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Zwischenhalt bei den Bisontin(e)s

Drei Tage Frank­reich, auf den Spu­ren von Gust­ave Cour­bet. Wir tau­chen ein, in die wilde mäch­tige Land­schaft der Hei­mat des Malers, der 1877 im Schwei­zer Exil gestor­ben ist. Zu Fuss erwan­dern wir durch moos­be­wach­se­nen Wald die Quelle der Loue, die Cour­bet immer und immer wie­der gemalt hat.

Aus der Höhle spru­delt das Was­ser, flan­kiert von den grün über­wach­se­nen Rui­nen der alten Müh­len. Zeit­los anmu­tende Stille – bis plötz­lich, wie von Gei­ster­hand her­bei­ge­zau­bert, ein Trupp jun­ger Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten auf­kreuzt. Mit schwer bela­de­nen Ruck­säcken und umge­häng­ten Sturm­ge­weh­ren posie­ren sie lachend und win­kend für das Erin­ne­rungs­foto. – Und schon sind sie wie­der weg. Eine Erschei­nung, wie aus einer ande­ren Welt.

Wei­ter geht es über nasse Fuss­wege, gesäumt von Orchi­deen und weiss blü­hen­den Sträu­chern. Tief im Tal rauscht die Loue, und wenn die Sonne durch­bricht, leuch­ten die Fel­sen und das fri­sche Grün der Blätter.

In Orn­ans besu­chen wir das Grab und das Museum des berühm­ten Malers, der von den Kunsthistoriker:innen zum Weg­be­rei­ter des Rea­lis­mus in Frank­reich gekürt wurde. Für seine Hei­mat­re­gion, der Cour­bet heute als Tou­ris­mus-Magnet dient, ein sehr will­kom­me­ner Umstand.

Er sel­ber hätte sich wäh­rend sei­ner Leb­zeit wohl gegen eine sol­che Ver­ein­nah­mung gewehrt. Der Non­kon­for­mist und beken­nende Repu­bli­ka­ner, ver­bat sich jeg­li­che Schub­la­di­sie­rung und wurde in sei­ner Hei­mat nicht immer geschätzt. 1873 musste er sogar, als Folge des Schei­terns der Pari­ser Com­mune, in die Schweiz flie­hen. Und litt die letz­ten Jahre sei­nes Lebens sehr dar­un­ter, dass er nicht in sein gelieb­tes Val­lée de la Loue zurück­keh­ren konnte.

Erst Jahr­zehnte nach sei­nem Tod wurde der nun­mehr berühmte Maler reha­bi­li­tiert – und im Rah­men der neu ent­flamm­ten Cour­bet-Ver­eh­rung und ‑Ver­mark­tung auf den hei­mi­schen Fried­hof umge­bet­tet… Auf dem Brun­nen der zen­tra­len Place Cour­bet in Orn­ans steht die zu des­sen Leb­zei­ten von der Stadt ver­schmähte Skulp­tur des nack­ten Fischer­jun­gen mit Harpune.

Mit dem Bus fah­ren wir wei­ter nach Besan­çon, wo wir einen zwei­stün­di­gen Zwi­schen­halt ein­le­gen. Der Weg vom Bahn­hof ins Stadt­zen­trum führt durch einen Park mit alten, mäch­ti­gen Bäu­men. Im Zen­trum des schön gestal­te­ten Parc de Gla­cis, am Ein­gang zum Ehren­mal für die fran­zö­si­schen Kriegs­ge­fal­le­nen, fällt unser Blick auf eine unge­wöhn­li­che Bronzestatue.

Ein über­le­bens­gros­ser Mensch, in einen lan­gen Kapu­zen­man­tel gehüllt, das Gesicht kaum zu sehen – offen­sicht­lich ein Afri­ka­ner. Unter den Fal­ten des Man­tels hält er ein Kind ver­steckt – sicht­bar ein­zig des­sen klei­nen, nack­ten und ver­letz­li­chen Füss­chen, neben den zer­beul­ten Schu­hen sei­nes Beschützers.

Eine Skulp­tur von unglaub­li­cher Kraft und Aktua­li­tät, deren Wir­kung sich die Besu­che­rin vor Ort nicht ent­zie­hen kann. «L’homme et l’enfant» heisst sie, geschaf­fen vom sene­ga­le­si­schen Bild­hauer Ous­mane Sow, wie der in den Boden ein­ge­las­se­nen Beschrif­tung zu ent­neh­men ist. Zeigt er uns einen nach Europa Geflüch­te­ten mit sei­nem Kind?

Ein paar Schritte wei­ter, im Rücken der Sta­tue, die Tri­co­lore mit in Stein gehaue­ner Glo­rie. Beson­ders auf­fal­lend die schwar­zen Ste­len, auf wel­chen in gol­de­nen Let­tern die Namen der in Nord­afrika, Indo­china und Korea «für Frank­reich» gestor­be­nen Sol­da­ten aus dem Depar­te­ment Doubs auf­ge­führt sind.

Das merk- und denk­wür­dige Ensem­ble im Parc de Gla­cis ver­folgt mich bis nach Hause. Die wei­tere Recher­ché zeigt: Die Erin­ne­rungs­stätte für die Kriegs­ge­fal­le­nen in Besan­çon wurde 2013 vom Bahn­hof­platz in den Park ver­legt. Zeit­gleich kaufte die Stadt das Werk von Ous­mane Sow, der für die Stadt zuvor bereits eine Sta­tue zur Erin­ne­rung an Vic­tor Hugo geschaf­fen hatte.

Sow sel­ber bezeich­nete sein Werk «L’homme et l’enfant» als Sym­bol der Hoff­nung… Das Scrol­len in Inter­views, Arti­kel und Bil­dern zum 2016 ver­stor­be­nen Bild­hauer aus Dakar weckt Neu­gier und Lust auf wei­tere Ent­deckun­gen und Reisen.

Etwa nach Genf, wo an der Rue du Mont Blanc, wie in Besan­çon in unmit­tel­ba­rer Bahn­hofs­nähe, ein wei­te­res Werk von Ous­mane Sow steht: «L’Immigré», 2008 vom dama­li­gen Gen­fer Stadt­prä­si­den­ten Patrice Mugny beim sene­ga­le­si­schen Künst­ler in Auf­trag gege­ben. Um ein Zei­chen für die Sans-Papiers zu set­zen und sie aus dem Ver­bor­ge­nen an die Öffent­lich­keit zu holen…

Der sene­ga­le­si­sche Künst­ler wollte auch mit die­sem Auf­trag ein Zei­chen der Hoff­nung set­zen – und hat eine Skulp­tur geschaf­fen, die wenig gemein hat mit unse­rem Kli­schee­bild der Sans-Papiers. Nicht gebeugt und ver­äng­stigt, son­dern selbst­be­wusst und auf­recht sitzend.

Beim näch­sten Besuch in Genf heisst es für mich des­halb: Augen auf und Aus­schau hal­ten, nach dem zei­tung­le­sen­den Sans-Papiers aus Bronze. Des­sen Aus­trah­lung bis heute reine Sym­bol­kraft geblie­ben ist und mei­len­weit ent­fernt ist von der Rea­li­tät der mei­sten Sans-Papiers hierzulande.

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