Wieviel Grün braucht es,
in der Stadt?

Wir woh­nen in einem Quar­tier, des­sen Gesicht sich in den letz­ten zehn Jah­ren radi­kal ver­än­dert hat. Kaum eine Lie­gen­schaft ist älter als 20 Jahre. Frü­her stan­den hier, bewohnt von den Eigen­tü­mern, Cha­let­bau­ten mit gross­zü­gi­gen Gar­ten­flä­chen. Dann erla­gen die Besit­zer und ihre Erben dem Lock­ruf des gros­sen Gel­des. Ren­dite, Ren­dite und noch­mals Ren­dite war angesagt.

Die Folge: Weil Inve­sto­ren und Bau­herr­schaf­ten das Maxi­mum aus ihren inzwi­schen teuer gewor­de­nen Grund­stücken her­aus­ho­len woll­ten, wurde und wird die Aus­nüt­zungs­zif­fer jeweils bis zum äus­ser­sten Rand ausgereizt.

Das Resul­tat: Die Gär­ten und ins­be­son­dere der Baum­be­stand sind auf kärg­li­che Grün­rän­der geschrumpft. Bei jeder Bau­stelle wird erst ein­mal Tabula rasa gemacht. Alles Bis­he­rige muss weg: Lie­gen­schaf­ten wer­den zu Bau­schutt, Gär­ten zu Bau­gru­ben, Bäume zu Altholz.

Nach Fer­tig­stel­lung von Neu­bau­ten sind die Bau­herr­schaf­ten zwar gesetz­lich ver­pflich­tet, die ver­blie­be­nen Aus­sen­räume zu begrü­nen. Diese Neu­be­pflan­zun­gen von meist beschei­de­ner öko­lo­gi­scher Qua­li­tät sind jedoch kein Ersatz. Nie mehr wer­den die Rest­bäum­chen und Sträu­cher die frü­here Höhe errei­chen, nie mehr wer­den ihre aus­la­den­den Äste nur annä­hernd soviel Schat­ten spenden.

Mit den Gär­ten ver­schwin­den nicht nur wich­tige Lebens­räume für Tiere und Pflan­zen aus dem Quar­tier. Die zuneh­mende Ver­sie­ge­lung der Ober­flä­chen und der dra­sti­sche Rück­gang der grü­nen Zwi­schen­räume ist auch genau das Gegen­teil von dem, was die Kli­ma­for­sche­rin­nen und ‑for­scher ange­sichts der künf­ti­gen heis­sen Som­mer­mo­nate empfehlen.

Die Bedeu­tung von Grün­räu­men und Bio­di­ver­si­tät in der Stadt ist heute in aller Munde. Grün Stadt Zürich pflanzt denn auch fleis­sig Bäume ent­lang von ver­sie­gel­ten Stras­sen und Plät­zen. In den klei­nen Park­an­la­gen, wel­che bei allen Gross­über­bau­un­gen (z.B. dort, wo Schre­ber­gär­ten wei­chen muss­ten) ein­ge­fügt wer­den, bemü­hen sich die Land­schafts­gärt­ne­rin­nen und ‑gärt­ner dem Trend fol­gend um Bio­di­ver­si­tät und öko­lo­gi­sche Gestal­tung der öffent­li­chen Räume. Die Stadt Zürich ver­fügt sogar über ein Baum­ka­ta­ster. Aus­schliess­lich für Bäume auf öffent­li­chem Grund.

Für schüt­zens­werte Bäume auf Pri­vat­grund besteht weder ein Kata­ster noch ein Inven­tar. Grün Stadt Zürich kann jedoch, wenn aus ihrer Sicht mar­kante oder quar­tier­prä­gende Bäume für ein Bau­vor­ha­ben abge­holzt wer­den sol­len, eine Schutz­ab­klä­rung ein­lei­ten. Laut Aus­kunft der städ­ti­schen Behörde könne in einem sol­chen Fall mit dem Eigen­tü­mer ein Ver­trag aus­ge­han­delt und der Baum unter Schutz gestellt wer­den, wenn dies «die Aus­nüt­zung des Grund­stückes nicht mass­geb­lich beeinträchtigt.»

Im Klar­text: Das Bau­vor­ha­ben hat immer Vor­rang. Auch wenn es bei objek­ti­ver Betrach­tung in völ­li­gem Wider­spruch steht zu den Anfor­de­run­gen an eine nach­hal­tige Ent­wick­lung, wie sie von der Stadt Zürich mit schö­nen Wor­ten pro­pa­giert wird.

Bei­spiel: In unse­rem Quar­tier hat der letzte noch ver­blie­bene «Alt­bau» aus dem Jahr 1926 einem fünf­stöcki­gen Neu­bau mit 14 Kleinst­woh­nun­gen zu wei­chen, der in den letz­ten zwei Jah­ren von einer Stu­den­ten-WG zwi­schen­ge­nutzt wurde.

Das Ganze läuft unter dem Mar­ken­zei­chen «Ver­dich­tung». Was hier ver­dich­tet wird, ist aber ein­zig und allein die Ren­dite, die aus dem Grund­stück gepresst wer­den soll: Laut dem Inve­stor seien Ein- und Zwei­zim­mer­woh­nun­gen am Markt nach wie vor gefragt. Seine Ziel­gruppe: Flug­ha­fen­an­ge­stellte und allein­ste­hende Rent­ne­rIn­nen. Mit ande­ren Wor­ten: Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass diese Woh­nun­gen, wenn über­haupt, mehr­heit­lich als Pied-à-terre genutzt wer­den, von Leu­ten, die ihren Lebens­mit­tel­punkt weder in Zürich noch im Quar­tier haben. Die Folge: Kalte Bet­ten und zuneh­mende soziale Verarmung.

Auf dem Grund­stück leb­ten in der Ver­gan­gen­heit im Schnitt zwi­schen fünf und zwölf Men­schen, bei einem wesent­lich beschei­de­ne­ren Bau­vo­lu­men. Dafür gab es rund­herum einen gros­sen Gar­ten: aus gan­zeit­li­cher Quar­tier­sicht eigent­lich eine schüt­zens­wer­ter Rest-Grün­flä­che. Denn ver­nich­te­tes Grün kehrt auf Stadt­ge­biet nicht mehr zurück.

Der geplante Bau von 14 Klein­woh­nun­gen bedeu­tet auch: Auf der 617 Qua­drat­me­ter klei­nen Par­zelle wer­den 14 sepa­rate Küchen­ein­rich­tun­gen erstellt, mit 14 Koch­her­den, 14 Back­öfen, 14 Geschirr­spü­lern – zusätz­lich 14 sepa­rate WCs, 14 Duschen… Da freuen sich eigent­lich nur die Fir­men Gebe­rit und V‑Zug.

Würde man die Her­aus­for­de­run­gen an die Zukunft unsere Städte ernst neh­men, wären sol­che Bau­vor­ha­ben nicht mehr bewil­li­gungs­fä­hig. Trotz­dem gibt die Stadt auch bei die­sem Pro­jekt grü­nes Licht. Weil sie von Geset­zes wegen muss. Vorläufig.

In der Stadt Zürich sam­melte der Ver­ein Stadt­grün innert kür­ze­ster Zeit über 4’300 Unter­schrif­ten für seine Initia­tive, die mehr Grün für die Stadt ver­langt. Ein bit­ter nöti­ger Schritt, gewis­ser­mas­sen eine Erzie­hungs­mass­nahme für massloss geld­gie­rige Inve­sto­ren. Wer nicht mass­hält, muss an die Leine genom­men wer­den. Auch wenn dann wie­der das Gejam­mer los­geht, über «mass­lose» Ein­griffe ins Privateigentum.

Sel­ber schuld.

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