Das Morden in Gaza hört nicht auf. Tag für Tag neue Horrormeldungen. Bei uns sind sie zu Randnotizen geworden – das Leiden in Gaza ist hierzulande keine Schlagzeilen mehr wert.
Gut haben wir heute per Internet Zugriff auf ausländische Medien, die über die täglichen israelischen Massaker im nahöstlichen Kriegsgebiet berichten. BBC, CNN, Al Jazeera oder der Newsticker des Bayrischen Rundfunks BR24 bieten eine breite, aufschlussreiche Auflistung der dortigen Ereignisse.
Aus Gaza berichteten die genannten Medien übereinstimmend, dass am Sonntag, 15. Dezember, über 50 Menschen durch israelische Luft- und Bodenangriffe auf das Flüchtlingslager Al Nuseirat im Zentrum von Gaza ermordet wurden. Darunter zahlreiche Kinder, ein 39jähriger Kameramann von Al Jazeera sowie fünf Mitarbeitende des palästinensischen Zivilschutzes.
Am Montag, 16. Dezember feuerten israelische Soldaten auf eine zu einer Flüchtlingsunterkunft umfunktionierte Schule in Chan Junis und tötete 20 Menschen, darunter wie immer Kinder.
Am gleichen Tag tötete die israelische Armee erneut in Nuseirat – unter den Opfern Khaled Nabhan, der laut Augenzeugen nach einem Panzerangriff anderen Menschen zu Hilfe geeilt war. Er hatte bereits vor über einem Jahr durch die israelischen Angriffe sein Heim und enge Angehörige verloren – trotzdem gab er nicht auf und half, wo immer er konnte, berichten Überlebende.
Israelische Bomben hatten bereits im November 2023 zwei von Khaleds Enkelkindern – die dreijährige Reem und ihren zwei Jahre älteren Bruder Tarek – im Schlaf getötet. Die CNN-Reportage, die das Leid der Familie und den Abschied des Grossvaters von seiner geliebten Enkelin dokumentierte, ging damals um die Welt.
Jetzt haben die Israelis auch den Grossvater umgebracht. Und es hört nicht auf. Mittlerweile sind über 45’000 Menschen in Gaza getötet wurden, die Zahl der Verletzten und Verstümmelten wird schon lange nicht mehr genannt. Sie dürfte noch um einiges höher liegen.
Nach 14 Monaten Krieg in Gaza sind Zerstörung, Hunger und Tod allgegenwärtig. In dieser Situation leisten die Vereinten Nationen durch die UNRWA unverzichtbare Hilfe, auch wenn deren Arbeit durch die prekäre Sicherheits- und Versorgungslage sowie ständige Behinderungen durch Israel stark eingeschränkt ist.
Damit könnte bald Schluss sein: Israel will die UNRWA ab Januar 2025 aus Israel verbannen. Auch aus dem widerrechtlich israelisch besetzten Ostjerusalem, wo anstelle der einstigen UNRWA-Niederlassung Wohnungen für Siedler gebaut werden sollen.
Werden die von der Knesset im Oktober verabschiedeten Gesetze tatsächlich umgesetzt, muss das UN-Palästinenserhilfswerk seine Arbeit einstellen, weil die Versorgung der Kriegsopfer nur über das an Gaza grenzende Gebiet zu leisten ist.
Um dies zu verhindern, hat die UNO am 11. Dezember mit überwältigender Mehrheit eine Resolution verabschiedet, die verlangt, dass die UNRWA künftig ohne Einschränkungen und Behinderungen ihre Arbeit verrichten kann. Der Schweizer UNRWA-Direktor Philippe Lazzarini ist unermüdlich unterwegs und versucht, die Blockade des Hilfswerks abzuwenden.
Eigentlich dürfte man erwarten, dass die Spitzenpolitiker:innen seines Heimatlandes ihren Mann bei der UNO nach Kräften unterstützen würden. Davon ist jedoch leider nichts zu spüren. Im Gegenteil: Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis rührt keinen Finger und hält sich bedeckt, wenn es darum geht, Lazzarini den Rücken zu stärken. Und im Schweizer Parlament gefällt sich eine schäbige Mehrheit weiterhin darin, unsere Zahlungen an die UNRWA zu blockieren.
Auch die Schweizer Medien bieten SVP-Hinterbänklern und Mitgliedern der israelgesteuerten Parlamentariergruppe Schweiz-Israel lieber eine Plattform, um gegen die UNRWA zu hetzen, statt Lazzarini zu befragen.
Am 12. Dezember war der UNRWA-Direktor Gast in der Sendung von CNN-Frau Christiane Amanpour. Dort appellierte er im Interview mit deutlichen Worten an die Welt und sagte, wenn wir die kollektive Verantwortung für die Menschen in Gaza wahrnehmen wollen, müsse die Hilfe vor Ort aufgestockt und nicht weiter geschwächt werden.
Die UNRWA sei in diesem Krieg ein Bauernopfer, so Lazzarini weiter. Hinter der israelischen Desinformationskampagne, welche die UNRWA des Terrorismus beschuldigt, stecke letztendlich ein politisches Ziel: Israel will den Flüchtlingsstatus von Palästinenser:innen und damit deren Recht auf eine Rückkehr in die Heimat ihrer Vorfahren ein für alle Mal eliminieren.
Auf die aktuelle Situation in Gaza angesprochen, zeichnet Lazzarini ein düsteres Bild: Hunger sei ein grosses und zunehmendes Problem. Die Versorgung der leidenden Bevölkerung durch die UNRWA sei wegen der prekären Sicherheitslage in vielen Fällen nicht möglich.
Als Folge der äusserst schwierigen Bedingungen nehmen in Gaza Gewalt und Kriminalität zu. Lazzarini erwähnt einen Konvoi von 70 Lastwagen mit Hilfsgütern, der von verzweifelten Menschen und bewaffneten Gruppen überfallen wurde, während die Israeli gleichzeitig mit einem Drohneneinsatz über 20 Menschen töteten.
Amanpour und Lazzarini sprechen im Interview von einem «Doppelten Standard» in Bezug auf den Wert von Menschenleben in den aktuellen Kriegsgebieten. Der norwegische Aussenminister Espen Barth Eide brachte es kürzlich in Doha anlässlich einer Paneldiskussion genauso auf den Punkt:
«Wir stehen vor der Tatsache, dass ein Teil der Welt zu Recht den russischen Angriff auf die Souveränität der Ukraine kritisiert, aber bei Gaza kleinlaut bleibt. Basierend auf den gleichen Prinzipien kritisiert ein anderer Teil der Welt Israels Vorgehen in Gaza, bleibt aber in Bezug auf die Ukraine zurückhaltend. Ich stehe in beiden Fällen für die gleichen Prinzipien ein: Ich verlange, dass sich Russland in der Ukraine korrekt verhält und ich verlange die Anwendung von internationalem humanitärem Recht in Gaza.»
Am Ende des Interviews kommen Christiane Amanpour und Lazzarini noch einmal auf das drohende UNRWA-Verbot zu sprechen. «Es wäre ein totales Desaster», sagt Lazzarini. Vor allem auch, weil dadurch Hunderttausenden von Kindern in Gaza, die schwer traumatisiert, buchstäblich in Trümmern leben, auf lange Sicht die Rückkehr in eine schulische Ausbildung verunmöglicht würde.
Der einzige Weg, die UNRWA zu ersetzen, so Lazzarini, sei die Schaffung von palästinensischen Institutionen resp. einem palästinensischen Staat, welcher die Aufgaben und Dienstleistungen übernehmen kann, die heute vom Palästinenserhilfswerk der UNO erbracht werden.
Ein Ziel notabene, für das sich kürzlich sogar der Schweizer Aussenminister Cassis vor der UNO ausgesprochen hat. Er hat es gleichzeitig aber tunlichst vermieden, sich mit aller Kraft auch in der Schweiz für die UNRWA einzusetzen und dafür zu sorgen, dass den Lippenbekenntnissen auch Taten folgen.
Eine Schande von historischem Ausmass. Spätere Generationen werden die Politik von Alfred Heer, SVP, und anderen Gegnern der UNRWA mit Abscheu zur Kenntnis nehmen.