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Zurück im «richtigen Leben»

Der QR-Code auf dem Handy macht eini­ges mög­lich, auf das wir im letz­ten Win­ter ver­zich­ten muss­ten. Zumin­dest vor­läu­fig. Also nut­zen wir die Gunst der Stunde! Auf zum Kul­tur­ge­nuss – mit Zer­ti­fi­kat regu­lär und light, das Handy mit prall gefüll­tem Akku auf Spar­funk­tion gesetzt, die Hand­ge­lenke bereit für far­bige Bän­deli und den Per­so­nal­aus­weis jeder­zeit griff­be­reit zur Hand. 

So rich­tig in Schwung scheint die Rück­kehr ins «rich­tige Leben» jedoch nicht zu kom­men. Ob es an den wei­ter­hin bestehen­den Kon­troll-Hür­den liegt oder an der Bequem­lich­keit der Men­schen, die sich end­gül­tig auf dem Sofa ein­ge­ni­stet haben, weil ihnen Pan­tof­fel­kino und Net­flix mitt­ler­weile voll genü­gen? Oder weil man sich ver­mehrt orga­ni­sie­ren, zer­ti­fi­zie­ren, testen und vor­anmel­den muss?

Auf alle Fälle hät­ten wir uns die früh­zei­tige online Reser­va­tion vor unse­rem Kino­be­such kürz­lich erspa­ren kön­nen: Wir waren und blie­ben die ein­zi­gen Gäste in besag­ter Vor­abend­vor­stel­lung und hat­ten den gan­zen Kino­saal für uns allein. Der Film auf der gros­sen Lein­wand war eine wohl­tu­ende Abwechs­lung zum übli­chen Com­pu­ter- und Fern­seh­kon­sum – wir haben das in vol­len Zügen genos­sen, unbe­hel­ligt von Pop­korn­knus­pe­rern hin­ter uns und ver­lieb­ten Ele­fanten­pär­chen vor uns. Aller­dings war das schon eine etwas ein­same Licht­spiel­um­ge­bung. Wir haben uns die bange Frage gestellt, ob das nun der Anfang vom defi­ni­ti­ven Ende der einst so erfolg­rei­chen Kino­kul­tur sei.

Ganz anders letzte Woche werk­tags im Kunst­mu­seum Basel: Die nicht arbei­tende Kunst­lieb­ha­be­rIn­nen­schar stand vor dem Desk in der Ein­gangs­halle Schlange, um das Zer­ti­fi­kat vor­zu­wei­sen. Die mas­kier­ten Muse­ums­mit­ar­bei­te­rIn­nen, mal vor, mal hin­ter einer Ple­xi­glas­scheibe, schos­sen um die Wette die prä­sen­tier­ten QR-Codes ab und war­fen einen pflicht­be­wuss­ten Blick auf die ID, bevor sie der Besu­che­rin, dem Besu­cher ein blaues Papier­arm­band aus­hän­digte. Erst danach konnte man wei­ter zur Kasse und schliess­lich bis in die Aus­stel­lungs­räume vor­drin­gen. Beglei­tet von mah­nen­den Pla­ka­ten die – trotz obli­ga­to­ri­schem Zer­ti­fi­kat – dazu auf­for­der­ten, «frei­wil­lig» Maske zu tragen.

Die präch­ti­gen Piss­arro-Bil­der lock­ten Besu­che­rin­nen und Besu­cher in Scha­ren, sogar mit­ten in der Woche. Und plötz­lich ist wie­der Rea­li­tät, wor­auf man eigent­lich wei­ter­hin gerne ver­zich­tet hätte: Rück­sichts­los vor den Bil­dern durch­schlän­gelnde Mit­men­schen, mit­ten im Raum mit lau­ter Stimme dis­ku­tie­rende Rent­ne­rIn­nen und mit dem Handy hek­tisch her­um­fo­to­gra­fie­rende Tro­phä­en­jä­ge­rIn­nen, denen offen­bar das lang ver­misste reale Kunst­er­leb­nis im Hier und Jetzt doch nicht genügt…

Warum sich dar­auf beschrän­ken, bloss den Augen­blick zu genies­sen, wenn man das Gebo­tene ein­fan­gen und auf dem Heim­weg mit der Ver­wandt­schaft die Bil­der von Bil­dern im Museum tei­len kann, die jene ihrer­seits bereits vor einer Woche gese­hen, geknipst und im Freun­des­kreis her­um­ge­bo­ten haben? Das gilt heut­zu­tage lei­der nicht nur für Bil­der in Museen, auch soge­nannte Musik­lieb­ha­be­rIn­nen ken­nen dies­be­züg­lich keine Scham.

Unser gest­ri­ger Kon­zert­be­such war dies­be­züg­lich ein beson­ders ärger­li­cher Tief­schlag: Ein über­sicht­li­cher Saal, rund 70 Anwe­sende, auf der Bühne ein Quin­tett, sephar­di­sche und spa­ni­sche Musik, gespielt mit alten Instru­men­ten, ohne Ver­stär­kung – das ver­spricht inti­men, berüh­ren­den Musik­ge­nuss. Doch lei­der weit gefehlt: Kaum erhebt der Sän­ger seine Stimme, greift die Har­fen­spie­le­rin in die Sai­ten, schies­sen rundum Han­dys in die Höhe, Fin­ger tip­pen auf rot leuch­tende Stopp- und Play-Tasten… Mehr noch: Da wird genu­schelt, gefuch­telt, gera­schelt und kom­men­tiert was das Zeug hält. Ein­ein­halb Stun­den Ein­tau­chen in die fei­nen Klänge der mit­tel­al­ter­li­chen Musik und sich dem Genies­sen hin­ge­ben ist unter sol­chen Umstän­den ein Ding der Unmög­lich­keit. Also am Ende des Kon­zerts die CD kau­fen und das Kon­zert daheim auf dem Sofa in Ruhe genies­sen? – Ist das die Quint­essenz aus der lang­ersehn­ten Rück­kehr ins «rich­tige Leben»?

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