Skip to content

Viel Schatten und ein Hoffnungsschimmer

Die Bedin­gun­gen, unter wel­chen ein Gross­teil der Men­schen in Afgha­ni­stan lebt, kön­nen wir uns schlicht und ein­fach nicht vor­stel­len. Nach Jah­ren der Hoff­nung, sind es nun bald vier Jahre, dass die Tali­ban am Hin­du­kusch erneut die Allein­herr­schaft haben. Mit dra­sti­schen, ja töd­li­chen Fol­gen – beson­ders für Men­schen, die sich für Frauen- und Men­schen­rechte engagier(t)en.

Als west­li­che Sol­da­ten, Regierungsvertreter:innen und Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen im Som­mer 2021 hals­über­kopf Afgha­ni­stan ver­lies­sen, haben sie die afgha­ni­sche Bevöl­ke­rung im Stich gelas­sen. Wis­send, dass aus­ge­rech­net jene Men­schen, die mit ihnen zusam­men­ge­ar­bei­tet, sich für Gleich­be­rech­ti­gung und Men­schen­rechte ein­ge­setzt hat­ten, unter dem Tali­ban-Régime beson­ders gefähr­det sind.

Zur eige­nen Gewis­sens­be­ru­hi­gung ver­sprach man die­sen Men­schen, dass ihnen im Westen Asyl gewährt wer­den würde. Zumin­dest solange, bis eine Rück­kehr nach Afgha­ni­stan ohne Gefähr­dung der per­sön­li­chen Sicher­heit mög­lich ist.

Die Umset­zung des Ver­spre­chens kam jedoch nur schlep­pend voran. Anfang Jahr hoff­ten noch immer 200’000 gefähr­dete und zurück­ge­las­sene Afghan:innen, im Rah­men des von der US-Regie­rung ange­bo­te­nen CARE-Pro­gramms in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten aus­rei­sen zu kön­nen. Mit dem Amts­an­tritt von Donald Trump wurde diese Per­spek­tive bru­tal zer­stört, er hat das Pro­gramm umge­hend gestoppt.

Das Glei­che droht nun auch jenen Afghan:innen, die im Rah­men des Bun­des­auf­nah­me­pro­gramms BAP in Deutsch­land hät­ten Zuflucht fin­den sol­len. Statt wie ver­spro­chen monat­lich 1000 ver­folgte Men­schen aus Afgha­ni­stan auf­zu­neh­men, gelang­ten auf die­sem Weg in den letz­ten zwei Jah­ren nicht ein­mal 2000 gefähr­dete Per­so­nen nach Deutschland.

Aktu­ell war­ten in Paki­stan wei­tere 2600 Afghan:innen auf die Reise nach Deutsch­land. Sie alle ver­fü­gen über eine ver­bind­li­che Zusage von Sei­ten der bis­he­ri­gen deut­schen Regie­rung. Für die Abwick­lung der not­wen­di­gen For­ma­li­tä­ten und die von den deut­schen Behör­den auf­er­leg­ten dop­pel­ten Sicher­heits­checks muss­ten sie nach Paki­stan rei­sen, wo sie nun schon seit Mona­ten aus­har­ren, und immer wie­der von neuem hoffen.

Doch die Per­spek­ti­ven sehen düster aus: Von Sei­ten der CDU/​CSU wird Druck gemacht, das BAP umge­hend zu stop­pen und keine wei­te­ren Afghan:innen nach Deutsch­land zu flie­gen. Dies, obschon Deutsch­land gegen­über den ver­folg­ten Afghan:innen, die bereits eine Aus­reise-Zusage erhal­ten haben, damit wort­brü­chig würde.

Gestern Mitt­woch lan­dete nach län­ge­rer Pause end­lich wie­der ein Char­ter­flug aus Paki­stan in Leip­zig. An Bord, 140 gefähr­dete Afghan:innen, die im Rah­men des BAP in Deutsch­land Auf­nahme gefun­den haben. Im April sol­len noch zwei wei­tere Flüge durch­ge­führt wer­den. Diese wer­den aber, im Rah­men einer poli­tisch und medial getrie­be­nen Hetz­kam­pa­gne gegen Afghan:innen und die Auf­nahme von Flücht­lin­gen, ins­be­son­dere auch aus Krei­sen der CDU/​CSU, hef­tig kritisiert.

Die Situa­tion für Tau­sende in Paki­stan gestran­dete Afghan:innen, die dar­auf ver­traut haben, in die USA, nach Deutsch­land oder in ein ande­res siche­res Land im Westen aus­rei­sen zu kön­nen, ist dra­ma­tisch. Dies umso mehr, weil Paki­stan seit Ende März afgha­ni­sche Flücht­linge, die in ein Dritt­land wei­ter­rei­sen woll­ten und über kein gül­ti­ges Visum mehr ver­fü­gen, zurück nach Afgha­ni­stan deportiert.

Um dies wenig­stens für einige der am stärk­sten gefähr­de­ten Frauen zu ver­hin­dern, hat die däni­sche Men­schen­rechts­ak­ti­vi­stin Nadja Muller am 6. Februar 2025 auf change​.org eine Peti­tion gestar­tet, mit der die paki­sta­ni­sche Regie­rung auf­ge­for­dert wird, 60 afgha­ni­sche Frau­en­rechts-Akti­vi­stin­nen vor der dro­hen­den Abschie­bung zu retten.

Da man davon aus­ge­hen musste, dass sich die paki­sta­ni­sche Regie­rung von einer sol­chen Aktion nicht beein­drucken lässt, haben sich die Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen Heart­Work, Avaaz, Udhara und Food for Thought Afgha­ni­stan zusam­men­ge­tan, um aktiv nach einer Lösung für die 60 bedroh­ten Frauen und ihre Fami­lien zu suchen.

Nach­dem ver­schie­dene Ver­su­che geschei­tert waren, Län­der wie Kanada, Däne­mark und wei­tere west­li­che Staa­ten zu einer Inter­ven­tion bei der paki­sta­ni­schen Regie­rung und zur Auf­nahme der Flücht­linge zu bewe­gen, rückte die Option einer Flucht nach Bra­si­lien in den Fokus: Seit dem 1. März gibt es dort ein neues Gesetz, das afgha­ni­schen Flücht­lin­gen die Ein­reise mit einem huma­ni­tä­ren Visum ermöglicht.

Dies unter der Vor­aus­set­zung, dass die Rei­se­ko­sten sowie der Unter­halt für das erste Jahr in Bra­si­lien finan­ziert sind. Auch das wer­den die unent­weg­ten Helfer:innen rund um Nadja Muller noch stem­men, wie erste gross­zü­gige Spen­den zei­gen, für die mitt­ler­weile eine Zusage vorliegt.

Das alles war kein Selbst­läu­fer, wie Muller in ihrem jüng­sten Update zur Not­hil­fe­ak­tion zusam­men­fasst: Unzäh­lige schlaf­lose Nächte, Feu­er­wehr­ak­tio­nen, um Dro­hun­gen abzu­weh­ren, Abschie­bun­gen zu ver­hin­dern – Chaos, Zusammenbrüche…

Allen Schwie­rig­kei­ten zum Trotz, zieht Nadja Muller gut zwei Monate nach der Lan­cie­rung ihrer Peti­tion eine posi­tive Bilanz: 60 afgha­ni­schen Men­schen­rechts­ak­ti­vi­stin­nen und ihren Fami­lien steht der Weg nach Bra­si­lien offen. Dies, dank gemein­sa­mem Enga­ge­ment von ver­schie­de­nen Basis­or­ga­ni­sa­tio­nen und zahl­rei­chen Helfer:innen, die sich für die Flücht­linge ein­ge­setzt haben.

Nadja Muller weiss aber auch, dass dies erst der Anfang war. Nun gehe es darum, die Frauen auch nach ihrer Ankunft in Bra­si­lien wei­ter zu unter­stüt­zen – bei der Inte­gra­tion, mit recht­li­cher Betreu­ung, bei der Ver­ar­bei­tung ihrer Trau­ma­tas, mit Lobbyarbeit…

Sie schliesst ihren Bericht mit einem Auf­ruf, der Mut macht:

Die Welt braucht nicht noch mehr Zuschauer.
Sie braucht Menschen, die bereit sind, das naheliegend Richtige zu tun.
Die sehen, was direkt vor ihnen ist - und ja dazu sagen.
Ja zu Freundlichkeit statt Rechthaberei.
Ja zum Mut, wenn Angst aufkommt.
Ja, um willkommen zu heissen, statt sich abzuwenden.
Ja dazu, Frieden zu schaffen, statt nur darüber zu reden.
Es ist möglich. Das ist der Beweis.

Der Link zur Peti­tion: https://​www​.change​.org/​p​/​s​a​v​e​-​6​0​-​a​f​g​h​a​n​-​w​o​m​e​n​-​l​e​a​d​e​r​s​-​f​r​o​m​-​i​m​m​i​n​e​n​t​-​d​e​p​o​r​t​a​t​i​o​n​-​s​a​v​e​a​fghanwomen

Und ein berüh­ren­des Por­trät über ein jun­ges afgha­ni­sches Paar, das auf Ret­tung hofft(e): 


Die Schweiz und Afghanistan

Im August 2021 hatte auch die Schweiz ihre Nie­der­las­sung in Afgha­ni­stan – das Büro der Direk­tion für Ent­wick­lung und Zusam­men­ar­beit in Kabul – geschlos­sen und ihr Per­so­nal eva­ku­iert. Dazu gehör­ten auch 38 afgha­ni­schen Mitarbeiter:innen und ihre Kern­fa­mi­lien. Sie erhiel­ten im Rah­men des UNO-Resett­le­ment-Kon­tin­gents in der Schweiz Asyl. Dabei han­delte es sich gerade mal um 219 Personen.

Der dama­lige Appell des UNO-Flücht­lings­hilfs­werks UNHCR an die Schweiz, ange­sichts der Not­si­tua­tion in Afgha­ni­stan, mehr Men­schen auf­zu­neh­men und ihr bestehen­des Resett­le­ment-Kon­tin­gent zu erhö­hen sowie die For­de­rung von SP und Grü­nen nach der Auf­nahme von 10’000 gefähr­de­ten Afgha­nin­nen und Afgha­nen Asyl in der Schweiz, hat­ten in Bern keine Chance. Bis heute ver­hall­ten sämt­li­che Appelle auch von Orga­ni­sa­tio­nen wie der Schwei­zer Flücht­lings­hilfe oder Amne­sty Inter­na­tio­nal für ein stär­ke­res Enga­ge­ment der Schweiz zugun­sten gefähr­de­ter Afghan:innen ohne Wirkung.

Im Dezem­ber 2022 hatte die dama­lige Justiz­di­rek­to­rin Karin Kel­ler Sut­ter sogar das bestehende Resett­le­ment-Pro­gramm des UNHCR, wonach die Schweiz 2022/​2023 ein Kon­tin­gent von 1600 Flücht­linge auf­neh­men sollte, gestoppt: Die Schweiz sei auf­grund der ange­spann­ten Situa­tion im Asyl­we­sen nicht in der Lage, ihren dies­be­züg­li­chen Ver­pflich­tun­gen nach­zu­kom­men, hiess es. Obschon der Bun­des­rat für die Jahre 2024/​2025 auf die­sen Ent­scheid zurück­ge­kom­men ist und sich bereit erklärt hatte, in die­sem Zeit­raum wie­derum 1600 «beson­ders schutz­be­dürf­tige Flücht­linge» auf­zu­neh­men, bleibt das Pro­gramm bis heute sistiert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir benutzen Cookies um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.