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GABRIELA NEUHAUS

35 Zeilen zum Lauf der Welt

35 Zeilen zum Lauf der Welt

Asphalt und Beton statt Biodiversität

Ein Monat vor der Abstim­mung über die 5‑Milliardenvorlage für den wei­te­ren Aus­bau der Auto­bah­nen in der Schweiz sind die Posi­tio­nen bezo­gen. Klar ist: Die Auto­lobby inve­stiert Mil­lio­nen in die Pro­pa­ganda, um die Schweiz mit mehr und brei­te­ren Natio­nal­stras­sen zuzupflastern.

Einen Monat vor der Abstim­mung wird in grü­nen Far­ben gross­flä­chig pla­ka­tiert: «Für eine Schweiz, die vor­wärts­kommt». Die Frage stellt sich bloss, vor­wärts – wohin? Und vor­wärts – für wen?

Dem ewi­gen Mythos, dass Auto­fah­ren Frei­heit bedeute, und dass der Aus­bau von Stras­sen Stau ver­hin­dere sowie für unsere Wirt­schaft unver­zicht­bar sei, ist offen­bar mit wis­sen­schaft­li­chen Argu­men­ten und empi­risch beleg­ten Erfah­run­gen, wonach ein Spur­aus­bau an der näch­sten «Eng­stelle» neuen Stau erzeugt, nicht beizukommen.

So ver­steigt sich der Wirt­schafts­dach­ver­band Eco­no­mie­su­isse in sei­ner jüng­sten Stu­die tat­säch­lich zur Behaup­tung «wer Stras­sen schmäht, wird Treib­haus­gase ern­ten.» Dies, weil im Stau zusätz­lich CO2 frei­ge­setzt werde, wes­halb der Auto­bahn­aus­bau not­wen­dig sei, um das Klima zu schützen.

Eine dop­pelt absurde «Beweis­füh­rung», da der Aus­bau von Stras­sen­in­fra­struk­tur nach­ge­wie­se­ner­mas­sen zu Mehr­ver­kehr führt. Kommt hinzu, dass die Auto­bahn­aus­bau­pro­jekte, über deren Finan­zie­rung wir am 24. Novem­ber abstim­men, aller­frü­he­stens in 10 bis 15 Jah­ren in Betrieb gehen dürf­ten. Bis dahin sind die CO2-aus­stos­sen­den Fahr­zeuge auf unse­ren Stras­sen sowieso ein Auslaufmodell.

Was Eco­no­mie­su­isse ebenso ver­schweigt: Wäh­rend der mehr­jäh­ri­gen Bau­zeit ist mit mas­si­ven zusätz­li­chen CO2-Emis­sio­nen zu rech­nen. Dazu tra­gen die von Stras­sen­bau­stel­len pro­vo­zier­ten zusätz­li­chen Staus genauso bei wie der Mehr­ver­kehr durch Bau­ma­schi­nen und die Pro­duk­tion von Mil­lio­nen-Ton­nen an Beton und Asphalt.

Für die sechs Auto­bahn­pro­jekte, die zur Debatte ste­hen, sol­len 40 Hektaren Land geop­fert wer­den. Allein für den Aus­bau der Auto­bahn vom Wank­dorf nach Schön­bühl auf 8 Spu­ren wür­den 13,4 ha Land neu zube­to­niert. Davon 3,7 Hektaren Frucht­fol­ge­flä­chen, also beson­ders wert­vol­les Land­wirt­schafts­land. Noch vor einem Jahr hat sich der Ber­ner Bau­ern­ver­band BEBV denn auch mit einer Beschwerde beim Ver­wal­tungs­ge­richt gegen diese Aus­bau­pläne gewehrt.

«Ich brau­che den Boden als Land­wirt zum Pro­du­zie­ren, er ist unsere Exi­stenz­grund­lage», sagte Chri­stian Salz­mann kürz­lich, anläss­lich eines Orts­ter­mins im Grau­holz. Als direkt betrof­fe­ner Bauer hat er eben­falls Ein­spra­che gegen das Bau­vor­ha­ben und die dro­hende Ent­eig­nung eingereicht.

Schon vor 30 Jah­ren musste die Fami­lie Salz­mann Land her­ge­ben, damals für den 6‑Spur-Aus­bau im Grau­holz. Die Argu­men­ta­tion töne genau heute gleich wie damals, erin­nert sich der Land­wirt – aller­dings gebe es einen gros­sen Unter­schied zur dama­li­gen Dis­kus­sion: «Damals waren alle Befür­wor­ter über­zeugt, dass der Aus­bau eine Pro­blem­lö­sung ist – heute glaubt das nie­mand mehr.»

Wäh­rend Salz­mann sei­nen Kampf gegen die Auto­bahn fort­führt und an der Ein­spra­che fest­hält, hat der Ber­ner Bau­ern­ver­band eine wun­der­same Kehrt­wen­dung voll­zo­gen. Plötz­lich, am 10. Okto­ber 2024, hat er in einer Medi­en­mit­tei­lung seine Unter­stüt­zung für die Auto­bahn­aus­bau­kre­dite ver­kün­det. Seite an Seite mit dem Schwei­zer Bau­ern­ver­band SBV, der eine Woche spä­ter mit der JA-Parole für den 5‑Milliardenkredit in den Abstim­mungs­kampf zog.

Aus­ge­rech­net der Bau­ern­ver­band, der noch vor weni­gen Wochen im Kampf gegen die Bio­di­ver­si­täts-Initia­tive laut­stark kund­tat, die Land­wirt­schaft könne für die künf­tige Ernäh­rungs­si­cher­heit der Schweiz auf kei­nen Qua­drat­me­ter Kul­tur­land verzichten…

Nun also gilt das Gegen­teil. «Wer hätte das gedacht», kom­men­tierte dazu der Grüne Natio­nal­rat und Bau­ern­po­li­ti­ker Kilian Bau­mann. «Das unwie­der­bring­li­che Zer­stö­ren von Kul­tur­land als zen­tra­les Inter­esse eines Bau­ern­ver­ban­des? Wäh­rend im Par­la­ment ins­be­son­dere kon­ser­va­tive Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter bei der Bio­di­ver­si­tät noch laut­stark den Ver­lust von wert­vol­len Flä­chen für die Lebens­mit­tel­pro­duk­tion beklag­ten, sehen die­sel­ben Per­so­nen beim Auto­bahn­aus­bau die­ses Pro­blem plötz­lich nicht mehr.»

Oder, wie es eine Leser­brief­schrei­be­rin im «Schwei­zer Bauer» auf den Punkt brachte: «Hier zeigt sich nun end­lich das wahre Gesicht der Bau­ern­lobby in Bern: Beim Blüem­li­strei­fen NEIN, beim Beton­strei­fen durch das schön­ste Kul­tur­land JA

Die auto­bahn­freund­li­che Kam­pa­gne der Bau­ern­or­ga­ni­sa­tio­nen hat bei der Basis unge­wohnt hef­tige und deut­li­che Reak­tio­nen aus­ge­löst. In den Kom­men­tar­spal­ten und mit Leser­brie­fen kri­ti­sie­ren Bäue­rin­nen und Bau­ern den Ver­band mit kla­ren Wor­ten, einige kün­di­gen gar ihren Aus­tritt aus dem SBV an.

Gut so. Zu hof­fen ist, dass dies­mal die­je­ni­gen, die sich getrauen, den Ver­bands­obe­ren um Mar­kus Rit­ter die Stirn zu bie­ten, die breite Unter­stüt­zung von gleich­ge­sinn­ten Landwirt:innen und dar­über hin­aus erhalten.

Nicht nur, weil wert­vol­les Kul­tur­land für immer ver­lo­ren geht. Der Aus­bau der Auto­bah­nen hat auch eine Zunahme von Lärm‑, Luft- und Was­ser­ver­schmut­zung zur Folge, ganz zu schwei­gen von der Mikro­ver­schmut­zung durch den Abrieb von Rei­fen und Bremsen.

Was die Befür­wor­ter auch noch ver­schwei­gen: Die bud­ge­tier­ten 5 Mil­li­ar­den Aus­bau­ko­sten sind erst der Anfang: Sind diese Pro­jekte erst ein­mal umge­setzt, braucht es jähr­lich wei­tere Mil­lio­nen für deren Unter­halt und Betrieb… Anstelle von Sub­ven­tio­nen für die Land­wirt­schaft? Ein Eigen­tor – Tor­schütze: Mar­kus Ritter.

«Für mich als pensionierter Landwirt ist diese Parole 
des SBV absolut unverständlich und komplett daneben!»
                                    Hans Kneubühler, Schweizer Bauer 18.10.2024
«Ich erkenne nur noch politische Verbandelung mit 
Economiesuisse, dabei verliert der SBV sein Gesicht. 
Völlig unverständlich in Anbetracht des grossen Gezeters 
bei der Biodiversitätsinitiative. Hier geht es jedoch 
um viel mehr, nämlich um 400 000 m2 Kulturland, 
das definitiv verloren geht.»
                                           Beat Mettler, Schweizer Bauer 18.10.2024

Tisch an Tisch mit jüdischen Le Pen-Anhängern

Der 7. Okto­ber – ein histo­risch auf­ge­la­de­nes Datum. Im Vor­feld rauschte ein Medi­en­hur­ri­kan über unsere Köpfe hin­weg und jagte uns Wel­len an Pro­pa­ganda, Spe­ku­la­tio­nen und soge­nann­ten Ana­ly­sen ins Haus, was an die­sem Tag gesche­hen könnte.

Es ist der erste Jah­res­tag des Hamas-Über­falls in Israel – dem Aus­lö­ser für den neuen alten Krieg im Nahen Osten und den Ver­nich­tungs­feld­zug, den die israe­li­sche Regie­rung seit­her gezielt und immer dra­sti­scher führt.

Wir sind am 7. Okto­ber 2024 in den Ferien und somit auf News-Kon­sum-Diät, ver­gli­chen mit dem All­tag. Doch auch so holt uns die Nah­ost­rea­li­tät und ihre Aus­wir­kun­gen in Europa ein.

Auf unse­rem Rei­se­plan steht nach zwei Tagen Stadt- und Muse­ums­be­sich­ti­gung in Per­pignan ein Aus­flug in die Natur. Unser Bus fährt um 10.05 von der Gare Rou­tière. Viel ist hier nicht los, an die­sem Mon­tag­mor­gen. Auf­fal­lend ein­zig, dass sich auf dem für Busse reser­vier­ten Umschlag­platz gleich zwei Poli­zei­strei­fen in Voll­mon­tur breit machen.

Beim Ein­tref­fen eines Fern­bus­ses aus Spa­nien brin­gen sie sich in Stel­lung. Offen­sicht­lich sind die Flics auf Migran­ten und/​oder Ter­ror­ver­däch­tige aus – dies­mal aller­dings ver­ge­bens: Der ankom­mende Bus ist prak­tisch leer, bloss eine ein­zige (unver­däch­tige) Pas­sa­gie­rin steigt aus. Der Poli­zei­ein­satz ent­fällt, die Beamt:innen zie­hen sich gelang­weilt in ihre Fahr­zeuge zurück.

Am spä­te­ren Nach­mit­tag, zurück von unse­rem Aus­flug, tref­fen wir dann auf eine wei­tere Poli­zei­ak­tion. Dies­mal in der Innen­stadt, wo auf dem Platz vor dem «Castil­let» eine Kund­ge­bung im Gang ist, die von einem beacht­li­chen Auf­ge­bot von Sicher­heits­kräf­ten – wie­derum in Voll­mon­tur – beglei­tet wird:

Vor dem ein­sti­gen Stadt­tor hat sich eine kleine Gruppe von Men­schen ein­ge­fun­den. Wir sehen weder Palä­stina- noch Israel-Flag­gen, statt­des­sen wird die Tri­co­lore geschwenkt. Trotz­dem ver­mu­ten wir, dass es sich um Israel-treue Demonstrant:innen han­delt, die sich hier zu einer Gedenk­feier zusam­men­ge­fun­den haben. Nur so ist das grosse Poli­zei­auf­ge­bot zu erklären.

Wir beob­ach­ten das Ganze aus Distanz – unser Ziel ist ein ande­res: Im Kino «Castil­let» gleich um die Ecke läuft um 18.30 Uhr die Vor­pre­mière des Films «No other Land», mit anschlies­sen­der Begeg­nung mit dem Regis­seur, wie es im Pro­gramm­heft heisst.

Zur Erin­ne­rung: Der 95minütige Dok­film wurde von einem palä­sti­nen­sisch-israe­li­schen Kol­lek­tiv gedreht und han­delt von der Ver­trei­bung von Palästinenser:innen aus ihren Dör­fern im süd­li­chen Westjordanland.

«No other Land» erhielt an der Ber­li­nale 2024 den Doku­men­tar­film­preis und den Pan­orama-Publi­kums­preis, was hef­tige Kon­tro­ver­sen aus­lö­ste. Absur­der­weise wurde der israe­li­sche Co-Autor und Jour­na­list Yuval Abra­ham von Medien und Politiker:innen ins Kreuz­feuer genom­men und, wie seine palä­sti­nen­si­schen Kolleg:innen, des Anti­se­mi­tis­mus bezichtigt..

Nach­dem wir die nost­al­gi­sche Jugend­stil­fas­sade des berühm­ten Kinos bewun­dert haben, betre­ten wir erwar­tungs­voll das Entrée, wo uns eine freund­li­che Frau ent­ge­gen­lacht. Für wel­che Vor­stel­lung aus ihrem rei­chen Ange­bot sie uns denn ein Ticket ver­kau­fen dürfe, fragt sie.

Und schon weicht das Lachen einem ent­schul­di­gen­den Lächeln. Diese Vor­stel­lung sei abge­sagt – aus Sicher­heits­grün­den, teilt sie uns mit. Man habe beschie­den, dass es zu ris­kant sei, die­sen Film am heu­ti­gen Tag im Kino zu zei­gen, man habe Aus­schrei­tun­gen befürchtet…

Wer genau für die Absage ver­ant­wort­lich ist, kann oder will sie uns nicht sagen. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass auch in Frank­reich die Anti­se­mi­tis­mus­keule schnell zur Hand ist und das Ras­sem­blem­ent Natio­nal in Per­pignan regiert, ist anzu­neh­men, dass das Rat­haus unter Bür­ger­mei­ster Aliot (einem Ex-Com­pa­gnon von Marine Le Pen) für die Abset­zung und die Aus­la­dung der Regis­seure ver­ant­wort­lich ist.

Dabei wäre genau die­ser Film mit sei­ner The­ma­tik ein wich­ti­ger Bei­trag zum 7. Okto­ber gewe­sen. Ich denke, dass dies das Kino «Castil­let» auch so gese­hen hat und die Ver­an­stal­tung nicht zufäl­lig auf die­sen Mon­tag legte. Ver­geb­lich, die Kul­tur ist vor der Poli­tik ein­knickt. Ein­mal mehr…

Drei Stun­den spä­ter ver­su­chen wir, unse­ren Ärger mit einem Znacht in der Bras­se­rie L’Arago zu ver­ges­sen, nur wenige Schritte vom Castil­let ent­fernt. Ein stim­mi­ger Ort, zuvor­kom­mende Bedie­nung, fran­zö­si­sche und ita­lie­ni­sche Köstlichkeiten…

Gestört wird die Stim­mung ein­zig durch eine Gruppe Män­ner am Neben­tisch, die durch ihr lau­tes Geba­ren auf­fal­len. Sie sind unter­schied­li­chen Alters – einer ganz klar der Chef. Er ist zwar der Klein­ste, aber auch der Lau­te­ste. Lau­fend teilt er nicht nur ver­bal in die Runde aus, son­dern ver­passt sei­nen Kum­pels der Reihe nach auch immer wie­der mal einen Klapps.

Was ist das nur für ein schrä­ges Sex­tett? Unsere Mut­mas­sun­gen schwan­ken zwi­schen Tür­ste­hern (aller­dings hat nur einer von ihnen die ent­spre­chende Sta­tur), einem Kon­sor­tium von Klein­kri­mi­nel­len oder Winkeladvokaten…

Nach­dem sie ihre Piz­zas ver­schlun­gen haben, zuckt einer sein Handy und reicht es herum. Jetzt wird es rich­tig laut und immer beschwing­ter. Mit gros­ser Lust und viel Élan begut­ach­ten und kom­men­tie­ren sie ein Foto nach dem andern, wäh­rend der Kell­ner das Des­sert serviert.

Ich kann es nicht las­sen und schiele auf die Bil­der. Und siehe da: Zu erken­nen sind die Män­ner vom Nach­bar­tisch zu zweit, zu dritt, in einer Gruppe – mit orden­ge­schmück­ter Brust posie­ren sie vor einer Tri­co­lore mit David­stern – im Hin­ter­grund das Castillet…

© L’In­dé­pen­dent 2024

Ganz offen­sicht­lich haben sie an der Ver­an­stal­tung teil­ge­nom­men, die wir heute Nach­mit­tag aus der Ferne beob­ach­tet haben. Als Gruppe, aber was für eine? Wir wol­len es wis­sen – und fra­gen. Bereit­wil­lig geben sie Aus­kunft und erzäh­len uns von ihrer Mission.

Wir hat­ten rich­tig ver­mu­tet: Die Fotos stam­men von der Gedenk­kund­ge­bung für die israe­li­schen Opfer vom 7. Okto­ber 2023.

«Wir sind ein Ver­ein zur Erin­ne­rung an die Schrecken des Holo­caust», klärt uns der Chef auf. Und fügt fast ent­schul­di­gend an: Sie seien gerade etwas aus­ge­las­sen, nach der ern­sten Ver­an­stal­tung vom Nach­mit­tag sei jetzt eben die Zeit zum Feiern…

Auf Geheiss des Klei­nen reicht uns einer sei­ner Freunde eine Visi­ten­karte: «Zak­hor pour La Mémoire» heisst der Ver­ein, und Phil­ippe Ben­gu­i­gui, mit nord­afri­ka­nisch jüdi­schen Wur­zeln, ist des­sen Grün­der und Chef. Leut­se­lig schil­dert er uns die Akti­vi­tä­ten und Enga­ge­ments sei­nes Ver­eins: Zak­hor betreibt ein Museum in Per­pignan, besucht Schu­len, um den Anti­se­mi­tis­mus zu bekämp­fen und sei über­haupt gesell­schaft­lich sehr aktiv. Im letz­ten Monat hät­ten sie im Rah­men des Eras­mus-Pro­gramms sogar einen deut­schen Stu­den­ten betreut, erklärt er stolz und reicht auch dazu einen Handy-Fotobeweis.

Dann end­lich bre­chen sie auf, der Tag sei lang gewe­sen. Zum Abschied das grosse Hän­de­schüt­teln – jeder will sich per­sön­lich von uns verabschieden.

Mir wird zuneh­mend unwohl dabei. Anti­se­mi­tis­mus bekämp­fen, klar. Will ich aber wirk­lich die Kom­pli­zin, Ver­bün­dete die­ser Her­ren sein? Mein Bauch sagt mir klar und deut­lich: NEIN

Schliess­lich schlüpft Ben­gu­i­gui in sei­nen Kit­tel und dreht sich vor dem Aus­gang noch ein­mal zu uns, auf dass wir seine reich behängte Brust bewun­dern: Orden und Medail­len in allen For­men und Far­ben leuch­ten uns ent­ge­gen und ver­stär­ken das mul­mige Gefühl…

Zurück im Hotel dann die Recher­ché. Jetzt ist klar: Ben­gu­i­gui und seine Mit­strei­ter kämp­fen nicht nur gegen Anti­se­mi­tis­mus, son­dern vor allem auch für die Rechts­na­tio­na­len. Im Früh­jahr noch stand zur Debatte, ob Ben­gu­i­gui bei den Euro­pa­rats­wah­len für das RS antre­ten solle.

Auch wenn man schliess­lich auf ihn ver­zich­tet hat, ist die Ver­ban­de­lung von Zak­hor mit den Rechts­po­pu­li­sten augen­fäl­lig: Auf der Web­site von Zak­hor wird der RN-Bür­ger­mei­ster Louis Aliot pro­mi­nent gefei­ert, weil er dem palä­sti­nen­si­schen Foto­gra­fen Loay Ayyoub einen Preis aberkannt hat. Und auf sei­nem Insta-Pro­fil bezeich­net Ben­gu­i­gui das RN-Aus­hän­ge­schild Aliot expli­zit als «mon ami».

Ganz nach dem Motto: Der Feind mei­nes Fein­des ist mein Freund. Gemeint ist in die­sem Fall Juden und Fran­zo­sen gegen alles Arabische.

Ben­gu­i­gui und sein Ver­ein sind nicht die ein­zi­gen jüdi­schen Inter­es­sen­ver­tre­ter in Frank­reich, die sich mit dem Ras­sem­blem­ent Natio­nal ver­bün­det haben. Pro­mi­nen­te­stes Bei­spiel die­ser lau­fen­den Ent­wick­lung ist das ehe­ma­lige Nazi-Jäger-Ehe­paar Klars­feld, das sich im Vor­feld der letz­ten Wah­len klar und deut­lich auf die Seite des RN geschla­gen und gegen die demo­kra­ti­schen und libe­ra­len Kräfte Stel­lung genom­men hat.

«Liberté, Ega­lité, Fra­ter­nité» lau­tete einst die Losung aus der fran­zö­si­schen Revo­lu­tion. Im 20. Jahr­hun­dert wurde sie von den Fran­zö­sin­nen und Fran­zo­sen erwei­tert, mit den Begrif­fen «Laï­cité» und «Soli­da­rité».

Man kann sich vor­stel­len, was von die­sen gesell­schaft­lich zen­tra­len, staats­tra­gen­den Grund­sät­zen übrig blei­ben wird, wenn nach Prä­si­dent Macron tat­säch­lich Marine Le Pen und ihre Ver­bün­de­ten das Zep­ter ergreifen…

Der Wolf im Fadenkreuz

Bald sind es 30 Jahre, dass wie­der Wölfe in der Schweiz gesich­tet wur­den. 2012 tappte im Calan­da­ge­biet (GR) ein Wolfs­welpe in eine Foto­falle – der erste Nach­weis einer Fami­li­en­grün­dung in der Schweiz, seit der Wie­der­ein­wan­de­rung des euro­pa­weit geschütz­ten Raubtiers.

Die Rück­kehr der Wölfe in die Schweiz war von Anfang an hoch­um­strit­ten. Diese Ein­wan­de­rungs­be­we­gung wurde denn auch nicht, wie etwa in Ita­lien, pro­ak­tiv unter­stützt. Trotz­dem haben sich im Lauf der letz­ten 20 Jahre immer mehr Wolfs­fa­mi­lien in unse­rem Land nie­der­ge­las­sen. Ein Gewinn für die Natur und das öko­lo­gi­sche Gleich­ge­wicht, sagen die einen, wäh­rend andere den Wolf als Gefahr für Mensch und Nutz­tier ver­teu­feln und alles dar­an­set­zen, ihn erneut auszurotten.

Fakt ist jedoch: Der Wolf ist ein geschütz­tes Tier und darf nicht geschos­sen wer­den. Aus­nah­me­be­wil­li­gun­gen erteilte das Bun­des­amt für Umwelt BAFU wäh­rend Jah­ren nur, wenn es sich um ein soge­nann­tes «Pro­blem­tier» han­delte, das nach­weis­lich wie­der­holt Nutz­tiere geris­sen hat.

Mit der Zunahme der Anzahl Wölfe in der Schweiz, wuchs jedoch auch der Druck, diese unter Kon­trolle zu hal­ten. Der Ent­wurf eines neuen Jagd­ge­set­zes hätte den Schutz­sta­tus des Wolfs sub­stan­ti­ell unter­gra­ben – in einem emo­tio­na­len Abstim­mungs­kampf gelang es 2020, dies abzuwenden.

Mit Albert Rösti als Chef des Bun­des­am­tes für Umwelt (aber nicht zustän­dig für das Bun­des­am­tes für Land­wirt­schaft!) wen­dete sich dann aber das Blatt defi­ni­tiv zuun­gun­sten der Wölfe in der Schweiz. Was seit­her in Sachen Wolfs­ma­nage­ment abgeht, ist ein erschrecken­des Bei­spiel dafür, wie der Rechts­staat von einem soge­nann­ten Umwelt­mi­ni­ster, der seine Spo­ren als Milch­wirt­schafts- und Erd­öl­in­ter­es­sen­ver­tre­ter abver­dient hat, aus­ge­he­belt wer­den kann.

Ange­fan­gen hat es damit, dass Rösti – ent­ge­gen aller ursprüng­li­chen Bestre­bun­gen und Vor­ga­ben des BAFU – die Min­dest­zahl der für den Schutz des Wolfs not­wen­di­gen Rudel in der Schweiz von 20 auf 12 redu­zierte. Wor­auf der lang­jäh­rige eid­ge­nös­si­sche Jagd­in­spek­tor Rein­hard Schni­drig das Hand­tuch warf und in Früh­pen­sion ging.

Der Wild­bio­loge, der sich mit sei­nem Team stets für eine dif­fe­ren­zierte, ver­hal­tens­bio­lo­gisch ver­tret­bare «Regu­la­tion» der Wolfs­be­stände ein­ge­setzt hatte, wollte offen­sicht­lich die von Rösti neu dekre­tierte «prä­ven­ti­ven Regu­la­tion» nicht mit­tra­gen, wonach ganze Wolfs­fa­mi­lien aus­ge­löscht wer­den kön­nen, ohne dass sie auch nur einen ein­zi­gen Nutz­tier-Riss began­gen haben.

Schni­drig ist nicht der ein­zige Experte, der das BAFU seit Röstis Amts­an­tritt ver­las­sen hat. Die Gründe lie­gen auf der Hand: Der ehe­ma­lige SVP-Poli­ti­ker fou­tiert sich um das Know-how der Fach­leute in sei­nem Amt – was zählt ist ein­zig, was ihm poli­ti­sche Meri­ten bringt.

Es erstaunt denn auch nicht, dass man beim BAFU seit Mona­ten kei­nen neuen Jagd­in­spek­tor gefun­den hat. Dies, obschon man laut Medi­en­be­rich­ten für die Suche nach einer Nach­folge für Schni­drig schon über 86’000 Fran­ken Steu­er­gel­der aus­ge­ge­ben hat, nach­dem die BAFU-intern auf­ge­baute Nach­fol­ge­rin Rösti offen­bar nicht genehm war.

Der­weil nimmt das Wolfs­drama sei­nen Lauf: Nach­dem bereits im letz­ten Win­ter Dut­zende von Wöl­fen zum «prä­ven­ti­ven Abschuss» frei­ge­ge­ben wor­den waren, hat das BAFU aktu­ell die «Eli­mi­na­tion» von sechs wei­te­ren Wolfs­fa­mi­lien sowie die Tötung von Wel­pen in einer Reihe wei­te­rer Rudel bewilligt.

Ein Auf­schrei ging letzte Woche durch die Medien, als bekannt wurde, dass das BAFU aus­ge­rech­net die Wolfs­fa­mi­lie, die sich letz­tes Jahr neu in und um den Natio­nal­park (!) ange­sie­delt hat, zum Abschuss frei gege­ben hat. Dies, weil im Som­mer auf einer Alp­weide im angren­zen­den Unter­enga­din zwei Rin­der geris­sen wor­den seien.

Ein Skan­dal, zumal bis­he­rige Abklä­run­gen dar­auf hin­wei­sen, dass zumin­dest eines der Tiere von einer Wöl­fin getö­tet wurde, die nicht mehr Teil des Rudels ist. Trotz­dem hat das BAFU, auf Antrag des Amts für Jagd und Fische­rei Grau­bün­den, das Todes­ur­teil für das gesamte Rudel unterzeichnet.

Fach­lich fun­dierte Stel­lung­nah­men, wie etwa jene der «For­schungs­kom­mis­sion des Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­parks», die fest­hält, dass das Wolfs­ru­del ein wich­ti­ger Teil des Natio­nal­park-Öko­sy­stems gewor­den sei und for­dert, dies bei der Inter­es­sen­ab­wä­gung ent­spre­chend zu berück­sich­ti­gen, wur­den in den Wind geschlagen.

Statt die Wolfs­fa­mi­lie im Natio­nal­park aus­zu­lö­schen, wo laut Gesetz der Mensch nicht ein­grei­fen dürfte, so die Kom­mis­sion, sol­len bloss jene Tiere, wel­che die Risse began­gen hät­ten, getö­tet werden.

Für eine solch dif­fe­ren­zierte Her­an­ge­hens­weise scheint man beim BAFU kein Ver­ständ­nis mehr zu haben. Oder getrauen sich die noch ver­blie­be­nen Beamt:innen unter Röstis Fuch­tel ein­fach nicht?

Nach­dem näm­lich das BAFU Anfang Sep­tem­ber drei von vier Anträ­gen für die Aus­lö­schung von Wolfs­ru­deln im Wal­lis abge­lehnt hatte, inter­ve­nierte Depar­te­ment­chef Rösti – wohl­ge­merkt nach einer Aus­spra­che mit den Wal­li­ser Behör­den – und sorgte dafür, dass die­ser Ent­scheid rück­gän­gig gemacht wurde.

Ein wei­te­res frap­pan­tes Bei­spiel für die hemds­ärm­lige Poli­tik von Bun­des­rat Rösti, der nicht nur Exper­ten­wis­sen in den Wind schlägt, son­dern auch nicht davor zurück­schreckt, die demo­kra­tisch beschlos­se­nen und bewähr­ten Mit­wir­kungs­ver­fah­ren ad absur­dum zu führen.

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