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Israel mordet weiter – die Schweiz schaut zu

Die Hor­ror-Mel­dun­gen aus dem Nahen Osten reis­sen nicht ab. Die israe­li­sche Armee hat Anfang Woche in Gaza erneut zuge­schla­gen und mit einem Bom­ben­an­griff auf die «huma­ni­täre Zone» von Chan Junis min­de­stens 40 Men­schen getötet.

In der Nacht zuvor flog die israe­li­sche Armee einen Luft­an­griff in Zen­tral­sy­rien. Die­ser galt dem Ver­neh­men nach einem Zen­trum zur Her­stel­lung che­mi­scher Waf­fen. Die anfäng­lich genannte Zahl von 7 Todes­op­fern wurde bald auf 18 (dar­un­ter auch zahl­rei­che Zivilist:innen) sowie über 40 Ver­letzte korrigiert.

Das sind nur zwei Schlag­zei­len – täg­lich kom­men neue hinzu. Stark betrof­fen sind nebst Gaza, dem Zen­trum des Grau­ens, seit Mona­ten auch das West­jor­dan­land und der Süd­li­ba­non – Israel schreckt aber auch nicht davor zurück, in ande­ren Län­dern – wie oben erwähnt in Syrien oder im Iran – zuzuschlagen.

Ange­sichts der anhal­ten­den Kriegs­hand­lun­gen ver­su­chen mitt­ler­weile sogar treue Ver­bün­dete wie die USA oder Deutsch­land, Israel zur Mäs­si­gung anzu­hal­ten. Mini­ster­prä­si­dent Netan­jahu und seine Befehls­ha­ber schla­gen jedoch jeg­li­che Kri­tik in den Wind und mor­den unbe­irrt wei­ter. Weder die eigene Bevöl­ke­rung, die seit Mona­ten gegen die men­schen­ver­ach­tende Poli­tik ihrer Regie­rung mit lan­des­wei­ten Demon­stra­tio­nen und Streiks pro­te­stiert, noch Kla­gen am inter­na­tio­na­len Gerichts­hof oder diplo­ma­ti­sche Bemü­hun­gen zei­gen Wirkung.

Die Zahl der Todes­op­fer ist allein in Gaza mitt­ler­weile auf über 41’000 gestie­gen – hinzu kommt eine Viel­zahl von Ver­letz­ten, Trau­ma­ti­sier­ten, Obdach­lo­sen… Den Men­schen bleibt nichts ande­res, als der Ver­such, in den Trüm­mern zu über­le­ben. Dabei wer­den sie von der israe­li­schen Armee quer durch den Gaza­strei­fen getrie­ben. Sicher sind sie aller­dings nir­gends, wie wie­der­holte israe­li­sche Angriffe auf Schu­len, Spi­tä­ler und «huma­ni­täre Zonen» zei­gen. Hinzu kommt die syste­ma­ti­sche Behin­de­rung der Not­hilfe an die Kriegs­op­fer durch Israel.

Solange west­li­che Politiker:innen – allen voran in den USA – auf Isra­els Kriegs­ver­bre­chen nur mit harm­lo­sen Ermah­nun­gen reagie­ren, die­sen aber keine Sank­tio­nen fol­gen las­sen und sogar wei­ter­hin Waf­fen lie­fern, wird die rechts­extreme Regie­rung in Jeru­sa­lem ihren zer­stö­re­ri­schen Kurs fort­set­zen. Der nota­bene das ganze Land und seine Bevöl­ke­rung – auch die jüdi­sche – in den Abgrund treibt.

Es ist unfass­bar, mit wel­cher Beharr­lich­keit Kri­tik zum Schwei­gen gebracht wird, die den beab­sich­tig­ten Völ­ker­mord durch die israe­li­sche Regie­rung und deren völ­ker­rechts­wid­ri­gen Kriegs­hand­lun­gen benennt. Die Anti­se­mi­tis­mus­keule ist das bevor­zugte Instru­ment. Auch in der Schweiz.

Als Ende letz­ter Woche bekannt wurde, dass Israel dem UNRWA-Chef Phil­ippe Laz­z­a­rini nicht nur die Ein­reise nach Gaza, son­dern auch ein Visum für Israel ver­wei­gert, rührte sich in der Schweiz nie­mand. Ver­geb­lich die Hoff­nung, dass das Eid­ge­nös­si­sche Depar­te­ment für aus­wär­tige Ange­le­gen­hei­ten EDA dem Schwei­zer UN-Chef­be­am­ten den Rücken gestärkt hätte. Etwa, indem – als diplo­ma­tisch schmerz­freie Mass­nahme – wenig­stens die israe­li­sche Bot­schaf­te­rin Ifat Res­hef in die­ser Sache ein­be­stellt wor­den wäre.

Doch nichts geschah. 

Statt­des­sen erhielt Frau Res­hef im jüdi­schen Wochen­ma­ga­zin Tache­les eine breite Platt­form, wo sie Isra­els Poli­tik und Sicht der Dinge unwi­der­spro­chen aus­brei­ten durfte. Wie nicht anders zu erwar­ten, betä­tigte sich die Bot­schaf­te­rin als Laut­spre­che­rin der israe­li­schen Regie­rung. Sie beklagte ein­zig und allein die jüdi­schen Opfer und Gei­seln – die Toten, Ver­letz­ten und Ver­trie­be­nen auf palä­sti­nen­si­scher Seite waren ihr kein Wort wert – auch nicht dem Stich­wort­ge­ber Chef­re­dak­tor Yves Kugelmann.

Wer die israe­li­sche Kriegs­po­li­tik kri­ti­siere, so dozierte Res­hef, sei anti­is­rae­li­scher Pro­pa­ganda auf den Leim gegan­gen. Jun­gen Men­schen fehle es oft an der not­wen­di­gen Bil­dung – sie mein­ten es zwar gut, seien aber naiv. Und schliess­lich unter­stellte sie dem UNO-Sicher­heits­rat, dass seine Ver­öf­fent­li­chun­gen «prak­tisch nie» der Rea­li­tät ent­spre­chen wür­den und for­derte die Schwei­zer Behör­den auf, dies­be­züg­lich und bei der Eli­mi­nie­rung der UNRWA ihren Ein­fluss gel­tend zu machen.

Eine Auf­for­de­rung, die nicht neu ist – und von der Isra­el­lobby hier­zu­lande längst an wich­ti­ger poli­ti­scher Stelle plat­ziert wurde: Zum Auf­takt der Herbst­ses­sion hatte der Natio­nal­rat diese Woche über drei Vor­la­gen in Bezug auf die finan­zi­elle Schwei­zer Unter­stüt­zung der UNRWA zu befin­den. Initi­iert alle­samt unter dem Kom­mando von Mit­glie­dern der Par­la­men­ta­ri­er­gruppe Schweiz-Israel, deren Zweck­be­stim­mung lau­tet: «Die Gruppe ver­tritt israe­li­sche Posi­tio­nen in den Berei­chen Poli­tik, Wirt­schaft, Gesell­schaft und Kul­tur. Bezie­hungs­pflege mit der Knes­set, ihren Mit­glie­dern und mit der israe­li­schen Botschaft.»

Als Ant­wort auf die Motion von SVP-Natio­nal­rat David Zuber­büh­ler, dem UN-Hilfs­werk für die Palästinenser:innen ab sofort kein Geld mehr zukom­men zu las­sen, gab Aus­sen­mi­ni­ster Cas­sis (auch er ein ehe­ma­li­ges Mit­glied der Par­la­men­ta­ri­er­gruppe Schweiz-Israel!) vor dem Par­la­ment zu beden­ken: «Die UNRWA ist ein Pro­blem, aber ein tota­ler Rück­zug in einer huma­ni­tä­ren Krise ist nicht ver­ein­bar mit der huma­ni­tä­ren Tra­di­tion der Schweiz.»

Die grosse Kam­mer hat den Antrag trotz­dem mit 99 zu 88 Stim­men ange­nom­men, bei 7 Ent­hal­tun­gen. – Auch die von der Aus­sen­po­li­ti­schen Kom­mis­sion des Natio­nal­rats ein­ge­brachte For­de­rung, Not­hil­fe­gel­der für Gaza künf­tig nicht mehr an die UNRWA, son­dern an andere Orga­ni­sa­tio­nen zu über­wei­sen, fand im Rat eine Mehr­heit. Dies, obschon bekannt ist und unter ande­rem auch das IKRK dar­auf hin­ge­wie­sen hat, dass ohne die Mit­ar­bei­ten­den und das Netz­werk der UNRWA Hil­fe­lei­stun­gen in Gaza kaum mehr mög­lich wären.

Nichts­de­sto­trotz ver­ab­schie­dete der Natio­nal­rat einen wei­te­ren Vor­stoss, der ver­langt, dass der Bun­des­rat Alter­na­ti­ven zur UNRWA prü­fen solle. – Obschon es – siehe oben – diese gar nicht gibt. Damit hat die Netan­jahu-hörige Israel-Lobby einen durch­schla­gen­den Erfolg erzielt.

Es ist ein schlim­mes Trau­er­spiel, das die offi­zi­elle Schweiz in Bezug auf den Nahen Osten dar­bie­tet. Statt sich für die Schwäch­sten und Kriegs­op­fer zu enga­gie­ren, lei­stet die Mehr­heit des Schwei­zer Par­la­ments und der Regie­rung der israe­li­schen Regie­rung und ihrer rechts­extre­men Kli­en­tel Bei­hilfe zu Unta­ten, die völ­ker­recht­lich abge­ur­teilt gehören.

Infosper­ber vom 12. Sep­tem­ber 2024: Kom­men­tar von Pia Holen­stein zur Israel-Lobby und ihren Machen­schaf­ten in der Schweiz – sehr lesenswert:

https://​www​.infosper​ber​.ch/​p​o​l​i​t​i​k​/​s​c​h​w​e​i​z​e​r​-​i​m​-​d​i​e​n​s​t​-​f​r​e​m​d​e​r​-​k​r​i​e​g​s​p​ropaganda/

Israelischer Terror oder politische Nachhilfe im Kunstmuseum

Aktu­ell scheint die israe­li­sche Regie­rung alles daran zu set­zen, dass die Gewalt­spi­rale im Nahen Osten wei­ter eska­liert. Anläss­lich des Besuchs von Pre­mier­mi­ni­ster Netan­jahu in den USA musste sich die­ser strenge Ermah­nun­gen und deut­li­che Auf­for­de­run­gen anhö­ren, dem Töten von Zivilist:innen in Gaza end­lich ein Ende zu setzen.

Netan­jahu aber stellte sich taub – er lässt sich weder von Demon­stra­tio­nen im eige­nen Land noch von aus­län­di­schen Appel­len beein­drucken. Unbe­irrt macht er wei­ter. Wäh­rend in Paris unter mas­siv­sten Sicher­heits­vor­keh­ren der Auf­takt der Olym­pi­schen Som­mer­spiele gefei­ert wurde, bom­bar­dierte die israe­li­sche Armee erneut eine Schule in Deir al-Balah im Gazastreifen.

Sie diente Hun­der­ten von Men­schen als Zufluchts­ort vor den Kämp­fen – dreis­sig von ihnen star­ben beim Angriff, es gab über hun­dert Ver­letzte. Damit nicht genug: Die israe­li­sche Armee for­derte die Men­schen dazu auf, erneut zu flie­hen und sich andern­orts «in Sicher­heit» zu bringen.

Wäh­rend es für die Welt­presse nichts Wich­ti­ge­res gibt als olym­pi­sche Zir­kus­spiele, eska­liert die Situa­tion auch im Nor­den der von Israel besetz­ten Gebiete: Fast täg­lich über­fällt die israe­li­sche Armee Städte und Dör­fer im West­jor­dan­land, tötet Kämpfer:innen, die sich gegen die Besat­zung auf­leh­nen, ver­haf­tet Men­schen und steckt sie in berüch­tigte Gefäng­nisse. Oft sind auch Bull­do­zer dabei, die Pri­vat­häu­ser demolieren. 

Drei Tage nach einem töd­li­chen Rake­ten­ein­schlag auf ein von Dru­sen bewohn­tes Dorf in den von Israel wider­recht­lich annek­tier­ten Golan­hö­hen, ver­übte die israe­li­sche Armee in Bei­rut ein Ver­gel­tungs­at­ten­tat auf einen hoch­ran­gi­gen Kom­man­dan­ten der His­bol­lah. Die Ver­gel­tung galt dabei nicht den toten (nicht­is­rae­li­schen) Jugend­li­chen, die ihr gan­zes kur­zes Leben unter israe­li­scher Besat­zung ver­brin­gen muss­ten, son­dern dem Erz­feind im Nor­den, des­sen Rakete israe­li­sche Gefechts­stel­lun­gen in der Nach­bar­schaft hätte tref­fen sol­len. Die Ver­tre­ter der betrof­fe­nen Dru­sen Gemeinde haben klar gemacht: Sie wol­len kein Blut­ver­gies­sen in ihrem Namen und wün­schen sich im Gegen­teil Frie­den und den end­gül­ti­gen Abzug der israe­li­schen Armee aus ihrer Heimat.

Damit nicht genug: In Tehe­ran tötete eine Spreng­la­dung am 31. Juli den poli­ti­schen Hamas-Chef Ismail Han­jyeh und sei­nen Leib­wäch­ter. Dadurch liqui­dierte Israel den Ver­hand­lungs­füh­rer der Gegen­seite im Rin­gen um die Frei­las­sung der rest­li­chen Gei­seln vom 7. Oktober.

Mit die­sem Atten­tat zün­dete Israel eine näch­ste Stufe der Eska­la­tion. Offen­bar pokern Netan­jahu und seine Kriegs­scher­gen dar­auf, dass ihre Ver­bün­de­ten – allen voran die USA – sich in einen gros­sen Krieg mit Isra­els Nach­bar­län­dern und dem Iran hin­ein­zie­hen lassen.

Israe­li­sche Ter­ror­an­griffe auf unlieb­same Geg­ner sind nichts Neues. Im Gegen­teil: Die Geschichte von geziel­ten Tötun­gen, Atten­ta­ten und Aktio­nen durch israe­li­sche Geheim­dienst- und Sicher­heits­kräfte auf nicht-israe­li­schem Ter­ri­to­rium ist lang – und wurde von den Ver­bün­de­ten im Westen immer gedul­det, wenn nicht gar unterstützt.

Wie aktiv Israel hin­ter den Kulis­sen die Fäden zieht, doku­men­tierte die Künst­le­rin Sarah Mor­ris bereits 2008 in ihrem Film «1972». Ihr Inter­view mit dem ehe­ma­li­gen Poli­zei­psy­cho­lo­gen Georg Sie­ber ist ein Zeit­do­ku­ment von poli­ti­scher Bri­sanz und fast schon erschrecken­der Aktua­li­tät – gezeigt als eines von zahl­rei­chen Wer­ken der aktu­el­len Aus­stel­lung «All Systems Fail» im Klee­mu­seum in Bern.

©Sarah Mor­ris, 1972

Im Zen­trum des Films steht das Desa­ster rund um die Gei­sel­nahme von neun Israe­lis anläss­lich der Olym­pi­schen Som­mer­spiele 1972 in Mün­chen. Das all­ge­mein bekannte Nar­ra­tiv lau­tet, dass die deut­sche Poli­zei damals mass­los über­for­dert gewe­sen sei. Die Folge: Eine miss­glückte Befrei­ungs­ak­tion unter Ein­satz von Scharf­schüt­zen, bei der sämt­li­che Gei­seln sowie ein Poli­zist und fünf der acht palä­sti­nen­si­schen Gei­sel­neh­mer star­ben. Ver­ant­wort­lich für das Miss­lin­gen der Aktion, so bis heute die offi­zi­elle Geschichts­schrei­bung, sei das Ver­sa­gen der deut­schen Poli­zei­kräfte und der deut­schen Poli­ti­ker im Kri­sen­stab gewesen.

Georg Sie­ber, der 1972 als Bera­ter der Poli­zei die Sicher­heits­mass­nah­men der Spiele mit vor­be­rei­tete, rückt die dama­li­gen Gescheh­nisse im Gespräch mit Sarah Mor­ris in ein völ­lig ande­res Licht. Schon kurz nach der Gei­sel­nahme, mit der die Atten­tä­ter inhaf­tierte Palästinenser:innen frei­pres­sen woll­ten, habe Israel das Kom­mando an sich geris­sen, so Sieber.

Die deut­schen Behör­den seien bloss noch Befehls­emp­fän­ger gewe­sen, den deut­schen Poli­zi­sten habe man eine Situa­tion auf­ge­zwun­gen, auf die sie nicht vor­be­rei­tet waren. Statt zu ver­su­chen, die Gei­seln mit Mit­teln der Dees­ka­la­tion frei­zu­be­kom­men, muss­ten sie für sol­che Ein­sätze untrai­nier­tes Schiess­per­so­nal auf­bie­ten, das in einer hoch­ris­kan­ten Aktion die Gei­seln frei­schies­sen sollte. Ein Plan, der schei­tern musste.

Wes­halb die deut­schen Politiker:innen und Behör­den in die­ser Situa­tion den Lead voll und ganz den Israe­lis über­lies­sen, dar­über kann man bloss spe­ku­lie­ren. Das dama­lige Muster gleicht aber der heu­ti­gen Hal­tung west­li­cher Politiker:innen, wel­che sich nach wie vor den Kar­ren israe­li­scher Inter­es­sen und Füh­rung span­nen lassen.

Bei den Olym­pi­schen Spie­len 1972 in Mün­chen ist das schief gegan­gen, ohne dass die Ver­ant­wort­li­chen im (israe­li­schen) Hin­ter­grund je belangt wor­den wären. Heute droht ein ähn­li­ches Ver­sa­gen in viel grös­se­rem Stil – es ist höch­ste Zeit, dass die west­li­che Welt Israel den Tarif erklärt, bevor diese nach dem Völ­ker­mord in Gaza auch noch den Rest der Welt ins Ver­der­ben zieht. Mit Appease­ment Poli­tik und from­men Wün­schen ist der aktu­el­len Regie­rung nicht beizukommen.*

* Han­deln tut Not: Israel hat in Gaza bereits wie­der zuge­schla­gen: Laut neu­sten Mel­dun­gen bom­ba­dierte die israe­li­sche Armee am Sams­tag, 3. August zwei wei­tere Schu­len in Gaza und tötete erneut min­de­stens 30 Menschen.

Kriegsdienstverweigerung – Recht auf Asyl?

Kürz­lich publi­zierte die inter­na­tio­nale Pres­se­agen­tur Pres­senza die Geschichte von Mikita, einem jun­gen bela­rus­si­schen Deser­teur, den die Euro­päi­sche Union – selbst­er­nannte Ver­tei­di­ge­rin der «west­li­chen Werte» – nach Weiss­russ­land zurück­schicken will. Obschon ihm dort Fol­ter und Gefäng­nis, wenn nicht gar die Todes­strafe drohen.

Ange­fan­gen hat die Geschichte im Herbst 2021, als der damals 18jährige Mikita zum obli­ga­to­ri­schen Wehr­dienst in die bela­rus­si­sche Armee ein­ge­zo­gen wurde. Nur sechs Monate spä­ter wurde der Krieg in der Ukraine los­ge­tre­ten. Die jun­gen Sol­da­ten muss­ten damit rech­nen, schon bald als Kano­nen­fut­ter im Dien­ste Lukaschen­kos und Putins an die Front geschickt zu werden.

Ein Krieg, den Mikita nicht mit­tra­gen konnte und wollte. Wäh­rend einer Mili­tär­übung nahe der Grenze zu Litauen, gelang ihm im Mai 2022 die Flucht in die EU. In Litauen stellte der junge Mann umge­hend einen Asyl­an­trag. Die­ser wurde vor weni­gen Wochen in zwei­ter Instanz und damit defi­ni­tiv abge­lehnt. Die Begrün­dung: Bela­rus sei ein siche­res Land, eine Rück­kehr für den geflüch­te­ten Sol­da­ten problemlos.

Eine Ein­schät­zung, die in kras­sem Wider­spruch zu all den Zeu­gen­be­rich­ten über Repres­sio­nen, Fol­ter und Miss­hand­lun­gen von Men­schen wie Mikita durch das weiss­rus­si­sche Régime steht. Wenn es um Kri­tik an Lukaschen­kos Unrechts­staat geht, ken­nen west­li­che Politiker:innen in der Regel keine Zurück­hal­tung. Umso stos­sen­der ist es, dass nun aus­ge­rech­net jene Men­schen, die sich wei­gern, im Namen die­ses Staa­tes zu töten, zurück­ge­schickt statt geschützt wer­den sollen.

Mikita ist kein Ein­zel­fall. Ver­schie­dene Quel­len berich­ten, dass bela­rus­si­sche Geflüch­tete in Litauen heute als «Bedro­hung der natio­na­len Sicher­heit» gese­hen und des­halb immer öfter abge­scho­ben werden.

Olga Karach, die Lei­te­rin des Men­schen­rechts­zen­trums «Unser Haus», die sel­ber vor den Repres­sio­nen in ihrer bela­rus­si­schen Hei­mat nach Litauen geflüch­tet ist, schil­dert gegen­über der Zeit­schrift «Spinn­rad» die zuneh­mend auf­ge­heizte Stim­mung: «Einige wer­den sogar mit einem fünf­jäh­ri­gen Visum­ver­bot für die Euro­päi­sche Union zurück­ge­scho­ben, selbst Men­schen, die seit vie­len Jah­ren in Litauen leben, die Spra­che sehr gut beherr­schen und sehr gut inte­griert sind. Auch ich wurde zur Bedro­hung der natio­na­len Sicher­heit Litau­ens erklärt, weil wir in Litauen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer aus Gewis­sens­grün­den schüt­zen. Natür­lich sind wir strikt dage­gen, sie nach Weiss­russ­land abzuschieben.»

Nicht nur Litauen tut sich schwer mit dem Schutz geflüch­te­ter Kriegsdienstverweigerer:innen. Auch im übri­gen Europa und in der Schweiz ist die Flucht vor staat­lich ver­ord­ne­tem Töten kein aus­rei­chen­der Asyl­grund. Im Gegen­teil, denn im welt­wei­ten mili­tä­ri­schen Den­ken und Han­deln gibt es ein all­ge­mein­gül­ti­ges Dogma: Befehl ist Befehl. Wer sich die­ser Maxime ver­wei­gert, ist hart zu bestra­fen. Dienst­ver­wei­ge­rung wird des­halb kaum als Asyl­grund aner­kannt, auch in der Schweiz nicht. Sie wird als Schwe­ster der Deser­tion behan­delt, die in der Mili­tär­lo­gik zum Zer­fall der Befehls­ma­schi­ne­rie führt.

Gerade aus die­sem Grund ist die Auf­nahme und Unter­stüt­zung von Men­schen, die sich dem Krieg ver­wei­gern, ein radi­ka­ler und sinn­vol­ler Akt der Friedenspolitik.

Statt­des­sen wer­den Friedensaktivist:innen ver­folgt, ein­ge­sperrt und miss­han­delt – beson­ders schlimm ist es in krieg­füh­ren­den Län­dern wie Israel, Russ­land oder der Ukraine, wo Män­ner zum Kriegs­dienst gezwun­gen wer­den. Dies nota­bene, obschon die UNO seit 1987 Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung aus Gewis­sens­grün­den als Men­schen­recht anerkennt.

Ein Men­schen­recht, das in Zei­ten von Auf­rü­stung und neu ange­heiz­tem Mili­ta­ris­mus quer in der Polit­land­schaft steht und bei uns für Kon­tro­ver­sen sorgt. Umso wich­ti­ger ist die Unter­stüt­zung jener muti­gen Men­schen, die sich der Kriegs­ma­schi­ne­rie offen entgegenstellen.

So wie Sofia Orr und Tal Mit­nick, die sich wei­ger­ten, ihren obli­ga­to­ri­schen Mili­tär­dienst in Israel anzu­tre­ten. Die 19jährige Sofia ver­brachte fast drei Monate im Mili­tär­ge­fäng­nis, bevor sie das Mili­tär­ge­richt zur «Dienst­ver­wei­ge­re­rin aus Gewis­sens­grün­den» erklärte – ein Sta­tus, den man ihrem Kol­le­gen Tal* bis­lang ver­wei­gerte. Er begrün­dete seine Ver­wei­ge­rung im Dezem­ber 2023 mit den Wor­ten: «Ich wei­gere mich zu glau­ben, dass mehr Gewalt Sicher­heit brin­gen wird. Ich wei­gere mich, an einem Krieg der Rache teilzunehmen.»

Noch sind es nur wenige, die den Mut haben, sich gegen die Ein­be­ru­fung zu stel­len – weil für viele wohl die Pflicht am Vater­land vor­geht. Andere sehen schlicht und ein­fach keine Mög­lich­keit, sich dem Befehl zu ent­zie­hen – der Druck von Fami­lie und Gesell­schaft mag eben­falls eine ent­schei­dende Rolle spielen.

Etan Nechin, ein ehe­ma­li­ger israe­li­scher Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer, der heute in New York lebt, schreibt aus eige­ner Erfah­rung: «Ver­wei­ge­rung ist nicht hero­isch, aber sie drückt eine andere Art von Ent­schlos­sen­heit aus: Die Ent­schlos­sen­heit, allein zu ste­hen, die Kom­ple­xi­tät des Dis­sen­ses zu bewäl­ti­gen und ange­sichts gesell­schaft­li­cher Span­nun­gen sei­nen Über­zeu­gun­gen treu zu blei­ben; zu erken­nen, dass Rebel­lion not­wen­dig ist, wenn Men­schen einem gewalt­tä­ti­gen und unhalt­ba­ren Sta­tus quo gegenüberstehen.»

Rebel­lion statt Fah­nen­eid auf mili­tä­ri­schen Gehor­sam: Damit wird dem Mili­ta­ris­mus und letzt­lich den Kriegs­trei­bern das Was­ser abge­gra­ben. Genauso wie mit einer Frie­dens­po­li­tik, die statt dem süs­sen Gift von Waf­fen­lie­fe­run­gen und end­lo­ser Ankur­be­lung der Kriegs­in­du­strie zu erlie­gen, Men­schen unter­stützt, die sich dem Krieg ver­wei­gern und ihnen Asyl bietet. 

Ernst Bar­lach, Dom Mag­de­burg: Denk­mal des Krieges

* Nach­trag: Nach 185 Tagen im Knast wurde der 18jährige Tal Mit­nick am 11. Juli 2024 aus dem Mili­tär­dienst ent­las­sen. Er war im Dezem­ber 2023 der erste Wehr­dienst­ver­wei­ge­rer seit Beginn des Gaza-Kriegs und hat die läng­ste Haft­zeit aller Dienst­ver­wei­ge­rer des letz­ten Jahr­zehnts ver­büsst. Sein Kom­men­tar: «Ich bin erleich­tert, dass ich nach so lan­ger Zeit frei­ge­las­sen wurde. Glück­li­cher­weise hatte ich die Mög­lich­keit, mich amKampf gegen den Krieg und die Besat­zung zu betei­li­gen. In unse­rer Gesell­schaft meh­ren sich die Stim­men, die erken­nen, dass nur Frie­den Sicher­heit garan­tie­ren kann… »

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