Trendige Stadtmenschen, gesundheitsbewusst und politisch korrekt, brauchen immer neue Verführungen. Aktuell ist der Verzicht auf Milchprodukte angesagt. Ob sogenannte Reis‑, Soja- und Mandelmilch oder Käse aus Hefeflocken und Tofu… Milch-Produkte ohne Milch sind in, teuer und für die Hersteller ein gutes Geschäft.
Ganz im Gegensatz zur profanen Kuhmilch. Mit der Aufhebung der Milchkontingente sind hier die Preise eingebrochen. Insbesondere in der EU, wo die Produzenten an einem Liter Milch gerade noch die Hälfte verdienen wie vor einem Jahr. Aber auch Schweizer Bauern klagen. Mit dem aktuellen Milchpreis, sagen sie, könne man nicht einmal die Produktionskosten decken.
Trotzdem wird auf Teufel komm raus weiter produziert. Je niedriger der Milchpreis, desto grösser die Mengen. Hochleistungskühe, Kraftfutter und teure industrielle Melkanlagen wollen amortisiert sein. Deshalb setzen Bauern und ihre Lobby nach wie vor auf Produktivitätssteigerung.
Die fehlgeleitete Landwirtschaftspolitik wird fortgesetzt: Milchproduzenten rüsten auf, um mitzuhalten – obschon der Markt längst übersättigt ist. Die Lösung des Problems: Überschüsse werden zu Milchpulver und Käse verarbeitet und exportiert. Eine elegante Lösung für Bauern und Politiker in Europa.
Das geht nur mit grosszügigen Subventionen. Oder einem cleveren Deal wie in der Schweiz: Unter dem Mäntelchen der «Nahrungsmittelhilfe» kauft der Bund jährlich für 20 Millionen Franken Milchpulver und Käse aus heimischer Produktion, die an Bedürftige in Entwicklungsländern und Krisenregionen abgegeben werden. So stärkt zum Beispiel Milchpulver-Pausenmilch aus der Schweiz seit Jahren Schulkinder in Kuba oder PatientInnen in afrikanischen Gesundheitszentren und Spitälern.
Ein lukratives Geschäft, vor allem für die Schweizer Produzenten: In den Ietzten fünf Jahren verkauften Konzerne wie Emmi, Hochdorf oder Cremo durchschnittlich 2800 Tonnen Milchpulver und 16 Tonnen Schmelzkäse an die Deza. Diese bezahlt gut – deutlich über den Weltmarktpreisen. Ein Geschäft, ganz im Sinne der Schweizer Produzenten, das bis 2020 weiterlaufen soll.
Und vielleicht auch darüber hinaus… Obschon der humanitäre Milchpulverexport unter Beschuss geraten ist, nachdem eine Studie der Fachhochschule Bern zum Schluss kam, dass die 20 Millionen effizienter eingesetzt werden könnten. Zumindest, wenn man die Interessen der Bedürftigen ins Zentrum stellt. Da bei diesem Geschäft aber vor allem die Schweizer Interessen zählen, bleibt vorläufig alles beim Alten.
Im Februar dieses Jahres stellte denn auch Reto Burkhardt, Sprecher des Verbands Schweizer Milchproduzenten, gegenüber dem Tagesanzeiger klar: «Für die hiesigen Milchproduzenten ist es wichtig, dass die Millionen, welche die Deza zur Verfügung hat, zu einer möglichst grossen Wertschöpfung in der Schweiz führen.»
Der Auftrag der Deza müsste sich allerdings nach den Bedürfnissen der Bedürftigen im Süden richten, nicht nach jenen der Schweizer Milchproduzenten. Sprich, die Deza könnte ihre Aufgabe, die weltweite Armut zu bekämpfen, besser wahrnehmen, müsste sie nicht bei den Schweizer Milchproduzenten einkaufen.
Dass aber der Schweizer Milchpulverdeal in erster Linie der hiesigen Wirtschaft zu dienen hat, wird im Jahresbericht 2015 der Branchenorganisation Schweizer Milchpulver unmissverständlich auf den Punkt gebracht: «Die Schweizer Nahrungsmittelhilfe soll auch künftig mit Schweizer Milchpulver erfolgen, jedoch lehnt die Branche die Lieferung von Schweizer Milchpulver zu Weltmarktpreisen ab, da es nicht die Aufgabe der Milchproduzenten oder der Milchpulverhersteller ist, die Nahrungsmittelhilfe zu finanzieren.»
Mit ähnlich egoistischen Argumenten überschwemmt auch die EU namentlich den afrikanischen Markt mit subventionierten überschüssigen Milchprodukten. In Burkino Faso zum Beispiel, kann die lokal produzierte Frischmilch mit der europäischen Pulvermilch längst nicht mehr konkurrieren. Das Nachsehen haben die einheimischen Milchproduzenten, die nachhaltig, naturnah und lokal produzieren.
Weil sie von keinen Subventionen profitieren, müssen die afrikanischen Kleinbauern aufgeben. Damit schliesst sich der Kreislauf: Ihr Land wird von internationalen Konzernen übernommen, die zum Beispiel Soja anbauen. Das als Kraftfutter den europäischen Hochleistungskühen verfüttert wird – oder als Sojamilch und ‑joghurt in den Kühlschränken der europäischen Hipster landet.