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Zerstörungswut

Und plötz­lich sind sie weg… Das Unheil kün­digt sich schon Monate, zuwei­len Jahre im Vor­aus an. In Form von Bau­pro­fi­len in Vor­gär­ten und auf Dächern von schmucken und statt­li­chen Stadt­häu­sern, bei deren Anblick nie­mand mit gesun­dem Men­schen­ver­stand auf die Idee kom­men würde, sie abzureissen.

In der Regel sind nach ein paar Wochen die Pro­file weg, das Leben geht wei­ter. Und dann Schlag auf Schlag: Das Krei­schen der Ket­ten­säge. Der Baum­be­stand im Gar­ten, wäh­rend Jahr­zehn­ten her­an­ge­wach­sen, wird innert Stun­den abgeholzt.

Und wei­ter geht es, immer nach der glei­chen Methode: Um das Gelände herum ein Bau­zaun, in der Regel ver­sperrt er Sicht und Weg weit über das Grund­stück hin­aus, bis in den Stras­sen­raum. Dahin­ter fah­ren die Bag­ger auf – innert kür­ze­ster Zeit zer­stö­ren sie mit hydrau­lisch-bar­ba­ri­scher Gewalt ein bewohn­ba­res Haus, das wäh­rend Jahr­zehn­ten prä­gen­der Bestand­teil des Quar­tiers war.

Jüng­stes Bei­spiel heute Mor­gen ent­deckt, auf dem dank Son­nen­schein etwas aus­ge­dehn­te­ren Heim­weg vom Sams­tags­markt. Schock und Wut: Anstelle der edlen Villa an der Regens­berg­strasse 156 klafft ein Loch – das Haus, das alles andere als eine in die Jahre gekom­mene Ruine war, ist nicht mehr…

Ange­kün­digt hatte sich die­ser Abriss bereits im Som­mer 2023, als im Vil­len­gar­ten plötz­lich Bau­pro­file stan­den. Die Stadt hat dem geplan­ten «Ersatz­neu­bau» (ein Ren­di­te­ob­jekt mit 15 Eigen­tums­woh­nun­gen auf 5 Stock­wer­ken) im zwei­ten Anlauf die Bau­be­wil­li­gung erteilt, mit der Fest­stel­lung, die Aus­nüt­zung sei um 40 m2 zu hoch.

Ein­spra­chen und Rekurse der Nach­bar­schaft haben nichts genützt: Die For­leo Immo­bi­lien und Ent­wick­lungs AG, wel­che Eigen­tü­me­rin der Par­zelle ist, hat von den Zür­cher Behör­den grü­nes Licht erhal­ten für die Zer­stö­rung der schö­nen Villa und den Bau eines neuen Blocks, der mit sei­ner Kuba­tur und Masse nicht ins Quar­tier passt und des­sen Charme zer­stört. Über diese Tat­sa­che kann auch die raf­fi­nier­te­ste Visua­li­sie­rung nicht hinwegtäuschen.

Hinzu kommt, dass mit der Aus­nüt­zung der gesam­ten Par­zelle bis auf den letz­ten Qua­drat­zen­ti­me­ter (und in die­sem Fall sogar noch dar­über hin­aus) wert­vol­ler Grün­raum ver­be­to­niert und ver­sie­gelt wird. Der einst gross­zü­gige Gar­ten der Villa ver­schwin­det auf alle Zeit.

Stadt­grün Zürich gibt Mil­lio­nen aus, um in der gan­zen Stadt neue Grün­flä­chen im Brief­mar­ken­for­mat anzu­le­gen und magere Bäum­chen in Asphalt­wü­sten zu stecken. Doch all die teu­ren Mass­nah­men kön­nen den Sub­stanz­ver­lust durch die vie­len zer­stör­ten Pri­vat­gär­ten nicht kom­pen­sie­ren. Die Abnahme der Kro­nen­flä­che in der Stadt Zürich betrug allein im Zeit­raum 2018 bis 2022 rund 94 Hektaren. Und es geht weiter…

Auf der Web­site des Pro­jekts an der Regen­bs­berg­strasse 156, mit der die Immo­bi­li­en­firma ihren Neu­bau anpreist, lässt des­sen Archi­tekt Andreas Gaba­t­huler ver­lau­ten, weil die Bau­ord­nung heute mehr Volu­men zulasse, sei es nicht ver­wun­der­lich, «dass ältere Lie­gen­schaf­ten mit ver­gleichs­weise gros­sem Grund­stück nicht mehr auf­wen­dig reno­viert wer­den, um die heu­ti­gen Anfor­de­run­gen zu erfül­len, son­dern durch Neu­bau­ten mit zeit­ge­mäs­sen Woh­nun­gen ersetzt wer­den. So ent­steht Stadt, wo frü­her ein Dorf war.»

Mit Ver­laub: Mit dem Abriss einer histo­ri­schen Stadt­villa wird hier ohne Not ein Stück Stadt ver­nich­tet. Die unge­brem­ste Zer­stö­rung von bestehen­der, soli­der Bau­sub­stanz und Grün­räu­men wider­spricht den heu­ti­gen Anfor­de­run­gen an kli­ma­ge­rech­tes Bauen – auch wenn pro­fit­ori­en­tierte Bau­herr­schaf­ten bis heute ohne rot zu wer­den das Gegen­teil behaupten.

Die Ver­mark­tungs­agen­tur Bla­ser und Grae­ni­cher wirbt der­zeit auf allen Kanä­len für den klot­zi­gen Neu­bau, dem man den Namen ORE ver­passt hat – wohl nicht zuletzt, um auch eine inter­na­tio­nale Kund­schaft anzu­spre­chen. Kurz nach Bau­be­ginn schal­tete sie das Inse­rat: «Im «ORE» – an bester Lage in Oer­li­kon – ent­ste­hen ins­ge­samt 15 fan­ta­sti­sche 2 ½ – 4 ½‑Zim­mer-Eigen­tums­woh­nun­gen. Noch sind ein paar Woh­nun­gen verfügbar.»

«ORE – Das bedeu­tet auch solide Bau­qua­li­tät und sinn­vol­ler Umgang mit Öko­lo­gie und Nach­hal­tig­keit. Freuen Sie sich auf ein Zuhause im Miner­gie-Stan­dard, mit Erd­son­den­hei­zung, Free­coo­ling, Pho­to­vol­taik und Park­plät­zen mit Anschluss­mög­lich­kei­ten für Lade­sta­tio­nen», ist auf der Promo-Web­site wei­ter zu lesen.

Eine sol­che «Traum­woh­nung an bester Lage in Oer­li­kon», wie es in der Wer­bung heisst, kommt aller­dings nur für Gut­be­tuchte infrage: Die Preise für die 2,5 und 3,5‑Zimmerwohnungen mit Grund­flä­chen von 79 bis 91 Qua­drat­me­tern, die aktu­ell noch zum Ver­kauf ste­hen, bewe­gen sich zwi­schen 1,68 und 1,9 Mil­lio­nen Franken.

Keine schöne Besche­rung! Wer aber meint, das sei es gewe­sen, an die­sem Sams­tag – weit gefehlt…

Am Nach­mit­tag, auf unse­rem zwei­stün­di­gen Spa­zier­gang über den Höng­ger­berg ent­decken wir, ohne danach gesucht zu haben, min­de­stens ein hal­bes Dut­zend wei­tere Wohn­ge­bäude, deren Lebens­dauer eigent­lich noch längst nicht abge­lau­fen wäre, deren Abriss aber ange­kün­digt oder bereits in vol­lem Gang ist…

Unwei­ger­lich stellt sich die Frage: Ist das nur in der Region Zürich so? Wo Woh­nungs­not vor­ge­scho­ben wird, um unge­hemmt zu zer­stö­ren und Ren­di­te­ob­jekte hoch­zu­zie­hen? – Das System ver­nich­tet ohne Ende unnö­tig graue Ener­gie und gebiert Zer­stö­rung. – Hoch lebe die Verschwendungswirtschaft!

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