Gerade mal sieben Jahre ist es her, dass die Schweizer Bevölkerung mit grosser Mehrheit NEIN gesagt hat, zum Neubau von Atomkraftwerken. Ein vernünftiger Entscheid. Dies insbesondere, weil der Betrieb von Atomkraftanlagen risikoreich ist und es bis heute – trotz aller Forschungen und Versprechen der Atomindustrie – keine Lösung für eine nachhaltige Entsorgung des radioaktiven Atommülls gibt.
Das scheint hierzulande seit letztem Mittwoch keine Rolle mehr zu spielen. Zumindest nicht für unsere Regierung. Der (ehemalige) Atomkraft-Lobbyist Albert Rösti hat keine zwei Jahre nach seiner Wahl in den Bundesrat sein damaliges und heutiges Ziel erreicht: Am 28. August 2024 hat der Gesamtbundesrat beschlossen, den Volksentscheid von 2017 zu übergehen und die Diskussion um den Neubau von Atomkraftwerken neu zu lancieren.
Rösti begründet die 180-Grad-Wende in der Energiepolitik mit einem Paradigmenwechsel: Der inzwischen beschlossene Ausstieg aus den fossilen Energien, die veränderte geopolitische Lage sowie das anhaltende Bevölkerungswachstum und Verzögerungen beim Ausbau von Wasser‑, Solar- und Windenergieanlagen würden es notwendig machen, das «Technologieverbot» aufzuheben.
Mit einem Paradigmenwechsel hat dies leider gar nichts zu tun – im Gegenteil: Der herbeigeschriebene unendliche Stromhunger in unserem Land (bei gleichzeitig gewaltiger Stromverschwendung) soll ohne Wenn und Aber weiter bedient werden. Dies nach altbekanntem Muster, unter Anwendung veralteter Technologien, deren Probleme bis heute ungelöst sind. Dafür ist der Bundesrat offenbar auch bereit, den ansonsten so vielgerühmten Volkswillen zu missachten.
Mit dem Heraufbeschwören einer drohenden Strommangellage soll die Bevölkerung nun in Stimmung gebracht werden. «Dieses Land braucht mehr Strom», behauptet Rösti. Tatsache ist jedoch, dass die grossen Elektrizitätsproduzenten mit Stromhandel in ganz Europa glänzende Gewinne machen.
Dafür verschwenden sie hierzulande massenhaft Energie, die wir zum Beispiel zur Stromspeicherung und Sicherung des inländischen Bedarfs in vorhandenen Speicherseen nutzen könnten. Diese sind nämlich unter anderem im Winter fast leer, weil Wasser zur Produktion von Strom abgelassen wird, der dann profitbringend von den Strombaronen ins Ausland exportiert wird.
Röstis Behauptung ist deshalb genauso tendenziös und einäugig wie das ständige Drohen mit einem Loch in der AHV-Kasse, wo urplötzlich infolge von Rechenfehlern unerwartete Milliardenguthaben aufgetaucht sind…
Das Powerplay der bürgerlichen Mehrheit in Parlamenten und Regierungen unseres Landes wird immer haarsträubender. Angesichts der hohen Wellen, welche die bundesrätlich abgesegnete Atomkraftauferstehung schlägt, ging eine weitere Meldung aus der Bundesratssitzung vom 28. August fast unter: Wie zuvor bereits der National- und Ständerat, kritisiert nun auch der Bundesrat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR in Sachen Klimaseniorinnen und behauptet dreist, die Schweiz habe diesbezüglich keinen Handlungsbedarf.
Obschon angesichts von Klimaerhitzung, Umweltgiften und schwindenden Ressourcen viele Zeichen auf Alarm stehen und dringend Handeln angesagt ist, setzt die Politik weiterhin auf stures Weitermachen-wie-bisher und greift dafür in die altbekannte Trickkiste der Angstmacherei. So auch bei der Biodiversitätsinitiative, die in bürgerlichen Propagandahagel geraten ist, angeführt wieder einmal vom Schweizer Bauernverband.
Dabei schrecken die Gegner vor Verzerrungen und Lügen nicht zurück. So ist etwa die Behauptung, bei einer Annahme des Verfassungszusatzes zum Schutz unserer gewachsenen Strukturen und Ressourcen, würden uns einheimische Nahrung und Strom ausgehen nichts anderes als eine Propagandalüge.
Die massiv mit unseren Steuergeldern subventionierte Landwirtschaft produziert auf 60 Prozent ihrer Flächen Tierfutter – würden unsere Bäuerinnen und Bauern vermehrt Nahrung für Menschen anbauen, sähe es mit dem inländischen Versorgungsgrad ganz anders aus.
Mit der Biodiversitätsinitiative haben wir die Chance, die Gewichtung der Prioritäten in der Verfassung wieder etwas zurechtzurücken. Dabei geht es in erster Linie darum, weitere Fehlentwicklungen zu verhindern und nicht noch mehr zu zerstören, als wir bereits kaputt gemacht haben. Dazu gehören nicht nur der Schutz und Erhalt natürlicher Ressourcen, sondern auch Massnahmen, um die Klimaerhitzung sowie das Zubauen unserer Städte und Naturlandschaften auf Kosten von Natur und Lebensqualität zu bremsen.
Vor diesem Hintergrund ist es schlicht unverständlich, dass die Gegnerschaft mit ihrer Verdrehungskampagne auf dem besten Weg ist, die Biodiversitätsinitiative zu Fall zu bringen.
Es wäre eine weitere Weichenstellung, die – wie auch das Kippen des AKW-Neubauverbots oder die Missachtung des EMRG-Urteils – in eine Sackgasse führt. Das Selbstbild der Schweiz als Vorzeigedemokratie hatte schon immer etwas Beschönigendes – mit den jüngsten Schachzügen entlarvt sich das bürgerliche Polit-Establishment endgültig als Verein von macht- und profitgetriebenen Pseudodemokrat:innen.