Seit einem Monat kündigen erneut Bauprofile auf einem Nachbargrundstück Ungutes an. Sie ragen besonders hoch in den Himmel, weil das neue Baureglement der Stadt Zürich zugunsten von Verdichtung auch in unserem Quartier die maximale Gebäudehöhe um ein Geschoss heraufgesetzt hat. Zum Nachteil aller umliegenden, bereits bestehenden Liegenschaften.
In den letzten zehn Jahren musste zuerst die stattliche Tanne vor unserem Schlafzimmerfenster einem Neubau weichen. Im Westen, wo ein Nachkriegs-Mehrfamilienhaus durch ein vierstöckiges Rendite-Objekt ersetzt wurde, hat man uns die Abendsonne gestohlen. Der Blick von unserer Wohnung im obersten Stock über eine einst lebendige Dächerlandschaft ist längst Geschichte. Alte Backsteinbauten, ehemalige Gewerbeliegenschaften – kurzum, die einstige Gebäudevielfalt eines gewachsenen Quartiers, wurde durch Variationen von immergleichen Betonklötzen ersetzt, mit welchen man aus jedem Grundstück das Maximum an Profit herauszuholen sucht.
Das dürfte auch das Ziel der 3A Immobilien AG sein, die das Nachbargrundstück erworben hat. Hinter einer mächtigen Trauerweide versteckt, überragt von einer hohen Tanne mit ausladenden Ästen steht ein zweistöckiges Holzhaus mit 7 Zimmern mitten in einem wunderschönen, üppigen Garten – in bestem Zustand.
Es ist das letzte einer Reihe von Chalets, die einst hier standen – bewohnt von Angestellten der grossen Fabriken in Oerlikon. Die Chalets verbreiteten einen Hauch von Romantik und prägten das Gesicht der Strasse, die nach ihnen benannt wurde, so wie auch die nahegelegene Bushaltestelle.
Das Haus am Chaletweg 3 ist einer der letzten Zeugen historischer Architektur im Quartier. In unmittelbarer Nähe wurde bereits vor einem Jahr ein wunderschönes Arbeiter-Backsteinhäuschen zerstört, um einem Beton-Verdichtungsprojekt Platz zu machen.
Die Zerstörung dieser Zeugen der Vergangenheit tut mir persönlich weh. Noch viel schwerer wiegt hingegen der mit der übermässigen Verdichtung einhergehende Verlust von grünen Oasen im Quartier. Dachbegrünungen sind kein Ersatz für die Grünräume, die verschwinden, wenn Grundstücke bis an den Rand bebaut und die Gärten minimalisiert werden, so dass sie gerade noch so gross sind wie der Rand einer Briefmarke.
Das üppige Grün, welches das letzte Chalet umgibt, ist nicht nur eine Augenweide, es ist ein kleines Paradies der Biodiversität, mitten in einer Betonlandschaft. Elstern versammeln sich in der Trauerweide, vom Wipfel der Tanne singt die Amsel, abwechselnd mit den Rotkehlchen, die sich etwas weiter unten im Geäst eingerichtet haben… Das alles soll nun einem vierstöckigen Betonklotz mit zehn weiteren Wohnungen weichen?
Das darf nicht sein! Gerade heute, in Zeiten des Klimawandels muss städtischen Grünräumen Sorge getragen werden. Bäume haben vielfältige Funktionen – und ein lebendiges Quartier braucht vielfältige Formen des Wohnens und des Lebens. Was am Chaletweg 3 droht, ist genau das Gegenteil: Verdichten im Namen des Profits heisst Zerstörung. Sinnvolle Verdichtung geht anders: Sie nimmt Rücksicht auf eine über Jahrzehnte gewachsene Umgebung und ermöglicht innovative Formen des Teilens und Zusammenlebens bei gleichzeitigem Erhalt oder sogar Ausdehnung bestehender Grünflächen im Quartier.
Dieses war der erste Streich (im Quartier), doch der nächste folgt sogleich:
Und gleich noch einer:
8. Dezember 2021
Ein Haus – gebaut in einem Jahr – demoliert in 3 Tagen – aus den Augen, aus dem Sinn.