Es war mein erster Besuch im Chipperfieldbau. Nach meinem vergeblichen Nein bei der Abstimmung über den Investitionskredit anno 2012 habe ich das protzige Gebäude am Zürcher Heimplatz boykottiert. Als mein privater, stiller Protest gegen den hochgejubelten Museumsklotz mit seinem vergifteten Inhalt.
Nachdem die neu designte Ausstellung der Bührle-Sammlung wiederum für Schlagzeilen gesorgt hatte, obsiegte in mir jedoch die Historikerinnen-Neugier: Wie präsentiert das Kunsthaus nun, nach der massiven Kritik der letzten Jahre, die vom Waffenhändler Emil G. Bührle mit Gewinnen aus seinen Kriegsgeschäften zusammengekaufte Kunstsammlung und deren Geschichte?
So kam es, dass ich mich an einem Donnerstagnachmittag Mitte Dezember mit meiner Freundin aus Zeiten des gemeinsamen Geschichtsstudiums vor dem Kunsthaus verabredete:
Gespannt betreten wir das Haus der Kunstanbetung durch die hohe, schwere Tür, die sich wie von Geisterhand öffnet.
Nach Ticketkauf und Garderobe Deponierung unserer Taschen schreiten wir zielstrebig zur grossen Treppe. Eine nette Dame kontrolliert mit Adleraugen unsere Zutrittskleber und weist uns darauf hin, dass es im zweiten Obergeschoss, gleich gegenüber der Bührle-Sammlung, ein neu ausgestelltes Kunstwerk zu bewundern gebe – dies sollten wir keinesfalls verpassen.
Doch zuerst die Bührle-Sammlung und deren Geschichte. Wir tauchen ein, vertiefen uns in Texte und Video-Statements rund um die Provenienz der gezeigten Kunstpreziosen und dem daraus entstandenen Zwist. Überall abrufbar auch die Informationen, wann Bührle was von wem und zu welchem Preis gekauft hat.
Dürre Fakten, die weitere Fragen wecken. Antworten suchen wir vergeblich. Wie kam es etwa, dass Bührle in den 1950er Jahren eine Reihe von Bildern, die als Raubgut eingestuft worden waren und die er deshalb den Erben der vormaligen Besitzer:innen restituieren musste, wieder zurückkaufen konnte?
Von Interesse wäre auch, mehr zu erfahren über die Rolle der verschiedenen Mittelsmänner und Kunsthändler, sowie über die mit der Bührle-Sammlung verknüpfte Politik der Zürcher Stadt- und der Schweizer Landesregierung. Letztere hat in den 1950er Jahren durch Reparationszahlungen eine erfolgreiche Fortsetzung von Bührles internationalen Waffengeschäften überhaupt erst ermöglicht..
Von Ausstellungsraum zu Ausstellungsraum wird immer deutlicher: Emil G. Bührle war ein skrupelloser, kalt berechnender Geschäftsmann. Ab den 1930er Jahren hat er sein «Mäzenatentum» im Kunstbereich gezielt dafür eingesetzt, sich einen Platz in der Zürcher Gesellschaft zu erkaufen. Mit Erfolg.
Allerdings hat dies nur funktioniert, weil die Begünstigten – in diesem Fall die Zürcher Kunstgesellschaft – dem geschenkten Gaul des Herrn Bührle nicht ins Maul schauen wollten und freudig zugriffen. Geld und Prestige war alles, was zählte. Das gilt bis heute, in diesem Haus. Darüber können auch die aktuellen Bemühungen um Schadensbegrenzung in Bezug auf die umstrittene Sammlung nicht hinwegtäuschen.
Nach drei intensiven Stunden in historisch aufgeheiztem impressionistischem Umfeld im zweiten Obergeschoss schweift unser Blick hinunter ins Foyer. Dort wird offenbar eine Installation vorbereitet: In der Mitte eine Riesentafel mit gecrashtem Eis, auf welcher ein stämmiger junger Mann Auster um Auster drapiert. Links davon ein zweiter Tisch mit grünen Flaschen und Dutzenden von Gläsern, schliesslich rechts davon ein dritter mit Buttertürmen und Broten. Joseph Beuys 4.0.zh?
Wir eilen hinunter, wollen wissen, um was es da geht. «Für Raphi», lautet die einsilbige Antwort des Mannes vom Austern-Tisch. Aus der Nähe können wir uns vergewissern: Sie sind tatsächlich echt! Wie auch die Butter, das Brot, die Crémant-Flaschen.
Was wir hier gerade miterleben ist die Vorbereitung einer Vernissage der Zürcher Kunstgesellschaft. Genauer gesagt, eine ephemere Kulinarik-Installation. Butterfett statt Beuysfett. Anlass ist der Ankauf eines Werks des Schweizer Künstlers Raphael Hefti. Es ist jenes, dessen Betrachtung man uns heute Nachmittag ans Herz gelegt hat. Benommen vor lauter Bührle hatten wir das ganz vergessen…
Also noch einmal hinauf, in den zweiten Stock zu Raphael Heftis proveniezforschungsfreier Leucht-Kunst. Schliesslich wollen wir uns den Sammlungs-Neuzugang am Tag seiner Vernissage nicht entgehen lassen, wo wir nun schon mal da sind!
Weit kommen wir allerdings nicht: Vor dem Eingang des Ausstellungssaals stehen vier Aufseherinnen. Kein Eintritt! – Zutritt nur noch für geladene Gäste. – Dies, obschon es gerade erst 18 Uhr ist, und das Museum an diesem Donnerstag bis 20 Uhr fürs Publikum offen ist.
Derweil strömen die Eingeladenen, die really very important People, ins Foyer. Gestylt, parfümiert, kontrolliert extravagant. Man kennt sich, man grüsst sich – und dann beginnt die Speisung der Vernissagegesellschaft. Es hat, solange es hat: Ein Glas Crémant in der Hand, werden die ersten Austern geschlürft, Komplimente ausgetauscht, scheele Blicke geworfen, nach Neuzugängen an der Seite der Lokalmatador:innen…
Wie schon zu Bührles Zeiten, gibt sich die Zürcher Society im Kunsthaus ein vordergründig harmloses Stelldichein. Understatement, mit einem Hauch Dekadenz, tarnt auch heute handfeste Interessenspolitik und skrupellose Geschäfte.
Mit entschlossenem Schritt verlassen wir den Chipperfieldtempel. Raus, an die frische Luft.