Aktuell scheint die israelische Regierung alles daran zu setzen, dass die Gewaltspirale im Nahen Osten weiter eskaliert. Anlässlich des Besuchs von Premierminister Netanjahu in den USA musste sich dieser strenge Ermahnungen und deutlichen Aufforderungen anhören, dem Töten von Zivilist:innen in Gaza endlich ein Ende zu setzen.
Netanjahu aber stellte sich taub – er lässt sich weder von Demonstrationen im eigenen Land noch von ausländischen Appellen beeindrucken. Unbeirrt macht er weiter. Während in Paris unter massivsten Sicherheitsvorkehren der Auftakt der Olympischen Sommerspiele gefeiert wurde, bombardierte die israelische Armee erneut eine Schule in Deir al-Balah im Gazastreifen.
Sie diente Hunderten von Menschen als Zufluchtsort vor den Kämpfen – dreissig von ihnen starben beim Angriff, es gab über hundert Verletzte. Damit nicht genug: Die israelische Armee forderte die Menschen dazu auf, erneut zu fliehen und sich andernorts «in Sicherheit» zu bringen.
Während es für die Weltpresse nichts Wichtigeres gibt als olympische Zirkusspiele, eskaliert die Situation auch im Norden der von Israel besetzten Gebiete: Fast täglich überfällt die israelische Armee Städte und Dörfer im Westjordanland, tötet Kämpfer:innen, die sich gegen die Besatzung auflehnen, verhaftet Menschen und steckt sie in berüchtigte Gefängnisse. Oft sind auch Bulldozer dabei, die Privathäuser demolieren.
Drei Tage nach einem tödlichen Raketeneinschlag auf ein von Drusen bewohntes Dorf in den von Israel widerrechtlich annektierten Golanhöhen, verübte die israelische Armee in Beirut ein Vergeltungsattentat auf einen hochrangigen Kommandanten der Hisbollah. Die Vergeltung galt dabei nicht den tote (nichtisraelischen) Jugendlichen, die ihr ganzes kurzes Leben unter israelischer Besatzung verbringen mussten, sondern dem Erzfeind im Norden, dessen Rakete israelische Gefechtsstellungen in der Nachbarschaft hätte treffen sollen. Die Vertreter der betroffenen Drusen Gemeinde haben klar gemacht: Sie wollen kein Blutvergiessen in ihrem Namen und wünschen sich im Gegenteil Frieden und den endgültigen Abzug der israelischen Armee aus ihrer Heimat.
Damit nicht genug: In Teheran tötete eine Sprengladung am 31. Juli den politischen Hamas-Chef Ismail Hanjyeh und seinen Leibwächter. Dadurch liqueidierte Israel den Verhandlungsführer der Gegenseite im Ringen um die Freilassung der restlichen Geiseln vom 7. Oktober.
Mit diesem Attentat zündete Israel eine nächste Stufe der Eskalation. Offenbar pokern Netanjahu und seine Kriegsschergen darauf, dass ihre Verbündeten – allen voran die USA – sich in einen grossen Krieg mit Israels Nachbarländern und dem Iran hineinziehen lassen.
Israelische Terrorangriffe auf unliebsame Gegner sind nichts Neues. Im Gegenteil: Die Geschichte von gezielten Tötungen, Attentaten und Aktionen durch israelische Geheimdienst- und Sicherheitskräfte auf nicht-israelischem Territorium ist lang – und wurde von den Verbündeten im Westen immer geduldet, wenn nicht gar unterstützt.
Wie aktiv Israel hinter den Kulissen die Fäden zieht, dokumentierte die Künstlerin Sarah Morris bereits 2008 in ihrem Film «1972». Ihr Interview mit dem ehemaligen Polizeipsychologen Georg Sieber ist ein Zeitdokument von politischer Brisanz und fast schon erschreckender Aktualität – gezeigt als eines von zahlreichen Werken der aktuellen Ausstellung «All Systems Fail» im Kleemuseum in Bern.
©Sarah Morris, 1972
Im Zentrum des Films steht das Desaster rund um die Geiselnahme von neun Israelis anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1972 in München. Das allgemein bekannte Narrativ lautet, dass die deutsche Polizei damals masslos überfordert gewesen sei. Die Folge: Eine missglückte Befreiungsaktion unter Einsatz von Scharfschützen, bei der sämtliche Geiseln sowie ein Polizist und fünf der acht palästinensischen Geiselnehmer starben. Verantwortlich für das Misslingen der Aktion, so bis heute die offizielle Geschichtsschreibung, sei das Versagen der deutschen Polizeikräfte und der deutschen Politiker im Krisenstab gewesen.
Georg Sieber, der 1972 als Berater der Polizei die Sicherheitsmassnahmen der Spiele mit vorbereitete, rückt die damaligen Geschehnisse im Gespräch mit Sarah Morris in ein völlig anderes Licht. Schon kurz nach der Geiselnahme, mit der die Attentäter inhaftierte Palästinenser:innen freipressen wollten, habe Israel das Kommando an sich gerissen, so Sieber.
Die deutschen Behörden seien bloss noch Befehlsempfänger gewesen, den deutschen Polizisten habe man eine Situation aufgezwungen, auf die sie nicht vorbereitet waren. Statt zu versuchen, die Geiseln mit Mitteln der Deeskalation freizubekommen, mussten sie für solche Einsätze untrainiertes Schiesspersonal aufbieten, das in einer hochriskanten Aktion die Geiseln freischiessen sollte. Ein Plan, der scheitern musste.
Weshalb die deutschen Politiker:innen und Behörden in dieser Situation den Lead voll und ganz den Israelis überliessen, darüber kann man bloss spekulieren. Das damalige Muster gleicht aber der heutigen Haltung westlicher Politiker:innen, welche sich nach wie vor den Karren israelischer Interessen und Führung spannen lassen.
Bei den Olympischen Spielen 1972 in München ist das schief gegangen, ohne dass die Verantwortlichen im (israelischen) Hintergrund je belangt worden wären. Heute droht ein ähnliches Versagen in viel grösserem Stil – es ist höchste Zeit, dass die westliche Welt Israel den Tarif erklärt, bevor diese nach dem Völkermord in Gaza auch noch den Rest der Welt ins Verderben zieht. Mit Appeasement Politik und frommen Wünschen ist der aktuellen Regierung nicht beizukommen.*
* Handeln tut Not: Israel hat in Gaza bereits wieder zugeschlagen: Laut neusten Meldungen bombadierte die israelische Armee am Samstag, 3. August zwei weitere Schulen in Gaza und tötete erneut mindestens 30 Menschen.