Fast zehn Jahre sind es, dass wir für die Wissenschaftssendungen auf 3sat und im Schweizer Fernsehen einen Filmbeitrag über das Leiden von Legehennen drehten. Damals stellten Wissenschaftler:innen am Geflügelforschungszentrum Aviforum in Zollikofen fest, dass rund die Hälfte aller untersuchten Hühner unter Brustbeinbrüchen litten.
Dies, obschon in der Schweiz die Käfighaltung von Hühnern seit Jahren verboten ist und Volièren eigentlich als tiergerechter gelten. Aufgrund von ersten Tests vermuteten die Forschenden damals, dass sich die Tiere möglicherweise an den harten Eisenstangen verletzten und mit dem Einsatz von weicheren Materialien das Problem entschärft werden könnte.
Allerdings stellte Forschungsleiter Hanno Würbel, der einzige Professor für Tierschutz hierzulande, schon damals klar: «Möglicherweise liegt es nicht am Haltungssystem, sondern an der Leistungszucht, die uns Vögel beschert hat, bei welchen aufgrund ihrer hohen Legeleistung die Knochen derart ausgezehrt werden, dass es zu Osteoporose kommt und das Problem gar nicht zu verhindern ist, mit den Legehybriden, mit welchen wir heute arbeiten.»
Neuste Zahlen zeigen noch erschreckendere Resultate: Im Rahmen eines weiteren Forschungsprojekts der Uni Bern wurden 150 Legehennen während zehn Monaten regelmässig geröntgt. Dabei zeigte sich, dass nicht nur die Hälfte, sondern 97% der Tiere ein gebrochenes Brustbein hatten – bei vielen gab es gar mehrfache Frakturen.
«Brüche verursachen Schmerzen – auch das Tier empfindet Schmerzen, es gibt keine Hinweise darauf, dass Vögel in dieser Hinsicht anders reagieren als Menschen», kommentierte die Biologin Sabine Gebhardt bereits anno 2013. «Sie sind darauf gezüchtet, Eier zu legen, und die legen sie halt, egal ob sie Schmerzen haben oder nicht, insofern ist die Legerate kein Mass dafür, wie gut es den Tieren geht.»
Die Wissenschaft hat auch diesbezüglich weiter geforscht – Michael Toscano, Leiter des Zentrums für tiergerechte Haltung an der Universität Bern, bestätigte gegenüber dem K‑Tipp die Feststellungen von Sabine Gebhardt aufgrund neuer Forschungsresultate: «Hennen mit gebrochenen Knochen bewegen sich weniger. Sie brauchen länger beim Absteigen von ihren Sitzstangen. Und sie wählen zum Trinken häufiger Wasser, das Schmerzmittel enthält.»
Das Problem ist längst erkannt. Mittlerweile bestätigen auch Forschende in Deutschland und Dänemark, dass die weltweit enorm häufigen Brustbeinbrüche bei Hühnern Folgen einer globalen auf Hochleistung getrimmten Zucht sind – unabhängig von Bio‑, Freiland‑, Boden‑, Käfig– oder Volièrenhaltung.
Eine Henne legt in den heute gängigen Produktionsbetrieben pro Jahr im Schnitt 323 Eier – also fast täglich ein Ei. Dafür braucht sie enorme Mengen an Kalzium, das dann in den Knochen fehlt. Meist ist das Brustbein an der Spitze gebrochen – dies könnte laut einer dänischen Studie auf den Druck beim Eierlegen zurückzuführen sein. Lars Schrader vom Deutschen Institut für Tierschutz und Tierhaltung ITT spricht in diesem Zusammenhang von einer «Sollbruchstelle» – sein Fazit: «Wir sind an der Grenze der Leistungsfähigkeit der Tiere angelangt.»
Tatsache ist: Die Grenze ist längst überschritten. Oder, wie es der Forscher Hanno Würbel formuliert: «Mit der heutigen Haltung und der Zucht von Hühnern sind Schmerz und Leiden für viele Tiere unvermeidbar. Und das ist einfach nicht haltbar.»
Und was tut der Mensch?
Während täglich Milliarden genetisch verkrüppelter Legehennen weiter unter Schmerzen für uns Eier legen, wird einmal mehr geforscht. Statt solch tierfeindlichen Produktionsmethoden ein für allemal zu verbieten und dem Leiden endlich ein Ende zu setzen, buttert z.B. die amerikanische Wohltätigkeitsstiftung Open Philanthropy 2,7 Millionen US-Dollar in ein Forschungsprojekt für die Zucht von Hühnern «mit gesünderer Genetik» – bei gleichbleibender Produktivität.
Dabei arbeiten die Forschenden ausgerechnet mit jenen zusammen, welche die Hauptverantwortung für das Leiden der Tiere tragen: Zusammen mit den beiden Weltmarktführern für Zuchthennen, der deutschen EW Group und der holländischen Hendrix Genetics, soll die Basis gelegt werden, um mit gezielter genetischer Selektion neue Hochleistungshybriden zu züchten, die weniger anfällig sind für Knochenbrüche.
Ob das überhaupt gelingen kann, und zu welchem Preis für die Tiere, weiss man erst in fünf Jahren. Mindestens bis dahin müssen wir beim unbedachten Eierkonsum das Leiden der Hennen verdrängen und den Gedanken daran halt schnell herunterschlucken.
PS:
Ein kleine Auswahl weiterführender Links zum Thema Agrobusiness und industrielle Hühnerzucht:
https://kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2015/KAB2015_227_231_Gura.pdf
https://en.aviagen.com/news-room/videos/good-welfare-is-good-business/