis heu­te weder wirk­li­chen Frieden noch Sicherheit gebracht.

Nur vier Jahre spä­ter, Anfang 2003, pro­vo­zier­ten die USA den Irakkrieg, indem sie ganz bewusst die Welt mit Fakenews über das Waffenarsenal des ira­ki­schen Diktators Saddam Hussein in die Irre führ­ten. Damals waren wir 40’000 Menschen, die in Bern für den Frieden demons­trier­ten. Unter dem Motto «Kein Blut für Öl» enga­gier­te sich eine brei­te pazi­fis­ti­sche Bewegung gegen die­sen Krieg.

Umso erschüt­tern­der, dass dies alles ver­ges­sen scheint und heu­te, 20 Jahre nach der letz­ten gros­sen Friedensdemo in der Schweiz, Pazifismus ein Schimpfwort ist. Dabei bräuch­ten wir die Kraft des gewalt­frei­en Widerstands, das Festhalten an Abrüstung, Verhandlungen und Befriedung gera­de heu­te – viel­leicht sogar mehr denn je.

Dieser Krieg tötet nicht nur die Menschen in der Ukraine und zer­stört ihre Lebensgrundlagen – sei­ne Auswirkungen sind noch viel hor­ren­der: Plötzlich ste­hen Militärausgaben und Aufrüstung wie­der ganz oben auf der Agenda aller Staaten welt­weit. Statt die drän­gen­den Probleme der wach­sen­den Klima- und Biodiversitätskrisen anzu­ge­hen, ver­schärft man sie zusätz­lich. Statt für die Menschen welt­weit Ernährungssicherheit, Gesundheitsversorgung und Menschenrechte durch­zu­set­zen, ver­geu­det man Ressourcen und Kräfte für Tötungsmaschinen und Zerstörung.

Auf das gibt es nur eine Antwort: Pazifismus. Weil man mit Waffen weder Frieden noch Freiheit oder Gerechtigkeit schaf­fen kann. Ein Sieg der Ukraine, wie heu­te von vie­len Seiten gefor­dert, bedeu­tet auch, dass es einen Verlierer gibt. Womit bereits der nächs­te Krieg vor­pro­gram­miert ist. So war es immer. Und so wird es wei­ter sein, bis sich die Menschheit sel­ber aus­ge­löscht hat – wenn wir es nicht schaf­fen, aus die­ser Tötungsspirale auszubrechen.

Was es jetzt drin­gend braucht, ist ein Waffenstillstand und anschlies­send Verhandlungen. Der Weg zu einer «Lösung» ist lang und schwie­rig – aber er kann erst began­gen wer­den, wenn die Waffen schwei­gen. Pazifismus ist kein Mäntelchen, das man gegen einen Panzer ver­tauscht, sobald das Wetter etwas rau­er wird.

Oder, wie es Kurt Tucholsky auf den Punkt gebracht hat: «Dass nie­mand von uns Lust hat, zu ster­ben – und bestimmt kei­ner, für eine sol­che Sache zu ster­ben. Dass Soldaten, die­se pro­fes­sio­nel­len Mörder, nach vorn flie­hen. Dass nie­mand gezwun­gen wer­den kann, einer Einberufungsorder zu fol­gen – dass also zunächst ein­mal die see­li­sche Zwangsvorstellung aus­zu­rot­ten ist, die den Menschen glau­ben macht, er müs­se, müs­se, müs­se tra­ben, wenn es bläst. Man muss gar nicht. Denn dies ist eine simp­le, eine pri­mi­ti­ve, eine ein­fach-gros­se Wahrheit: Man kann näm­lich auch zu Hause bleiben.»

Kriegsgetrommel, Propaganda und Neutralität

Dieser Tage schrei­ben und reden sie sich um die Wette. Während kei­ne 2000 Kilometer im Osten der Schweiz Tag für Tag Menschen im Kriegshorror ster­ben und ver­zwei­feln, über­bie­ten sich hier­zu­lan­de die Abteilungsleiter der gros­sen Zeitungsredaktionen – alle­samt Experten in Kriegsführung und Diplomatie – in gleich­lau­ten­der Kriegspropaganda und ‑rhe­to­rik.

Anlass für das gegen­wär­ti­ge Trommelfeuer der Worte ist der 24. Februar: Am kom­men­den Freitag ist es genau ein Jahr, dass mit dem Einfall der rus­si­schen Armee in die Ukraine die heis­se Phase eines seit Jahren bereits andau­ern­den Kriegs begon­nen hat.

Seither sind Politiker:innen und Medienschaffende im soge­nann­ten Westen nicht müde gewor­den, die­sen Krieg mit Kampf «David gegen Goliath» zu ver­glei­chen. In der Ukraine, so die Vorbeter, wür­den «unse­re Werte» Freiheit und Demokratie verteidigt.

Erstaunlich, wie so Viele im Westen – zumin­dest der Generation mit Geburtsdatum vor 1980 –  in ein Déjà-vu des Kalten Krieges zurück­ge­fal­len sind. Schlimmer noch: Wieder ist alles Russische des Teufels. Von der Literatur bis zur Musik und dem Theater. «Russisch» als Synonym für alles «Böse» – und im Westen (und der Ukraine) wirkt das «Gute». Einfache Welt, für ein­fa­che Gemüter. Wer wider­spricht und die­se Weltsicht nicht teilt, wird ver­lacht, geäch­tet oder ein­fach tot­ge­schwie­gen (in der frei­en Presse des Westens, wo die Meinungsfreiheit herrscht).

Beispiele dafür gibt es lei­der mehr als genug. In den ver­gan­ge­nen Tagen etwa die media­le Hinrichtung des von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer lan­cier­ten Manifests für den Frieden. Wobei Kommentierende vom Spiegel über den Blick, von TAZ bis WOZ sich im Gleichschritt unter die Arme grei­fen und «Achtung: Kollaboration mit Rechtsextremen» in die Welt trompeten.

Auch in der Schweiz ver­kün­den Militärfreundinnen und ‑freun­de die Botschaft von der Zeitenwende. Die Rüstungslobbyisten ste­hen Gewehr bei Fuss – und haben gute Aussichten auf Erfolg: Das Kriegsmaterialgesetz soll gelo­ckert und die Neutralität durch die ver­stärk­te Einbindung in die NATO auf­ge­ge­ben werden.

Für die Tötungsindustrie ste­hen plötz­lich Milliarden zur Verfügung, wäh­rend im Gesundheitswesen gespart wird, bis zum Kollaps…

«Wir soll­ten der Ukraine dank­bar sein», schreibt Christof Münger, ein TAMEDIA-Auslandredaktor, mit etwas beschränk­tem Sachverstand. Fährt er doch fort:

«Es gibt sie noch, die Ukraine! Wer hät­te das gedacht, als am frü­hen Morgen des 24. Februar 2022 Wladimir Putins Streitmacht in die Ukraine ein­fiel. Man gab den Ukrainern mit ihren Holzgewehren ein paar Tage, eine Woche…»

«Holzgewehre»? Echt? Und das soll TAMEDIAS bes­ter Mann im Auslandressort sein?

Nun, die Propagandaschlacht ist in vol­lem Gange. Die west­li­chen Medienpanzer feu­ern aus vol­len Rohren. Fakten lie­fert der bri­ti­sche Geheimdienst, und die Kommentare glei­chen sich wie eine Patrone der ande­ren. Meinungsvielfalt im Land der Meinungsfreiheit – das war gestern.

Wir hören nur noch, dass es in die­sem Krieg um zwei Kriege in einem gehen soll: Auf der einen Seite ist es ein bru­ta­ler, hin­ter­häl­ti­ger, kriegs­ver­bre­che­ri­scher Angriffskrieg, wäh­rend auf der ande­ren Seite der hel­den­haf­te Krieg für Freiheit und Demokratie gefoch­ten wird.

Um was es aber wirk­lich geht, hat Marc Chesney, Wirtschaftsprofessor an der Uni Zürich, in sei­ner Kolumne für Le Temps auf den Punkt gebracht hat: «Der ver­meint­lich gerech­te Krieg ist ein­fach nur ein Krieg, ein uner­träg­li­cher Konflikt, der enor­me Risiken für die Menschheit birgt.»

 

Tanzen am Abgrund

Der 16. Februar 2023 stand für zwei gesell­schaft­li­che Grossereignisse im deut­schen Sprachraum: Wien, die Hauptstadt des Dreivierteltakts lud, nach zwei Jahren Corona-beding­ter Pause, zum opu­len­ten Opernball. Dank Direktübertragung blieb das Spektakel nicht den 5000 Reichen und Mächtigen vor Ort vor­ent­hal­ten. Längst dür­fen wir alle dar­an teil­ha­ben und uns zuschal­ten, wenn die Fanfaren erklin­gen, die Debütant:innen auf­mar­schie­ren und sich die Wiener Prominenz auf dem Tanzparkett tummelt.

Das Ganze mutet an wie eine wei­te­re Sissi-Filmversion, wie sie gera­de in Mode sind. Doch nein: Die in lan­gen, wal­len­den Roben und Fracks auf­tre­ten­den Protagonist:innen die­ser Inszenierung spie­len sich alle sel­ber: Der öster­rei­chi­sche Bundespräsident, der Bundeskanzler und sein Kabinett samt Anhang, eine Reihe aus­län­di­scher Politgäste – unter ihnen auch der deut­sche Finanzminister Lindner. 

Doch nicht nur Politiker:innen ver­le­gen ihr Wirken an die­sem Abend in die Staatsoper. Dank kun­di­ger Moderation durch ein gan­zes Team von ORF-Boulevardjournalist:innen wer­den Nichteingeweihte im Sekundentakt mit Namen bewor­fen, in unzäh­li­ge Geheimnisse und Geschichten ein­ge­weiht, wäh­rend sich die mehr oder weni­ger pro­mi­nen­ten Vertreter:innen aus Wirtschaft, Kultur und der Klatschpresse gemein­sam im Dreivierteltakt auf dem Parkett ver­lus­tier­ten. Wäre nicht hier und dort immer mal wie­der ein gezück­tes Handy auf­ge­leuch­tet, man hät­te sich tat­säch­lich in Sissis Zeiten zurück­ver­setzt füh­len können.

Gleichzeitig steht die Welt steht in Flammen. Klimakrise, Erdbebenkatastrophe, dro­hen­der Atomkrieg… Alles weit weg und unwirk­lich – alles was zählt ist der schö­ne Schein. Inklusive Jane Fonda, die ame­ri­ka­ni­sche Schauspielerin, die sich auch Bürgerrechtlerin und Klimaaktivistin rühmt: Sie winkt aus der Loge des 90jährigen Baulöwen Richard Lugner und lässt über die Medien ver­lau­ten, sie habe sich für teu­res Geld kau­fen und nach Wien ein­flie­gen lassen…

Und wäh­rend in Wien die Reichen und Mächtigen wie einst die Passagier:innen auf der Titanic sich auf dem Parkett dre­hen, als gäbe es nichts Wichtigeres, neigt sich in Berlin der zwei­te gesell­schaft­li­che Grossanlass die­ses Abends schon bald dem Ende zu: Hier wan­del­ten, nicht min­der gla­mou­rös und zurecht­ge­schminkt als in Wien, eben­falls Polit- und ande­re Prominenz sowie Stars, Sternchen, die sich ger­ne zum kul­tu­rel­len Establishment zäh­len, über den roten Teppich. Selbstverständlich wird auch die­ses Ereignis vom Fernsehen direkt über­tra­gen und wir alle kön­nen mit­schwel­gen, mit­fie­bern, mitträumen…

Zum Auftakt der Berlinale 2023 – dem gröss­ten Filmfestival im deut­schen Sprachraum – flim­mert als ers­tes eine Einspielung aus der «rea­len Welt» über die Filmleinwand: Der eins­ti­ge Soapstar und Komiker, den das wirk­li­che Leben aufs Parkett der Weltpolitik gespült hat, spricht per Videoschaltung zum ver­sam­mel­ten Galapublikum.

Und plötz­lich ver­mi­schen sich auch hier «Realität» und Traumwelt: Grossaufnahmen zei­gen betrof­fe­ne, ver­klär­te Gesichter, feuch­te Augen wäh­rend der Rede von Wolodymyr Selenskyi. Filmreif ver­steht der Präsident der Ukraine, das Publikum auf sei­nen Kampf «David gegen Goliath» ein­zu­stim­men. Und sei­ner Forderung nach immer mehr Waffen und Solidarität Nachdruck zu verleihen.

Im Rahmen der Berlinale wird Selenksyi dann als Filmprotagonist einen wei­te­ren pro­mi­nen­ten Auftritt haben: Der US-ame­ri­ka­ni­sche Filmschauspieler und Regisseur Sean Penn hat einen Dokfilm über ihn gedreht. Das Publikum wird begeis­tert sein – und sich zwi­schen Cüpli und Comedy über die Herausforderungen der heu­ti­gen Zeit debat­tie­ren. Man ist ja unter sich, an der hip­pen Berlinale. Man geniesst die tol­len Tage, gibt sich poli­tisch – und tanzt auch dort mun­ter wei­ter dem Abgrund entgegen.

Das Putinversteher-Paradox

Seit die Chefetagen von Politik und Medien die «Zeitenwende» ver­kün­det haben, weht ein schar­fer Gegenwind für alle, die sich wei­gern, in den gros­sen Chor ein­zu­stim­men. Lautstark rekla­miert der «Mainstream», im Windschatten von selbst­er­nann­ten Strateg:innen, die «rich­ti­ge» Wahrheit für sich.

Wer heu­te eine abwei­chen­de Sicht der Dinge wagt und einem Ende des Mordens und der Zerstörung das Wort redet, wird kurz­um als «Putinversteher» eti­ket­tiert und so umge­hend aus jeder Diskussion ent­sorgt. Historisch fun­dier­te Analysen? Einschätzungen von erfah­re­nen Diplomat:innen, von fach­kun­di­gen Generälen?

Fehlalarm! Wer sich auf der «rich­ti­gen» Seite wähnt, will nichts hören und been­det jede Debatte, jedes Gespräch: «Ach – du bist auch so ein Putinversteher?!?»

Es ist zum Schimpfwort Nummer 1 avan­ciert. Weil man mit «Putinversteher» sug­ge­riert, dass all jene, die nicht bereit sind, auf die Aggression des rus­si­schen Diktators mit Gegenaggression zu reagie­ren, des­sen Verhalten bil­li­gen und beför­dern wür­den. Als ob Gleiches mit Gleichem zu ver­gel­ten je Frieden ermög­licht hätte.

Besonders ger­ne schla­gen jene mit «Putinversteher» um sich, die uns weis­ma­chen wol­len, sie wüss­ten genau, wie Putin tickt und was er im Schilde führt: Etwa, dass er nach der Ukraine das Baltikum über­fal­len wer­de. Und dann Polen, Deutschland… Die Schweiz? Weil sie mei­nen, Putin so genau zu ver­ste­hen, «wis­sen» sie auch, dass er nicht zu Atomwaffen grei­fen wer­de: «So ist der Vladi, ein ewi­ger KGB-Bluffer.»

Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die­je­ni­gen, die im Ernst behaup­ten, Putin zu ver­ste­hen, end­lich etwas lei­ser tre­ten wür­den. Weil aus­ge­rech­net sie, die ande­re wider bes­se­res Wissen als «Putinversteher» abqua­li­fi­zie­ren, ihr kriegs­trei­be­ri­sches Handeln letzt­end­lich auf nichts ande­rem als auf ihrem «Putinverständnis» auf­bau­en – und es damit rechtfertigen.

Wer Putin wirk­lich ver­steht, soll vortreten.

Keiner, kei­ne.

Das ist das Putinversteher-Paradox.

 

P.S:

Der bes­te Putinversteher — zumin­dest im deutsch­spra­chi­gen Raum…

ZITAT BLICK: «Thumann ist der bes­te (sic!) Russlandkenner, zumin­dest im deutsch­spra­chi­gen Raum: Er stu­dier­te Geschichte, Politik und Slawistik in Berlin, New York, Sankt Petersburg und Moskau, wo er heu­te noch lebt und für die Hamburger Wochenzeitung «Die Zeit» berichtet.»

Auge um Auge, Zahn um Zahn…

Nun ist also auch das letz­te Fünklein Hoffnung ver­löscht.  Kanzler Scholz ist ein­ge­knickt, Deutschland lie­fert also Kampfpanzer an die Ukraine. Die Eskalation erreicht damit eine neue Stufe – und schon schreit der ukrai­ni­sche Ex-Botschafter und aktu­el­le stell­ver­tre­ten­de Aussenminister Andrij Melnyk, Scharfmacher der ers­ten Stunde, nach Kampfjets…

Die Schraube wird mun­ter wei­ter­ge­dreht – immer schnel­ler. Auf den Kommandobrücken herrscht Durcheinander. Angeheizt mit erschre­cken­der Aggressivität von Chefredaktoren und Politiker:innen eins­ti­ger «Friedensparteien» wie den Grünen, aber auch von Sozialdemokrat:innen, rei­hen sich Viele ein in die Einheitsfront der Waffengläubigen und mar­schie­ren geis­tig los Richtung «Krieg für Frieden».

Laut kla­gen sie über Putin den Aggressor und die durch sei­nen Angriffskrieg ver­ur­sach­ten Gräuel und Kriegsverbrechen. Zu Recht – die­ser Krieg ist ein Horror. Doch wie kann man bloss auf den Gedanken kom­men, dass sich in der aktu­el­len Situation durch Waffenlieferungen irgend­et­was zum Besseren bewe­gen lässt?

Wer glaubt, dass mit ein paar zusätz­li­chen Kampfpanzern der Ukraine zum «Endsieg» ver­hol­fen und damit die «Freiheit und Demokratie» des Westens geret­tet wer­den kön­ne, ist sei­ner­seits ein Opfer von Kriegspropaganda – auf «unse­rer» Seite. Neue Waffen bedeu­ten im wenigst schlim­men Fall eine Zementierung der aktu­el­len Pattsituation im Kampfgebiet, sprich eine Fortsetzung von Zerstörung, Tod und Elend in der Ukraine.

Für die Bevölkerung in den bereits zer­bomb­ten und zer­stör­ten Regionen im Osten der Ukraine und auf der Krim ver­heisst das gar nichts Gutes.  Ganz zu schwei­gen von jenen, die es dank nicht enden­den Waffenlieferungen in den kom­men­den Wochen und Monaten zusätz­lich tref­fen wird. Und mitt­ler­wei­len sind wir alle Kriegspartei gewor­den: die Mitglieder der Nato und jene, die auf dem NATO-Zugtrittbrett mitfahren…

Mit sei­nen stän­dig neu­en und wei­ter gehen­den Zugeständnissen zur «Unterstützung» des Selenski-Regimes zün­delt der Westen aber auch auf sei­nem eige­nen Pulverfass in Richtung Moskau – in der nai­ven Hoffnung, dass Zar Putin sei­ne Waffen fal­len lässt und «sor­ry» sagt. Dass Politiker:innen uns alle blind­lings und befeu­ert durch die Mainstream-Medien  im 21. Jahrhundert der­art gezielt und sehen­den Auges  ins Verderben rei­ten, ist kaum zu glau­ben – wird aber Tag für Tag wahr­schein­li­cher. Fehlt nur noch die Volksbefragung bei uns: Wollt Ihr den tota­len Krieg?

Dabei gab es schon lan­ge vor Kriegsbeginn fun­dier­te Analysen und klu­ge Stimmen, die vor einer Entwicklung, wie wir sie heu­te erle­ben, gewarnt haben. Und es gibt sie nach wie vor – zuhauf. Das Problem ist ein­zig: Wie kön­nen wir ihnen Gehör ver­schaf­fen? Und der Vernunft zum Durchbruch ver­hel­fen? Es wäre der Bevölkerung und den Soldat:innen im Kriegsgebiet zu wün­schen, dass die Schlächtereien end­lich ein Ende haben. Die Menschheit hat wich­ti­ge­re Probleme auf die­sem Planeten zu lösen, als die Kriegsmaschine am Laufen zu halten.

Der ame­ri­ka­ni­sche Ökonom Jeffrey Sachs hat das Problem in einem Interview letz­te Woche auf den Punkt gebracht. Er for­dert Verhandlungen anstel­le von wei­te­ren Waffenlieferungen : «Wir brau­chen Diplomaten. Leider haben wir im Moment jedoch weder in Deutschland noch in den USA Diplomaten, weil die deut­sche Aussenministerin und der Staatssekretär der USA sich nicht für Diplomatie ein­set­zen, son­dern für den Krieg.»

 

P.S.

Das Resultat von 3000 Jahren «Frieden schaf­fen mit Waffen»:

Innerhalb von 48 Stunden Ende Januar 2023

 

 

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