Die Welt spinnt

Seit nun­mehr einem hal­ben Jahr domi­niert ein ein­zi­ges Thema die Schlag­zei­len: Corona. Was die­ses Virus aus­löst und bewirkt, ist kaum zu glau­ben. Und macht deut­lich, wie absurd so vie­les auf die­ser Welt schon vor­her war.

Letz­tes Jahr gin­gen wir noch auf die Strasse, demon­strier­ten dicht an dicht für wir­kungs­vol­len Kli­ma­schutz. Trotz Greta Thun­berg und welt­wei­tem Ruf nach dra­sti­schen Mass­nah­men, die es drin­gend braucht, um die Kli­ma­er­wär­mung zu brem­sen, geschah nichts.

Bis das neu­ar­tige Corona-Virus die Welt­bühne betrat. Zuerst schüt­tel­ten wir in Europa den Kopf über die dra­sti­schen Mass­nah­men in China: Haus­ar­rest für Mil­lio­nen­städte – das mag in einer Dik­ta­tur gehen, nicht aber bei uns, im Frei­heit lie­ben­den Westen…

Nur wenige Wochen spä­ter war es auch bei uns soweit: Von einem Tag auf den ande­ren wur­den grosse Teile der Wirt­schaft in einen künst­li­chen Tief­schlaf ver­setzt, die Men­schen in ihre Häu­ser und Woh­nun­gen ver­bannt. Die Men­schen füg­ten sich ohne Mur­ren: Die Angst um das eigene Wohl­erge­hen machte mög­lich, was bis anhin undenk­bar war.

Hier­zu­lande setzte der Bun­des­rat zum Glück auf Eigen­ver­ant­wor­tung und gesun­den Men­schen­ver­stand. Genau das, was man von einer mün­di­gen Gesell­schaft erwar­ten darf. Er ver­hängte kei­nen Haus­ar­rest, obschon die Medien und andere Panik­ma­cher schär­fere Mass­nah­men forderten.

Der Lock­down funk­tio­nierte. Doch lange konnte das nicht gut gehen. Schon bald wurde von Sei­ten der Unter­neh­mer und Bran­chen­ver­bände der Ruf nach einer «neuen Nor­ma­li­tät» laut, die doch bes­ser nicht allzu viel Neues beinhal­ten sollte…

Ganz im Gegen­teil: Wirk­li­che Ver­än­de­run­gen, wie etwa die Ein­füh­rung eines bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens in der aktu­el­len Situa­tion, wo Neu­ori­en­tie­run­gen gefragt wären, wur­den schnell unter­bun­den und blie­ben blosse Gedan­ken­spiele. Alles sollte mög­lichst sein wie zuvor. Auch wenn offen­sicht­lich nichts mehr ist, wie es war.

Fin­dige Köpfe suchen des­halb eif­rig nach Lösun­gen für die Bedürf­nisse des frü­he­ren Lebens im künf­ti­gen. Viel Auf­merk­sam­keit erlang­ten die Coif­feure und die Tatoo­ste­cher mit ihren Schutz­kon­zep­ten, dank wel­chen beide Bran­chen Ende April ihre Salons wie­der öff­nen konnten.

Aber auch in All­täg­lich­kei­ten, die auf den ersten Blick unpro­ble­ma­tisch erschei­nen, gilt es, Corona-ange­passt zu han­deln. So drän­gen Mit­ar­bei­tende eines Betriebs zum Bei­spiel dar­auf, den still­ge­leg­ten Tög­ge­li­ka­sten wie­der in Betrieb zu neh­men. Seit März steht er nutz­los in einer Ecke, weil die Geschäfts­lei­tung das Spie­len in Coro­na­zei­ten als zu gefähr­lich erach­tet und ver­bo­ten hat.

Auch hier heisst die Lösung: Schutz­kon­zept. Bereits Anfang April legte die Swiss Tabel­soc­cer Fede­ra­tion ein zehn­sei­ti­ges Papier für’s Tög­ge­len in Corona-Zei­ten vor. Darin wird drin­gend emp­foh­len, aufs Hän­de­schüt­teln zu ver­zich­ten, keine Dop­pel zu spie­len sowie in der Mitte des Tischs eine Pla­stik- oder Ple­xi­glas­scheibe auf­zu­stel­len. Alter­na­tiv kön­nen die Spie­le­rIn­nen auch eine Maske tra­gen, um die Ansteckungs­ge­fahr zu minimieren.

Aus der der deut­schen Stadt Offen­bach ver­neh­men wir von einem wei­te­ren ver­zwei­fel­ten Ver­such an die frü­here Rea­li­tät anzu­knüp­fen: Die Lieb­ha­be­rIn­nen roman­ti­scher Som­mer­nachts­kon­zerte sol­len auch im Jahr 2020 auf ihre Rech­nung kom­men. Corona-bedingt nach dem «Auto­kino-Prin­zip»: «Das Publi­kum sitzt im eige­nen Auto und kann über das Auto­ra­dio die Musik von Orche­ster und Soli­sten geniessen.»

Beson­ders erfreu­lich: Trotz stren­gem Schutz­kon­zept dür­fen Cabrio-Ver­decke und Auto­fen­ster geöff­net sein. Wer aufs WC muss, darf das Auto ver­las­sen – muss auf der Toi­lette aber eine Maske tragen.

Nicht gere­gelt ist, wie­viele Per­so­nen pro Auto zuge­las­sen sind und ob Ver­liebte (nach Schwei­zer Grenz­mo­dell) sich mit (nota­ri­ell beglau­big­ten?) Lie­bes­brie­fen über die Dauer ihrer Bezie­hung aus­wei­sen müs­sen. Was geschieht nun aber, wenn an einer solch roman­tisch sinn­li­chen Ver­an­stal­tung Amor plötz­lich zuschlägt und es zum ersten Kuss kommt?

So gau­keln wir uns vor, dass wir mit­hilfe unse­rer Schutz­kon­zepte das Virus in Schach u n d gleich­zei­tig unse­ren Lebens­stil auf­recht erhal­ten kön­nen. Wir ver­stecken uns hin­ter Mas­ken und wie­gen uns in fal­scher Sicher­heit. Beim Ein­packen an der Kasse im Super­markt gera­ten wir mit Unbe­kann­ten in drän­geln­den Kör­per­kon­takt, wie vor dem Aus­bruch der Pan­de­mie. Und wenn man sich umhört, wol­len sich viele bald wie­der in ein eng bestuhl­tes Flug­zeug set­zen, um in die Ferien zu jet­ten. Obschon wei­ter­ma­chen wie bis­her eigent­lich keine Option ist. Doch nie­mand will es wahr­ha­ben – und schon gar nicht laut sagen.

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