Schon gewusst: NZZ-Redaktorinnen nehmen auch mal den Zug! Unterwegs bot sich Inlandchefin Christina Neuhaus kürzlich eine willkommene Gelegenheit, «Volkes Stimme» zu einem aktuellen Thema aufzuzeichnen. Genau genommen: 1. Klass-Volkes Stimme. Die NZZ ist ja auch die Stimme der deutschen und schweizerischen Ersten Klasse.
Neuhaus protokolliert under cover, in direkter Rede, ein Gespräch ihrer Mitpassagier:innen – zwei Männer und zwei Frauen im Rentenalter. – Es geht, laut NZZ-Akte vom 12. Januar 2024, um Seniorenvergünstigungen beim GA (1. Klasse, versteht sich), Golfferien in Südafrika, Reisen in die USA und eine zweitägige Flusskreuzfahrt, die sich eine Bekannte mit ihren Geschwistern geleistet habe. Eine Frau notabene, die «nur von der AHV» lebe.
Als Pointe bringt Neuhaus das Statement einer mitreisenden Seniorin: «Eben, deshalb musst du mit Ja stimmen» – gemeint ist die Initiative zur 13. AHV-Rente, über die wir am 3. März an der Urne entscheiden werden.
Es ist anzunehmen, dass die Journalistin weder den Text hat autorisieren lassen, noch mit den Senior:innen in eine Diskussion eingetreten ist, um Hintergrund über das Gehörte zu erfragen. Zuviel Aufwand für eine billige Volksstimmungsmache im redaktionellen Teil. Im Kleingedruckten der Hinweis, «aufgezeichnet» (aber hoffentlich nicht mit dem Smartphone?) und «leicht verfremdet» – was vermutlich soviel heisst wie: Noch etwas propagandistisch zugespitzt.
Neuhaus ist nicht die einzige, die sich vor den Karren der Initiativ-Gegnerschaft spannen lässt. Landauf, landab blasen meinungsbildende Redaktionen derzeit ins gleiche Horn. So titelte etwa der Blick am 15. Januar: «Die goldene Rentnergeneration spart im Alter sogar weiter.»
Zitiert wird aus einer Studie von «Swiss Life» aus dem Jahr 2022, die belegen soll, dass es den Rentner:innen hierzulande nicht nur gut, sondern zu gut geht. Der Artikel suggeriert, dass Rentnerinnen und Rentner ihren Lebensabend auf Kosten jüngerer Generationen geniessen. Ganz im Sinn von Versicheren wie «Swiss Life». Denn merke: Jeder Franken, der in den AHV-Fonds fliesst, ist für die «Swiss Life» verlorenes Kapital und reduziert ihr lukratives Geschäft mit Geldern der zweiten und dritten Säule.
In seinem Artikel vom 16. Januar geht NZZ-Wirtschaftsredaktor Hansueli Schöchli noch einen Schritt weiter und prangert die «Umverteilungsmaschine AHV» an; diese «subventioniere» Alte auf Kosten der Jungen, und Arme auf Kosten der Reichen. – Subventionen? Für die NZZ ein Schimpfwort par excellene. Oder hat man in der NZZ je etwas von «Subventionen» an die Armee gelesen?
Artikel 112 der Bundesverfassung hält in Bezug auf die Alters‑, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (AVH) deutsch und deutlich fest: «Die Renten haben den Existenzbedarf angemessen zu decken. Die Höchstrente beträgt maximal das Doppelte der Mindestrente. Die Renten werden mindestens der Preisentwicklung angepasst.»
Die AHV beruht auf dem Solidaritätsprinzip – die Umverteilung ist in der Bundesverfassung gewollt und gehört zu den Grundwerten unseres Landes. Das sollten die erwerbs- und spekulationstätigen Gutverdiener:innen endlich einmal kapieren. Ihre Golfferien sind durch eine 13. AHV-Rente nicht in Gefahr. Und ihr unverdientes Erbe bislang auch nicht.
Heute beträgt die AHV-Mindestrente für eine Einzelperson, die ein Leben lang AHV-Beiträge einbezahlt hat, 1’225 Franken im Monat. Dies ist nie und nimmer existenzsichernd. Und die Maximalrente von 2’450 Franken? Existenzbedarf deckend? Vielleicht in Thailand oder im Südsudan.
Die Ausrichtung einer 13. AHV-Rente ist eine Massnahme, um mit geringem Aufwand und innert nützlicher Frist die AHV-Renten den verteuerten Lebenskosten anzupassen, wie dies in der Verfassung vorgesehen ist. Nichts mehr und nichts weniger. Das tut dringend Not. Zumal im Bundeshaus die Banken- und Versicherungsparlamentarier:innen immer noch scharf darauf sind, die AHV-Finanzierung klein zu halten, auf dass der Anteil des Finanzsektors am Sozialversicherungskuchen nicht geschmälert werde.
Es ist nicht das erste Mal, dass im Vorfeld einer AHV-Abstimmung Gräben zwischen Jung und Alt, zwischen Arm und Reich herbeigeschrieben und Konflikte geschürt werden. Milliardäre wie Blocher und Co. behaupten, das Geld reiche nicht für anständige Renten. Ausgerechnet in der reichen Schweiz, wo es bloss darum geht, die Prioritäten richtig zu setzen.
Mit ihrer Kampagne gegen die 13. AHV rütteln Rechtspopulist:innen und redaktionelle Meinungsbildner:innen an den Grundprinzipien des Sozialstaats. NZZ-Schöchli geht sogar soweit, dass er Rentenbezüger:innen rundweg als Profiteure beschimpft! In einer Zeitung, die sonst dem Profitscheffeln nur gut gesinnt ist.
Immerhin haben sie bei mir damit etwas bewirkt: Ich habe heute Morgen den Abstimmungskampf des Gewerkschaftsbundes für die 13. AHV mit einer Spende unterstützt.