Die Zeit, als Normalsterbliche sich ein Haus in der Stadt Zürich leisten konnten, ist längst Geschichte. Die meisten Liegenschaften wechseln mittlerweile auch im einstigen Aussenquartier Oerlikon die Hand zu Millionenpreisen. Gekauft werden sie von profitorientierten Immobilienhaien, welche die vorhandene Bausubstanz zu Bauschutt machen.
Plattwalzen und Ersatzneubau, heisst ihre Devise. Um aus den teuer bezahlten Grundstücken die höchstmögliche Rendite herauszuholen, setzen die Investoren auf Eigentums- und Mietwohnungen im Hochpreissegment. Neuerdings auch im in den 1920er Jahren gegründeten Birchdörfli.
Das lebendige Gartenstadtquartier, angrenzend an Oerlikon in Zürich-Affoltern, ist sogar im Verzeichnis der erhaltenswerten Ortsbilder aufgeführt. Dies hinderte die Stadt jedoch nicht daran, diese Siedlung der städtischen Verdichtungsstrategie zu unterwerfen und die Aufzonung um ein Stockwerk zu erlauben. Schon bald wurden bei der ersten Liegenschaft in diesem Quartier, die einem Investor verhökert wurde, Bauprofile aufgestellt, die deutlich machten, was die neu erlaubte Gebäudehöhe bedeutet. Und dann kamen die Bagger: Ein Dominoeffekt war die Folge.
Birchdörfli 50/52 – Juli 2023
Mittlerweile droht das einstige Biotop zu einer Dauerbaustelle zu mutieren. Mit sicht- und spürbaren Folgen für die Nachbarschaft. So wurde auch der Werkplatz des alteingesessenen Baugeschäfts Lanfranconi plattgewalzt und bereitgemacht für ein quartierfremdes Bauprojekt: Zwei vierstöckige Wohnblöcke mit Eigentumswohnungen für Gutbetuchte.
©ALOS Immo AG /bnarchitects GmbH
Die Visualisierung zeigt, dass die Baukubaturen das Grundstück bis auf den letzten Quadratzentimeter ausreizen. Raum für Bäume und grosse Gärten, wie sie im Birchdörfli dazugehörten, sucht man im Verkaufsprospekt vergeblich. Die 18 Luxus-Eigentumswohnungen werden mit dem Etikett «Stadtvillen» zu Preisen vermarktet, dass sich die Alteingesessenen im Quartier nur noch die Augen reiben.
So kostet etwa die 2,5‑Zimmerwohnung im Erdgeschoss mit einer Fläche von 65.4 Quadratmetern glatte 1,23 Millionen CHF – die Attikawohnung mit einer bescheidenen Fläche von 137.8 Quadratmeter gibt es für 2,82 Millionen. Laut Webseite des Vermarkters ist bereits vor Baubeginn über die Hälfte der Wohnungen reserviert.
Solche Profitaussichten dürften weitere Liegenschaftsbesitzer:innen dazu verführen, ihr Haus und Garten an den Meistbietenden zu verschachern. Zumal das Quartier mit jedem derartigen Neubau und Zuzüger:innen, die nichts mit der gewachsenen Struktur am Hut haben, an Attraktivität verliert und langsam stirbt.
Ein paar Strassen weiter, das nächste Beispiel: Vor ein paar Wochen standen plötzlich auf dem Grundstück an der Regensbergstrasse 156 die Unheil ankündigenden Bauprofile. Es ist schwer zu verstehen, dass dieses gut erhaltene Haus mit dem charakteristischen Giebeldach, den grünen Fensterläden und dem gepflegten Garten ebenfalls dem Abbruchhammer zum Opfer fallen soll.
Regensbergstrasse 156 /August 2023
Der Abriss einer solchen Liegenschaft steht in krassem Widerspruch zu den aktuellen Erkenntnissen über notwendige Massnahmen in Anbetracht der Klimafrage. Sanierungen von Gebäuden seien demnach dem Abriss und Ersatzneubauten vorzuziehen. Kommt hinzu, dass es sich bei dieser Liegenschaft um einen quartierprägenden Zeugen seiner Zeit handelt, der mit einer sanften Renovation problemlos fit gemacht werden könnte für die Zukunft.
Aber die Bauherrschaft hat anderes im Sinn. Auch diese Liegenschaft befindet sich in den Klauen eines Immobilienunternehmens, das mit Erhalt und Sanierung nichts am Hut hat. Gekauft hat es die Forleo Immobilien und Entwicklungs AG. Deren Mitbesitzer und Geschäftsführer ist ein mit allen Wassern gewaschener Player der Immobilienbranche und kein unbeschriebenes Blatt: Jürg Bircher, Ex-Präsident des EHC Kloten, wurde im Januar 2021 wegen Urkundenfälschung, Betrug und ungetreuer Geschäftsbesorgung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt, von denen er 6 Monate absitzen musste.
Die NZZ charakterisierte das Gebaren des Immobilienunternehmers während seiner Zeit als Kloten-Präsident wie folgt: «Stolz zeigte der Immobilienunternehmer bei Amtsantritt sein Holding-Konstrukt mit zig Tochterfirmen, darunter die Kloten Flyers. Jenes Konstrukt, in welchem er, wie man heute weiss, Geld ’rezyklierte’, indem er es zwischen Firmen hin- und herschob, um Solvenz vorzutäuschen.»
Dieser Mann hat mit einer seiner Firmen nun also die Regensbergstrasse 156 gekauft. Und will auf dem Grundstück in einem Quartier mit noch vorhandener Gründerzeitidentität einen vierstöckigen Wohnbunker bauen. Für die Architektur zeichnen Gabathuler und Partner aus Winterthur verantwortlich.
©FORLEO AG /Gabathuler 1 Partner Architekten AG
Laut Baugesuch sollen auf dem 1170 Quadratmeter grossen Grundstück 15 Wohnungen sowie eine Tiefgarage mit 13 Auto- und vier Motorradparkplätzen gebaut werden. Das Projekt reiht sich ein in die lange Liste von Renditebauten in Oerlikon, die Schritt für Schritt die gewachsenen Quartiere überwuchern und verunstalten.
Nicht zuletzt, weil auch die ehemaligen Gärten – bisherige Grünräume, auf denen sich die Neubauten ausdehnen – versiegelt werden und verloren sind. Bis auf ein paar Grünstreifen, flankiert von mickrigen Alibi-Bäumen, wenn es die Renditevorstellungen erlauben. Das alles in Zeiten der Klimaänderung und des stadträtlichen Geschwurbels, man wolle die Stadt fit für die Hitzezukunft machen.