Wenn Männer von Männern für Männer…

Zwei Frauen tuscheln im Zug. Im Neben­ab­teil haben sie den gut­aus­se­hen­den Arbei­ter­füh­rer ent­deckt. Bald schon machen sie ihm schöne Augen, es wird hef­tig getur­telt. Schnitt. Armee­zen­trale, das Rat­tern einer Schreib­ma­schine – das Tele­fon läu­tet. Ein Tur­teln auch in der Stimme des arro­gan­ten Platz­kom­man­dan­ten. Er erklärt sei­ner Nina am Tele­fon, dass es spät wird. Weil er noch Vor­keh­run­gen tref­fen müsse, um die Schweiz vor dem bol­sche­wi­sti­schen Umsturz zu retten…

Wir schrei­ben das Jahr 1918 – Gene­ral­streik. 2018 ist das ein Fall für eine TV-Doku­fic­tion: Die Schweiz steht am Rande des Bür­ger­kriegs. Auf der einen Seite Robert Grimm, der starke Mann der Arbei­ter­schaft. Sein Kon­tra­hent: Emil Son­der­eg­ger, Scharf­ma­cher und Draht­zie­her auf Sei­ten der Armee. Wei­tere Akteure: Der Bun­des­prä­si­dent, Par­la­men­ta­rier, Sol­da­ten und Grimms Genos­sen vom Olte­ner Akti­ons­ko­mi­tee. Starke Män­ner im Kampf um die Zukunft unse­res Landes!

Dies das Bild, das die «Doku­fic­tion» ver­mit­telt, die kürz­lich auf SRF 1 aus­ge­strahlt wurde. Aus Anlass des Hun­dert­jahr-Geden­kens ver­sucht sich die SRG wie­der ein­mal – Ser­vice Public! – als Geschichts­ver­mitt­le­rin. Und schei­tert ein­mal mehr.

Wie bereits vor fünf Jah­ren in der vier­tei­li­gen Serie «Die Schwei­zer», domi­niert auch bei der aktu­el­len Pro­duk­tion ein ver­staub­tes Geschichts­bild: Män­ner an den Schalt­he­beln der Macht len­ken die Geschicke der Men­schen. Wäh­rend die Frauen, auf Heim­chen am Herd redu­ziert, für ihre Hel­den Suppe und Spa­ghetti kochen…

Beim Thema «Gene­ral­streik» ist das nicht nur stos­send, son­dern falsch. So ist etwa histo­risch ver­bürgt, dass Frauen bei den Pro­te­sten gegen die Teue­rung und die pre­kä­ren Lebens­be­din­gun­gen im Vor­feld des Gene­ral­streiks die trei­ben­den Kräfte waren. Und es ist kein Zufall, dass weit oben auf der Liste mit den For­de­run­gen, die das Olte­ner Akti­ons­ko­mi­tee dem Bun­des­rat über­reicht hat, die Ein­füh­rung des Frau­en­stimm­rechts stand.

Eine «Doku­fic­tion» ver­stan­den als Ser­vice Public sollte, basie­rend auf dem aktu­el­len Stand der Geschichts­for­schung, Ein­blick und Ver­ständ­nis für die dama­li­gen Ereig­nisse ver­mit­teln. Die Gilde der Histo­ri­ker war im Film denn auch gut ver­tre­ten. Lei­der häu­fig mit allzu aka­de­mi­schen Voten. Zudem fiel auch hier die Aus­wahl äus­serst män­ner­la­stig aus, obschon es eine Reihe renom­mier­ter Schwei­zer Histo­ri­ke­rin­nen gibt, die zu die­sem Thema forschen.

Die Wucht der schwarz-weis­sen Film- und Foto­do­ku­mente aus der Zeit des ersten Welt­kriegs und des Gene­ral­streiks ging lei­der neben den far­bi­gen Fic­tion­sze­nen ver­lo­ren. Die Not, die damals herrschte, die Angst und Unge­wiss­heit in der Bevöl­ke­rung, kamen kaum zum Tragen.

Dies hat auch mit dem Ent­scheid der Film­au­toren zu tun, die auf «Leit­fi­gu­ren» wie Grimm und Son­der­eg­ger fokus­sier­ten und damit auf die Ereig­nisse in den Schalt­stel­len der Macht. Um die dama­li­gen Span­nun­gen, die die gesamte Gesell­schaft erfasst hat­ten, fil­misch zu ver­mit­teln, hätte man jedoch bes­ser auf Prot­ago­ni­stIn­nen aus dem Volk – Arbei­ter­fa­mi­lien wie Bür­ger­li­che – gesetzt.

Wich­tige Aspekte, die prä­gend waren für den Gene­ral­streik und die Ent­wick­lung danach, wur­den unter den Tisch gekehrt. So etwa die Tat­sa­che, dass die Armee in den Städ­ten gezielt Bau­ern­re­gi­men­ter ein­ge­setzt hat.

Kurzum: Das teure und auf­wän­dige Pro­jekt trägt nichts zu einem bes­se­ren Ver­ständ­nis des Gene­ral­streiks bei. Schade! – Eine ver­passte Chance. Denn das Thema «Gene­ral­streik 1918» eig­net sich wie kaum ein ande­res für eine packende, berüh­rende Auf­ar­bei­tung eines zen­tra­len Stücks Schwei­zer Sozialgeschichte.

Selbsteinschätzung als wissenschaftliche Grundlage?

«Fast drei Vier­tel aller SRG-Jour­na­li­sten sind links», lau­tete die Schlag­zeile in der Sonn­tags­zei­tung vom 12. Novem­ber 2017. Damit bedient sie ein­mal mehr das ewige Kli­schee der «lin­ken SRG». Weil die Geschichte aber zu gut in den auf­ge­heiz­ten No-Bil­lag-Dis­kurs passt, haben die Tame­dia-Blatt­ma­cher ihre Story mit «neuen Erkennt­nis­sen» auf­ge­peppt. Der Unter­ti­tel des Arti­kels: «Erst­mals lie­gen detail­lierte Zah­len zur poli­ti­schen Ein­stel­lung von Medi­en­schaf­fen­den vor.» (Die NZZ berich­tete übri­gens bereits 2016 darüber…)

Gelie­fert wur­den diese «wis­sen­schaft­li­chen» Zah­len von den Medi­en­wis­sen­schaft­lern Vin­zenz Wyss und Filip Din­ger­kus von der Zür­cher Hoch­schule für ange­wandte Wis­sen­schaf­ten ZHAW. Sie stam­men aus einer «inter­na­tio­na­len Jour­na­lis­mus­stu­die», die u.a. vom Natio­nal­fonds mit­fi­nan­ziert wurde.

Im Rah­men die­ser Stu­die wur­den Jour­na­li­stin­nen und Jour­na­li­sten unter ande­rem zu ihrer poli­ti­schen Hal­tung befragt: Die Frage lau­tete, wo sie sich im poli­ti­schen Spek­trum zwi­schen Links und Rechts ein­ord­nen wür­den – auf einer Skala von 0 (links) bis 10 (rechts).

Was taugt eine sol­che Selbst­ein­schät­zung als wis­sen­schaft­li­che Basis? Ist dies eine valable Grund­lage für eine objek­ti­vier­bare Aussage?

Wenn Jour­na­li­stin A und Jour­na­list Z sich auf der Skala mit einer 2 ein­rei­hen, sagen sie dann a) die Wahr­heit und falls ja, wel­che? Und b) bezie­hen sich A und Z auf iden­ti­sche und scharf abge­grenzte Defi­ni­tio­nen der Begriffe «links» und «rechts»?

Die hier ange­wandte Methode ist schlicht unbrauch­bar und völ­lig irrele­vant. Sie lässt näm­lich defi­ni­tiv keine ver­nünf­ti­gen und objek­tiv mess­ba­ren Rück­schlüsse über die poli­ti­sche Aus­rich­tung oder Wir­kung der öffent­lich recht­li­chen oder pri­va­ten Medien zu.

Zur Ver­an­schau­li­chung ein aktu­el­les Bei­spiel mit einer Skala zur Ein­tei­lung von grü­ner Politik:

Die grüne Bau­di­rek­to­rin der Stadt Biel würde sich auf einer sol­chen Polit­skala wohl als Grüne ver­or­ten, auf der Skala irgendwo zwi­schen 0–3. – Bewer­tet man aber ihre Poli­tik anhand der glei­chen Skala, zeigt sich, dass sie den Bau der umstrit­te­nen Stadt­au­to­bahn unter­stützt. Dies ent­spricht auf einer grü­nen Skala einem Platz zwi­schen 8–10. Das mag mit Real­po­li­tik zu erklä­ren sein: Als Mit­glied einer Exe­ku­tive, die das Bau­pro­jekt unter­stützt, hält sie sich brav ans Kollegialitätsprinzip.

Ganz anders die Basis der grü­nen Par­tei: Diese ver­ab­schie­dete im Juni eine Reso­lu­tion «Für eine Ver­kehrs­po­li­tik ohne A5-West­ast». Die Begrün­dung folgte den Grund­prin­zi­pien grü­ner Poli­tik: «Das Pro­jekt will Ver­kehrs­pro­bleme mit neuen Stras­sen lösen. Ein Ansatz, der ins 20., nicht ins 21. Jahr­hun­dert gehört, denn unter­des­sen hat sich gezeigt: Wer Stras­sen sät, ern­tet Verkehr.»

Die Par­tei-Stra­te­gen wür­den diese Aus­sage wohl bis heute unter­schrei­ben und sich auf der Polit­skala per­sön­lich ebenso klar als Grüne ver­or­ten. Was sie jedoch nicht daran hin­derte, nun ihrer­seits den Neu­bau eines Auto­bahn­tun­nels zu pro­mo­ten. Klei­ner zwar als das offi­zi­elle Pro­jekt, aber nie und nim­mer kom­pa­ti­bel mit den «grü­nen Visio­nen», für die sie sich vor kur­zem noch stark gemacht haben.

Selbst­ein­schät­zung ist immer sub­jek­tiv. Ins­be­son­dere, wenn sich die Befra­ger auf eine plumpe Ska­len­ta­belle beschrän­ken. Es braucht zwin­gend das Kor­rek­tiv eines Fak­ten-Checks, oder einen Fra­gen­ka­ta­log, wie ihn etwa Smart­vote Kan­di­die­ren­den vor­legt: Die Posi­tion der Befrag­ten wird so auf­grund kon­kre­ter Ant­wor­ten zu Sach­fra­gen aus ver­schie­de­nen Polit­be­rei­chen eruiert.

Die Frage nach der poli­ti­schen Selbst­ein­schät­zung zielt bei den Jour­na­li­stIn­nen zudem in eine fal­sche Rich­tung, weil per se kein Zusam­men­hang besteht, zwi­schen der Qua­li­tät von Medi­en­ar­beit und der poli­ti­schen Posi­tion der Medienschaffenden.

Will man die Medien in ein Links-Rechts-Schema drücken, wären empi­ri­sche Nach­for­schun­gen über die The­men­set­zung in den ein­zel­nen Redak­tio­nen, die interne Qua­li­täts­kon­trolle oder das Aus­wer­ten von Kom­men­ta­ren wesent­lich aussagekräftiger.

Schade, dass die Pole­mik über «linke» und «rechte» Medien mit sol­chen pseudo-wis­sen­schaft­li­chen Spie­le­reien befeu­ert wird. Das ist nicht nur unnö­tig son­dern kon­tra­pro­duk­tiv und dürfte schon gar nicht vom Natio­nal­fonds finan­ziert werden.

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