Schweizer Zynismus

Der Chef des Palä­sti­nen­ser-Hilfs­werks UNRWA Phil­ipp Laz­z­a­rini lei­stet die­ser Tage das Men­schen­mög­li­che. Damit die drin­gend benö­tigte huma­ni­täre Hilfe für die Kriegs­op­fer im Gaza­strei­fen nicht ver­siegt, reist er zur­zeit von Land zu Land, um die Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker zu bewe­gen, ihre Ver­pflich­tun­gen gegen­über der UNRWA ein­zu­hal­ten und ihre Zah­lun­gen wie­der aufzunehmen.

Zur Erin­ne­rung: Nach­dem Israel 12 Mitarbeiter:innen des Hilfs­werks beschul­digt hatte, an den Attacken gegen Israel vom 7. Okto­ber 2023 betei­ligt gewe­sen zu sein, stell­ten zahl­rei­che Staa­ten – dar­un­ter auch die Schweiz – ihre Unter­stüt­zung für das UNRWA ein.

Die UNO und Laz­z­a­rini reagier­ten sofort: Die von Israel bezeich­ne­ten Mit­ar­bei­ter wur­den umge­hend dis­pen­siert, eine interne sowie eine externe Unter­su­chung ein­ge­lei­tet. Bis­lang konn­ten die Anschul­di­gun­gen nicht erhär­tet wer­den, was die israe­li­sche Regie­rung nicht davon abhält, ihre Stra­te­gie zur Ver­nich­tung des UNRWA unver­fro­ren weiterzuverfolgen.

Gleich­zei­tig hat sich die Situa­tion in den palä­sti­nen­si­schen Gebie­ten in den letz­ten Mona­ten dra­ma­tisch ver­schlim­mert. Die israe­li­sche Besat­zungs­ar­mee hat im Gaza­strei­fen eine huma­ni­täre Kata­stro­phe ange­rich­tet und hört trotz inter­na­tio­na­ler Pro­te­ste nicht auf, die Zivil­be­völ­ke­rung zu beschies­sen und aus­zu­hun­gern. Mitt­ler­weile wur­den über 32’000 Men­schen getö­tet, 75’000 ver­letzt. Zer­stö­rung, Ver­trei­bung und nun auch noch der Hun­ger – was vor den Augen der Welt­öf­fent­lich­keit im Gaza­strei­fen geschieht, ist kaum zu fassen.

Dass Israel das UNWRA mit allen Mit­teln los­wer­den möchte, ist seit lan­gem bekannt. Aber krieg­füh­rende Par­teien wie Israel haben sich noch nie um die Opfer ihrer Bom­bar­die­run­gen geküm­mert. Des­halb braucht es inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tio­nen wie das Rote Kreuz und das UNRWA. Die­ses kennt mit Tau­sen­den von Mit­ar­bei­ten­den vor Ort die Umstände, ver­fügt über ein Netz­werk, wie keine andere Hilfs­or­ga­ni­sa­tion in Palästina. 

Auf­grund des vor­ei­li­gen Zah­lungs­stopps droht dem UNRWA aber in Kürze das Geld aus­zu­ge­hen. Aus­ge­rech­net jetzt, wo seine Hilfe drin­gen­der denn je benö­tigt wird. UNRWA-Chef Phil­ipp Laz­z­a­rini, der ange­sichts der gros­sen Her­aus­for­de­run­gen eigent­lich mit der ope­ra­tio­nel­len Lei­tung der Orga­ni­sa­tion schon genug am Hut hätte, ist nun unter­wegs auf einer unwür­di­gen Bet­tel­tour, um die poli­ti­schen Entscheidungsträger:innen zu bewe­gen, die ver­spro­che­nen Bei­träge ans UNRWA freizugeben.

Letzte Woche musste Laz­z­a­rini in die­ser Sache auch vor der Aus­sen­po­li­ti­schen Kom­mis­sion (APK) des Natio­nal­rats in der Schweiz Red und Ant­wort ste­hen. Und gab der Hoff­nung Aus­druck, dass die Schweiz bald ihre Zah­lun­gen wie­der auf­neh­men und wie in der Ver­gan­gen­heit als ver­läss­li­che, unter­stüt­zende Part­ne­rin des UNRWA auf­tre­ten werde. Wie dies andere west­li­che Staa­ten bereits getan haben.

Diese Hoff­nung wurde bit­ter ent­täuscht: Die 20 Mil­lio­nen Fran­ken, wel­che die Schweiz für 2024 an das UNRWA zah­len müsste, blei­ben vor­läu­fig ein­ge­fro­ren. Die sat­ten, selbst­ge­rech­ten Kom­mis­si­ons­mit­glie­der – allen voran die Natio­nal­räte Franz Grüt­ter (SVP) und Hans-Peter Port­mann (FDP) sowie Eli­sa­beth Schnei­der-Schnei­ter (Mitte) – höhn­ten, Laz­z­a­rini habe «eine Chance ver­passt» und ihnen «nicht glaub­haft wider­le­gen kön­nen, dass die Schwei­zer Gel­der für das UNRWA even­tu­ell doch in ter­ro­ri­sti­schen Hän­den landen.»

Auch das EDA ver­kriecht sich und ver­laut­bart, man warte die End­ergeb­nisse der exter­nen Unter­su­chung zu den israe­li­schen Vor­wür­fen ab, bevor der Bun­des­rat einen Ent­scheid fäl­len werde – der dann wie­derum der APK vor­ge­legt wer­den muss. Bis es soweit ist, dürf­ten noch Wochen verstreichen.

Mit ihrem demon­stra­ti­ven Abwar­ten und Nichts­tun für die ver­hun­gern­den und ver­dur­sten­den Men­schen im Gaza­strei­fen, machen sich die unver­ant­wort­li­chen Schwei­zer Volksvertreter:innen mit­schul­dig an den Kriegs­ver­bre­chen im Nahen Osten. Ein­fach nur schä­big. Müs­sen wir als Wähl- und Stimm­volk das akzeptieren?

Ein­zig Nico­las Wal­der (Grüne), eben­falls Mit­glied der APK, for­derte nach der Anhö­rung von Laz­z­a­rini in den Medien eine Wie­der­auf­nahme der Zah­lun­gen und wies dar­auf hin, dass der Zusam­men­bruch des UNRWA für die Men­schen in Gaza ver­hee­rende Fol­gen habe, was die mei­sten Län­der mitt­ler­weile begrif­fen hätten.

In der Tat gehört die Schweiz inzwi­schen zu einer klei­nen Gruppe von Hard­li­nern, die sich wei­gern, das UNRWA wei­ter zu unter­stüt­zen. Andere Natio­nen, wie etwa Spa­nien haben bereits im Februar die UNRWA mit einer Son­der­zah­lung unter­stützt, die skan­di­na­vi­schen Län­der sowie Kanada und Austra­lien haben ihre Zah­lun­gen in den letz­ten Wochen wie­der auf­ge­nom­men. Und sogar Deutsch­land hat 40 Mil­lio­nen fürs UNRWA bewil­ligt – die aller­dings – nicht im Gaza­strei­fen ein­ge­setzt wer­den dürfen.

Nach sei­nem Tref­fen mit den Schwei­zer Politiker:innen ist Phil­ipp Laz­z­a­rini letzte Woche nach Japan wei­ter­ge­reist. Auch dort stiess er auf mehr Empa­thie und Enga­ge­ment für die not­lei­den­den Men­schen in Gaza als in sei­nem Hei­mat­land: In der ersten April-Hälfte wird Japan die gestopp­ten Zah­lun­gen wie­der freigeben.

WOZ-Abo – das war’s

Heute ist der 1. Mai und ich habe soeben mein WOZ-Abo gekün­digt. Damit kommt eine jah­re­lange Bezie­hung zu einem trau­ri­gen Ende. Was habe ich für diese Zei­tung gewor­ben, Freund:innen und Nef­fen mit Pro­be­a­bos ange­fixt, immer wie­der zitiert, gelobt, ver­tei­digt – und ja, auch ab und an für sie geschrieben…

Natür­lich war und bin ich nicht immer mit allem ein­ver­stan­den, was in der WOZ steht. Trotz­dem bin ich dabei geblie­ben, aus der Über­zeu­gung, dass WOZ-Journalist:innen ihr Hand­werk beherr­schen und sich an den Stan­dards eines pro­fes­sio­nel­len und fak­ten­ba­sier­ten Recher­che­jour­na­lis­mus orientieren. 

Lei­der ist diese Über­zeu­gung in den letz­ten Jah­ren immer öfter ins Wan­ken gera­ten. Stra­pa­ziert wurde sie etwa mit dem salop­pen Eti­ket­ten-Schimpf­wort «Coronaleugner:innen», das all jenen, die auch nur leise Kri­tik an der Schwei­zer Corona-Poli­tik wag­ten, ver­passt wurde. Inbe­grif­fen die Unter­stel­lung eines Rechtsd­ralls und dem Hang zu Verschwörungstheorien.

Immer öfter neh­men WOZ-Schrei­bende für sich in Anspruch, die ein­zig­wahre Wahr­heit links der poli­ti­schen Mitte zu ver­tre­ten. Das ist nicht nur anmas­send, son­dern auch lang­wei­lig und dumm. Guter Jour­na­lis­mus heisst näm­lich, dass sich der Leser, die Lese­rin auf­grund recher­chier­ter Infor­ma­tio­nen sel­ber eine Mei­nung bil­den kann.

Die WOZ gebär­det sich aber lie­ber als hel­ve­ti­sche Prawda im Taschen­for­mat. Ins­be­son­dere, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht: Argu­mente und Bestre­bun­gen für Ver­hand­lun­gen und ein bald­mög­lich­stes Ende der Kampf­hand­lun­gen haben in der Wochen­zei­tung kei­nen Platz. Ein­heits­front heisst das seit je im lin­ken Voka­bu­lar. Wer sich also nicht ein­reiht unter die Waffenforderer:innen zur «Unter­stüt­zung der Ukraine» und zur «Ver­tei­di­gung unse­rer west­li­chen Werte», wird nie­der­ge­schrien und mit Häme über­gos­sen. Ein beson­ders häss­li­ches Bei­spiel war etwa im Februar die unsäg­li­che Dif­fa­mie­rung von Sahra Wagen­knecht und Alice Schwar­zer, die sich erlaubt haben, eine Frie­dens­demo in Ber­lin zu organisieren.

In der jüng­sten Aus­gabe brei­tet die WOZ-Repor­te­rin Anna Jik­har­eva, auf einer Dop­pel­seite aus­ge­walzt, eine Schimpf­ti­rade gegen all jene Lin­ken aus, die nicht in die main­strea­mige Kriegs- und Waf­fen­lo­gik ein­stim­men wol­len. Und kommt zum Schluss: «Die Grä­ben, die sich im letz­ten Jahr auf­ge­tan haben, wer­den sich so schnell nicht zuschüt­ten las­sen. Das würde nicht nur ein Zuhö­ren und Wis­sen­wol­len vor­aus­set­zen, son­dern auch eine ehr­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit lin­ker Gewalt­ge­schichte und ihrer Sym­bo­lik, einen Abschied von alten Feind­bil­dern und beque­men Gewissheiten.»

Nun, aus pazi­fi­sti­scher Sicht muss man, bei einer ehr­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung mit Gewalt­ge­schichte, zu einem ande­ren Schluss kom­men: Wahr ist, dass Links und Pazi­fis­mus per se keine Syn­onyme sind. Und dass es in Bezug auf Waf­fen und Krieg gerade in der Lin­ken schon immer Debat­ten, Streit und Frak­ti­ons­bil­dung gege­ben hat. Das ist heute nicht anders als vor 100 Jahren.

Umso wich­ti­ger wären gegen­sei­ti­ges Zuhö­ren, Wis­sen­wol­len und Debat­tie­ren. Genau das haben aber Anna Jik­har­eva und ihre Kol­le­gen von der WOZ-Redak­tion anläss­lich einer Podi­ums­dis­kus­sion am Vor­abend des 1. Mai ver­hin­dert: Anläss­lich der Ver­nis­sage zum jüng­sten WIDER­SPRUCH-Heft mit dem Titel «Ukraine, Krieg, linke Posi­tio­nen» kamen sie, um zu stören.

Statt zuzu­hö­ren und sich ein­zu­brin­gen, hat die WOZ-Redak­ti­ons­de­le­ga­tion mit thea­tra­lisch zur Schau gestell­ter Her­ab­las­sung und aggres­si­ven Inter­ven­tio­nen eine kon­struk­tive Dis­kus­sion im Keim erstickt.

State­ments vom Podium quit­tier­ten sie mit Grin­sen, per­ma­nen­tem Getu­schel und halb­lau­ten Kom­men­ta­ren. Dies, und ihr stän­di­ges Her­um­spie­len auf den Smart­phones störte und ärgerte jene, die gekom­men waren, um sich ernst­haft mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Daran hat­ten die anwe­sen­den WOZ-«Journalist:innen» null Inter­esse – wozu auch: Ihre eigene Mei­nung ist längst gemacht, sie steht Woche für Woche im Blatt. Andere Posi­tio­nen und Argu­mente woll­ten sie gar nicht hören. Im Gegen­teil: Mit halt­lo­sen Vor­wür­fen und Ver­zer­run­gen ver­such­ten sie, die neue Aus­gabe des WIDERSPRUCH niederzumachen.

So nicht, liebe WOZ. Nach­dem ich gestern Abend gese­hen habe, wie ihr «arbei­tet», gibt es für mich nur eins: Ich kün­dige mein Abo per sofort. Und werde mich künf­tig damit begnü­gen, monat­lich den «Monde diplo­ma­tique» zu lesen – ein For­mat, das ein paar Num­mern grös­ser ist als die Wochenzeitung.

Tüüfels-Chile statt Ostermarsch

Oster­mon­tag – ein strah­len­der Früh­lings­tag. Wir machen uns auf den Weg zum Bahn­hof. Für uns ist die­ses Jahr der Oster­marsch in Bern kein Thema. Weil er dies­mal defi­ni­tiv kein Marsch für den Frie­den im Gei­ste der Oster­marsch-Tra­di­tion ist. Leider.

Schon im Februar hatte das Orga­ni­sa­ti­ons­ko­mi­tee rund um die GSoA mit ihrem Alters­di­ri­gen­ten Jo Lang die «Schwei­ze­ri­sche Frie­dens­be­we­gung» (SFB) von der Teil­nahme am dies­jäh­ri­gen Oster­marsch aus­ge­schlos­sen. Ohne vor­he­rige Dis­kus­sion oder Anhö­rung – ein­fach, weil die kon­se­quent pazi­fi­sti­sche Hal­tung der SFB dem Frie­dens-Zen­tral­ko­mi­tee nicht in den Kram passte.

Im Unter­schied zu den aktu­ell regie­ren­den Oster­marsch-Orga­ni­sa­to­ren sagt die Schwei­ze­ri­sche Frie­dens­be­we­gung mit aller Deut­lich­keit «JA zur Neu­tra­li­tät, NEIN zur Annä­he­rung an die NATO!» und for­dert kon­flikt­lö­sende Frie­dens­ver­hand­lun­gen statt Sanktionen.

Bereits anläss­lich des letzt­jäh­ri­gen Oster­mar­sches hatte ein Teil der GSoA – unter dem Ein­druck des Kriegs in der Ukraine – Grund­pfei­ler des Pazi­fis­mus wie die kate­go­ri­sche Ableh­nung von Waf­fen­lie­fe­run­gen jeg­li­cher Art, infrage gestellt. Jo Lang und sein Umfeld pro­pa­gie­ren seit­her ein «poli­tisch-prag­ma­ti­sches Vor­ge­hen», das eine Ver­wäs­se­rung der Pazi­fis­mus-Idee bis zur Unkennt­lich­keit zur Folge hat.

Mit der «Schwei­ze­ri­schen Frie­dens­be­we­gung» hat das Oster­marsch-Komi­tee aus­ge­rech­net jene Orga­ni­sa­tion kalt­ge­stellt, die seit den Anfän­gen der Oster­marsch­be­we­gung in den 1960er Jah­ren nicht nur aktiv an allen Oster­mär­schen teil­ge­nom­men hat, son­dern diese auch mit­trug und wesent­lich mitprägte.

Es erstaunt des­halb nicht, dass die­ses Jahr mit rund 500 Mit­mar­schie­ren­den nur gerade die Hälfte der letzt­jäh­ri­gen Teil­neh­men­den erreicht wer­den konnte. Statt wie frü­her von blau-weis­sen Frie­dens­tau­ben­pla­ka­ten beglei­tet, sind auf den Fotos bloss uni­forme Peace-Regen­bo­gen­fah­nen im Umzug aus­zu­ma­chen. Orga­ni­sa­tio­nen und Trans­pa­rente, wel­che die Sank­tio­nen der Schweiz gegen Russ­land aus guten Grün­den infrage stel­len und vom Dik­tat der Orga­ni­sa­to­ren abwi­chen, wur­den kur­zer­hand ausgegrenzt. 

Damit hat das Oster­marsch-Komi­tee die Frie­dens­be­we­gung gleich dop­pelt ver­ra­ten: Das Auf­ge­ben einer kon­se­quent pazi­fi­sti­schen Hal­tung wird zum neuen Pro­gramm, Viel­falt zu Einfalt.

Ganz anders die Bil­der vom dies­jäh­ri­gen Oster­marsch in Ber­lin: Dort wurde nie­mand aus­ge­schlos­sen, und die Stoss­rich­tung der Kund­ge­bung war klar: Gegen Kriegs­trei­ber und Waf­fen­lie­fe­ran­ten – Enga­ge­ment für Frie­den und Aussöhnung.

Obschon Medien und Politiker:innen die von Alice Schwar­zer und Sahra Wagen­knecht initi­ierte frü­here Frie­dens­kund­ge­bung mit der For­de­rung nach einem Stopp von Waf­fen­lie­fe­rung uni­sono ver­teu­fel­ten, haben dop­pelt so viele Men­schen wie im Vor­jahr am Ber­li­ner Oster­marsch teil­ge­nom­men. Im Fokus der Redner:innen stan­den die Kri­tik der kapi­ta­li­sti­schen Ver­hält­nisse, die Not­wen­dig­keit gesell­schaft­li­cher Uto­pie und Soli­da­ri­tät mit den Leid­tra­gen­den des Krie­ges auf bei­den Sei­ten der Front.

In Bern weist nichts dar­auf hin, dass Jo Lang und seine Mit­red­ne­rin­nen sich zu Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukraine geäus­sert hät­ten. Viel­mehr wie­der­holte er sein Man­tra, wonach «Putin ohne die Aber­mil­lio­nen aus der Schweiz seine Kriegs­kasse nicht hätte fül­len können».

In eine ukrai­ni­sche Fahne gehüllt hatte der GSoA Grün­der­va­ter Lang anläss­lich der schwach besuch­ten «Frie­dens­kund­ge­bung» vom 22. Februar die­ses Jah­res in Bern die Waf­fen­frage bereits ähn­lich ele­gant umschifft.

GSoA ist bekannt­lich die Abkür­zung für Gruppe Schweiz ohne Armee. Es scheint, dass wir jetzt zur Kennt­nis neh­men müs­sen, dass es offen­bar einer Zusatz­be­zeich­nung bedarf: «GUmA/​GSoA – Gruppe für eine Ukraine mit Armee und eine Schweiz ohne Armee».

Diese (ver­strit­tene) Gruppe kann uns nicht mehr mobi­li­sie­ren. Wir zie­hen es vor, sol­chen «Frie­dens­de­mon­stra­tio­nen» fern­zu­blei­ben, die von eini­gen Weni­gen für ihre pri­vat­po­li­ti­schen Zwecke instru­men­ta­li­siert werden.

Des­halb sind wir am Oster­mon­tag nicht in Bern mar­schiert, son­dern zur Tüü­fels-Chile bei Koll­brunn und wei­ter berg­auf. Nach einem wun­der­ba­ren Tag sind wir hei­ter und beschwingt nach Hause zurück­ge­kehrt. Unsere Wut auf die GSoA (und den Rest des Schwei­zer Oster­marsch­ko­mi­tees) haben wir beim Tüü­fel depo­niert. Heim­ge­nom­men haben wir hin­ge­gen Mut und Lust, wei­ter­hin auf eige­nen Wegen für den Frie­den zu marschieren.

Pazifismus – wann, wenn nicht jetzt?

Krieg bedeu­tet Mord und Tot­schlag, Hor­ror und Elend. Leid­tra­gende sind Men­schen wie du und ich. Tag­täg­lich ver­lie­ren Hun­derte, Tau­sende welt­weit ihr Leben und ihre Exi­stenz als Folge sinn­lo­ser Zer­stö­rung und Ver­nich­tung. Krieg ist eine men­schen­ge­machte Kata­stro­phe. In jedem Fall grau­sam und nie gerecht.

Wer sich jedoch in die­sen Tagen vehe­ment gegen Krieg aus­spricht oder gar zum Pazi­fis­mus bekennt, wird nie­der­ge­schrien und ern­tet Kampf­an­sa­gen. Frie­dens­ver­hand­lun­gen sind ange­sichts des aktu­el­len Kriegs in der Ukraine ein Tabu­thema – zu dem auch ich allzu oft geschwie­gen habe. Aus Angst vor Dif­fa­mie­run­gen und Streit, dem per­sön­li­chen Frie­den zuliebe.

Nicht nur in Deutsch­land sind es aus­ge­rech­net Exponent:innen der Grü­nen, der ein­sti­gen Frie­dens­par­tei sowie des «lin­ken Estab­lish­ments», die heute die Kriegs­trom­mel schla­gen und laut nach Auf­rü­stung und Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukraine schreien. Ver­bun­den mit einer gehäs­si­gen Dif­fa­mie­rung gegen alle, die die­sen weit­ver­brei­te­ten Gesin­nungs­um­sturz in Frage stellen.

In der Schweiz wie in Deutsch­land lie­fern die Main­stream­m­e­dien mit plum­pen Schwarz­weiss­bil­dern tat­kräf­tig Unter­stüt­zung: Hier die demo­kra­ti­schen, frei­heits­lie­ben­den Hel­den der Ukraine, dort die ver­ge­wal­ti­gen­den rus­si­schen Hor­den. David gegen Goli­ath – gut gegen böse. Mit den Fak­ten nimmt man es dabei oft nicht allzu genau – es geht um die Mes­sage, nicht um Wahrheit.

Erschreckend und beäng­sti­gend, wie geschmiert diese Kriegs­pro­pa­ganda funk­tio­niert – und wie bereit­wil­lig man mit­mar­schiert und in das Kriegs­ge­heul miteinstimmt.

Auch in der Schweiz ertönt der Ruf nach Waf­fen für die Ukraine plötz­lich aus erstaun­li­chen Ecken: Weder die Gruppe Schweiz ohne Armee GSOA noch der Schwei­zer Frie­dens­rat stel­len sich – wie man es von ihnen erwar­tet hätte – vehe­ment gegen eine Auf­wei­chung des Waf­fen­lie­fe­rungs­ver­bots zugun­sten der Ukraine. Im Gegen­teil: Ruedi Tobler, Prä­si­dent des Schwei­ze­ri­schen Frie­dens­rats bezeich­net die Lie­fe­rung von Kriegs­ma­te­rial an die Ukraine als «legi­tim». Und der lang­jäh­rige GSOA-Prä­si­dent Joe Lang refe­rierte kürz­lich an einer Demo, in die gelb-blaue Natio­nal­flagge der Ukraine gehüllt, ein­sei­tig nur über die Kriegs­ver­bre­chen der Rus­sen und war sich nicht zu schade, Sahra Wagen­knecht, die Mit­in­iti­an­tin des Mani­fests «Auf­stand für den Frie­den», aufs häss­lich­ste zu diffamieren. 

«Auch ich war mal Pazi­fist, aber ich habe gelernt, dass es Momente gibt, wo man die Frei­heit mit Waf­fen­ge­walt ver­tei­di­gen muss. Genau das pas­siert im Moment», kom­men­tiert etwa Domi­nik Land­wehr, ehe­ma­li­ger Jour­na­list und Kul­tur­schaf­fen­der auf Face­book. So oder ähn­lich äus­sern sich viele in den Social Media. Dar­auf ange­spro­chen, recht­fer­tigt ein ehe­ma­li­ger Gesin­nungs­ge­nosse und Abrü­stungs­ak­ti­vist: «Sel­ber bin ich anfangs 70er Jahre mit der Waf­fen­aus­fuhr­ver­bots­in­itia­tive (Bühr­le­skan­dal der Schwei­zer Kano­nen in Biafra) poli­ti­siert wor­den, bin seit­her wei­ter für ein strik­tes Waf­fen­aus­fuhr­re­gime, aber jetzt wo es um die legi­time Ver­tei­di­gung gegen einen bru­ta­len Aggres­sor geht, für eine gezielte Ausnahme.»

Der stu­dierte Histo­ri­ker ist nicht der Ein­zige, der im Zusam­men­hang mit Putins Angriff auf die Ukraine von einem «bei­spiel­lo­sen Bruch der glo­ba­len Nach­kriegs­ord­nung zur fried­li­chen Kon­flikt­lö­sung unter unab­hän­gi­gen Staa­ten» spricht und dabei die Geschichte völ­lig ausblendet.

Ja, der mili­tä­ri­sche Angriff auf die Ukraine steht in kras­sem Gegen­satz zu dem, was wir unter «fried­li­cher Kon­flikt­lö­sung» ver­ste­hen und ist mit kei­nem, gar kei­nem Argu­ment zu recht­fer­ti­gen. Lei­der ist er aber nicht so bei­spiel­los und ein­ma­lig, wie man uns weis­ma­chen will. Wie war das etwa mit den US-ame­ri­ka­ni­schen Inter­ven­tio­nen von Viet­nam über den Irak bis nach Afgha­ni­stan – um nur einige Bei­spiele zu nennen? 

Wie war es 1999, als die NATO völ­ker­rechts­wid­rig Jugo­sla­wien mili­tä­risch angriff und so mass­geb­lich zum desa­strö­sen Koso­vo­krieg bei­trug? Die­sen Bruch ver­suchte man im Nach­hin­ein als «huma­ni­tä­ren Kriegs­ein­satz» zu recht­fer­ti­gen – noch so ein Begriff, der Tat­sa­chen ver­schlei­ert: Krieg ist und kann nie­mals «huma­ni­tär» sein. Und den Men­schen in Ex-Jugo­sla­wien hat er bis heute weder wirk­li­chen Frie­den noch Sicher­heit gebracht.

Nur vier Jahre spä­ter, Anfang 2003, pro­vo­zier­ten die USA den Irak­krieg, indem sie ganz bewusst die Welt mit Faken­ews über das Waf­fen­ar­se­nal des ira­ki­schen Dik­ta­tors Sad­dam Hus­sein in die Irre führ­ten. Damals waren wir 40’000 Men­schen, die in Bern für den Frie­den demon­strier­ten. Unter dem Motto «Kein Blut für Öl» enga­gierte sich eine breite pazi­fi­sti­sche Bewe­gung gegen die­sen Krieg.

Umso erschüt­tern­der, dass dies alles ver­ges­sen scheint und heute, 20 Jahre nach der letz­ten gros­sen Frie­dens­demo in der Schweiz, Pazi­fis­mus ein Schimpf­wort ist. Dabei bräuch­ten wir die Kraft des gewalt­freien Wider­stands, das Fest­hal­ten an Abrü­stung, Ver­hand­lun­gen und Befrie­dung gerade heute – viel­leicht sogar mehr denn je.

Die­ser Krieg tötet nicht nur die Men­schen in der Ukraine und zer­stört ihre Lebens­grund­la­gen – seine Aus­wir­kun­gen sind noch viel hor­ren­der: Plötz­lich ste­hen Mili­tär­aus­ga­ben und Auf­rü­stung wie­der ganz oben auf der Agenda aller Staa­ten welt­weit. Statt die drän­gen­den Pro­bleme der wach­sen­den Klima- und Bio­di­ver­si­täts­kri­sen anzu­ge­hen, ver­schärft man sie zusätz­lich. Statt für die Men­schen welt­weit Ernäh­rungs­si­cher­heit, Gesund­heits­ver­sor­gung und Men­schen­rechte durch­zu­set­zen, ver­geu­det man Res­sour­cen und Kräfte für Tötungs­ma­schi­nen und Zerstörung.

Auf das gibt es nur eine Ant­wort: Pazi­fis­mus. Weil man mit Waf­fen weder Frie­den noch Frei­heit oder Gerech­tig­keit schaf­fen kann. Ein Sieg der Ukraine, wie heute von vie­len Sei­ten gefor­dert, bedeu­tet auch, dass es einen Ver­lie­rer gibt. Womit bereits der näch­ste Krieg vor­pro­gram­miert ist. So war es immer. Und so wird es wei­ter sein, bis sich die Mensch­heit sel­ber aus­ge­löscht hat – wenn wir es nicht schaf­fen, aus die­ser Tötungs­spi­rale auszubrechen.

Was es jetzt drin­gend braucht, ist ein Waf­fen­still­stand und anschlies­send Ver­hand­lun­gen. Der Weg zu einer «Lösung» ist lang und schwie­rig – aber er kann erst began­gen wer­den, wenn die Waf­fen schwei­gen. Pazi­fis­mus ist kein Män­tel­chen, das man gegen einen Pan­zer ver­tauscht, sobald das Wet­ter etwas rauer wird.

Oder, wie es Kurt Tuchol­sky auf den Punkt gebracht hat: «Dass nie­mand von uns Lust hat, zu ster­ben – und bestimmt kei­ner, für eine sol­che Sache zu ster­ben. Dass Sol­da­ten, diese pro­fes­sio­nel­len Mör­der, nach vorn flie­hen. Dass nie­mand gezwun­gen wer­den kann, einer Ein­be­ru­fungs­or­der zu fol­gen – dass also zunächst ein­mal die see­li­sche Zwangs­vor­stel­lung aus­zu­rot­ten ist, die den Men­schen glau­ben macht, er müsse, müsse, müsse tra­ben, wenn es bläst. Man muss gar nicht. Denn dies ist eine simple, eine pri­mi­tive, eine ein­fach-grosse Wahr­heit: Man kann näm­lich auch zu Hause bleiben.»

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