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«Es wird keinen gerechten Frieden geben»

Die am Nato-Jubi­lä­ums­gip­fel in Washing­ton ver­ab­schie­dete Marsch­rich­tung zeigt unmiss­ver­ständ­lich Rich­tung Auf­rü­stung und Krieg. Die Schluss­erklä­rung des Tref­fens lässt keine Zwei­fel offen: Die Nato geht aufs Ganze, in der Ukraine, aber auch im euro­päi­schen Hinterland.

Sicher­heit durch Auf­rü­stung heisst das Credo. Europa inve­stiert gehor­sam ins Mili­tär, was das Zeug hält und ohne Rück­sicht auf die eige­nen Staats­fi­nan­zen. Um die Droh­ku­lisse gegen­über Russ­land wei­ter auf­zu­bauen, sol­len in Deutsch­land wie­der Lang­strecken­ra­ke­ten sta­tio­niert und die Kriegs­in­du­strie in Europa kräf­tig ange­kur­belt werden.

Erin­ne­run­gen wer­den wach an Zei­ten, als wir und Hun­dert­tau­sende in Europa gegen sol­che Pläne auf die Strasse gin­gen. Heute wer­den die weni­gen Men­schen, die sich der Kriegs­pa­role «Frie­den schaf­fen mit Waf­fen» wider­set­zen, als «Putinknechte» und naïve Träumer:innen abge­stem­pelt. Die Main­stream-Medien las­sen es bei Ver­höh­nun­gen bewen­den und las­sen lie­ber immer wie­der die ewig­glei­chen «Expert:innen» mit ihren gebets­müh­len­ar­ti­gen Pro­gno­sen und Beschwö­run­gen zu Wort kommen.

Kaum jemand stellt die Frage, ob uns die Zusi­che­rung wei­te­rer mili­tä­ri­scher Unter­stüt­zung von min­de­stens 40 Mil­li­ar­den USD an die Ukraine sowie die bal­dige Lie­fe­rung von F‑16-Kampf­flug­zeu­gen nicht viel­leicht dem 3. Welt­krieg gerade ein Stück näher brin­gen. Ganz zu schwei­gen von der Zusage , die Ukraine in die Nato auf­neh­men zu wollen. 

Kommt hinzu, dass jeder Euro, der für Krieg aus­ge­ge­ben wird, anderswo fehlt. Selbst «rei­chen» Volks­wirt­schaf­ten wie Deutsch­land feh­len an allen Ecken und Enden die Mit­tel, um eine zuver­läs­sig funk­tio­nie­rende Bahn­in­fra­struk­tur instand zu hal­ten und marode Auto­bahn­brücken zu unter­hal­ten. Und wenn es um soziale Belange wie die Pflege alter Men­schen, um Bil­dung, Kul­tur oder einen men­schen­wür­di­gen Umgang mit Migrant:innen geht, macht eine zer­strit­tene Regie­rung nicht die lei­se­ste Anstren­gung ein «Son­der­ver­mö­gen» zu schaffen. 

Auch nach zwei­ein­halb Jah­ren Töten und Lei­den in der Ukraine und im angren­zen­den Russ­land, mit Hun­dert­tau­sen­den von Toten, las­sen die Kriegstreiber:innen nicht locker: Nach wie vor pre­di­gen sie, dass der Krieg erst zu Ende sei, wenn sich Russ­land aus allen Gebie­ten der Ukraine zurück­ge­zo­gen habe. Was zäh­len schon Hun­der­tau­sende wei­tere Tote, wenn der Krieg noch ein paar Jahre andauert.

Was für ein Thea­ter, wie die Staats-Führer:innen am Nato-Gip­fel ihre harte Hal­tung zele­brier­ten. Und dabei die ebenso simple wie fal­sche Beschwö­rungs­for­mel repe­tier­ten, die lau­tet: Wir «guten», demo­kra­ti­schen Staa­ten der Nato ver­tei­di­gen das Völ­ker­recht und die Demo­kra­tie gegen die «bösen», des­po­ti­schen Auto­kra­tien – mit Waf­fen­ge­walt, und bis zum bit­te­ren Ende

Den Preis dafür zah­len (vor­läu­fig noch) die Men­schen im ukrai­ni­schen Kriegs­ge­biet. Tag­täg­lich ster­ben dort 1000 und mehr rus­si­sche und ukrai­ni­sche Soldat:innen – ganz zu schwei­gen von den Ver­letz­ten, Trau­ma­ti­sier­ten – den Zerstörungen…Die erschrecken­den Zah­len wer­den tot­ge­schwie­gen, von auto­ri­tä­ren wie auch von demo­kra­ti­schen Medien.

«Wir ver­su­chen hier, ein Ide­al­bild zu schaf­fen – zu sagen, jemand gewinnt und jemand ver­liert. Und die Ukraine muss gewin­nen», kri­ti­sierte der pol­ni­sche Jour­na­list Jan Opielka in der Sen­dung Phoe­nix Runde vom 10. Juli 2024 die Gegen­seite. Er for­dert das Ende des Kriegs, bei dem alle Ver­lie­rer seien: «Die Ukraine hat schon jetzt ver­lo­ren, so wie die Rus­sen auch schon ver­lo­ren haben – indem sie Hun­dert­tau­sende von Men­schen ver­lo­ren haben. Es wird kei­nen gerech­ten Frie­den geben…»

Auf ein bal­di­ges Ende des Mor­dens zielt auch der Vor­schlag der US-ame­ri­ka­nisch Histo­ri­ke­rin Mary Elise Sarotte, die dafür plä­diert, die vor­läu­fige Tei­lung der Ukraine zu akzep­tie­ren, zugun­sten eines bal­di­gen Frie­dens. Span­nend zu lesen ist zudem ihre Ana­lyse der histo­ri­schen Ent­wick­lun­gen, die klar auf­zeigt, wie in den 1990er Jah­ren die Vision eines «ent­mi­li­ta­ri­sier­ten Her­zens Euro­pas» ‚unter Ein­bin­dung von Russ­land, von der Bush-Regie­rung ver­hin­dert wurde.

Das alles inter­es­siert Hard­li­ner wie den Mili­tär­öko­no­men Mar­cus Keupp kei­nen Deut. Trotz wie­der­holt fal­scher Pro­gno­sen in Bezug auf den Krieg in der Ukraine, erhält er von den Medien regel­mäs­sig eine Platt­form für seine ideo­lo­gisch gelei­tete Kriegspropaganda.

Argu­mente, sie mögen noch so hieb- und stich­fest sein, wischt er mit einem süf­fi­san­ten Lächeln unter den Tisch und sagt Sätze wie, es sei ein­zig und allein an Putin, den Krieg zu been­den… Die Men­schen an der Front und ihre Ange­hö­ri­gen inter­es­sie­ren ihn nicht.

Dies ist an Zynis­mus kaum zu über­tref­fen, wenn man weiss, dass der Pri­vat­do­zent, der an der Mili­tär­aka­de­mie der ETH Berufsoffizier:innen für die Schwei­zer Armee aus­bil­det, sel­bet keine Lust auf deut­schen Mili­tär­dienst ver­spürte und es vor­zog, im Post­kar­ten­ver­fah­ren* Zivil­dienst zu lei­sten. Das eigene Leben für die viel­zi­tierte «Frei­heit und Demo­kra­tie» aufs Spiel zu set­zen, war ihm wohl dann doch zu viel.

Und heute? Wyt vom Gschütz git alti Chrie­ger, sag­ten die alten Eid­ge­nos­sen. Und gut bezahlte Militärökonomen.

* Unter der sozial-libe­ra­len Regie­rung von Hel­mut Schmidt beschloss der Bun­des­tag am 13. Juli 1977 eine Novelle des Wehr­pflicht­ge­set­zes und Zivil­dienst­ge­set­zes, wel­che am 1. August 1977 in Kraft trat. Neben der Ver­län­ge­rung des Zivil­dien­stes auf 18 Monate beinhal­tete es ein neues Ver­fah­ren zur Aner­ken­nung einer Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung. Zuvor muss­ten Wehr­pflich­tige, die den Kriegs­dienst aus Glau­bens- und Gewis­sens­grün­den ver­wei­gern woll­ten, vor einem Aus­schuss Rede und Ant­wort über ihre Beweg­gründe ste­hen. Das neue Gesetz schaffte nun jeg­li­che der­ar­tige Prü­fung ab. Es reichte, unter Beru­fung auf das Grund­ge­setz die Ver­wei­ge­rung zu erklä­ren, ohne dafür Beweg­gründe anzu­ge­ben. Da hierzu theo­re­tisch auch eine Post­karte aus­reichte, sprach man vom «Post­kar­ten­ver­fah­ren».

Kriegsdienstverweigerung – Recht auf Asyl?

Kürz­lich publi­zierte die inter­na­tio­nale Pres­se­agen­tur Pres­senza die Geschichte von Mikita, einem jun­gen bela­rus­si­schen Deser­teur, den die Euro­päi­sche Union – selbst­er­nannte Ver­tei­di­ge­rin der «west­li­chen Werte» – nach Weiss­russ­land zurück­schicken will. Obschon ihm dort Fol­ter und Gefäng­nis, wenn nicht gar die Todes­strafe drohen.

Ange­fan­gen hat die Geschichte im Herbst 2021, als der damals 18jährige Mikita zum obli­ga­to­ri­schen Wehr­dienst in die bela­rus­si­sche Armee ein­ge­zo­gen wurde. Nur sechs Monate spä­ter wurde der Krieg in der Ukraine los­ge­tre­ten. Die jun­gen Sol­da­ten muss­ten damit rech­nen, schon bald als Kano­nen­fut­ter im Dien­ste Lukaschen­kos und Putins an die Front geschickt zu werden.

Ein Krieg, den Mikita nicht mit­tra­gen konnte und wollte. Wäh­rend einer Mili­tär­übung nahe der Grenze zu Litauen, gelang ihm im Mai 2022 die Flucht in die EU. In Litauen stellte der junge Mann umge­hend einen Asyl­an­trag. Die­ser wurde vor weni­gen Wochen in zwei­ter Instanz und damit defi­ni­tiv abge­lehnt. Die Begrün­dung: Bela­rus sei ein siche­res Land, eine Rück­kehr für den geflüch­te­ten Sol­da­ten problemlos.

Eine Ein­schät­zung, die in kras­sem Wider­spruch zu all den Zeu­gen­be­rich­ten über Repres­sio­nen, Fol­ter und Miss­hand­lun­gen von Men­schen wie Mikita durch das weiss­rus­si­sche Régime steht. Wenn es um Kri­tik an Lukaschen­kos Unrechts­staat geht, ken­nen west­li­che Politiker:innen in der Regel keine Zurück­hal­tung. Umso stos­sen­der ist es, dass nun aus­ge­rech­net jene Men­schen, die sich wei­gern, im Namen die­ses Staa­tes zu töten, zurück­ge­schickt statt geschützt wer­den sollen.

Mikita ist kein Ein­zel­fall. Ver­schie­dene Quel­len berich­ten, dass bela­rus­si­sche Geflüch­tete in Litauen heute als «Bedro­hung der natio­na­len Sicher­heit» gese­hen und des­halb immer öfter abge­scho­ben werden.

Olga Karach, die Lei­te­rin des Men­schen­rechts­zen­trums «Unser Haus», die sel­ber vor den Repres­sio­nen in ihrer bela­rus­si­schen Hei­mat nach Litauen geflüch­tet ist, schil­dert gegen­über der Zeit­schrift «Spinn­rad» die zuneh­mend auf­ge­heizte Stim­mung: «Einige wer­den sogar mit einem fünf­jäh­ri­gen Visum­ver­bot für die Euro­päi­sche Union zurück­ge­scho­ben, selbst Men­schen, die seit vie­len Jah­ren in Litauen leben, die Spra­che sehr gut beherr­schen und sehr gut inte­griert sind. Auch ich wurde zur Bedro­hung der natio­na­len Sicher­heit Litau­ens erklärt, weil wir in Litauen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer aus Gewis­sens­grün­den schüt­zen. Natür­lich sind wir strikt dage­gen, sie nach Weiss­russ­land abzuschieben.»

Nicht nur Litauen tut sich schwer mit dem Schutz geflüch­te­ter Kriegsdienstverweigerer:innen. Auch im übri­gen Europa und in der Schweiz ist die Flucht vor staat­lich ver­ord­ne­tem Töten kein aus­rei­chen­der Asyl­grund. Im Gegen­teil, denn im welt­wei­ten mili­tä­ri­schen Den­ken und Han­deln gibt es ein all­ge­mein­gül­ti­ges Dogma: Befehl ist Befehl. Wer sich die­ser Maxime ver­wei­gert, ist hart zu bestra­fen. Dienst­ver­wei­ge­rung wird des­halb kaum als Asyl­grund aner­kannt, auch in der Schweiz nicht. Sie wird als Schwe­ster der Deser­tion behan­delt, die in der Mili­tär­lo­gik zum Zer­fall der Befehls­ma­schi­ne­rie führt.

Gerade aus die­sem Grund ist die Auf­nahme und Unter­stüt­zung von Men­schen, die sich dem Krieg ver­wei­gern, ein radi­ka­ler und sinn­vol­ler Akt der Friedenspolitik.

Statt­des­sen wer­den Friedensaktivist:innen ver­folgt, ein­ge­sperrt und miss­han­delt – beson­ders schlimm ist es in krieg­füh­ren­den Län­dern wie Israel, Russ­land oder der Ukraine, wo Män­ner zum Kriegs­dienst gezwun­gen wer­den. Dies nota­bene, obschon die UNO seit 1987 Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung aus Gewis­sens­grün­den als Men­schen­recht anerkennt.

Ein Men­schen­recht, das in Zei­ten von Auf­rü­stung und neu ange­heiz­tem Mili­ta­ris­mus quer in der Polit­land­schaft steht und bei uns für Kon­tro­ver­sen sorgt. Umso wich­ti­ger ist die Unter­stüt­zung jener muti­gen Men­schen, die sich der Kriegs­ma­schi­ne­rie offen entgegenstellen.

So wie Sofia Orr und Tal Mit­nick, die sich wei­ger­ten, ihren obli­ga­to­ri­schen Mili­tär­dienst in Israel anzu­tre­ten. Die 19jährige Sofia ver­brachte fast drei Monate im Mili­tär­ge­fäng­nis, bevor sie das Mili­tär­ge­richt zur «Dienst­ver­wei­ge­re­rin aus Gewis­sens­grün­den» erklärte – ein Sta­tus, den man ihrem Kol­le­gen Tal* bis­lang ver­wei­gerte. Er begrün­dete seine Ver­wei­ge­rung im Dezem­ber 2023 mit den Wor­ten: «Ich wei­gere mich zu glau­ben, dass mehr Gewalt Sicher­heit brin­gen wird. Ich wei­gere mich, an einem Krieg der Rache teilzunehmen.»

Noch sind es nur wenige, die den Mut haben, sich gegen die Ein­be­ru­fung zu stel­len – weil für viele wohl die Pflicht am Vater­land vor­geht. Andere sehen schlicht und ein­fach keine Mög­lich­keit, sich dem Befehl zu ent­zie­hen – der Druck von Fami­lie und Gesell­schaft mag eben­falls eine ent­schei­dende Rolle spielen.

Etan Nechin, ein ehe­ma­li­ger israe­li­scher Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer, der heute in New York lebt, schreibt aus eige­ner Erfah­rung: «Ver­wei­ge­rung ist nicht hero­isch, aber sie drückt eine andere Art von Ent­schlos­sen­heit aus: Die Ent­schlos­sen­heit, allein zu ste­hen, die Kom­ple­xi­tät des Dis­sen­ses zu bewäl­ti­gen und ange­sichts gesell­schaft­li­cher Span­nun­gen sei­nen Über­zeu­gun­gen treu zu blei­ben; zu erken­nen, dass Rebel­lion not­wen­dig ist, wenn Men­schen einem gewalt­tä­ti­gen und unhalt­ba­ren Sta­tus quo gegenüberstehen.»

Rebel­lion statt Fah­nen­eid auf mili­tä­ri­schen Gehor­sam: Damit wird dem Mili­ta­ris­mus und letzt­lich den Kriegs­trei­bern das Was­ser abge­gra­ben. Genauso wie mit einer Frie­dens­po­li­tik, die statt dem süs­sen Gift von Waf­fen­lie­fe­run­gen und end­lo­ser Ankur­be­lung der Kriegs­in­du­strie zu erlie­gen, Men­schen unter­stützt, die sich dem Krieg ver­wei­gern und ihnen Asyl bietet. 

Ernst Bar­lach, Dom Mag­de­burg: Denk­mal des Krieges

* Nach­trag: Nach 185 Tagen im Knast wurde der 18jährige Tal Mit­nick am 11. Juli 2024 aus dem Mili­tär­dienst ent­las­sen. Er war im Dezem­ber 2023 der erste Wehr­dienst­ver­wei­ge­rer seit Beginn des Gaza-Kriegs und hat die läng­ste Haft­zeit aller Dienst­ver­wei­ge­rer des letz­ten Jahr­zehnts ver­büsst. Sein Kom­men­tar: «Ich bin erleich­tert, dass ich nach so lan­ger Zeit frei­ge­las­sen wurde. Glück­li­cher­weise hatte ich die Mög­lich­keit, mich amKampf gegen den Krieg und die Besat­zung zu betei­li­gen. In unse­rer Gesell­schaft meh­ren sich die Stim­men, die erken­nen, dass nur Frie­den Sicher­heit garan­tie­ren kann… »

Neutralität und Friedenspolitik

Letzte Woche haben unsere Bundesrät:innen über die Neu­tra­li­täts­in­itia­tive bera­ten und diese erwar­tungs­ge­mäss abge­lehnt. Rundum und ohne Gegen­vor­schlag. Die Absage an das von den Medien gerne als «SVP-» oder gar «Blo­cher-Initia­tive» titu­lierte Volks­be­geh­ren wurde von die­sen denn auch begrüsst.

Neu­tra­li­tät sei ein über­hol­tes Kon­zept heisst es fast uni­sono. Deren Ver­an­ke­rung in der Ver­fas­sung ver­hin­dere eine zeit­ge­mässe Aus­sen­po­li­tik, das Völ­ker­recht sei wich­ti­ger als «Neu­tra­li­tät» – gerade der Krieg in der Ukraine mache deut­lich, dass man Par­tei ergrei­fen müsse für ein Land, das von einem Aggres­sor heim­ge­sucht werde.

Die medial ver­brei­tete Bot­schaft täuscht jedoch. Dies nicht zuletzt, weil in unse­ren Main­stream-Medien ein­mal mehr nur die immer­glei­chen «Expert:innen» zu Wort kom­men. So wer­den jene Stim­men weit­ge­hend unter­schla­gen, die sich für die Neu­tra­li­täts-Initia­tive stark machen, aber mit der SVP und deren Absich­ten nichts, aber auch gar nichts am Hut haben.

Um «lin­ken» Argu­men­ten, die für die Neu­tra­li­täts­in­itia­tive spre­chen, Gehör zu ver­schaf­fen, haben die Poli­to­lo­gen Wolf Lin­der und Pas­cal Lot­taz zusam­men mit der Eth­no­lo­gin Verena Tobler Lin­der Anfang Jahr den «Auf­ruf von Lin­ken und Grü­nen: Ja zur Neu­tra­li­täts­in­itia­tive!» lanciert. *

Mit der Ver­an­ke­rung der Neu­tra­li­tät in der Ver­fas­sung, so die Autor:innen, gebe man der Aus­sen­po­li­tik eine klare Rich­tung vor und signa­li­siere dem Aus­land, was von der Schweiz zu erwar­ten sei: Die Schweiz tritt kei­nem Mili­tär- oder Ver­tei­di­gungs­bünd­nis bei und betei­ligt sich weder an mili­tä­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Dritt­staa­ten noch an Sank­tio­nen gegen krieg­füh­rende Staa­ten. Nur so kann die Schweiz künf­tig wie­der glaub­wür­dig als Ver­mitt­le­rin zur Lösung von Kon­flik­ten auftreten.

Neu­tra­li­täts­for­scher Pas­cal Lot­taz skiz­ziert in der aktu­el­len Aus­gabe von «Unsere Welt», der Zei­tung der Schwei­ze­ri­schen Frie­dens­be­we­gung, die Bedeu­tung der Unpar­tei­lich­keit gerade in Bezug auf Frie­dens­po­li­tik: «Die Neu­tra­li­tät ist nicht gegen die­sen oder jenen Staat zu ver­ste­hen, son­dern für alle und jeden, der mit uns arbei­ten will. Wir enga­gie­ren uns für das Gemein­wohl der gan­zen Staa­ten­ge­sell­schaft und las­sen uns nicht von der einen oder ande­ren Inter­es­sen­grup­pie­rung in deren Kon­flikte oder gar deren Kriegs­lo­gik einspannen.»

Dies steht in kras­sem Gegen­satz zur aktu­el­len Posi­tio­nie­rung der Schwei­zer Poli­tik im Ukrai­ne­krieg. Schon in der Ver­gan­gen­heit hat­ten Politiker:innen von rechts bis grün durch ihre neu­tra­li­täts-wid­ri­gen Unter­stüt­zung der USA und Deutsch­lands die Schweiz als Ver­mitt­le­rin zwi­schen den Kriegs­par­teien unmög­lich gemacht. End­gül­tig ver­rannt hat sich der Bun­des­rat schliess­lich mit dem vom ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten orche­strier­ten Tref­fen auf dem Bürgenstock.

Ver­rannt hat sich aber nicht nur der Bun­des­rat – auch im Lager von selbst­er­nann­ten Pazifist:innen und Antimilitarist:innen hat der Ukrai­ne­krieg Wind­fah­nen und Wen­de­hälse her­vor­ge­bracht. Allen voran bei der GSoA (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee), die vor 40 Jah­ren ange­tre­ten ist, die Schwei­zer Armee abzuschaffen.

Statt gegen die Auf­stockun­gen von Mili­tär­bud­gets und Ein­bin­dung in die Nato zu pro­te­stie­ren, ruft die GSoA nach stär­kere Par­tei­nahme für die Ukraine und Waf­fen­lie­fe­run­gen an die eine Kriegspartei.

Jo Lang, einst Bür­ger­schreck und Armee­ab­schaf­fer, tritt jetzt als Sprach­rohr der GSoA an Demos in ukrai­ni­sches Fah­nen­tuch gehüllt auf und ver­kün­det: «Es ist doch logisch, dass sich die Ukraine mit Waf­fen ver­tei­digt. Wir als Pazi­fi­sten wol­len nicht, dass ein Kriegs­herr wie Putin gewinnt. Darum ist es zuläs­sig, dass man gewisse Waf­fen liefert.»

An ihrer Voll­ver­samm­lung Anfang Mai 2024 hat die GSoA eine Reso­lu­tion zur Ukraine ver­ab­schie­det. Ori­gi­nal­ton: «Wer für den Frie­den ist, übt maxi­ma­len Druck aus, um Putins Macht zu schwä­chen und ihn so an den Ver­hand­lungs­tisch zu zwin­gen…». Kein Wort gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen, keine For­de­rung nach Waf­fen­still­stand, wie es sich für eine Frie­dens­be­we­gung gehört.

Diese kriegs­trei­be­ri­sche Rhe­to­rik stösst bei Friedensaktivist:innen aber auf Wider­stand. In ihrem offe­nen Brief an die GSoA bezeich­net Denise Platt­ner, Rechts­be­ra­te­rin beim IKRK, die Reso­lu­tion als Ver­rat am ukrai­ni­schen Volk, das sich nichts sehn­li­cher wün­sche, als dass die Feind­se­lig­kei­ten schnellst­mög­lich ein­ge­stellt wür­den. «In jedem Fall muss allein die Ukraine auf demo­kra­ti­sche Weise über ihr Schick­sal ent­schei­den, und es ist sicher­lich nicht die Auf­gabe eines frem­den Staa­tes und schon gar nicht einer Grup­pie­rung, die sich als anti-mili­ta­ri­stisch ver­steht, dar­über zu ent­schei­den, wel­che Bedin­gun­gen erfüllt sein müs­sen, damit das Töten auf­hört», führt Platt­ner wei­ter aus und for­dert die GSoA auf, ihre Posi­tion zu überdenken.

Sofern sie aller­dings an ihrer Rich­tung fest­hält und wei­ter­hin mit Waf­fen Frie­den schaf­fen will, sollte die sich als lau­te­ste Stimme der Schwei­zer Frie­dens­be­we­gung auf­plu­sternde GSoA umge­hend ihren Namen ändern. Alles andere wäre Eti­ket­ten­schwin­del für die­ses Grüpp­lein, das ori­en­tie­rungs­los herumrudert.

P.S. Beim Ver­ein «Schwei­ze­ri­sche Frie­dens­be­we­gung» ist noch drin, was drauf steht. Pazi­fis­mus pur. Nach­zu­le­sen etwa auf ihrer Home­page oder in der Zei­tung «Unsere Welt».

Kom­men­tar von Wolf Lin­der in der NZZ vom 16.7.2024 zu Neu­tra­li­tät und Nato – auf­schluss­reich und auf den Punkt gebracht:

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