«Der Deal ist da», titelte die Süddeutsche Zeitung am 15. Januar 2025. Nach Wochen und Monaten des Mordens, der Zerstörung und des Aushungerns der palästinensischen Bevölkerung in Gaza, schaffte es Donald Trump noch vor seinem offiziellen Amtsantritt, die Hamas und Israel zu einem Waffenstillstand zu zwingen.
Der langersehnte Durchbruch? Ein erster Schritt zum Frieden? Kaum. Seither wissen wir nämlich: Trump hat die zuvor von Biden gestoppten Waffenlieferungen an Israel umgehend freigegeben. Nachschub an Kriegsmaterial aus den USA ist Israel also auch künftig gewiss.
Immerhin verschaffte das Waffenstillstands-Abkommen den Menschen in Gaza einen Moment des Aufatmens. Nach 15 Monaten tagtäglicher Bombardierungen, Beschiessungen von Kämpfern und Zivilbevölkerung, verbunden mit unablässigen Vertreibungen endlich etwas Ruhe. Dringend notwendige Lieferungen am Allernotwendigsten konnten nach Monaten endlich in grösserem Stil die hungernden, traumatisierten Menschen erreichen und Nothilfe bringen. Und ja, endlich wurden wieder israelische Geiseln freigelassen, sowie in Israel eingesperrte palästinensische Gefangene…
Zwei Tage nach Ausrufung der fragilen Waffenruhe im Gazastreifen, lancierte die israelische Regierung im Westjordanland die Operation «Eiserne Wand»: Jetzt waren die von Israel seit Jahrzehnten widerrechtlich besetzten Gebiete dran.
Zuvor in Gaza operierende Einheiten der israelischen Armee IDF jagen seither mit den gleichen Methoden die Menschen in der Westbank. Die Flüchtlingslager von Jenin und Tulkarem wurden in den letzten Wochen dem Erdboden gleichgemacht und zahlreiche Menschen ermordet; es kam zu Massenverhaftungen. Diese Woche wurde bekannt, dass Israel im Westjordanland auch wieder Panzer einsetzt.
Schon vor dem ominösen 7. Oktober 2023 hatte die angestammte Bevölkerung im Westjordanland unter apartheidsähnlichen Zuständen leben müssen. Nun ist die Situation noch unerträglicher geworden. Der Vergleich mit Gestapomethoden drängt sich auf. Die israelischen Besetzer funktionieren im Westjordanland rücksichtslos, ohne rechtsstaatliche Normen, wie sie bei uns gelten.
Diese erneuten massiven Menschenrechtsverletzungen, auch diesmal unter dem Vorwand der «Terrorbekämpfung», werden in den Schweizer Medien kaum thematisiert. Und wenn, dann nur am Rande.
Stattdessen sorgte die menschenverachtende Inszenierung der Geisel-Übergabe durch die Hamas für fette Schlagzeilen. Da blieb in den sogenannten Qualitätsmedien kein redaktioneller Platz für die neue Welle der Gewalt der israelischen Soldateska im Westjordanland, die unter dem Banner der Terrorbekämpfung auch immer wieder Kinder, Ärzt:innen und alte Menschen tödlich trifft.
Mit der Erstürmung der Flüchtlingslager von Tulkarem und Nablus haben die IDF erneut 40’000 Menschen in die Flucht getrieben. Diese sollen nicht mehr zurückkehren können, dafür sorgt die israelische Armee, indem sie alles plattmacht und jedem, der versucht, trotzdem sein Haus (oder was davon übrig geblieben sit) zu erreichen, mit Erschiessung droht.
Die Welt schaut zu, oder weg. Trump hat nach seinem Amtsantritt Netanyahu als einen seiner ersten Gäste im Weissen Haus empfangen. Und bei dieser Gelegenheit verkündet, die USA würden das zerstörte Gaza übernehmen und in eine «Riviera des Ostens» verwandeln. Natürlich ohne Palästinenser:innen, die man zu diesem Zweck in die umliegenden Länder umsiedeln könne…
Nachdem Trump zuvor schon angekündigt hatte, er wolle sich Panama und Grönland unter den Nagel reissen, war Gaza bereits die dritte Annektionsankündigung, mit der Kettensäge-Trump die Welt in Atem hält. Während die arabischen Nachbarländer umgehend vehement Protest einlegten, zuckte man in Europa milde die Schultern: Eine weitere Schnapsidee des Trumpeltiers, hiess es. Völlig unrealistisch und nicht ernst zu nehmen.
Trumps Ansprüche auf Gaza und seine Vorschläge hätten in Israel rundum politischen Zuspruch erhalten, sagt der israelische Filmemacher und Journalist Yuval Abraham. Trumps Vision werde in seinem Land kaum von jemandem hinterfragt: «In Israel drehen sich die Diskussionen einzig um die Frage, ob und wie der Plan umsetzbar wäre…»
Abraham und sein Kollege Basel Adra, Co-Autoren des preisgekrönten Dokumentarfilms «No other Land», haben Mitte Februar im Rahmen eines Webinars über die aktuelle Situation im Westjordanland und in Israel berichtet. Aus erster Hand und erschütternd: Die andauernden gewaltsamen Übergriffe von Siedlern sowie die Zerstörungs- und Vertreibungsaktionen durch die IDF, die sie in ihrem vor dem 7. Oktober produzierten Film dokumentieren, sind seither weiter eskaliert.
«Heute war ein sehr harter Tag – die israelischen Bulldozer haben gleich drei über 100jährige Häuser zerstört und ihre Bewohner:innen vertrieben – manche haben innerhalb der letzten sechs Jahre schon zum xten Mal ihr Heim verloren», erzählt Basel Adra.
Während des Drehs für den Film über die langjährige Besatzung und Vertreibung der Palästinenser:innen aus dem Dorf Masafer Yatta hätten sie sich niemals träumen lassen, dass es noch schlimmer kommen könnte, fassen die beiden FiImemacher zusammen. Mittlerweile sei die Situation für die Aktivist:innen noch gefährlicher geworden. Die Menschen seien müde, hätten kein Auskommen mehr, viele würden ihren langjährigen Widerstand aufgeben und wegziehen.
«Die Zukunft sieht düster aus», sagt Basil, um gleich anzufügen: «Ich hoffe, dass ich mich täusche, aber… Ich fühle mich schwach, mache aber trotzdem weiter. Weil ich weiss, dass es das Richtige ist.»
Aus Schweizer Medien erfahren wir kaum etwas von diesem «Richtigen». Israel hat weiterhin einen Blankocheck für Menschenverfolgung und Vertreibung. Das schluckt die Élite unserer Publizistikbranche schulterzuckend.
Der tägliche Wahnsinn in der Westbank – ein aufschlussreicher Artikel dazu im Guardian vom 1. März 2025:
Danke, Gabi.