Money runs the world

Heute in einem Monat ren­nen sie wie­der durch Zürich: 42,195 Kilo­me­ter im Dich­te­stress und über Asphalt. Ein sinn­lo­ses Ver­gnü­gen für Serotoninsüchtige.

Höch­ste Zeit also, dass dem Zürich-Mara­thon ein «added value» ver­passt wird. Cha­rity-Run­ner heisst die Lösung für all jene, die sich nicht län­ger damit begnü­gen, dass Jog­gen nichts ande­rem dient als dem eige­nen Wohl­be­fin­den. Lan­ciert wurde die Kate­go­rie der Wohl­tä­tig­keits­läu­fer von der Ent­wick-lungs­or­ga­ni­sa­tion Hel­ve­tas – ein cle­ve­res Pro­dukt der stän­di­gen Suche nach neuen Spendenquellen.

Erfah­ren haben wir davon durch den News­let­ter eines frei­schaf­fen­den Kon­su­len­ten aus der Ent­wick­lungs­bran­che. Mit der Teil­nahme am Zürich-Mara­thon, schreibt er in sei­ner Mit­tei­lung, könne er zwei per­sön­li­che Lei­den­schaf­ten ver­bin­den: «Jog­gen in mei­ner Frei­zeit und mein beruf­li­ches Enga­ge­ment für mehr Gerech­tig­keit. Ich hoffe, die Strecke von 42 km zu schaf­fen und möchte gleich­zei­tig 100 Kin­dern in Benin Zugang zu sau­be­rem Was­ser ermöglichen.

Damit dies gelingt, ruft der auf dop­pel­ten Gewinn spe­ku­lie­rende Läu­fer die News­let­ter-Abon­nen­ten sowie Bekannte und Geschäfts­freunde dazu auf, seine Mara­thon-Teil­nahme mit dem Ein­zah­len von Spen­den­gel­dern zu beloh­nen. Hel­ve­tas stellt dafür eine Web­site zur Ver­fü­gung, auf der – wie beim Crowd Fun­ding – jede ein­ge­gan­gene Summe auf­ge­li­stet wird.

Es braucht nur ein paar wenige Klicks, um unter dem Stich­wort «Mein Ziel» seine eigene Mara­thon-Sam­mel­ak­tion zu Gun­sten von Hel­ve­tas ein­zu­rich­ten. Alles ist stand­ar­ti­siert, mit ein paar Klicks wird aus jedem Knie­ar­throse-Kan­di­da­ten ein Spen­den­samm­ler. Der vor­ge­kaute Text zum Spen­den­auf­ruf für Was­ser­pro­jekte in Benin kann mit einer per­sön­li­chen Note auf­ge­peppt wer­den. In Zei­ten von Social Media ist es nicht nur ein­fach gewor­den, Gutes zu tun, indem man sich sel­ber ver­gnügt – son­dern auch, es alle wis­sen zu las­sen… Don’t think – just click.

Wer die Chance ergreift und sich das eigene maso­chi­sti­sche Ver­gnü­gen als altru­isti­scher Spen­den­samm­ler ver­gol­den lässt, wird dar­über hin­aus noch zusätz­lich belohnt: Die Orga­ni­sa­to­ren locken die Cha­rity-Run­ners mit der Ver­gabe von VIP-Start­num­mern, einer exklu­si­ven Dusch­ge­le­gen­heit sowie wei­te­ren «Extras am Lauf­tag». Und last but not least ren­nen die Cha­ri­ties in spe­zi­el­len T‑Shirts – auf denen wohl nebst dem Hel­ve­tas Logo auch jenes einer Mine­ral­was­ser­firma auf­ge­druckt ist.

Dies, weil die Zür­cher Mara­thon-Sam­mel­ak­tion für den Bau von Brun­nen in Benin aus­ge­rech­net von einem Mine­ral­was­ser­pro­du­zen­ten gespon­sert wird. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass die Pro­duk­tion von Fla­schen­was­ser die Trink­was­ser­pro­bleme in Län­dern wie Benin eher beför­dert als behebt, eine ziem­lich zyni­sche Wahl. Auch wenn es sich bei besag­ter Firma nicht um Nestlé handelt.

Für die Cha­rity-Run­ners hat der Wett­lauf übri­gens längst begon­nen: Aktu­ell wird die Rang­li­ste der besten Spen­den­samm­ler auf der Hel­ve­tas-Web­site vom Ver­fas­ser des oben erwähn­ten News­let­ters ange­führt. Sollte er beim Mara­thon in einem Monat nicht in die vor­der­sten Ränge vor­stos­sen, wird er mit sei­nem Ein­satz trotz­dem mehr­fa­chen Gewinn ein­fah­ren. Nicht zuletzt, weil er damit seine Firma geschickt in Szene setzt. – Die näch­sten Auf­träge dürf­ten bald ins Haus ste­hen. Dar­un­ter viel­leicht die Eva­lua­tion von Was­ser­pro­jek­ten in Benin, die mit Spen­den­gel­dern der Cha­rity-Run­ners am Zürich-Mara­thon finan­ziert wor­den sind.

Begegnung im Mediamarkt

Von wei­tem lockt die Abtei­lung mit den TV-Sets, wo auf Dut­zen­den von Bild­schir­men syn­chron die glei­chen Bil­der tan­zen – die sich erst bei nähe­rer Betrach­tung stark von­ein­an­der unter­schei­den. Das über­di­men­sio­nierte Heim­kino impo­niert ein­zig und allein durch seine Grösse. Die Bil­der sind ver­pi­xelt und verschwommen

«Die Fir­men­zen­trale ver­sorgt uns lau­fend mit den neu­sten Pro­mo­fil­men», erklärt der Ver­käu­fer die mise­ra­ble Bild­qua­li­tät. Die Files wür­den in der Nacht hoch gela­den, aller­dings in gerin­ger Grösse, damit es schnel­ler gehe. Er greift zur Fern­be­die­nung und zeigt uns, was das Rie­sen­teil wirk­lich kann. Was wir denn für ein Modell im Auge hätten?

Angelo fragt nach den neue­sten Gerä­ten. HD ist out, der neu­ste Schrei heisst Ultra-HD oder 4K: Noch mehr Bild­punkte, noch mehr Bild­zei­len. Zu Dritt ste­hen wir vor dem Wun­der­ding und stau­nen: Die Bil­der sind so scharf, dass sie auch ohne 3D-Tech­nik und –Brille drei­di­men­sio­nal wirken

Das hat natür­lich sei­nen Preis – es gebe das Glei­che auch in klei­ne­rer Aus­füh­rung, dann sei es gün­sti­ger, sagt der Ver­käu­fer hilfs­be­reit. So dass wir Farbe beken­nen und ihm geste­hen, unser Inter­esse sei rein pro­fes­sio­nel­ler Art, wir seien «aus der Branche»

Statt Ent­täu­schung huscht ein Leuch­ten über sein Gesicht: «Ich bin Kame­ra­mann», sagt er und erzählt: Wäh­rend Jah­ren in Deutsch­land gear­bei­tet, bei TV-Sta­tio­nen im News-Bereich. Bis er die Ell­bo­gen­kriege an Pres­se­kon­fe­ren­zen und ent­lang der roten Tep­pi­che satt hatte. Dafür ern­tet er unser vol­les Verständnis

Als freier Kame­ra­mann im Doku­men­tar­film-Bereich kann er nicht über­le­ben, schon gar nicht daheim, in Grie­chen­land. Des­halb ist er nun wie­der zurück in Deutsch­land. Und pen­delt täg­lich in die Schweiz, wo er als Ver­käu­fer im Media­markt arbeitet

Auf die Frage nach sei­nen Ein­schät­zun­gen zu Grie­chen­land, hat Jor­gos eine klare Ant­wort: «Wir wer­den das schaf­fen», sagt er. Und lie­fert eine trau­rige Ana­lyse dar­über, was mit sei­ner Hei­mat gesche­hen ist: Jah­re­lang habe man das arme Land mit Kre­di­ten ange­fixt, damit es in der EU auf­hole. Ohne sich darum zu küm­mern, ob die gewünschte Ent­wick­lung statt­finde, die Anpas­sun­gen greifen

Weil man es nicht wis­sen wollte, solange alle pro­fi­tier­ten: Sowohl die Grie­chIn­nen wie ihre Gläu­bi­ger und jene, die ihre Waren nach Grie­chen­land expor­tier­ten. Jetzt hin­ge­gen spe­ku­liere allen voran «Tante Mer­kel» auf ein pro­fi­ta­bles Geschäft mit den reich­hal­ti­gen Erd­gas­vor­kom­men Griechenlands

Jor­gos möchte zurück nach Grie­chen­land, und er möchte wie­der als Kame­ra­mann arbei­ten. – Wenn er abends um halb Zehn von der Arbeit in der Schweiz nach Hause komme, sei er jedoch zu müde, um noch Bewer­bun­gen zu schrei­ben, sagt er. Und erzählt von sei­nem Traum, auf Kreta ins Tou­ris­mus­ge­schäft ein­zu­stei­gen und für Hotels Image­filme zu dre­hen. Dass seine Geschichte kein Ein­zel­fall ist, zeigt das Namens­schild der jun­gen Frau an der Kasse: Sie heisst Eleftheria

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