Während sich die Menschen in der Schweiz um Impftermine drängeln, erreichen uns Tag für Tag erschütternde Covid-Nachrichten aus Indien. Viele Regierungen reagierten mit der Lieferung von medizinischem Material auf die Schreckensbilder. Auch die Schweiz.
Anfang Mai wurden erstmals 13 Tonnen medizinische Hilfsgüter von Zürich nach Neu-Delhi geflogen. Nebst Sauerstoff-Konzentratoren und Schutzkleidung hatte das Frachtflugzeug auch 50 Hamilton-Beatmungsgeräte an Bord.
«Die Beatmungsgeräte wurden vom Bundesamt für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) gratis zur Verfügung gestellt. Sie stammen aus der Armeeapotheke und werden zurzeit in der Schweiz nicht benötigt», vermeldete die SDA.
Zur Erinnerung: Das VBS kaufte im letzten Frühjahr und Sommer vom Schweizer Hersteller Hamilton AG 1550 Beatmungsgeräte. Zu einem stolzen Preis, wie Recherchen der SonntagsZeitung damals zeigten.
Geplant war deren Einsatz in den Kantonen, welche diese dem Bund abkaufen und in ihren Spitälern einsetzen sollten. Die Nachfrage hielt sich jedoch in Grenzen. In der Hektik der ersten Pandemiewelle geäusserte Bestell-Absichten wurden wieder zurückgezogen, einige Kantone sollen gar vom Bund gelieferte Geräte wieder zurückgeschickt haben, weil sie dafür keine Verwendung fanden.
Offenbar waren die qualitativ hochstehenden Schweizer Geräte für Schweizer Spitäler nicht nur zu teuer, sondern auch nicht praxistauglich, wie Recherchen des SonntagsBlicks zeigten. So begründete etwa der Kanton Aargau seine Rückweisung damit, dass das Gerät ungeeignet für den Spitaleinsatz ungeeignet sei und man auf dem Markt zu wesentlich günstigeren Preisen adäquatere Maschinen finden würde. Ähnlich lautete die Stellungnahme des Kantons Thurgau: «Bei einem so komplexen Gerät und der Anwendung auf der Intensivmedizin ist es essenziell, dass sich das Personal auf eine gesicherte, geschulte Handhabung verlassen kann. Ein Mix von Gerätemodellen ist daher zu vermeiden und nur in einer Notlage zu vertreten.»
Kurzum: Das VBS blieb so auf über zwei Dritteln seiner Hamilton-Geräte sitzen, die in der Armeeapotheke eingelagert werden mussten. – Bis zum Tag, als die Welt beschloss, Indien mit medizinischer Nothilfe bei der Corona-Bekämpfung unter die Arme zu greifen…
Flugs wurden 50 der in der Schweiz herumstehenden Hamilton-Geräte in ein Frachtflugzeug geladen und nach Indien entsorgt. Mit doppeltem Gewinn: Im Armeelager wurde wieder etwas Platz geschaffen, und ein Teil der 45 Millionen Franken, die das VBS für die eingelagerten Geräte bezahlt hatte, können nun über das Nothilfe-Budget des Bundes abgebucht werden.
Das wäre ja alles schön und gut, wenn die Beatmungsgeräte nun wenigstens in Indien ihren Zweck erfüllen und einen Beitrag zur Minderung der Not leisten würden. Allerdings muss allen an diesem Deal beteiligten klar gewesen sein, dass diese komplexen Geräte auch in indischen Spitälern kaum zum Einsatz kommen würden. Aus Mangel an qualifiziertem Personal, wie die Erfahrungen in der Schweiz zeigten.
So kam es, wie es kommen musste: «In vielen Staaten stehen Beatmungsgeräte ungenutzt herum», titelte etwa The Times of India Anfang Woche. Zahlreiche weitere indische Zeitungen berichten darüber, dass die Spitäler mit den aus aller Welt eingeflogenen Beatmungsmaschinen überfordert seien und diese meist ungenutzt herumstehen würden. Konkrete Hinweise darüber, ob die 50 Hamilton-Geräte in der Schweiz in Betrieb seien oder nicht, konnten in den konsultierten Quellen keine gefunden werden.
Es ist aber davon auszugehen, dass Geräte, die von Schweizer Spitälern zurückgewiesen wurden, auch in Indien nicht zu gebrauchen sind. Somit ist die grosszügige «Nothilfe» der Schweizer Regierung nichts anderes als eine im wahrsten Sinn des Wortes «billige» PR-Aktion. Medial lauthals verkündet, beispielhaft für die traditionelle Solidarität mit der Welt – made in Switzerland.
So sind die Reichen eben: Geben grosszügig an Ärmere ab, was sie nicht mehr brauchen können und ihnen nur Entsorgungsprobleme bereitet. Weitere «Nothilfeaktionen» sind denkbar, denn es stehen ja noch hunderte von Beatmungsgeräten in der Armeeapotheke herum.
Nachtrag — ein paar Tage später
Covid-19 in Nepal: Die Schweiz schickt 30 Tonnen humanitäre Hilfsgüter
Bern, 21.05.2021 — Die Schweiz unterstützt Nepal, wo eine äusserst prekäre Gesundheitssituation im Zusammenhang mit Covid-19 herrscht. Die Humanitäre Hilfe des Bundes schickt am Freitag, 21. Mai 2021, 1,1 Millionen Antigentests, 40 Beatmungsgeräte, 10 Sauerstoffkonzentratoren sowie Schutzmaterial nach Kathmandu. Die Gesamtkosten dieser humanitären Hilfsaktion betragen rund 7,5 Millionen Franken.
Nachtrag — ein paar Wochen später
(20Minuten – 13.06.2021)
Die Schweiz sei reichlich versorgt mit Impfstoffen, sie erhalte Vakzine von Pfizer/Biontech und Moderna im Wochenrhythmus und könne gar nicht viel mehr verimpfen, heisst es. Deshalb sollen nun sämtliche bestellte Dosen des umstrittenen Impfstoffs des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca verschenkt werden. Der Bundesrat will kommende oder übernächste Woche darüber entscheiden.
(..)
Viele Länder und auch die EU wollen nun keine weiteren Dosen von AstraZeneca mehr bestellen.
Es wird deshalb vermutet, dass sich das BAG ebenfalls vor wachsender Impfskepsis fürchtet und darum den umstrittenen Impfstoff gar nicht erst in der Schweiz einsetzen will. Die internationale Solidarität wäre demnach nur ein Motiv, warum die Schweiz Millionen Impfdosen verschenkt.